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01. Aug. 2006

Das große internationale Iran-Puzzle

Teherans Atomprogramm auf der diplomatischen Weltbühne

Mitte Juli ließen erstmals alle fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats
– also auch Russland und China – die Bereitschaft
erkennen, über Sanktionen gegen Iran nachzudenken, falls er sich weiter
weigert, die Urananreicherung auszusetzen. Trotz ihrer unterschiedlichen
Interessen ist es den Hauptakteuren damit gelungen, eine einheitliche
Linie gegenüber Iran zu vereinbaren – ein Erfolg vor allem
der europäischen Diplomatie. Er könnte weitreichende Folgen haben.

Das aufgeführte diplomatische Stück genügt allerhöchsten Ansprüchen. Da wird diskutiert und verhandelt, werden Positionen immer wieder neu abgestimmt, Optionen erwogen und mögliche künftige Entwicklungen durchdacht. Sechs Staaten spielen die Hauptrollen: die USA, Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und China. Weitere Länder, die in relevanten Gremien wie dem UN-Sicherheitsrat, dem IAEO-Gouverneursrat oder den G-8 vertreten sind, sind in Nebenrollen aktiv.

Die sechs Hauptakteure – wie auch die meisten Spieler in den Nebenrollen – eint ein gemeinsames Ziel: Iran von seinem Atombombenkurs abzubringen. Und zwar mit diplomatischen Mitteln und ohne den Einsatz militärischer Gewalt. Daneben verfolgen sie eine Vielzahl unterschiedlicher Interessen. Da geht es um Öl und Gas, zivile Nuklearkooperation und Rüstungsexporte, aber auch um Geopolitik, transatlantische Beziehungen und die Zukunft der Gemeinsamen Europäischen Außen- und Sicherheitspolitik. Und selbstverständlich muss jede Regierung innenpolitische Rahmenbedingungen berücksichtigen. Für Deutschland geht es um die Chance, erheblich an internationaler Statur zu gewinnen.

Ein Happy End scheint noch immer möglich. Trotz ihrer unterschiedlichen Interessen haben es die sechs Staaten geschafft, einen Doppelbeschluss zu vereinbaren und Iran vor eine eindeutige Alternative zu stellen: entweder eine kooperative Lösung anzustreben, die für Iran eine Vielzahl von Anreizen enthielte, Teheran aber dazu zwingen würde, sein Atomprogramm eindeutig auf die zivile Anwendung zu beschränken; oder eine internationale Isolation im Zuge der Umsetzung von durch den UN-Sicherheitsrat zu beschließenden Sanktionen zu riskieren. Iran hat sicherlich nicht damit gerechnet, dass es den Europäern tatsächlich gelingen würde, nicht nur die Bush-Administration mit ins Boot zu holen, sondern auch Russland und China von einem gemeinsamen Kurs zu überzeugen.

Chancen und Risiken

Wie immer diese sehr komplizierte Auseinandersetzung ausgehen wird, das Resultat wird geeignet sein, entscheidende Weichen für die Gestaltung der internationalen Beziehungen in den ersten Jahrzehnten des 21. Jahrhunderts zu stellen. Denn zur Disposition steht mehr als nur, ob zu den bisher neun Kernwaffenstaaten (Nordkorea mitgerechnet) noch ein zehnter hinzukommt.

Für die von vielfältigen Konflikten geplagte Region des Nahen und Mittleren Ostens steht die Frage im Raum, ob diesen noch ein nuklear geprägter, dreiseitiger Regionalkonflikt hinzugefügt wird – mit Iran auf der einen, Israel und den USA auf der zweiten und arabischen Ländern wie Ägypten und Saudi-Arabien auf der dritten Seite. Umgekehrt könnte die Region des Mittleren Ostens von einer einvernehmlichen Lösung profitieren. Eine Entspannung des amerikanisch-iranischen Verhältnisses sowie eine Annäherung Teherans an Europa wäre der Handhabung der Schwierigkeiten im Irak oder in Afghanistan sicherlich dienlich.

Sollte sich jedoch das Trauma eines nuklearen Rüstungswettlaufs in Nahost erfüllen, wäre auch der Atomwaffensperrvertrag nicht mehr zu retten. Ob dann weitere Länder, etwa in Asien, unmittelbar die nukleare Karte ziehen würden, wissen wir nicht. Was wir wissen, ist, dass angesichts der immer weiter auseinander klaffenden Schere zwischen steigenden Energiebedürfnissen einerseits und knapper werdenden Ressourcen andererseits eine zunehmende Zahl von Ländern mit der zivilen Nutzung der Kernenergie liebäugelt. Ohne Atomwaffensperrvertrag würden also immer mehr Kernkraftwerke, aber auch etwa Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen, ohne Kontrollen durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO) betrieben werden. Ein massiver Verlust an internationaler Transparenz und gegenseitigem Vertrauen wäre die Folge.

Andererseits könnte der Streit um das iranische Atomprogramm zu einer großen Chance für das gesamte nukleare Nichtverbreitungsregime werden. Sollte es tatsächlich gelingen, Iran von einer zumindest zeitweiligen Suspendierung seines Urananreicherungsprogramms sowie aller anderen Projekte, die zu einem vollständigen nuklearen Brennstoffkreislauf führen, zu überzeugen, wäre damit möglicherweise ein Einstieg in eine neue Debatte um die Zukunft des nuklearen Brennstoffkreislaufs an sich geschafft. Sollte Iran sich doch noch an einem Konsortium für die Urananreicherung auf russischem Boden beteiligen, würde die von IAEO-Generalsekretär Mohammed El Baradei angestoßene Debatte um die Multinationalisierung des nuklearen Brennstoffkreislaufes, also den Betrieb international zu organisierender Urananreicherungs- und Wiederaufbereitungsanlagen, eine neue Dynamik entfalten.

Zur Disposition steht aber noch wesentlich mehr. Etwa die künftige Bedeutung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen. Sollte sich nämlich Teheran nicht auf eine Verhandlungslösung einlassen und der Weg von Sanktionen beschritten werden (was bei Drucklegung dieses Textes noch offen war), stellte sich – trotz jüngst demonstrierter Einigkeit – die Frage, ob die beteiligten Mächte diesen Weg auf Dauer gemeinsam gehen werden. Sollte dies gelingen, würde der Sicherheitsrat davon sicherlich profitieren. Die Scharte des Streites um das Vorgehen gegen Saddam Hussein wäre nahezu ausgewetzt. An einem Sicherheitsrat der Vereinten Nationen jedoch, der nicht einmal in der Lage wäre, sich der aus amerikanischer Sicht so vitalen Frage wie der Eindämmung des iranischen Atombombenbegehrens zu stellen, würde Washington aber wohl nahezu vollkommen das Interesse verlieren. Und zwar weitgehend unabhängig davon, ob George W. Bush ein weiterer republikanischer Präsident oder ein demokratischer Kandidat nachfolgen wird. Ein massiver Bedeutungsverlust des Sicherheitsrats wäre unweigerlich die Folge.

Sollten Russland und China Sanktionen gegen Iran auch dann mittragen, wenn damit eigene wirtschaftliche und politische Nachteile verknüpft wären, würde sich dies positiv auf das Miteinander dieser beiden Mächte mit dem Westen auswirken. Sollten sich Moskau und Peking aber einem entschlossenen Vorgehen gegen das iranische Atomprogramm widersetzen, hätte dies negative Folgen für deren Beziehungen zu Washington sowie seinen europäischen Partnern.

Es stellte sich im Falle einer fortdauernden Verweigerungshaltung Teherans auch die Frage, ob die Europäer eine einheitliche Position wahren könnten. Falls nicht, hätte dies Rückwirkungen auf die transatlantischen Beziehungen. Derzeit sieht es so aus, als könnte die -Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU als einer der Gewinner aus dem Streit um das iranische Atomprogramm hervorgehen. Die EU-3 haben es geschafft, über einen längeren Zeitraum in einer sehr kniffligen Frage europäische Einigkeit zu demonstrieren. Sie haben dies vermocht, obwohl in der einen oder anderen europäischen Hauptstadt der EU-3-Prozess wegen der befürchteten Gründung eines europäischen Triumvirats argwöhnisch beobachtet wurde. Sichtbarster Ausdruck der europäischen Führungsrolle war die Entsendung des Hohen Beauftragten für die Gemeinsame EU-Außen- und Sicherheitspolitik, Javier -Solana, nach Teheran, um dort das mit Washington, Moskau und Peking -gemeinsam erarbeitete Angebotspaket zu überreichen. Ginge Europa diesen einmal eingeschlagenen Weg entschlossen weiter, könnte die Gemeinsame Außenpolitik sogar dem vor sich hindümpelnden europäischen Integrationsprozess einen unerwarteten Schub verleihen. Im Falle eines Erfolgs dieser Politik hätte dies auch enorm positive Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis. In einer entscheidenden Frage der Weltpolitik hätte man -gemeinsam an einem Strang gezogen.

Die europäische und transatlantische Einigkeit bleibt jedoch fragil. Sollten sich die Fronten gegenüber Teheran verhärten und eine lang andauernde, abgestufte Sanktionspolitik notwendig werden, stellte sich die Frage, ob der transatlantische und der europäische Zusammenhalt gewahrt blieben. Allerspätestens, falls sich Washington eines Tages – wonach es derzeit nicht aussieht – doch zu einem militärischen Vorgehen gegen das iranische Nuklearprogramm entschiede, würden sich die europäischen Geister wohl ebenso scheiden wie die transatlantischen.

Doch wie stellen sich derzeit die Positionen der Europäer und Amerikaner sowie der Russen und Chinesen im Einzelnen dar?

Der europäische Weg

Die Entscheidung der drei Außenminister Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens vom Oktober 2003, nach Teheran zu reisen und mit den dortigen Verantwortlichen eine gemeinsame Grundlage für Verhandlungen über das iranische Atomprogramm zu schaffen, erfolgte spontan. Es ging darum, die Angelegenheit vom UN-Sicherheitsrat zunächst fernzuhalten. Nach dem Irak-Desaster sollte ein erneuter Streit in diesem höchsten internationalen Gremium verhindert werden. Seitdem haben die EU-3, wie sie fortan genannt wurden, eine klare Linie verfolgt.

Erstens galt es, eine iranische Nuklearbewaffnung unbedingt zu verhindern. Zweitens sollte Iran auf den vollen Brennstoffkreislauf zunächst verzichten. Teheran sollte so den selbst verschuldeten Vertrauensverlust, der aus den iranischen Verfehlungen der IAEO gegenüber resultierte, wettmachen. Keineswegs sollte dem Iran ein ihm zustehendes Recht auf die friedliche Nutzung der Kernenergie streitig gemacht werden. Vielmehr wurde Teheran schon in dem sehr breit angelegten europäischen Angebot vom August 2005 die Möglichkeit angedeutet, zu einem späteren Zeitpunkt das Anreichungsprogramm wieder aufzunehmen, falls internationales Vertrauen wieder hergestellt worden wäre. Die von Solana im Juni 2006 in Teheran überreichte Offerte macht dies sogar noch deutlicher: Für den Iran wird die Option eröffnet, nach Wiederherstellung des internationalen Vertrauens mit der Anreicherung von Uran im eigenen Land wieder beginnen zu können.

Um Iran diesen Weg schmackhaft zu machen, boten die Europäer drittens an, die gegenseitigen Beziehungen auf eine breitere gemeinsame Grundlage zu stellen. Um entsprechende wirtschaftliche und andere Anreize realisieren zu können, war die Unterstützung der gesamten Union notwendig. Aus diesem Grund, und um zu verdeutlichen, dass es der EU als Ganzes um eine kooperative Lösung des Problems ging, wurde seit der Unterzeichnung des Pariser Dokuments mit dem Iran im November 2004 der Hohe Beauftragte der EU für die Außen- und Sicherheitspolitik, Javier Solana, direkt an den Gesprächen beteiligt. Viertens machten die Europäer Teheran aber von Beginn an deutlich, dass sie im Falle eines Scheiterns der Bemühungen um eine kooperative Lösung entschlossen wären, die Angelegenheit doch vor den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zu bringen. Fünftens bemühten sich die EU-3 um amerikanische Unterstützung sowie die enge Anbindung Russlands und auch Chinas an den Verhandlungsprozess mit Teheran.

Zwar vermochten die EU-3 Iran nicht zu überzeugen; dennoch haben sie dreierlei erreicht:

  • Sie haben zumindest nach außen europäische Einigkeit und ihr hohes Interesse demonstriert, sich in komplizierten Fragen der nuklearen Nichtverbreitung um kooperative Lösungen zu bemühen. Dies war nach dem Streit um Irak von großer Bedeutung für die Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik.
  • Iran wurde ein verbesserter Zugang für internationale Inspektoren im Zuge der Umsetzung des IAEO-Zuatzprotokolls abgerungen. Wie nützlich dies war, zeigte sich, als Teheran die Arbeitsmöglichkeiten der Inspektoren wieder drastisch einschränkte.
  • Mit den Verhandlungen haben die EU-3 die Grundlage für die internationale Koalitionsbildung mit den USA, Russland und China geschaffen, die es ermöglichte, Iran vor eine klare Alternative zu stellen.

Die Europäer sind entschlossen, alle ihnen zur Verfügung stehenden politischen und wirtschaftlichen Möglichkeiten – also notfalls auch Sanktionen – zu nutzen, um eine iranische Bombe zu verhindern. Ab welchem Zeitpunkt die dabei anfallenden Kosten wie Exportverluste und erhöhte Energiekosten zu Auflösungserscheinungen bei der gemeinsamen europäischen Politik führen würden, ist eine hypothetische Frage.

Amerikas Wandlung

Dass die Europäer überhaupt an den Punkt kommen würden, die USA wie auch Russland und China gemeinsam auf eine Linie zu bringen, war am Beginn dieses Prozesses keineswegs zu erwarten gewesen. Vor allem zwischen Washington und den europäischen Hauptstädten knirschte es anfangs gewaltig. Doch im weiteren Verlauf legten die USA bei der Behandlung des Iran-Problems den weitesten Weg aller Beteiligten zurück.

Einerseits hatte die Bush-Regierung zunächst genügend andere Sorgen: die enormen Schwierigkeiten, die sich nach Beendigung der eigentlichen Kampfhandlungen im Irak bei dem Versuch der Herstellung politischer Stabilität auftaten; die Belastungen durch das militärische Engagement in Afghanistan; der Kampf gegen den internationalen Terrorismus; und die Auseinandersetzungen um das nordkoreanische Atomprogramm. Andererseits spielen in der amerikanischen Debatte die iranische Unterstützung für Terrororganisationen wie auch die Menschenrechtslage in dem Kleriker-Staat eine größere Rolle als in Europa. Und zwar nicht nur im republikanischen Lager, sondern auch bei den Demokraten. Präsident Bush musste daher auf der Hut sein, sich gerade im Hinblick auf das islamistische Regime in Teheran nicht den Vorwurf der Beschwichtigungspolitik einzuhandeln. Dies auch deswegen, weil die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran nach der islamischen Revolution 1979 noch immer fest im kollektiven amerikanischen Gedächtnis verhaftet ist.

Vor diesem Hintergrund schien Washington lange Zeit keine klare Linie zu finden. Militärische Optionen, die verschiedentlich erwogen wurden, schieden aus einer Vielzahl praktischer Gründe aus. Einige in der Administration, die einer neokonservativen Denkrichtung zuneigten, lehnten gemeinsame Bemühungen mit den Europäern um diplomatische Lösungen strikt ab. Sie bevorzugten einen von außen zu erwirkenden Regimewechsel in Teheran. Allerdings entwickelten sie keine klaren Vorstellungen darüber, wie dieser zu bewerkstelligen sei. Als die Europäer im Vorlauf der Unterzeichnung des Pariser Dokuments zu Konsultationen nach Washington kamen, vermochte der damals noch zuständige Staatssekretär John Bolton seine fundamentale Abneigung gegenüber den europäischen Verhandlungsbemühungen kaum zu verbergen. Im IAEO-Gouverneursrat forderten die USA immer wieder eine schnelle Befassung des UN-Sicherheitsrats, um somit den Weg für Sanktionen frei zu machen. Sie fanden dabei aber keine ausreichende Unterstützung, auch nicht bei den Europäern. Dies konnte insofern kaum überraschen, als die Bush-Regierung hinter ihren Forderungen keine umfassende Politikstrategie erkennen ließ.

Erst nach der Wiederwahl George W. Bushs begannen die USA, sich aktiver an einer internationalen Koalitionsbildung zu beteiligen und insbesondere auf ihre europäischen Partner zuzugehen. Ausschlaggebend für diesen allmählichen Positionswechsel war der Einzug von Condoleezza Rice ins Außenministerium. Schockiert über das schlechte Ansehen Amerikas in nahezu jeder europäischen Hauptstadt, die sie in ihrem neuen Amt besuchte, lag ihr an einer fundamentalen Verbesserung der transatlantischen Beziehungen. Aufgrund ihrer persönlichen Beziehung zu Bush war Rice näher am Ohr des Präsidenten. Sie konnte ihn daher viel eher als ihr Vorgänger Colin Powell von der Notwendigkeit eines gemeinsamen Vorgehens mit den Freunden und Partnern überzeugen. Ihre Position hatte stärkeres Gewicht als die der allein auf einen Regimewechsel in Teheran fixierten Neokonservativen in der -Administration.

Anlässlich des Europa-Besuchs von Präsident George W. Bush im Februar 2005 wurde der Schwenk in der amerikanischen Politik deutlich. Der europäische Verhandlungsansatz erhielt nun die volle diplomatische Unterstützung Washingtons. Erstmals gestanden die USA Iran das prinzipielle Recht auf die zivile Nutzung der Kernenergie implizit zu. Auch war Amerika zur Aufhebung bestimmter gegen Iran verhängter Sanktionen bereit. Allerdings widersetzte sich die Bush-Administration europäischen Erwartungen hinsichtlich einer etwaigen direkten Beteiligung an Verhandlungen mit dem Iran.

Inzwischen spitzte sich die Krise zu. Iran gab die mit den Europäern vereinbarte Suspendierung seiner Urananreicherungsaktivitäten auf. Die europäisch-iranischen Verhandlungen kamen zum Erliegen. Sogar ein Kompromissvorschlag, demzufolge Iran sich an einer Urananreicherungsanlage in Russland beteiligen sollte, um so den sicheren iranischen Zugang zu angereichertem Uran zur Nutzung in Kernkraftwerken zu garantieren, wurde von Teheran rigoros abgelehnt. Der neue iranische Präsident Machmud Achmadinedschad leugnete öffentlich den Holocaust und verkündete immer wieder, Israel von der Landkarte tilgen zu wollen. Die Bemühungen, dem iranischen Treiben mittels einer breiten internationalen Koalitionsbildung entgegenzuwirken, waren in der Sackgasse gelandet.

In dieser Situation entschloss sich Präsident Bush, noch einen Schritt weiter zu gehen. Dem Rat seiner Außenministerin folgend, erklärte er Amerikas grundsätzliche Bereitschaft zu direkten Gesprächen mit Iran im Rahmen multilateraler Verhandlungen. Die USA wollten nun – wie Präsident Bush ankündigte – im Streit um das iranische Atomprogramm eine Führungsrolle übernehmen. Dadurch wurde ein wichtiger Anstoß für den mit den EU-3 sowie Russland und China gemeinsam gefassten Doppelbeschluss geschaffen.

Widersprüchliche russische und chinesische Interessen

Moskau und Peking eint ihr starkes Interesse an der Verhinderung einer iranischen Atombewaffnung. Eine nukleare Rüstungsdynamik, einhergehend mit weiterer Instabilität in der strategisch so wichtigen Region des Nahen und Mittleren Ostens, käme beiden äußerst ungelegen. Auch kann eine Schwächung oder gar Beendigung des Atomwaffensperrvertrags nicht in ihrem Interesse liegen. Denn dieses Abkommen verleiht beiden Ländern gemeinsam mit den USA, Frankreich und Großbritannien eine herausgehobene Stellung als offizielle Kernwaffenmächte. Eine fortgesetzte Weiterverbreitung von Kernwaffen würde diese Sonderstellung auf Dauer untergraben.

Außerdem bemühen sich Russland wie China, als ständige Mitglieder des UN-Sicherheitsrats ihrer Verantwortung für den Weltfrieden gerecht zu werden. Dazu gehört – wie dieses höchste internationale Gremium mehrfach festgestellt hat – auch und gerade die Verhinderung der Verbreitung von ABC-Waffen. Vor allem China möchte vom Westen als verantwortliche Macht wahrgenommen werden und hat daher beispielsweise unlängst einiges unternommen, um seine Exportkontrollgesetzgebungen internationalen Erwartungen anzupassen. Peking orientiert sich zudem stark am russischen Vorgehen und hätte allein nicht die Kraft, durch eine Vetopolitik eine Beschlussfassung des UN-Sicherheitsrats zu verhindern. Zugleich sprechen aus der Sicht Moskaus wie Pekings zunächst eine Reihe wirtschaftlicher Gründe gegen eine Sanktionspolitik gegenüber Iran. Für Russland ist Iran nach Indien und China der wichtigste Kunde für konventionelle Rüstungsgüter. Ein Waffenembargo würde daher die russische Rüstungsindustrie hart treffen, zumal sie noch immer darunter leidet, seit Ende des Kalten Krieges traditionelle Märkte in Europa verloren zu haben. Auch liefert Russland zivile Nukleartechnologie an Iran. Dabei geht es nicht nur um den noch nicht in Betrieb genommenen Reaktor in Buschehr, sondern um die künftige Lieferung weiterer Kernkraftwerke im Wert von mehreren Milliarden Dollar. Im Falle von Sanktionen könnte Russland diese lukrativen Geschäfte nicht tätigen. Doch andererseits gilt, dass Moskau weder mit seinen Rüstungs- noch mit seinen Nukleargeschäften mit Teheran fortfahren könnte, sollte Iran sich entgegen dem Willen der internationalen Staatengemeinschaft eine Atomwaffenoption erarbeiten. Daher muss Russland dringend an einer diplomatischen Lösung des iranischen Atomproblems gelegen sein. Allerdings könnte sich Moskau dabei mehr Zeit lassen wollen, als seinen westlichen Partnern lieb sein kann. Denn eine fortgesetzte Iran-Krise bedeutet einen höheren internationalen Ölpreis, der wiederum die russischen (Staats-)Kassen füllt.

Öl ist auch für China in zunehmendem Maße relevant. Nach Saudi-Arabien ist Iran Chinas zweitwichtigster Lieferant. Sollte die chinesische Führung den immer weiter steigenden Energiebedarf nicht befriedigen können, stünde damit nicht nur das chinesische Wachstum auf dem Spiel, sondern letztlich die Herrschaft der Kommunistischen Partei selbst. Hohe Ölpreise sind daher aus chinesischer Sicht kontraproduktiv, weshalb China an einem möglichst baldigen Kompromiss mit Iran interessiert sein muss. Andererseits wären Sanktionen gegen den Iran, die den Zugang zu Öl in Frage stellten, für China aus den genannten Gründen im höchsten Maße gefährlich.

Neben wirtschaftlichen Erwägungen spielen auch geopolitische Motive besonders im russischen Kalkül eine wichtige Rolle. Doch auch hier zeigen die Interessen keineswegs nur in eine Richtung. Russland möchte einer amerikanisch geprägten unipolaren Weltordnung das Modell einer multipolaren Welt entgegensetzen. Daher versucht Moskau, an alte sowjetische Zeiten anknüpfend, auch wieder ein größeres Gewicht im Nahen und Mittleren Osten zu erlangen. Diese wichtige Region soll nicht allein dem Einfluss der USA überlassen bleiben. Iran ist in dieser Strategie derzeit Russlands einziger wirklicher Anknüpfungspunkt. Gemeinsam teilt man beispielsweise das Ziel, Amerika aus der Kaspi-Region herauszuhalten. An einer iranisch-amerikanischen Annäherung ist Russland keinesfalls interessiert. Auch ist Moskau froh darüber, dass Teheran keinen destabilisierenden Einfluss auf Tschetschenien und andere Brandherde im postsowjetischen Raum ausübt, bei denen der Islam eine Rolle spielt. Sanktionen gegen Iran, an denen sich Russland beteiligen würde, könnten das bislang gut funktionierende Zusammenwirken in Frage stellen. Allerdings könnte dies auch der Fall sein, sollte Iran sich eine Bombenoption erarbeiten. Eine Atommacht Iran könnte selbstbewusster auftreten und durchaus russischen Interessen im eigenen Hinterhof in die Quere kommen. Außerdem würde Russland im Falle einer Verweigerung der Zusammenarbeit mit den USA im UN-Sicherheitsrat das Risiko eingehen, dass die russisch-amerikanischen Beziehungen, die derzeit ohnehin schwierig sind, vollends aus dem Ruder laufen.

Für Peking ist der Iran-Komplex auch mit der Nordkorea-Frage verknüpft. China hatte sich einer Behandlung des Falles Pjöngjang im UN-Sicherheitsrat lange Zeit konsequent widersetzt. Die chinesische Führung fürchtet eine Eskalation der Krise in der unmittelbaren Nachbarschaft. Daher agiert man auch vorsichtig in der Frage, ob und inwieweit die Iran-Akte in New York behandelt werden soll. Denn dadurch könnte ein Präzedenzfall geschaffen werden. Nachdem Nordkorea am 4. Juli 2006 mehrere Raketen, darunter auch die weitreichende Taepodong 2, gestartet hatte, änderte China jedoch seine Position. Peking stimmte der Resolution 1695 des Sicherheitsrats zu, die dieses nordkoreanische Vorgehen verurteilte. Darüber hinaus wurde Pjöngjang aufgefordert, sein Raketenprogramm einzustellen und zu einem Testmoratorium zurückzukehren. Dieser Wandel in der chinesischen Nordkorea-Politik passt zu der grundsätzlichen Bereitschaft Pekings, im Sicherheitsrat auch einer Resolution zustimmen zu wollen, die von Iran die Einstellung seines Urananreicherungsprogramms völkerrechtlich verbindlich verlangte.

Einig sind sich Moskau wie Peking, Automatismen wie beim Irak unbedingt zu vermeiden. Sie wollen bei Entscheidungen in New York die Zügel fest in der Hand behalten. Daher war es ihnen wichtig, mit den USA und Europa ein schrittweises Vorgehen zu vereinbaren. Eine erste Iran-Resolution sollte daher nach ihren Vorstellungen noch keine konkreten Strafandrohungen beinhalten. Falls dies nicht ausreichte, würden weitere Resolutionen folgen, die den Druck auf Teheran Schritt für Schritt erhöhten.

Ende offen

Noch ist nicht entschieden, ob es bei einem Schauspiel bleibt oder das Geschehen auf der großen diplomatischen Weltbühne in einer Tragödie endet. Sicherlich wird Iran weiterhin versuchen, durch Taktierereien und Hinhaltestrategien die internationale Staatengemeinschaft zu spalten. Bleibt diese aber zusammen und gelingt es ihr, die durch die Sechs in ihrem Doppelbeschluss formulierte klare Alternative aufrechtzuerhalten, könnte ihrer Diplomatie ein großer Erfolg beschieden werden. Eines bleibt jedoch auf jeden Fall schon jetzt festzuhalten: Europa hat sich, mit Frankreich, Großbritannien und Deutschland an der Spitze, leidenschaftlich und mit großer Ausdauer für eine kooperative Lösung des Streites um das iranische Atomprogramm eingesetzt. Ohne dieses Engagement wäre die Krise schon längst den Händen der Politiker entglitten.

Dr. OLIVER THRÄNERT, geb. 1959, leitet die Forschungsgruppe Sicherheitspolitik in der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 8, August 2006, S. 28‑35

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