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02. Apr. 2008

Abschied vom fossilen Industrialismus

Was folgt nach dem „Ende der Arbeitsgesellschaft“? Sicher keine neue; das legt den Ausblick auf den „Anfang der solaren Weltgesellschaft“ nahe

Die Theoretiker haben das „Ende der Arbeitsgesellschaft“ nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an, was auf sie folgt. Der Begriff hat seinen strategischen Sinn verloren. Der „soziale Kitt“, den die „funktionale Arbeitsteilung“ (Durkheim) garantieren sollte, das „soziale Apriori“, das den Individuen versprach, für jedes von ihnen gebe es „eine Position und Leistung innerhalb der Gesellschaft, zu der es ‚berufen‘ ist“ (Simmel) – sie haben keine Bindekraft mehr. Und Hannah Arendt sah die „Arbeitsgesellschaft“ – ein Gemeinwesen, in dem die Menschen über die Ziele und die Mittel verfügen – nur noch in idealisierten Vergangenheiten, und die Menschheit auf dem Weg zurück zu einer „Tiergattung“.

Ganz unten, wo die Ökonomie hart durchschlägt, und für die 87 Prozent der Bürger, die – nach Auskunft der Demoskopen – zwar Arbeit haben, aber mit ihrer Tätigkeit unzufrieden sind, dürften soziologische Abstraktionen von minderem Interesse sein. Selbst das Wort „Arbeit“ hat seinen Emanzipationsklang verloren, seit kein selbstbewusster „starker Arm“ mehr irgendwelche Räder stillstehen lassen kann. Heute ist – so Volkes Stimme – schon froh, wer einen Job hat, der genug Geld für’s Nötigste einbringt. Zufrieden wird man dadurch nicht. Und das hat anthropologische Gründe – jedenfalls wenn man Richard Sennett folgt. Der „flexible Mensch“, so legt es sein neues Buch nahe („Handwerk“, Berlin Verlag 2008), sei nicht das letzte Wort der Geschichte, denn: die „handwerkliche Orientierung“ sei ein „dauerhaftes menschliches Bestreben“. In ihr liege ein Antrieb zur „Revolte“ gegen die Degradierung des Menschen zum feuchten Rohstoff eines kapitalgetriebenen Verwertungsprozesses.

Richtig daran ist vor allem – und Sennett stützt es mit Neurowissenschaft – dass Hand und Hirn immer zusammen lernen, dass die Atrophie des einen auch das andere in Mitleidenschaft zieht, und weiter: dass Menschen instinktiv diese Einheit suchen und krank werden, wenn sie fehlt, ob nun der Briefträger in den Baumarkt geht oder Herr Zumwinkel in den Garten, um Rosen zu schneiden. Schief wird es nur, wenn der Soziologe Sennett diese Erinnerung an die vor-industrielle Lust an Berührung mit dem Stoff der Welt zur anthropologischen Abstraktion hochtreibt, zum Trieb-an-sich, „eine Arbeit um ihrer selbst willen gut zu machen“, der sich im Bau einer Stradivari wie einer Atombombe zeige. Daraus lässt sich nur die unfrohe Botschaft ableiten, dass auch für das Vermitteln von Abos an Sozialrentnerinnen, das Konstruieren von Streuminen und das Malochen in Großküchen die Motivation immer wieder nachwächst. Zwischen Sennetts Beispielen, die fast alle aus der vorindustriellen Welt stammen, und dem knurrenden, bloß in die Kulissen des Buches gesprochenen Satz „Gutes Handwerk verlangt nach Sozialismus“ klafft eine große Lücke.

Wer nach „Arbeit“ sucht, die Hand und Kopf gleichermaßen befriedigt und überdies nicht sinnlos ist, der findet Gegenwart eher in einer spannenden Sammlung von Reportagen: „Schicht! Reportagen für die Endzeit“ (Suhrkamp, 2007). 16 deutsche Schriftsteller haben nach dem Glück in der Arbeit gesucht. Unter den bizarren Berufen, die der totale Markt hervorbringt, wie den Discount-Bestatter oder die Webcam-Pornodarstellerin, sind es allerdings nur eine Handvoll, bei denen Körper und Intellekt, der Wunsch nach Selbstperfektion und eine gesellschaftliche Nachfrage zusammenkommen: Der Kochlehrling, der bis zur Erschöpfung in der Küche des Sterne-Restaurants steht und stolz ist, wenn er zum ersten Mal die Selleriepüreestreifen parallel auf den Teller drückt und sein Selbstbewusstsein daraus zieht, dass er, anders als die „Jungs aus der Schnitzelküche“, einen „Respekt dafür entwickelt, dass ein Lebensmittel tatsächlich mal am Leben war“. Die Reitlehrerin, die angeekelt von ihrer Berliner Vorstadtklientel fürs halbe Geld und mit viel Eigenarbeit in einer dünn besiedelten ostdeutschen Region an einem Netzwerk von bargeldlosem Tausch von Gütern und Dienstleistungen strickt. Der Schauspieler, der die Hauptstadtdiskurse gegen die intellektuell nicht minder anspruchsvolle Praxis des Ziegenhütens eingetauscht und als wissenschaftlich informierter und spirituell sorgender Ökolandwirt einen Weg zwischen Naturnähe, Markt und Familie gefunden hat – ihnen ist es gelungen, in der Endzeit des fossilen Industrialismus Zufriedenheit, Sinn, Gemeinschaft und Stolz in ihrer Arbeit zu finden.

Die letzten Enklaven alter Berufszweige und die alternativen Nischen: Sie ermöglichen individuelle Auswege. Eine neue „Arbeitsgesellschaft“ wird daraus nicht. Die aber kommt – und Sennett verweist immerhin auf diesen Horizont – erst in dem Maße in Sicht, in dem Klimakrise, Ressourcenknappheit, Wachstumsmanagement und Geldmangel größere Menschengruppen nötigen werden, „andere Dinge herzustellen und auf andere Weise zu nutzen als bisher“. Zu einer Renaissance des Handwerks, der selbstbestimmten Arbeit und neuer genossenschaftlicher Formen unserer Existenz aber wird auch das nur führen, wenn wir den Umbau der Städte, der Verkehrsnetze, der Energieversorgung, wenn wir unsere kulturellen Betätigungen nicht denen überlassen, denen sie jetzt gehören. Das „Ende der Arbeitsgesellschaft“ orientiert keine gehaltvollen Einzelstudien mehr; sinnvoller (und zukunftshaltiger) wird es nun, die Phänomene im Ausblick auf den „Anfang der solaren Weltgesellschaft“ zu beobachten und einzuordnen.

MATHIAS GREFFRATH, geb. 1945, ist Soziologe und Journalist. Er war Chefredakteur der Wochenpost und schreibt für die ZEIT, taz, Süddeutsche Zeitung und ARD. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen „Montaigne heute“ (1999) und „Attac“ (2002).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2008, S. 106 - 107

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