Verscherbelte Öffentlichkeit
Kultur
Hamburg verkauft seine Website an Springer – und vergibt eine Chance,
die neuen Möglichkeiten digitaler Bürgerlichkeit zu entwickeln
Bürgermeister Ole von Beust strahlte: „hamburg.de“ werde nun noch attraktiver, mit „tagesaktuellen Informationen“ aus dem „reichhaltigen Angebot“ des Springer-Verlags. Denn dieser wird, so hat es die CDU-Regierung der Hansestadt beschlossen, zum Mehrheitseigner der Website, die bislang öffentliches Eigentum war. Damit kann sich Springer, der in Hamburg den Markt der öffentlichen Meinungen mit Tageszeitungen, Anzeigenblättern, dem einzigen Stadtfernsehsender und der Beteiligung an zwei Radiostationen ohnehin schon monopolartig beherrscht, nun – so stolz die Verlagsmitteilung – mit dem „offiziellen Stadtportal“ schmücken. Der Verlag, bedroht von Anzeigenschwund und den Mediengewohnheiten der nachwachsenden Generationen, freut sich, dass er die Domain mit der offiziösen Aura in Zukunft „für Werbekunden interessant“ machen und mit halbamtlich klingender Seriosität nach dem Immobilienmarkt noch viele andere lukrative lokale Geschäftsbereiche im Netz abgreifen kann.
Hamburg hat die Chance vertan, die neuen Möglichkeiten digitaler Bürgerschaftlichkeit zu entwickeln: „hamburg.de“ sollte, so war es geplant, mit bürgernahen Diensten zu einem demokratischen Forum werden, auf dem Stadtteilgruppen und Elterninitiativen eine kräftige Stimme bekommen hätten, Wohnungen, alte Möbel und Bücher getauscht werden, kulturelle Aktivitäten sich präsentieren und eine muntere blog-Demokratie sich hätte entfalten können – ein Ort der Diskussion, ein virtueller Stadtteilmarkt, ein digitales Nebenparlament. Eine kommerzfreie Prärie der Demokratie und ihrer Bürger, auf der Meinungen, Informationen, Proteste und Aktivitäten frei fließen können.
Hamburgs Regierung hat diesen offenen Raum ein paar Jahre lang von Auftragsnehmern gestalten lassen, ohne besonderen Pfiff oder Glanz – und ihn nun verscherbelt. Dass Kommunen unter Privatisierungsdruck ihr Tafelsilber an Versorgungsunternehmen, Krankenhäusern, Wohnungen, Freizeiteinrichtungen veräußern – daran haben wir uns gewöhnt. Nun verkaufen sie ihren Namen. Oder ihre Geschichte. Hinter der – auf ihre Kosten – rekonstruierten Fassade „ihres“ Stadtschlosses finden die Braunschweiger seit neuestem unversehens das Sammelsurium von Starbucks, ECE und H&M, und wer unter „hamburg.de“ nach Staat, Behörden und öffentlichem Raum sucht, landet jetzt unversehens in den Passagen eines Medienmischkonzerns, der von Börsendaten bis Pornographie alles anbietet und den Besucher nun online durch die werbeträchtige Kommerzwelt leiten wird. Man kann sicher sein: sehr professionell.
Öffentlichkeit ist das Gefäß der Demokratie, schrieb Alexander Kluge, und wer sie zerstöre, sei ein Geschichtsverbrecher. Das war in den achtziger Jahren, während der Auseinandersetzungen um die Zulassung privaten Rundfunks und Fernsehens in Deutschland, eine Grabrede auf das „duale System“. In ihm war die Presse privatwirtschaftlich, die elektronischen Medien waren öffentlich-rechtlich. Die Trennung war die Lehre aus Hugenbergismus und Gleichschaltung gewesen; die Alliierten hatten sie oktroyiert. Funk und Fernsehen sollten, frei von ökonomischen Interessen, die„Grundversorgung“ aller Bürger mit Informationen, Bildung und Unterhaltung sicherstellen. Duales System – so heißt heute das konfliktreiche Nebeneinander von kommerziellen und öffentlichen Sendern, mit immer wiederkehrenden, ebenso politisch wie ökonomisch motivierten Attacken auf das „Gebührenprivileg“ der Öffentlich-Rechtlichen, und mit deren verzweifelten Anpassungsorgien an das Niveau der werbetragenden Programme. Ein Vorgang, der aufs Furchterregendste die gängige Marktlegitimation Lügen straft, dass Konkurrenz die Qualität steigere.
Aber das ist Schnee von vorgestern. Auf dem neuen Markt Internet zersplittert die Öffentlichkeit immer weiter; der gemeinsame Horizont an Informationen und Diskussionsstoff zerfällt in segmentierte Arenen ohne integrierende Mitte. Dass Springer und andere ihre Claims in diesem Neuland abstecken und nach dem Schein von Offizialität wie – im Falle von Greenpeace – dem Renommee der NGOs greifen, das ist kein Wunder. Skandalös ist nur, dass die – offenbar kinderlosen – Hamburger Politiker im besten Fall immer noch keine Ahnung von den zukunftsstrategischen Chancen der Lufthoheit im virtuellen Raum haben; und schlimmstenfalls, dass sie nicht mehr wissen, dass da eine Grenze zwischen Öffentlich und Privat liegen sollte. Aber selbst wenn vorstellungsarme Parlamentarier Markt und Demokratie gleichsetzen und ihre Angestellten es nicht vermögen, auf einer Website kommunale Demokratie zum Leben zu erwecken: Was hätte aus „hamburg.de“ nicht werden können, wenn ein phantasievoller, zukunftsbewusster und frecher öffentlich-rechtlicher Rundfunk das Portal übernommen hätte? Es wäre noch einmal eine Chance gewesen, ein Integrationsmedium zu schaffen, ein vertrauenswürdiges öffentliches Portal, eine Plattform, die einiges Zersplitternde zusammenfügt. Aber, so wie die Dinge liegen, heißt das Volkspark-Stadion nun schon lange AOL-Arena, und wo Hamburg draufsteht, ist eben demnächst nicht mehr Hamburg drin, sondern ein Link zu den neuesten Nachrichten aus der Welt der kleinen Eisbären, der Discounter, womöglich versetzt – so lasen wir es am Tag des Hamburger Deals auf dem offiziellen Portal von T-Online und Bild – mit genaueren Angaben über die primären Geschlechtsmerkmale von Paris Hilton. Wo, bitte, geht’s zum Kartellamt?
MATHIAS GREFFRATH, geb. 1945, ist Soziologe und Journalist. Er war Chefredakteur der Wochenpost und schreibt für DIE ZEIT, taz, Süddeutsche Zeitung und ARD. Zu seinen Buchveröffentlichungen zählen „Montaigne heute“ (1999) und „Attac“ (2002).
Internationale Politik 6, Juni 2007, S. 120 - 121.