Zivilmacht mit Zähnen
Deutsche Vorschläge für eine Neubelebung der GSVP
Angesichts der Schuldenkrise in der EU spielt die Sicherheitspolitik derzeit nur eine untergeordnete Rolle. Dabei wird Europa künftig stärker für seine eigene Sicherheit verantwortlich sein. Deutschland sollte die Initiative für eine Revitalisierung ergreifen. Diese Arbeit fängt für Berlin vor allem zuhause an.
1. These: Deutsche Sicherheitspolitik hat ein Glaubwürdigkeitsproblem. Eine deutsche Initiative zur Stärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sollte dieses Problem aufgreifen und konstruktiv wenden, um überhaupt Wirkung entfalten zu können.
Die deutsche Enthaltung zu Libyen im UN-Sicherheitsrat wiegt immer noch schwer bei den Partnern in Europa. Es herrscht bestenfalls Verwirrung über die Berliner Außen- und Sicherheitspolitik, schlimmstenfalls wird Deutschland unterstellt, dass es sich aus diesem Politikfeld der EU ganz verabschiedet hat. So gilt Deutschland als schwer einschätzbar und getrieben von seinen wirtschaftlichen Interessen.
Einen neuen deutschen Impuls für die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) zu geben, ist aus einem einfachen Grund schwierig: Europa hat keinesfalls nur darauf gewartet. Wenn eine deutsche Initiative glaubwürdig sein soll, muss sie diesen Vorbehalten Rechnung tragen. Das Glaubwürdigkeitsproblem sollte positiv gewendet und Teil der Initiative sein. So sollte etwa definiert werden, dass die deutschen Vorschläge zur Revitalisierung der GSVP unabhängig von den Reaktionen möglicher EU-Partner kurzfristig realisierbar und finanzierbar, also umsetzbar, sein müssen.
Ganz grundlegend erscheint es notwendig, dass sich Berlin seinen europäischen Partnern vor dem Hintergrund der Libyen-Entscheidung, aber auch der Reform der Bundeswehr, als sicherheitspolitischer Akteur besser erklärt und darstellt. Diesem Ziel könnte eine europäisch ausgerichtete Konferenz in Berlin dienen. Unter Beteiligung von Abgeordneten und Sicherheitsexperten würde die deutsche sicherheitspolitische Debatte (insbesondere die Reform der Bundeswehr, aber auch die Lehren aus Afghanistan und Libyen oder das Thema Parlamentsvorbehalt) in einem europäischen Kontext diskutiert. So würde signalisiert, dass es in Berlin weiterhin ein Interesse an einer sicherheitspolitischen Debatte im europäischen Kontext gibt und Deutschland in Zukunft bereit ist, an der Stärkung europäischer Sicherheits- und Verteidigungskapazitäten aktiv mitzuwirken.
Deutschland muss daran arbeiten, seine Glaubwürdigkeit als sicherheitspolitischer Akteur zu stärken. Dazu sollte Deutschland seine Haltung in zentralen sicherheitspolitischen Fragen den Partnern besser und frühzeitiger erklären.
2. These: Es muss definiert werden, was „mehr Europa“ in Bezug auf die GSVP bedeutet. Die Fokussierung auf militärische Fähigkeiten ist dabei notwendig, aber nicht hinreichend. Ohne eine enger abgestimmte GASP ist auf längere Sicht auch keine erfolgversprechende GSVP denkbar.
Ein zentraler Aspekt sicherheitspolitischer Handlungsfähigkeit ist die Frage der militärischen Fähigkeiten. Der Zusammenhang zwischen einsatzrelevanten Fähigkeiten in den Mitgliedstaaten und der Funktionsfähigkeit der Gemeinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) ist gleichwohl nicht zwingend. Zudem kann die GSVP nur in dem Maße funktionieren und wachsen, wie sich die gesamte EU in Richtung mehr Staatlichkeit und hin zu einem einheitlichen politischen Akteur entwickelt. Die GSVP hat einen Quantensprung hinter sich; um die Handlungsmöglichkeiten auszuschöpfen, ist aber ein weiterer Quantensprung notwendig. Insofern hat die Debatte um die GSVP enge Bezüge zur allgemeinen Zukunftsdebatte der EU. Ohne eine enger abgestimmte Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ist auch keine erfolgversprechende GSVP denkbar. Insofern ist die GSVP lediglich ein Teilaspekt der europäischen Außenbeziehungen. Dieser Teilaspekt ist aber von wachsender Bedeutung, weil ein Fehlschlag im Bereich der GSVP auch negative Rückwirkungen auf die GASP, wahrscheinlich sogar auf den gesamten europäischen Integrationsprozess, haben dürfte. Zudem erfordert ein gemeinsames Verständnis für Sicherheit ein gemeinsames Verständnis von Sicherheit. Deshalb ist eine gemeinsame europäische Sicherheitsstrategie zu erarbeiten, die für die Öffentlichkeit sichtbar in einem „Weißbuch Europäische Sicherheit“ erläutert werden sollte.
Dabei sollte Deutschland auch visionäre Pläne für eine bessere europäische Arbeitsteilung bis hin zu pragmatischen Schritten zu einer Art europäischer Armee auf der Agenda halten, ohne zu erwarten, dass dies kurzfristig durchsetzbar wäre. Die Verflechtung und die gegenseitige Abhängigkeit der EU-Staaten untereinander sind bereits heute derart hoch, dass dieser „große Sprung“ hin zu einer Euroarmee eines Tages die logische Folge des europäischen Integrationsprozesses sein dürfte.
Deutschland muss klarer und strategischer definieren, was „mehr Europa“ in Bezug auf die GSVP bedeutet und dies mit politischen Initiativen verbinden.
3. These: Gemeinsame Schritte von einzelnen EU-Ländern außerhalb des Vertrags von Lissabon können sinnvoll sein, um einen europäischen Ansatz in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik voranzutreiben.
Die Bestimmungen zur GSVP im Vertrag von Lissabon bieten die Möglichkeit, einen sicherheitspolitischen Ansatz der EU mit entsprechenden Fähigkeiten zu stärken und weiterzuentwickeln, denn die Instrumente bzw. der rechtliche Handlungsrahmen sind grundsätzlich vorhanden. Das Problem ist jedoch politisch: Es fehlt am Willen, die Instrumente zu nutzen. Aus der GSVP ist gegenwärtig „die Luft raus“. Die zögerliche Herangehensweise von EU-Mitgliedern ist dabei auch im Kontext der europapolitischen Gesamtlage zu sehen: Sicherheitspolitik wird derzeit der Rettung des Euro und der Wirtschaftspolitik untergeordnet. Die Regierungen der EU-27 ziehen in der Europapolitik zu wenig an einem Strang, um Vertiefungsschritte im Rahmen der EU-Verträge realisieren zu können.
Es ist angesichts dieser Gesamtlage schwer nachvollziehbar, warum für eine Stärkung europäischer Sicherheits- und Verteidigungspolitik nicht auch außerhalb des GSVP-Rahmens stattfindende Kooperationen – wie etwa die britisch-französische Initiative – positiv gewertet werden und grundsätzlich zur Stärkung europäischer Sicherheits- und Verteidigungsfähigkeit beitragen können. Es ist außerdem eine politische Realität, dass sich Großbritannien, ohne das ein wirklicher europäischer Beitrag zur Sicherheitspolitik nicht denkbar ist, zumindest bis auf weiteres gegen einen GSVP-Ansatz entschieden hat. Europäische Sicherheits- und Verteidigungskooperation sollte daher nicht auf den engen GSVP-Ansatz beschränkt werden.
Deutschland muss vermeiden, bilaterale Initiativen als Schwächung der GSVP zu bewerten. Stattdessen sollte alles, was zur Stärkung europäischer Fähigkeiten dient, deutsche Unterstützung finden.
4. These: Verbesserte Fähigkeiten der EU stärken nicht automatisch den europäischen Pfeiler in der NATO; es kommt vielmehr darauf an, wie diese Prozesse ausgestaltet werden.
Die EU und die sie tragenden Mitgliedstaaten sollten nach Kräften daran arbeiten, dass die USA trotz ihrer stärkeren Ausrichtung auf den asiatisch-pazifischen Raum eine „europäische Macht“ bleiben. Bei der – notwendigen und sinnvollen – Weiterentwicklung ihrer sicherheitspolitischen Rolle sollten sich die EU-Staaten auf eine Weise verhalten, die die USA nicht noch weiter von Europa entfernt.
Die Beziehungen zwischen NATO und EU stecken trotz aller politischen Absichtserklärungen in einer Sackgasse. Deutschland sollte sich aktiver als bisher zu einer „NATO-First-Politik“ bekennen und diese konzeptionell und operativ ausgestalten. Konkret bedeutet das, die Stärkung des europäischen Pfeilers innerhalb der Allianz und die Herausbildung einer EU-Sicherheits- und Verteidigungspolitik als komplementäre Prozesse zu begreifen. In diesem Konzept bleibt die NATO der Eckpfeiler der europäischen Sicherheit und Organisation erster Wahl insbesondere für den Bereich der kollektiven Verteidigung, aber auch für das militärische Krisenmanagement.
Die Frage an die Europäer muss daher lauten: Sind wir dazu bereit und in der Lage, und wie kann dies in der Praxis zur Geltung kommen? Wie können die militärischen Beiträge der europäischen NATO-Staaten mit den parallelen Entwicklungen im Bereich der GSVP gekoppelt werden? Wenn beispielsweise im Rahmen der GSVP eine permanente zivil-militärische Planungs- und Führungsfähigkeit auf strategischer Ebene aufgebaut würde, dann müsste diese fest und unzweideutig mit den Strukturen der Allianz verbunden werden. Eine reine Duplizierung der GSVP-Strukturen ohne entsprechende Verbindung zur NATO ist der falsche Weg.
Zudem ist trotz aller offiziellen Bekundungen und formalen Arrangements eine Debatte über eine Arbeitsteilung dringend notwendig. Die EU als multiple Organisation könnte ihre Schwerpunkte dort ausbauen, wo ein über rein militärische Fähigkeiten hinausgehender Ansatz im Vordergrund steht. Das heißt nicht, dass auf die militärische Dimension auf EU-Ebene verzichtet werden soll. Die EU ist aber auch auf absehbare Zeit im besten Fall eine „Zivilmacht mit Zähnen“ und sollte der um einen kräftigen europäischen Pfeiler ergänzten NATO Einsätze überlassen, bei denen Eskalationsdominanz und Mittel hoher Intensität erforderlich sind. Dass dazu eine Bereitstellung europäischer Fähigkeiten unter Verfügungsgewalt der Allianz (oder genauer gesagt: Beiträge einzelner europäischer Staaten, gegebenenfalls auch in Form von Battle Groups oder unter Nutzung des Instruments der ständigen strukturierten Zusammenarbeit) erforderlich ist, sollte selbstverständlich sein und von Deutschland aktiver materiell und konzeptionell unterstützt werden.
Deutschland muss alles vermeiden, was die NATO schwächt, und die Komplementarität zwischen NATO und EU konzeptionell gestalten.
5. These: Pooling and Sharing sollte nicht primär als Instrument zur Kosteneinsparung verstanden, sondern als Instrument zum Erhalt und Aufbau weiterer europäischer militärischer Fähigkeiten genutzt werden. Nur so kann die GSVP wirksam gestärkt werden.
Die angespannte Lage der europäischen Haushalte wird ihre Wirkung auf den Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik erst in den kommenden Jahren voll entfalten. Bei unveränderten Streitkräftestrukturen und Beschaffungsverfahren wird der Spardruck zwangsläufig zum Abbau militärischer Fähigkeiten in Europa führen. Die europäische Handlungsfähigkeit im Bereich der Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird damit weiter eingeschränkt. In Anbetracht des relativen Machtverlusts der USA sind die Europäer gleichzeitig gezwungen, immer mehr Verantwortung bei der Bekämpfung der komplexen Bedrohungen zu übernehmen.
Daraus ergibt sich, dass das Ziel einer jeden Initiative zur Stärkung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik der systematische Aufbau fehlender militärischer Fähigkeiten ist (strategischer Lufttransport, strategische Aufklärung etc.). Pooling and Sharing darf vor diesem Hintergrund nicht in erster Linie als Instrument zur Kosteneinsparung gesehen werden. Es sollte stattdessen als Instrument verstanden werden, das nicht nur den Erhalt, sondern auch den Aufbau militärischer Fähigkeiten Europas ermöglicht. Die Bereitschaft, sich an Pooling and Sharing zu beteiligen, setzt jedoch den politischen Willen zur Integration militärischer Fähigkeiten voraus. Je höher die Bereitschaft zur Integration ist, desto höher sind auch die durch Pooling and Sharing zu erreichenden Kostensenkungen. Die freiwerdenden Mittel können für den benötigten Fähigkeitserhalt und -aufbau eingesetzt werden.
Die Bilanz der bisherigen europäischen Pooling and Sharing-Anstrengungen ist ernüchternd. Die Furcht vor einem nationalen Souveränitätsverlust war bisher stets das größte Hindernis für ein erfolgreiches Pooling and Sharing. Solange die europäischen Nationen keine abschließende Einigkeit über die Frage erzielen, wann und wie Streitkräfte zukünftig eingesetzt werden (siehe Libyen), wird sich an dieser Ausgangslage nur wenig ändern. Für Deutschland ergibt sich daher die Notwendigkeit, einen Beitrag zur Harmonisierung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu leisten. Initiativen wie eine neue europäische Sicherheitsstrategie können dieser Aufgabe förderlich sein, weil sie den sicherheits- und verteidigungspolitischen Diskurs in Europa, aber auch in Deutschland zumindest beleben.
Da die Harmonisierung der GSVP trotz derartiger Initiativen grundsätzlich ein langfristiges Projekt sein wird, sollte Deutschland in der Zwischenzeit den Erhalt und Aufbau militärischer Fähigkeiten auf der Basis von so genannten „Insellösungen“ vorantreiben – auch wenn dies nur die zweitbeste Lösung ist. Das heißt, dass Pooling and Sharing entweder mit ausgewählten europäischen Partnern umgesetzt werden sollte, oder dass Pooling and Sharing nur für ausgewählte Fähigkeitsbereiche zur Anwendung kommt. Die Realität zeigt, dass „Insellösungen“ in der Regel eine Kombination aus beidem sind (siehe z.B. das Arrangement zum A400M oder zum Joint Defence College der baltischen Staaten).
Es ist zu empfehlen, dass Deutschland in diesem Zusammenhang zweigleisig fährt: So sollte sich Deutschland als Lead Nation für kleinere Nationen anbieten und zugleich Pooling and Sharing-Projekte mit den großen europäischen Nationen initiieren. Die Kooperation mit großen Akteuren wie Großbritannien und Frankreich ergibt sich schon allein aus der Tatsache, dass dringend benötigte Fähigkeiten wie unbemannte Luftfahrzeuge, Raketenabwehr, weltraumgestützte Aufklärung oder ein europäisches Cyber-Abwehrzentrum kostenintensiv sind und nur gemeinsam mit großen Nationen bewältigt werden können.
Darüber hinaus könnten neue Kooperationen mit Großbritannien und Frankreich die Gefahr verringern, dass Deutschland seinen Einfluss bei der zukünftigen Gestaltung der GSVP verliert und das Feld diesen beiden Staaten überlässt. Schließlich könnte die Kooperation einen Beitrag zur Harmonisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der drei wichtigsten europäischen Führungsnationen leisten.
Die Kooperation mit kleineren Akteuren wie den Niederlanden oder Tschechien dient demgegenüber eher dem Fähigkeitserhalt. Böte sich Deutschland z.B. als Lead Nation im Bereich Luftwaffe an, könnten kleinere Nationen ihre Fähigkeiten in dieser Kategorie reduzieren oder gar aufgeben. Deutschland ist dabei aufgefordert sicherzustellen, dass seine Partner auch tatsächlichen Zugriff auf die Fähigkeiten haben, die es im Rahmen des Pooling and Sharing-Arrangements anbietet. Derartige Kooperationen könnten Deutschlands Rolle bei der Gestaltung der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik stärken und eine Harmonisierung in diesem Bereich fördern.
Deutschland muss die Ratio von Pooling and Sharing klarer herausstellen, mit eigenen Beiträgen vorangehen und dabei sowohl als Lead Nation für kleinere Nationen fungieren als auch Projekte mit den großen europäischen Nationen initiieren.
6. These: Das deutsche Parlamentsbeteiligungsgesetz erschwert eine weitere Integration der GSVP, weil es Unsicherheit über die Verlässlichkeit von Pooling and Sharing-Arrangements schafft. Das Gesetz ist zwar eher Symptom als Ursache dieser Unsicherheit, sollte aber dennoch flexibilisiert werden.
Um den deutschen Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr ranken sich Debatten, die weit hinter das wegweisende Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 reichen. Kritiker bemängeln zu Recht, dass glaubwürdige Sharing-Arrangements mit unseren europäischen Partnern nicht getroffen werden können, solange deren Einsatz – und sei es nur durch die Partner – dem Vorbehalt des Bundestags unterliegen. Erst 2011 hat die Debatte um den Einsatz von AWACS-Einheiten in Afghanistan dafür ein Beispiel geliefert. Die Verteidiger des Vorbehalts verweisen zwar darauf, dass der Bundestag noch nie ein von der Regierung gewünschtes Mandat verweigert hat. Das ändert jedoch nichts an der Wahrnehmung unserer Partner – zumal davon auszugehen ist, dass die Aussicht auf eine Abstimmung die Entscheidungsfindung der Exekutive negativ vorprägt.
Im Sinne einer verlässlichen, handlungsfähigen und demokratisch legitimierten Beteiligung Deutschlands an der weiteren Integration der GSVP sind daher zwei Ziele zu verfolgen. Erstens sollte in Deutschland auf eine belastbare außen- und sicherheitspolitische Strategie hingewirkt werden. Dies ist seit Langem bekannt und kann nur langfristig erreicht werden. Die Stichworte hierzu heißen „strategische Debatte in Deutschland fördern“, „sicherheitspolitische Kenntnisse der Bevölkerung und der Eliten verbessern“, „nationale Sicherheitsstrategie verfassen“ usw. Es würde aber dem Streit um den Parlamentsvorbehalt die Spitze nehmen. Denn die unterstellte „Unzuverlässigkeit“ des Parlaments ist lediglich Ausdruck des fehlenden strategischen Konsenses in der deutschen Politik insgesamt.
Zweitens sollte kurzfristig eine Modifikation des Parlamentsbeteiligungsgesetzes vorgenommen werden. Soweit Zweck oder Rahmenbedingungen eines Einsatzes einen kurzfristigen Operationsbeginn erfordern und dafür eine Entscheidung des Deutschen Bundestags nicht rechtzeitig herbeigeführt werden kann, sollte der Gedanke leitend sein, dass die Bundesregierung berechtigt ist, bewaffnete Streitkräfte vorläufig einzusetzen. Vor einem solchen Einsatz müsste sich die Bundesregierung mit den Fraktionsvorsitzenden im Deutschen Bundestag sowie den Vorsitzenden und Obleuten des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses ins Benehmen setzen. Stimmt der Bundestag dem Einsatz innerhalb von 30 Tagen nicht zu, ist der Einsatz unverzüglich zu beenden. Dieser Vorschlag zielt vor allem auf das Moment der Eilbedürftigkeit ab. Zusätzlich sollte mit Blick auf effektive Pooling and Sharing-Arrangements eine Passage aufgenommen werden, welche die 30-Tage-Regel auf Einsätze ausweitet, die ohne Gegenstimme im Europäischen Rat beschlossen wurden und für die auf Kapazitäten aus Sharing-Arrangements zurückgegriffen wird.
Deutschland muss seinen eigenen sicherheitspolitischen Entscheidungsprozess reformieren, damit politischer Spielraum für gemeinsame europäische Lösungen im Sinne von Pooling and Sharing entstehen kann.
7. These: Die Rolle der Europäischen Verteidigungsagentur (EDA) sollte gestärkt werden. Nur wenn sie zu einem echten Koordinationsgremium für die Rüstungs- und Beschaffungsplanung der EU-Staaten heranwächst, können dauerhaft effiziente Pooling and Sharing-Arrangements getroffen werden.
Durch den Vertrag von Lissabon ist die Europäische Verteidigungsagentur aufgewertet und ihre Aufgabenstellung konkretisiert worden. Folglich hat die EDA vor allem zwei Funktionen: Erstens soll sie feststellen, welche Verteidigungskapazitäten Europa benötigt. Zweitens soll sie darauf hinwirken, dass die Mitgliedstaaten (alle EU-Staaten außer Dänemark) ihre Planungen so abstimmen, dass Duplizierungen vermieden und Synergieeffekte erzielt werden. Idealtypisch ist die EDA also die zentrale Koordinierungsstelle für alle Pooling and Sharing-Maßnahmen.
In der politischen Realität hat sie diese Rolle bisher noch nicht ausfüllen können. Zu stark waren die nationalen Vorbehalte, die Entscheidungs- und Koordinierungsautorität aus der Hand zu geben. Zu schwach war aber auch der politische Wille der EDA-Führung, den ihr gegebenen Handlungsspielraum auszureizen. Gleichwohl ist inzwischen offenkundig, dass die einzelnen bestehenden Initiativen (wie etwa die deutsch-schwedische Gent-Initiative) und verschiedene andere bilaterale Maßnahmen einer ordnenden Hand bedürfen, wenn sie dauerhafte Effizienzgewinne erzielen sollen. Daher steht eine Stärkung der EDA auch nicht am Ende einer weiteren Integration im Bereich der GSVP, sondern muss diese Integration schrittweise begleiten.
Deutschland sollte sich daher dafür einsetzen, die Treffen des EDA-Lenkungsausschusses (Hohe Vertreterin plus 26 Verteidigungsminister) zum zentralen Ort für zukünftige Initiativen zur gemeinsamen Rüstungs- und Beschaffungsplanung zu machen.
Deutschland muss sich dafür einsetzen, die EDA zur zentralen Stelle für Initiativen zur gemeinsamen Rüstungs- und Beschaffungsplanung zu machen und somit Pooling and Sharing voranzutreiben.
Dr. PATRICK KELLER ist Koordinator für Außen- und Sicherheitspolitik der Konrad-Adenauer- Stiftung in Berlin.
ALMUT MÖLLER leitet das Alfred von Oppenheim-Zentrum für Europäische Zukunftsfragen im Forschungsinstitut der DGAP.
SVENJA SINJEN ist Leiterin des Berliner Forum Zukunft im Forschungsinstitut der DGAP.
Prof. Dr. JOHANNES VARWICK lehrt Politische Wissenschaft an der Friedrich-Alexander- Universität Erlangen-Nürnberg.
Internationale Politik 2, März/ April 2012, S. 80-87