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11. Apr. 2025

Zerstörerische Wirkung

Donald Trumps Zollpolitik bedroht den regelbasierten Welthandel massiv. Die Europäische Union sollte mit einer Allianz demokratischer Mittelmächte dagegenhalten.

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Bild: Donald Trump präsentiert die neuen Import-Zölle auf einer Tafel
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Die Wiederwahl von US-Präsident Donald Trump markiert auch mit seiner Handelspolitik eine Zäsur im neuen geoökonomischen Zeitalter: Seit Trumps Rückkehr ins Präsidentenamt am 20. Januar 2025 hat er binnen weniger Wochen sämtliche Annahmen und Regeln des regelbasierten Welthandels über Bord geworfen.

Auf Grundlage seines Memorandums für eine „America First Trade Policy“ kam es zu einer Salve von Maßnahmen und Ankündigungen, die darauf abzielen, die Handelsbeziehungen einseitig zugunsten der USA umzukrempeln und Zugeständnisse zu erzwingen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um autokratische Staaten wie China oder um langjährige Verbündete wie Mexiko, Kanada oder die Europäische Union handelt. Mit seiner aggressiven, merkantilistischen Handelspolitik stellt er das globale System der Welthandelsorganisation (WTO) infrage, aber auch die G7 und die trans­atlantischen Beziehungen, die bislang die Grundlage für Bündnisse und Allianzen in geoökonomischen ­Zeiten bildeten.

Die WTO steht häufig im Zentrum der Kritik: Ihre Regeln sind veraltet, das Berufungsgericht ist blockiert, die Reformen stocken. Trotzdem werden weiterhin rund 80 Prozent des Welthandels gemäß WTO-Regeln abgewickelt. Ihre Prinzi­pien der Meistbegünstigung (Most Favored ­Nation Clause, MFN), Nichtdiskriminierung und Transparenz bilden die Grundlagen für den modernen Handel. Sie sind als wichtigste Grundprinzipien der Welthandelsorganisation festgeschrieben, an deren Gründung die Vereinigten Staaten wesentlich beteiligt waren.

Im Rahmen der America-First-Handels­politik akzeptieren die USA die Regeln der WTO nicht mehr als Grundlage für die Handelspolitik. Dies begann bereits mit Trumps erster Amtszeit. Das Kalkül: Die WTO-Kompatibilität der US-Handelsmaßnahmen (überwiegend Zölle) ist uninteressant, wenn man machtbasiert Interessen durchsetzen kann. Dazu werden alte Gesetze aus dem Kalten Krieg – wie der International Emergency Economic Powers Act (IEEPA) von 1977 oder Sektion 232 des Trade Expansion Act von 1962 – wieder aus der Schublade geholt, die unter ­Verweis auf die nationale Sicherheit schnelle und unkomplizierte Zölle ermöglichen. Diese werden eingesetzt, um den amerikanischen Markt zu schützen (Stahl- und Aluminiumzölle, Autozölle), Verhandlungen zu erzwingen und angeblich unfaire Marktpraktiken zu bekämpfen (reziproke Zölle) oder Einnahmen zu erzielen.

Trump meint, die USA 
hätten nach 1945 ihre Zölle 
gesenkt, um den Wiederaufbau Europas zu fördern 

Trumps zweite Amtszeit birgt jedoch die Gefahr, dass die USA durch ihre America-First-Handelspolitik das multilaterale System sprengen. So verkündete der Präsident am 2. April (dem so­genannten Liberation Day) einen globalen Basiszoll von 10 Prozent sowie höhere reziproke Zölle gegen ausgewählte Handelspartner. Das sei „der fairste Weg“. Auf der Basis einer intransparenten Kalkulation von Defiziten und Importen kommt die Europäische Union – trotz ­vergleichbaren Zöllen und einer ausgeglichenen ­Leistungsbilanz – auf 20 Prozent Zoll.

Grundlage dieser Idee reziproker ­Zölle ist die Ansicht Trumps, dass die USA in der Nachkriegszeit ihre Zölle gesenkt hätten, um den Wiederaufbau Europas zu fördern. Andere Länder hätten davon profitiert, ohne selbst ihre Zölle zu senken. Daher sollen zukünftige reziproke Zölle dazu dienen, die unfaire Handels­aufteilung wieder auszugleichen – gemäß der ­Rebalancing-Theorie. Hierdurch soll die Welthandelsordnung nach amerikanischen Vorstellungen völlig neu geordnet werden. Unter Missachtung des Prinzips der ­Meistbegünstigung und der Nichtdiskrimi­nierung sollen einseitige ­Zugeständnisse erzwungen werden, gegen die aufgrund des blockierten WTO-­Berufungsgerichts auch nicht geklagt werden kann. 

Besonders im Fokus stehen neben China (Zusatzzoll von 34 Prozent) weitere asiatische Staaten. Dabei sticht vor allem Vietnam mit 46 Prozent heraus, in das viele Länder investiert haben, um sich von China zu diversifizieren. Weitere Zölle betreffen G7-Mitglieder mit Japan (24 Prozent) und die EU mit 20 Prozent. Wenn sie sich auf Deals mit den USA einlassen, die WTO-widrig sind (weil sie nicht auf MFN beruhen), ist die gesamte Grundlage der WTO und somit des regelbasierten ­Handels gefährdet.


Abkehr vom Westen: America Only

Im Rahmen der „America First Trade Policy“ gibt es keine Verbündeten mehr. Dies betrifft insbesondere die Nachbarstaaten Kanada und Mexiko, aber auch die Staaten der EU und ihre transatlantischen Überzeugungen und Ausrichtung. Die Handelspolitik wird als Instrument genommen, um zahlreiche wirtschaftliche und (sicherheits-)politische Ziele der USA umzusetzen. Diese geoökonomische Herangehensweise dient nur dem amerikanischen Interesse und ignoriert dabei langjährige bestehende Bündnisse und Allianzen wie die wertebasierte Gruppe der Sieben (G7).

Kanada und Mexiko, die Freihandels- und (im Fall Kanadas) G7-Partner, wurden zuerst getroffen: Am 1. Februar kündigte Trump Zölle in Höhe von 25 Prozent an, weil beide Staaten – angeblich – zu wenig gegen illegale Einwanderung und den Schmuggel von Fentanyl in die USA vorgingen. Die Zölle wurden nach ­Zugeständnissen zunächst für einen ­Monat aufgehoben, Anfang März jedoch erneut eingesetzt und kurz darauf teil­weise wieder zurückgenommen. Grundlage für die Zölle ist der IEEPA, der angewandt werden kann, wenn eine ungewöhnliche und außerordentliche Bedrohung für die nationale Sicherheit, die Außenpolitik oder die Wirtschaft der USA besteht.

Die nächste Zollrunde gilt global und trifft somit zum ersten Mal auch die EU und weitere verbündete Staaten. Trump verhängte ab dem 12. März Zölle in Höhe von 25 Prozent auf Stahl- und Aluminium­importe. Diese Zölle, die bereits 2018 in ­seiner ersten Amtszeit unter Berufung auf die nationale Sicherheit (Abschnitt 232 des Handelsgesetzes) eingeführt wurden, werden nun reaktiviert und sollen ohne Ausnahmen weltweit gelten.

Wie bei den Autozöllen machen auch die reziproken Zölle nicht vor verbündeten Staaten halt. Trump will sämtliche Handelsbeziehungen daraufhin untersuchen, ob amerikanische Unternehmen unfair behandelt werden. Die reziproken Zölle beziehen sich auf die Handelsbilanzdefizite. Aber in Zukunft werden weitere Zollandrohungen folgen, im Bereich der Regulierungen (beispielsweise im Digitalbereich wie im Fall des Digital Market Act oder des Digital Services Act der EU) oder bei Digitalsteuern und weiteren nicht definierten Maßnahmen. Die reziproken Zölle, die Anfang April erlassen wurden, werden auch Deutschland und die EU treffen.

Für gleichgesinnte Gruppen wie die G7 bedeutet das, dass ihr Fortbestand infrage steht. 2025 findet der G7-Gipfel in Kanada statt, dem Trump angedroht hat, es zum 51. Bundesstaat der USA zu machen. Wenn sich Trump außenpolitisch im Laufe des Jahres auf die Seite Russlands schlägt, wird die G7 wohl handlungsunfähig. Der Vorschlag Trumps, Russland wieder in die G7 aufzunehmen, ist undenkbar für die wertebasierte Gruppe. Die G7 muss daher in den nächsten vier Jahren versuchen, wo es geht Einigungen zu erzielen, aber zur Not die Regierungszeit Trumps als G6 überbrücken.
 

Die Rivalität mit China

China bleibt der Hauptkonkurrent, wenn es um die wirtschaftliche, technologische und sicherheitspolitische Vormachtstellung der USA geht. Im Rahmen der „America First Trade Policy“ sollen daher die bisherigen Untersuchungen gegen unfaire Handelspraktiken auf Basis des Abschnitts 301 des Handelsgesetzes von 1974 wieder aufgenommen werden. Dazu erließ Trump im Februar und März auf Basis des IEEPA neue Zölle in Höhe von insgesamt 20 Prozent, angeblich im Kampf gegen den Schmuggel von Fentanyl.

Für das Überleben der WTO ist es wichtig, dass Mit-
gliedstaaten der G7 keine diskriminierenden Maßnahmen gegen andere einleiten, um Trumps Forderungen zu entsprechen

Gleichzeitig wurde im neuen Memo zur „America First Investment Policy“ vom 21. Februar betont, dass der Ausschuss für ausländische Investitionen in den Vereinigten Staaten (CFIUS) genutzt werden soll, um chinesische Investitionen in Technologie, kritische Infrastruktur, Gesundheitswesen, Landwirtschaft, Energie, Rohstoffe oder andere strategische Sektoren zu verhindern. Dazu zählen zum ersten Mal auch sogenannte „Greenfield“-Investitionen.

Es läuft somit auf ein weiteres De­coupling zwischen den USA und China hinaus. Ob Trump die 20-Prozent-Zölle als Signal meint, dass er an einem Deal mit China interessiert ist, bleibt abzuwarten. Denn mit den reziproken Zöllen in Höhe von 34 Prozent liegt der Zollsatz dann bei über 50 Prozent. Wie in so vielen Politikfeldern ist der Ausgang wegen Trumps Unberechenbarkeit schwer vorherzusagen. Der schwelende Konflikt in den chinesisch-amerikanischen Beziehungen dürfte aber die Fragmentierung der Weltwirtschaft weiter vorantreiben.
 

Notwendige Antworten 

Was folgt aus den Androhungen und der Missachtung multilateraler Regeln? Zunächst einmal darf die US-Haltung nicht dazu führen, dass andere Länder ihrerseits das regelbasierte Handelssystem ignorieren. So ist es für das Überleben der WTO sowie von gleichgesinnten informellen Gruppen wie der G7 wichtig, dass die Mitgliedstaaten keine diskriminierenden Maßnahmen gegen andere Staaten einleiten, um den Forderungen Trumps zu entsprechen. Ansonsten geht die Grundlage für den regelbasierten Handel verloren. 

Alan Wolff, ehemaliger amerikanischer Vizedirektor der WTO, betonte, dass auf die USA lediglich 9 Prozent der weltweiten Warenexporte entfielen. Die Zukunft des regelbasierten Handels zu sichern, liege somit vor allem beim Rest der Welt.

Wolff schlug vor, dass eine kritische Masse von WTO-Mitgliedern in diesem Jahr einen Verhaltenskodex für das Welthandelssystem verabschieden sollte. Die Unterzeichner sollten sich verpflichten, das auf Regeln basierende Welthandelssystem so weit wie möglich aufrechtzuerhalten. Wenn sich die EU, die asiatisch-pazifischen Staaten und die Afrikanische Union beteiligten, wäre bereits ein großer Teil des Welthandels abgedeckt, der dann weiter regelkonform abgewickelt würde. 

Kleinere informelle Formate wie die G7 stehen auf der Kippe. Wenn eine teilweise Kooperation mit den USA möglich ist, sollte diese genutzt werden. Die G7-Staaten dürfen nur nicht den Bully-Taktiken von Trump nachgeben. Daher wird es in vielen Bereichen darauf hinauslaufen, dass sich – wie schon in der Vergangenheit – die G6-Länder untereinander abstimmen. Diese sollten sich auch mit alliierten Staaten wie Australien oder Südkorea koordinieren, um gemeinsam und kohärent gegen illegale Maßnahmen (zum Beispiel reziproke Zölle) vorzugehen. Gleichzeitig können weitere demokratische Mittelmächte ins Boot geholt werden. 

Neben diesen multilateralen und plurilateralen Kooperationen muss sich die EU auch um die bilateralen transatlantischen Beziehungen bemühen. Zusätzlich zu Angeboten, unter anderem die LNG-Käufe auszuweiten, hat EU-Kommissar Maroš Šefčovič im Februar bereits vorgeschlagen, die konfliktträchtigen Autozölle zu senken. Dies ist ein richtiger Ansatz, er sollte nur WTO-konform gestaltet werden. Bei Zwangsmaßnahmen muss die EU scharf und einstimmig reagieren. 

Daneben gilt es, sich stärker von den Entwicklungen in den USA und China unabhängig zu machen. Dies betrifft die Stärkung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit und die Vollendung des Binnenmarkts ­anhand der von Mario Draghi aufge­zeigten Empfehlungen. Die Entwicklung zu stärkerer strategischer Autonomie ist von großer Bedeutung für die EU, auch wenn der Offenheitsaspekt nicht vernachlässigt werden darf. 

Europa muss sich also auch wirtschaftlich weiter stärken und lernen, seine Marktmacht einzusetzen, um seine Interessen und Werte zu verteidigen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2025, S. 48-51

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Mehr von den Autoren

Dr. Claudia ­Schmucker ist Leiterin des Zen­trums für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).