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27. Apr. 2018

Im Osten viel Neues

Freihandelsabkommen ohne die USA bieten Chancen für die EU

Während in den USA Strafzölle erlassen werden, entwickeln sich in der Asien-Pazifik-Region neue Freihandelsabkommen. Der erfolgreiche Abschluss der CPTPP und möglicherweise von RCEP führen zu Verschiebungen im Welthandel. Die EU sollte ihre Handelspolitik zügig reformieren, um auch von diesen Entwicklungen zu profitieren.

Die Welt schaut auf US-Präsident ­Donald Trump und seine unberechenbaren Aktionen in der Handels­politik. Es begann am ersten Amtstag mit dem Austritt aus der Transpazifischen Partnerschaft (TPP), die die USA mit elf weiteren Pazifik-Anrainerstaaten verhandelt hatten, um ihre strategische Ausrichtung nach Asien zu untermauern und gleichzeitig China einzudämmen. Danach wurden weitere wichtige Handels­partner unter Druck gesetzt, um die bestehenden Freihandels­abkommen zugunsten der USA neu zu verhandeln: Kanada und Mexiko (NAFTA) oder Südkorea (­KORUS). 2018 kamen die Verhängung von Strafzöllen gegen Waschmaschinen und Solarpanel (Januar) und gegen Stahl und Aluminium (März) hinzu. Zusammen mit seinen Angriffen auf die WTO geht von Trump tatsächlich eine Gefahr für den freien Welthandel aus.

Es wäre jedoch viel sinnvoller, den Blick nach Asien zu richten. Auch wenn die USA einen großen Anteil am Welthandel haben, sinkt dieser relativ gesehen, während die Bedeutung der schnell wachsenden Entwicklungs- und Schwellenländer insbesondere in Asien rapide steigt. Dazu hat sich auch das Zentrum der Freihandelsbestrebungen vom Westen nach Osten verschoben. Die Welt wartet nicht auf die USA und Donald Trump.

Während die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP) zwischen EU und USA auf Eis liegt, werden in Asien zahlreiche Abkommen neu verhandelt. So wurde das „Umfassende und Progressive Transpazifische Freihandelsabkommen“ (Comprehensive and Progressive Trans Pacific Partnership, CPTPP) zwischen elf TPP-Staaten1 am 8. März 2018 in Santiago de ­Chile unterzeichnet. Und auch die „­Regionale Umfassende Wirtschaftspartnerschaft“ (Regional Comprehensive Economic Partnership, RCEP), die die zehn ASEAN-Staaten seit 2012 mit ihren Handelspartnern China, Indien, Südkorea, Japan, Australien und Neuseeland verhandeln, steht möglicherweise kurz vor ihrem Abschluss. Wie sind diese Abkommen im Rahmen der Verschiebungen im Welthandel einzuordnen? Sind dies – gerade im Vergleich zu den tiefen Handelsabkommen der EU – ernstzunehmende Verträge, die die Handelsregeln neu aufstellen?

Neue Regeln für den Welthandel

Die CPTPP ist das umfassendste Abkommen im asiatisch-pazifischen Raum. Der Ursprung geht auf die TPP zurück, die die USA als wichtigsten Handelspartner beinhaltete. Mit dem Austritt der USA stand das Abkommen lange Zeit auf der Kippe, da die TPP-Verhandlungen grundsätzlich darauf ausgerichtet waren, Zugang zum amerikanischen Markt zu erhalten und entsprechend Konzessionen zu gewähren.

Unter der Führung von Japan, das zunächst nur zögerlich den TPP-Verhandlungen beigetreten war, entschlossen sich jedoch die restlichen elf Staaten beim Treffen der APEC-Handelsminister in Hanoi im Mai 2017, das Abkommen mit nur wenigen Ausnahmen weiterzuführen. Ein weiterer Meilenstein war die Einigung auf grundsätzliche Elemente für ein Folgeabkommen auf dem APEC-Gipfel in Da Nang im November 2017. Gleichzeitig beschlossen die elf Staaten, die TPP in CPTPP umzubenennen. Auch ohne die USA hat das Abkommen eine große Wirtschaftskraft: Die ­CPTPP-Staaten umfassen rund 500 Millionen Menschen; sie stehen für 13,5 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und 15 Prozent des Welthandels.

Die elf CPTPP-Staaten wollten das hohe Niveau des ursprünglichen Abkommens beibehalten. Es wurden lediglich 22 von insgesamt über 1000 Regelungen ausgesetzt, die vor allem den Schutz geistigen Eigentums (die USA hatten lange Fristen durchgesetzt) und Teile des Investitionskapitels (insbesondere die auch in der EU umstrittenen Investitionsschiedsgerichte) umfassen. Die Höhe der Zolllinien wurde jedoch nicht berührt, sodass 95 Prozent der Zölle mit dem Inkrafttreten des Abkommens wegfallen. ­CPTPP bleibt somit ein breites und tiefgehendes Abkommen, das neben traditionellen Marktzugangsthemen auch neue Regeln in Bereichen wie digitaler Handel, öffentliches Auftragswesen, ­Antikorruption, Arbeits- und Umweltstandards oder den Umgang mit Staatsunternehmen umfasst. CPTPP verfolgt somit – ähnlich wie ursprünglich TTIP – das Ziel, neue Regeln für den Welthandel zu schreiben.

Nachdem noch einige Bedenken Kanadas (bezüglich kultureller Ausnahmen und der Automobilindustrie) und anderer Staaten aus dem Weg geräumt werden konnten, wurde das Abkommen im März unterzeichnet. Es tritt in Kraft, wenn mindestens sechs Länder ratifiziert haben. Dies könnte bereits Ende 2018 oder Anfang 2019 der Fall sein. Das Asia ­Trade Center bezeichnet CPTPP zu Recht als das größte und wichtigste Abkommen für den Welthandel seit dem Abschluss von NAFTA 1994.

CPTPP soll allen Ländern offenstehen. Großbritannien hat ­Interesse bekundet, nach dem Austritt aus der EU dem Abkommen beizutreten. Auch Taiwan, Südkorea und Thailand zeigten sich interessiert. Die ­CPTPP-Mitglieder machten aber deutlich, dass dies nur dann sein könne, wenn alle elf Gründungsstaaten zustimmen. Grundsätzlich steht es somit auch den USA offen, dem Abkommen beizutreten. Im April betonte Trump, dass die USA überlegen, wieder zur TPP zurückzukehren. Dies erscheint jedoch unwahrscheinlich. Die USA wollen ihre Rückkehr von Neuverhandlungen abhängig machen; dies lehnen die CPTPP-Länder zum jetzigen Zeitpunkt aber grundsätzlich ab.

Schleppende Verhandlungen

RCEP ist der regionale Gegenentwurf zur TPP mit China als einem der großen Handelspartner. Im Zentrum stehen die zehn ASEAN-Staaten,2 die seit 2012 mit ihren sechs Freihandelspartnern über eine Freihandelszone verhandeln. RCEP macht rund die Hälfte der Weltbevölkerung aus und steht für 32 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung sowie 28,5 Prozent des Welthandels.

Im Gegensatz zur CPTPP müssen die Verhandlungen jedoch grundsätzliche Hürden überwinden: So müssen zunächst die unterschiedlichen Entwicklungsstufen berücksichtigt werden, die von den am wenigsten entwickelten Ländern Kambodscha, Laos und Myanmar bis hin zu hochentwickelten Ländern wie Japan oder Aus­tralien reichen. Gleichzeitig gibt es unterschiedliche Ansätze in der Art der Regierungsführung, der Wirtschaftsordnung sowie der Bereitschaft, auch über Themen zu verhandeln, die über Marktzugangsbarrieren hinausgehen. Aber auch beim Marktzugang gibt es Probleme. So haben viele Länder ein Handelsdefizit mit China und sehen bei einer weiteren Öffnung eine Gefahr für ihre verarbeitende Industrie.

Auf dem fünften RCEP-Ministertreffen im philippinischen Pasay City im September 2017 einigten sich die Teilnehmer auf „Hauptelemente für ein signifikantes Ergebnis bis Ende 2017“.3 Dieses Jahr markierte den 50. Jahrestag von ASEAN und ein erfolgreicher Abschluss von RCEP hätte ein wichtiges strategisches Zeichen für die Region gesetzt. Im Oktober versuchten die Verhandler daher auf der 20. Verhandlungsrunde im südkoreanischen Incheon, Fortschritte bei den ausstehenden Themen zu erreichen. Es blieben jedoch weiterhin große Differenzen über die Zugeständnisse beim Marktzugang bestehen. Dies betraf vor allem Indien, das sich bis heute weigert, die angedachten 92 Prozent der Zölle auf Null zu senken, da dies auch China zugutekommen würde. Gleichzeitig fordert Indien größere Zugeständnisse beim Dienstleistungshandel und der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und Fachkräften.

Auf dem ASEAN-Gipfeltreffen in Manila im November 2017 beschlossen die 16 RCEP-Länder daher, die Verhandlungen in das Jahr 2018 auszuweiten. Doch die Probleme bleiben bestehen. Bislang gibt es lediglich eine Einigung beim Kapitel über wirtschaftliche und technische Kooperation sowie bei kleinen und mittleren Unternehmen. Bis Mitte April sollen verbesserte Angebote vorgelegt werden. Thailand äußerte sich optimistisch, dass bei einem Ministertreffen vor Juli Fortschritte erzielt werden können.

Im Gegensatz zur CPTPP ist RCEP ein eher traditionelles Abkommen, das sich im Wesentlichen auf den Marktzugang (Zölle) fokussiert, auch wenn es noch Themen wie Dienstleistungen, Investitionen, Streit­schlichtung und E-Commerce umfasst. Arbeits- oder Umweltstandards sind im Gegensatz zur ­CPTPP nicht enthalten. Auch wenn das Abkommen bei weitem nicht so umfassend und tiefgehend ist wie CPTPP oder eine potenzielle TTIP, muss es allein aufgrund seiner wirtschaftlichen Größe ernst genommen werden. Eine erfolgreiche RCEP wäre der größte Handelsblock der Welt.

Wenn RCEP jedoch erneut eine Deadline verpasst, besteht die Gefahr, dass es ein ähnliches Schicksal wie die Doha-Runde erleidet. In der Folge würden die weiterentwickelten RCEP-Länder verstärkt versuchen, der CPTPP beizutreten und den Geltungsbereich dieses Abkommens weiter aufwerten.

Gleichgesinnte am Pazifik

Ein weitere wichtige, aber zu wenig beachtete Initiative in der Region ist die Pazifik-Allianz, die 2012 von Chile, Kolumbien, Mexiko und Peru gegründet wurde. Ziel dieser Allianz ist eine tiefe Handelsliberalisierung, mit einem Schwerpunkt auf regulatorische Kooperation, Finanzmarktintegration und einem freien Waren-, Dienstleistungs- und Personenverkehr. Seit ihrer Gründung haben zahlreiche Länder, inklusive die CPTPP-Mitgliedstaaten Australien, Kanada, Neuseeland und Singapur, Verhandlungen über einen assoziierten Mitgliedstatus begonnen. Auch Südkorea überlegt, sich den Verhandlungen anzuschließen. Der nächste Gipfel der Pazifik-Allianz findet am 24./25. Juli in Mexiko statt.4

Folgen für Europa

Die Europäische Union ist gut beraten, sich an den Entwicklungen in der Asien-Pazifik-Region zu beteiligen. Die wirtschaftliche Dynamik sowie die wichtigen Freihandels­initiativen finden dort statt. Die Europäische Kommission hat sich daher auch in ihrer Mitteilung „Durch eine ausgewogene und fortschrittliche Handelspolitik die Globalisierung meistern“ vom September 2017 dafür ausgesprochen, „dass die EU ihre Beziehungen mit den künftigen Wachstumsmotoren in Asien und Lateinamerika intensiviert“.5

Mit dem Rückzug der USA aus der TPP suchen die Länder in der Region engen Kontakt zur EU, um ihre Handelsbeziehungen zu intensivieren. Diese Initiativen werden zu Recht von der EU aufgegriffen. Die EU ist nun dabei, die Lücke, die die USA in den Handelsbeziehungen in Asien hinterlassen haben, zu füllen. Seit dem Scheitern des regionalen Ansatzes 2009, ein EU-­ASEAN-Abkommen zu schließen, verhandelt die Europäische Union nun bilaterale Abkommen mit einzelnen ­ASEAN-Staaten. Dazu zählen Malaysia (seit 2010), Thailand (seit 2013, liegt seit 2014 auf Eis), die Philippinen (seit 2015) und Indonesien (seit 2016). Die Abkommen mit Singapur und Vietnam wurden im Oktober 2014 und Dezember 2015 unterzeichnet und müssen noch ratifiziert werden. Gleichzeitig hat die EU im Dezember 2017 das wirtschaftlich und strategisch wichtigste Abkommen in der Region mit Japan abgeschlossen.

Das allgemeine ­Handelsumfeld hat sich mit der protektionistischen Politik der USA deutlich verschlechtert. Während in den USA Strafzölle erlassen werden, entwickelt sich in der Asien-Pazifik-Region mit dem erfolgreichen Abschluss der CPTPP und möglicherweise von RCEP ein Gegenentwurf mit positiven Freihandelsbewegungen. Die EU sollte daher ihre Handelspolitik zügig reformieren und die bestehenden Freihandelsabkommen mit den asiatischen Staaten so schnell wie möglich abschließen und ratifizieren, um an den dynamischen Entwicklungen der Region teilzuhaben.

Dr. Claudia ­Schmucker leitet das Programm Globalisierung und Weltwirtschaft im Forschungsinstitut der DGAP.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai-Juni 2018, S. 103 - 107

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