Witz und Würde
Ein Fernsehsender veröffentlicht ein mäßig komisches Spottgedicht auf einen orientalischen Pascha, der ist beleidigt und lässt den deutschen Botschafter zur Schimpfe einbestellen; als wäre das nicht lächerlich genug, setzt ein sonst wirklich komischer Komiker einen drauf, verliest ein gar nicht komisches, sondern gemeines Schmähgedicht in die Kamera und erklärt dann spitzfindig, dass man sowas aber nicht sagen darf; wie zu erwarten, regt sich der Pascha noch mehr auf, klagt (unter anderem) wegen Majestätsbeleidigung nach § 103, man entdeckt (mal wieder), dass dieses unselige Überbleibsel wilheminischer Ehrpusseligkeit noch existiert, das Kabinett muss sich drei Tage mit der Angelegenheit beschäftigen, die Medien wollen ganz doll die Pressefreiheit verteidigen, ganz so, als ob man den Komiker davor bewahren müsste, den Rest seines Lebens in einem türkischen Kerker verschmachten zu müssen; die Kanzlerin erklärt, dass sie, weil das der § 103 vorsieht, nach § 104 eine Ermächtigung zur Strafverfolgung erteilt, noch größere Aufregung, landauf, landab, im In- wie im Ausland heißt es „Kuschen vor Despoten“, weil man diesen speziellen ja für den Türkei-Deal zur Eindämmung der Flüchtlingswelle brauche (die man zuvor dringend eingedämmt sehen wollte). Staatsaffäre.
Geht’s noch? Oder anders, worum geht’s eigentlich?
Auch um das Verhältnis des Despoten zum Humor. Das ist einfach beantwortet. Er kann per definitionem keinen haben. Humor – und nicht Schenkelklopfwitz – entsteht aus der nachsichtig-ironischen Betrachtung der Unzulänglichkeiten des menschlichen Daseins, passt also nicht in die Job Description des Diktators. Da dieser mit dem Verletzen der Würde Anderer kein Problem hat, aber die eigene Ehre meist hoch achtet, wird er sich durch Ironie immer beleidigt fühlen. Richtig ist also die Entscheidung: Hinweg mit dem § 103. (An dieser Stelle aber eine fiese Frage an die so heftig die Meinungsfreiheit verteidigenden Genossen: Hätte man auch so reagiert, wäre Wladimir Putin geschmäht worden?)
Kern der Angelegenheit ist aber die in Demokratien übliche Gewaltenteilung. Zur Erinnerung: Nicht die Politik, also die Exekutive, spricht Recht. (Anders als neuerdings in der Türkei.) Die Legislative als Repräsentant des Souveräns und nicht „die Öffentlichkeit“ schafft es (oder schafft es ab. Auch den § 103 muss der Bundestag, nicht die Regierung kippen). Und die Judikative spricht Recht. Auch in der Causa Komiker. Sich daran zu halten, ist kein Ausverkauf von Werten, es ist die Wahrung der Fundamente der Demokratie.
Und was wäre das ideale Ergebnis? Dass die Staatsanwaltschaft gar kein Verfahren eröffnet. Dass es, wenn schon eröffnet, mit Freispruch oder geringer Geldstrafe endet. Take that, Despot.
Dr. Sylke Tempel ist Chefredakteurin von Internationale Politik und Berlin Policy Journal.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2016, S. 144