IP

01. Nov. 2012

Vom Management des Nichtwissens

Wie kann Außenpolitik heute formuliert, entschieden und legitimiert werden?

Außenpolitik ist schwieriger geworden. Das Gebiet selbst ist nicht mehr so leicht abzugrenzen, die Anzahl der Beteiligten innerhalb und außerhalb des Institutionengefüges ist höher geworden und die Komplexität des Feldes überfordert manchen, der darüber abzustimmen hat. Auftakt zu einer neuen Debatte.

Der Stoßseufzer war nicht zu überhören: Die Euro-Krise sei so neu, da gäbe es kein Lehrbuch, an das man sich halten könnte, konstatierte jüngst Jörg Asmussen, Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank, während der Konferenz „Denk ich an Deutschland“ der Alfred-Herrhausen-Gesellschaft. „Wir stecken auch in einer Wissenskrise“, befand nur ein Panel später der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Der intelligente Umgang mit Nichtwissen, so Korte, sei „durchaus eine Zukunftsressource“.

Nun mag die Europa-Politik ihre eigenen Untiefen haben. Doch nicht nur hier stellen sich einige Fragen: Steht uns überhaupt ausreichend Wissen zur Verfügung, um informierte Entscheidungen treffen zu können? Ist das Umfeld, in dem Strategien oder wenigstens Leitprinzipen formuliert, ausgehandelt und geprüft werden, komplexer denn je? Müssen Entscheidungen unter größerem zeitlichen und medialen Druck getroffen werden? Sind die Faktoren, die berücksichtigt werden müssen, so komplex, dass wir mit Algorithmen, die auf Hochrechnungen beruhen, besser bedient wären als mit der Gedankenarbeit des guten, alten Modells Mensch, der sich mit Assoziationen behilft und deshalb auch fehlbarer ist? Ist die Kommunikation der „decisison-makers“ in die Gesellschaft schwieriger als früher und nicht zuletzt: Erfordert die Bewertung und damit Legitimierung von Entscheidungen durch Parlament und Öffentlichkeit nicht ein Hintergrundwissen, das nicht vorhanden ist, nicht vorhanden sein kann?

Mit einem Wort: Ist Außenpolitik, das vielleicht komplexeste Feld der Politik, schwieriger geworden? Jedenfalls nicht einfacher, formuliert es eher zurückhaltend der Berater der Kanzlerin für außenpolitische Angelegenheiten, Christoph Heusgen. „Sehr viel schwieriger“, davon ist Thomas Bagger, Leiter des Planungsstabs im Auswärtigen Amt, überzeugt.

Das beginnt mit dem Gebiet selbst, das so leicht nicht mehr abzugrenzen ist. „Alles ist Außenpolitik“ hatte die IP schon 2005 programmatisch eine ihrer Ausgaben übertitelt. Und das bedeutete nicht mehr als: der seit jeher von Karrierediplomaten betreuten Sphäre der internationalen Beziehungen gesellen sich weitere Bereiche zu, die gewiss außenpolitisch, aber nicht mehr in der alteingesessenen Zentrale der außenpolitischen Expertise verankert sind. Neben der Sicherheitspolitik, die geradezu traditionell in dem Dreieck zwischen Bundesministerium für Verteidigung, Auswärtigem Amt und Kanzleramt beheimatet ist, müssen nun sehr viel mehr Bereiche interministeriell verhandelt werden oder sind gar in anderen Häusern als dem Amt angesiedelt. Ein ganz und gar nicht unwichtiger Bestandteil des deutsch-chinesischen Verhältnisses ist ein Rechtsdialog, der im Wesentlichen beim Justizministerium liegt. Der Bereich Klimawandel – der per definitionem nicht globaler und damit außenpolitischer sein könnte – ist ohne die Beisteuerungen eines Umweltministeriums nicht denkbar.

Wichtiger aber noch ist: Macht wird nun buchstäblich in anderer Währung gemessen als in den Hochrüstungszeiten des Kalten Krieges: Das neue Selbstbewusstsein der aufsteigenden Schwellenländer ist nicht mehr schierer Größe oder geopolitischer Bedeutung geschuldet, sondern BIP und Wirtschaftswachstum. Es ist eine Binsenweisheit, dass Verteidigungsbudgets – wenigstens im Westen – unter Spar­zwängen (und damit natürlich immer unter Kuratel des Finanzministeriums) stehen, und dass das auch deren Wirkungs- und Gestaltungsfähigkeiten zutiefst betrifft. Und dass die Ausstrahlungskraft des Westens zumindest überschattet wird von der Krise, in der Kapitalismus und Demokratie sich befinden (wie im Übrigen alle anderen politischen Systeme auch), ist ebenfalls keine überraschende Erkenntnis mehr. Nur, was bedeuten der Währungswechsel der Macht und die größere institutionelle Verflechtung für die Formulierung von und für Entscheidungsprozesse in der Außen- und Sicherheitspolitik?

Die Mühen der Demokratie

Selbst wenn es darüber schon größere Klarheit gäbe, so wäre dem veränderten Umfeld noch nicht Genüge getan. Natürlich: Wirtschaft und Unternehmen waren schon seit Jahrhunderten „nichtstaatliche Akteure“ und globale Player – man denke nur an die East India Company, die im Grunde das britische Empire erst erzwungen hat.

Doch jetzt haben sich weitere Spieler hinzugesellt, deren Geschäftsmodelle (und deren Legitimierung) nicht auf mühsamen Entscheidungsprozessen wie gerade innerhalb demokratischer Regierungsapparate beruhen, sondern auf der medialen Aufmerksamkeit, die sie aufgrund einer ihnen neu zugewachsenen Bedeutung erhalten, oder um der Unterstützung durch Spendengelder willen gezielt suchen müssen. Standard & Poor’s kann auf eine 150-jährige Geschichte zurückblicken. Aber erst jetzt entfalten Ratingagenturen eine Wirkkraft, die kaum zu unterschätzen ist. Die Herabstufung der Kreditwürdigkeit Spaniens in Zeiten der Krise ist eben nicht nur eine finanzpolitische Einschätzung, die auf der mehr oder weniger transparenten Auswertung zahlreicher Datensätze beruht, sondern eine Schicksalsfrage für das Projekt Europäische Union. Man darf jedenfalls annehmen, dass zur außenpolitischen Routinelektüre der Kanzlerin neben Pressespiegel oder Botschafterberichten längst auch die so genannten Spreads der Ratingoligarchen gehören. Nichtregierungsorganisationen, die sich in einem gewissen „Stakeholder-Modell“ so sehr nicht von den Ratingagenturen unterscheiden, sind ohnehin nicht mehr wegzudenken von der politischen Bühne: Kein Klimagipfel ohne NGOs, keine Menschenrechtsdiskussion ohne Einschätzungen von Human Rights Watch oder Amnesty International, und ohne die Hilfe nichtstaatlicher Organisationen wäre Entwicklungszusammenarbeit oder Katastrophenhilfe sowieso kaum mehr denkbar.

Das alles betrifft nur die innere Verfasstheit eines demokratischen Staates und die erhöhte Komplexität des globalen Umfelds. Die „ultimative Systemfrage“, die, so Christoph Heusgen, Kanzlerin Merkel umtreibt, ist damit noch nicht gestellt: Sind unsere demokratischen Staaten noch konkurrenzfähig gegenüber Staaten, die sehr viel autoritärer regiert werden? Das mag sich nicht nur an schwierigen, vermeintlich nur innenpolitisch relevanten Projekten wie Stuttgart 21 oder der Energiewende (schon das von europäischer Dimension) oder dem Flughafenbau in Berlin zeigen. Wenn diese für eine globale Konkurrenzfähigkeit bedeutenden Entscheidungen, so Heusgen, schon so schwierig umzusetzen seien, geraten dann komplizierte Demokratien mit ihren Planfeststellungsverfahren oder Bürgerinitiativen gegen Fluglärm nicht vollends ins Hintertreffen gegen Staaten, denen, euphemistisch ausgedrückt, „größere Planungsräume“ zur Verfügung stehen? Die also ungestört von widerborstigem Bürgerwillen in Form von Wahlen oder „grass-roots movements“ entscheiden und ihre Entscheidungen umsetzen können? Ist es, im Zusammenhang mit der Euro-Krise, für eine Demokratie, in der alle paar Jahre gewählt wird (denn in einem der 17 Länder der Euro-Zone oder der 27 EU-Länder ist immer Wahlkampf, eine „silly season“, wie die Amerikaner sagen), da noch möglich, eine langfristige und nachhaltige Finanzpolitik zu betreiben? Wobei auch hier schon wieder deutlich wird, dass die Finanzpolitik durchaus als Außenpolitik gelten darf.

Wie nur soll man wissen, was richtig ist?

Ein verlangsamter Entscheidungsprozess mag zunächst hinderlich sein im Systemwettbewerb. Doch zur Entscheidungsfindung gehört als siamesischer Zwilling die Entscheidungskontrolle und damit deren Legitimierung; gewissermaßen eine kollektive Übertragung des Prüfprozesses in das, was der Psychologe Daniel Kahneman als „System zwei“ bezeichnet: der Entscheidungsapparat, der langsamer arbeitet und mühseliger ist, dafür aber weniger störanfällig, weil geschützter gegen Einflüsterungen stimmungsanfälliger Intuitionen (siehe das Interview auf Seite 16 ff.). Geprüft und legitimiert wird im Rahmen des Zusammenspiels der demokratischen Institutionen – und im Windkanal der öffentlichen Debatte. Jedenfalls im Idealfall. Gerade aber die außenpolitische Debatte ist eine, so Hans-Ulrich Klose, bei der man nicht weiß, was richtig ist. Sie findet eben über Dinge statt, die fern des unmittelbaren Gesichtskreises liegen, die ein Eindenken in andere Kulturen, Gesellschaftssysteme, historische Räume, Wissensgebiete erfordern, ein konsequentes Sich-beschäftigen mit Angelegenheiten jenseits der direkt erfahr- und überprüfbaren Lebenswirklichkeit. „Man“ ist dabei nicht nur eine Öffentlichkeit, die hoffnungslos überfordert wäre, sich konsequent und bis in alle Verästelungen mit den Komplexitäten des israelisch-palästinensischen Konflikts, den Dimensionen des Europäischen Rettungsschirms und Fiskalpakts oder der deutschen Russland-Politik zu beschäftigen. Zu diesem „man“ gehört durchaus ein Großteil der gewählten Repräsentanten des Souveräns, dem neben der für den Wahlkreis nötigen Arbeit kaum Zeit und Muße bleibt, sich auch noch mit der Außenpolitik zu beschäftigen; der aber im Zweifelsfall – man denke nur an den Parlamentsvorbehalt bei Auslandseinsätzen – über Maßnahmen von erheblicher Tragweite abzustimmen hat.

Zu ergänzen wäre überdies: Die außenpolitische Debatte ist eine, bei der man jetzt nicht weiß, was richtig ist. Dass das Projekt „politische Union“ eben ein unvollendetes geblieben ist, das wurde erst zehn Jahre nach der Einführung des Euro vollends klar. Wie entscheidend die Westbindung der Bundesrepublik war, das hat sich in aller Deutlichkeit erst in der historischen Rückschau erwiesen. Dass die Westbindung – im Übrigen genau zur richtigen Zeit – als Ergänzung einer Ostpolitik bedurfte, das war bei den Zeitgenossen mehr als umstritten. Ob, um ein jüngeres Beispiel zu nennen, die Enthaltung der Bundesrepublik in der Libyen-Frage tatsächlich eine Zeitenwende im transatlantischen Verhältnis, eine größere Störung mit nicht allzu langfristigen Folgen, eine relativ schnell überwundene Irritation oder aber doch nicht so falsch war, darüber wird vielleicht auch erst die Geschichte urteilen. Nur: Sind im Prozess der Entscheidungs­findung und -prüfung derlei zeitliche Großräume überhaupt noch vorhanden? Gerät die Politik nicht allzu sehr unter Druck einer rasant beschleunigten Medienkultur, in der es zuweilen wichtiger zu sein scheint, zu kommentieren als zu informieren? Es kommt also, wie fast immer, ganz wesentlich auf die Vermittlung an. Die Vermittlung von Expertise in den politischen Apparat. Und von den Höhen außenpolitischer Entscheidungsfindung in die kleinere (institutionell verankerte) und die größere gesellschaftliche Debatte.

Warum Politikberatung in der Praxis nicht funktioniert …

Auf den ersten Blick erscheint alles kompliziert, ziemlich konfus und geradezu unverständlich. Internationale Politik zu verstehen verlangt dem Neuling schier Unmögliches ab, frustriert den politisch durchschnittlich aktiven Zeitungsleser und Bürger und hält so manche Herausforderung, aber auch manch böse Überraschung für jeden parat, der sich ernsthaft mit ihr auseinandersetzt.

Um das Buch mit sieben Siegeln zu öffnen, müssen Berater her, „Politik­berater“ eben, die wissen, wie die Welt da draußen tickt, die bei jedem neuen Schwall von Abkürzungen und Fachbegriffen nur lächelnd nicken und mit ihrem Wissen um die entlegensten Regionen der Welt genauso bei der Hand sind wie mit wohlgesetzten Formulierungen zur Erläuterung der Welt, auf die keine Talkshow mehr verzichten kann. Doch wer Politik berät, muss mit der ewigen Hektik leben, da geht es einem Berater nicht anders als einem Zeitungsleser. Kaum hat man sich auf ein Thema eingestellt und glaubt, vielleicht sogar die Namen der Hauptakteure halbwegs korrekt aussprechen zu können, schon zieht die Karawane weiter und alles beginnt wieder von vorne.

Heute Ägypten, morgen Syrien und der Iran, immer mal wieder Nordkorea, dazwischen Euro-Krise, Wahlen in den USA, Afghanistan und Pakistan. Das Karussell von Ländern und Themen, von Krisen, Revolutionen und Konflikten dreht sich immer schneller. Diese Verunsicherung durch globale Beschleunigung zwingt zur Oberflächlichkeit und befördert das Geschäft professioneller Welterklärer. Journalisten leben ganz gut davon, und Wissenschaftler verzweifeln daran, weil niemand mehr die Zeit hat, ihnen lange genug zuzuhören, bis sie ihre tiefgreifenden Analysen auch nur im Ansatz entfaltet haben. Die Schuld für dieses Kommunikationsversagen liegt nicht beim Zuhörer, sondern eher bei einer Wissenschaft, die es nicht fertig bringt, durchaus komplexe Sachverhalte so adäquat zu „übersetzen“, dass sie zu verstehen wären.

Natürlich: Jeder Versuch, in die Zukunft zu schauen, unterliegt erheblichen Risiken und Unwägbarkeiten. Wer jemals Aktien besessen hat, weiß, worum es geht. Einen qualitativen Unterschied zu Fragen der künftigen Entwicklung globaler Trends, einzelner politischer Systeme oder aktueller Krisenszenarien gibt es nicht. In all diesen Fällen sind alle Meinungen gleichermaßen legitim – und jeder trägt gleichermaßen das Risiko des Irrtums. Was also macht einen Experten zum Experten? Vielleicht kann man es am besten mit Hilfe einer Schachmetapher erklären. Wer jemals vor einer komplizierten Mittelspiel­stellung gesessen hat, weiß um das Prinzip von Versuch und Irrtum, mit dem man alle möglichen Züge durchdenkt, bevor man den nächsten Zug macht und hofft, dass es der richtige war. Was einen Experten vom Laien unterscheidet, ist die wesentliche Tatsache, dass Experten, also Profis, nur die wenigen Züge ins Kalkül ziehen, die tatsächlich Erfolg versprechend sind. Laien hingegen überlegen auch Züge, die bestenfalls suboptimal oder womöglich verlustbringend sind. Experten brauchen also Erfahrung in der Einschätzung bestimmter Situationen, genaue Kenntnis der Faktenlage und das Vermögen, erfahrungsgestützt komplizierte Entscheidungssituationen richtig einzuschätzen.

Übertragen auf die Kenntnis von globalen und regionalen Zusammenhängen heißt das: Sie benötigen Sprach- und Regionalkenntnis, müssen mit den Methoden ihrer Disziplin umgehen können und sollten tunlichst das Vermögen und den Mut besitzen, Entwicklungstendenzen als Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Analysen so zu beschreiben, dass Entscheidungsträger und eben auch die interessierte Öffentlichkeit sie verstehen können. Das setzt den Willen  und die Gabe zu klarer Sprache ebenso voraus wie die Fähigkeit, sich in wissenschaftsimmanenten Diskursen zu behaupten. Vor allem aber müssen sie der hohen Anforderung genügen, Komplexitäten so zu bearbeiten, dass sie begreifbar und durch effiziente politische Entscheidungen bewältigbar werden.

… und warum Universitäten versagen

Es wäre einfach, in dieser Situation nach Universitäten und ihren Ausbildungskapazitäten zu rufen. Doch das erweist sich bei genauerem Hinsehen als Irrweg. Universitäten stehen seit Jahren und wohl auch für die absehbare Zukunft unter erheblichem Streichzwang und sind schon deshalb überfordert, weil kein ernsthafter Fachwissenschaftler dem Abbau des eigenen Faches und der größeren relativen Wichtigkeit eines anderen Faches, oder auch nur einer Teildisziplin, zustimmen kann. Am Ende mag es für Universitäten nur noch einen sozialdarwinistischen Verteilungskampf geben, bei dem die Ergebnisse frei bleiben von der Berücksichtigung strategischer Ausbildungserfordernisse. Wo Politik sich weigert, strategische Verantwortung zu übernehmen, bleiben Universitäten im Sumpf taktischer Überlebenskämpfe frustrierter Wissenschaftler stecken.

Hinzu kommen Zwänge, die von den großen Forschungsförderern gesetzt, von Universitäten in dem automatisierten Zwang zur Drittmittelwerbung aufgenommen und mit gnadenloser Konsequenz in die Tat umgesetzt werden. Also wird nicht mehr scheinbar biedere Regionalforschung gefördert, sondern alles was nach „Global Studies“, „Governance“, „Nachhaltigkeit“ oder ähnlich wohlklingenden Metabegriffen klingt. Was sich früher „wandeln“ konnte, muss heute „transformiert“ werden. Je esoterischer die Begriffe, desto eher kann man behaupten, beim eigenen Projekt handele es sich nicht um alten Wein in neuen Schläuchen. Wissenschaft wird auf diese Weise sehr schnell zu staatlich gefördertem Etikettenschwindel. Junge Studierende, die in solchen Programmen ausgebildet werden, wissen am Ende alles über Theorien und Debatten, aber nichts über die ganz banalen Zusammenhänge des Funktionierens anderer Staaten, die als Akteure wichtig sind – und früher einmal in regionalwissenschaftlichen Kontexten gelehrt wurden, die heute unter dem Zwang von Scheinmodernisierung unserer Universitäten als erstes dem Rotstift zum Opfer fallen.

Wer kann uns gegenwärtig die innenpolitische Situation in Libyen erklären oder die Folgen des syrischen Bürgerkriegs einschätzen, wer kennt die zentralasiatischen Länder, die für uns wirtschaftlich immer wichtiger werden? An Experten zu den Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens fehlt es uns in geradezu schmerzlicher Weise. Globalisierungsüberflieger können sie ebenso wenig ersetzen wie ideologisierte Wertevertreter, die aus einer pathologischen Nabelschau glauben, regionalspezifisches Sachwissen gar nicht zu benötigen, weil sie ihre Werte mit Löffeln gefressen haben. Wer inbrünstig glaubt, muss nicht wissen. Fakten stören dann nur.

Mit dieser Ausgabe der IP beginnen wir eine Debatte, wie Außenpolitik heute erfolgreich gestaltet und legitimiert werden kann und wie sich die dazu benötigte Expertise aufbauen bzw. weiterentwickeln lässt. So wollen wir dazu beitragen, dass unser Land wettbewerbsfähig bleibt im globalen Ringen um die Lösung von Problemen, die uns alle betreffen.

Prof. Dr. Eberhard Sandschneider ist Otto Wolff-Direktor des  Forschungsinstituts  der DGAP.
Dr. Sylke Tempel ist Chefredakteurin der IP.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/ Dezember 2012, S. 8-14

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