Buchkritik

01. Jan. 2019

Willkommen in Fantasialand

Neue Bücher zu Amerika in der Ära Trump

Noch immer rätselt die Welt, was es mit dem Phänomen Donald Trump auf sich hat. Vier Autoren suchen nach Antworten; ihr Fazit: Wenig an Trump ist neu, vieles steckt tief in der amerikanischen DNA. Und auch wenn die klassische Diplomatie in Washington erst einmal passé ist – mehr Kriege mit US-Beteiligung wird es künftig eher nicht geben.

Was ist eigentlich mit den Amis los? Es war doch einmal so schön mit ihnen: Sie verteidigten uns in Europa gegen aggressive Diktatoren und gewannen für uns den Kalten Krieg. Sie sicherten für uns die Marktwirtschaft. Sie machten uns zu Teilhabern am westlichen Lebensmodell. Und nun? Alles kaputt oder zumindest schwer beschädigt durch den neuen, auf uns so andersartig wirkenden Präsidenten im Weißen Haus. So oder so ähnlich klingen die Kommentare aus Europa seit der Amtseinführung von Donald J. Trump vor nunmehr zwei Jahren.

Woher kommt dieser gewaltige transatlantische Umbruch? War Amerika nicht immer der Sachwalter einer zumindest zukünftig besseren Welt? Vielleicht verhält es sich mit Amerika wie mit einem alten Freund, den man gut zu kennen glaubte, bis man durch ein Erlebnis zu dem Schluss gelangte, dass man sich gründlich geirrt hatte – in ihm, aber auch in sich selbst und der eigenen Urteilskraft. Wie kann diese wieder gestärkt werden?

Hang zum Irrationalen

Kurt Andersen versucht, zum Innersten, zur Seele der amerikanischen Gesellschaft vorzudringen. Er will erklären, warum das Phänomen Trump und das postfaktische Zeitalter keine unerklärlichen neuen Erscheinungen sind. Im Gegenteil: Was man sehe, sei nur die Spitze des Eisbergs.

Um diesen sichtbar zu machen, unternimmt der New Yorker Kulturjournalist eine Zeitreise zurück zur Ankunft europäischer Siedler auf nordamerikanischem Boden im 16. Jahrhundert. Denn bereits hier hatte etwas seinen Ursprung, das in Europa heute weitgehend in Vergessenheit geraten ist: Von Beginn an war die „Neue Welt“ der Pilgerväter von Irrationalitäten und Realitätsverweigerung gekennzeichnet. Aus dem ausgeprägten Individualismus und den Lebensträumen der europäischen Einwanderer entwickelte sich ein postfaktisches Verständnis von Realität und Wahrheit. Der Hang zum Magischen und Fantastischen ist seitdem tief in die kollektive DNA der „neuen“ Amerikaner eingeschrieben, die das „alte“ Amerika der Indianer nach deren weitgehender Vernichtung durch die Neuankömmlinge beerbten.

In diesem „Fantasyland“, wie Andersen seine Heimat in seinem New-York-Times-Bestseller betitelt, sieht er seit den neunziger Jahren eine wachsende Tendenz, Realität und Fantasie auf gefährliche Weise miteinander zu verschmelzen. Das habe heute ein Ausmaß erreicht, das die USA deutlich von allen anderen hochentwickelten Industrieländern unterscheide. So glaubten laut aktuellen Umfragen zwei Drittel der Amerikaner an den Einfluss von Engeln und Dämonen. Mehr als ein Drittel von ihnen hält den Klimawandel für ein Gerücht, Produkt einer Verschwörung aus Wissenschaftlern, Regierungen und Journalisten. Und ein Viertel glaubt, dass Donald Trump bei den Präsidentschaftswahlen 2016 die Mehrheit der direkten Stimmen bekommen habe.

Andersen beschreibt ein Land, in dem die Dinge aus dem Ruder gelaufen sind, in dem das subjektive Empfinden die Objektivität ausgehebelt hat, in dem Menschen denken und handeln, als seien Meinungen und Gefühle ebenso wahr wie Tatsachen. Das amerikanische Experiment, die Fleischwerdung der großen aufklärerischen Idee von der intellektuellen Freiheit, wonach jeder Einzelne frei ist, zu glauben, was auch immer er oder sie will, hat sich nach Andersens Beobachtung zu etwas ausgewachsen, das man nicht mehr im Griff hat.

Der Autor durchstreift 500 Jahre und gelangt dabei zu der Erkenntnis, dass sich seine Landsleute im Laufe der Zeit immer intensiver allen möglichen Varianten des Magiedenkens und einem Alles-ist-möglich-Relativismus hingegeben haben. Immer stärker, und in den vergangenen 50 Jahren auch immer schneller, seien sie abstrusen Erklärungen nachgehangen und hätten ihren Glauben an kleine und größere tröstliche, packende oder schauerliche Fantasien gepflegt, ohne dabei zu realisieren, wie einschneidend ihre seltsame neue Normalität inzwischen geworden sei.

Strategische Wut

Durch dieses Amerika Trumps ist auch Martin Klingst gereist – mit dem Blick von außen, als Korrespondent der ZEIT in Washington in den Jahren 2007 bis 2014 und heute als Politischer Korrespondent im Berliner Büro der Hamburger Wochenzeitung.

Klingst führt zwei Gründe für den anhaltenden Erfolg von Donald Trump an. Zum einen sind da die sozialen und ideologischen Konflikte innerhalb der USA, aus denen eine immer einflussreicher werdende Gruppe hervorgegangen ist, die sich gegen jegliche Veränderung, gegen die Eliten und deren „politische Korrektheit“ stemme. Zum anderen ist Klingst in seinen Gesprächen auf ein Phänomen gestoßen, das die transatlantischen Beziehungen auf eine harte Probe stellt: Gerade Handlungen Trumps, die in Europa Kritik oder Entsetzen auslösen, werten seine amerikanischen Fans oft als Erfolge. Obamas Außenpolitik war in ihren Augen viel zu weich, nachgiebig und unpatriotisch.

Hier führt Klingst als Beispiel einen Juraprofessor an, der nicht in das in Europa verbreitete Klischee vom angeblich tumben Trump-Wähler auf dem Land passt. Am Tag nach dem Scheitern des G7-Gipfels 2018 in Kanada korrespondierte Klingst mit Francis Buckley, diesem Professor und Trump-Unterstützer aus ­Virginia. Ob ihm Trumps Nationalismus, seine Attacken auf Amerikas Alliierte nicht allmählich unheimlich würden, fragte Klingst ihn. „Nein“, lautete die Antwort. Trumps Wut sei strategisch. Natürlich würde ein Handelskrieg mit Kanada und den Europäern „dumm“ sein. Aber so weit werde es der Präsident nicht kommen lassen, weil die Europäer, Kanadier, Mexikaner und Chinesen vorher einknicken und einlenken würden. Anders als der kanadische Premier Justin Trudeau oder Angela Merkel pflege Trump einen „sehr männlichen“ Politikstil – und habe damit durchaus Erfolg.

Wird diese Art von Erfolg nachhaltig sein? Klingst verweist darauf, dass Trump in den Augen seiner Anhänger bereits in den ersten eineinhalb Jahren seiner Amtszeit viele Wahlversprechen eingelöst habe. „Er ist kein Mann der schönen Worte“, zitiert Klingst die Farmerin Kay Bartels aus Wisconsin, „aber er hält, was er verspricht. Das ist das Wichtigste, das habe ich schon lange nicht mehr erlebt.“

Klingst öffnet mit seiner ­Reise durch dieses weiße Amerika den Blick für eine Welt, die dem von Nationalismus und Populismus geprägten Europa gar nicht mehr so fern ist. Sein kluges Fazit: Selbst, wenn Trump schon morgen Geschichte sein sollte, würden seine Wähler und ihre Gedankenwelt bleiben.

Wie wenig dies überraschen sollte, wird bei Corey Robin deutlich. Der Politikprofessor am Brooklyn College und am Graduate Center der City University of New York wendet sich gegen die verbreitete These, der Rechtspopulismus à la Trump unterscheide sich vom klassischen Konservatismus. Im Gegenteil: Alles, was den Rechtspopulismus ausmache, und viele der Merkmale, die man mit dem gegenwärtigen amerikanischen Konservatismus verbinde – Rassismus, Populismus, Gewaltverherrlichung, dazu eine unverhohlene Verachtung der guten Sitten, der Rechtsprechung, der demokratischen Institutionen und der Eliten –, seien kein Resultat einer Entwicklung der jüngsten Vergangenheit oder eine exzentrische Eigenart der amerikanischen Rechten.

Vielmehr sieht Robin darin Kern­elemente des Konservatismus, die noch von seinen Anfängen in Europa herrührten, wo er in Reaktion auf die Französische Revolution entstanden sei. Europäische Intellektuelle hätten das Fundament für die amerikanische Rechte gelegt, in deren Gedankenwelt der Anti-Intellektuelle Trump verankert sei. Und: Seit den Tagen der Französischen Revolution habe sich der Konservatismus stets einer Mischung aus all diesen Elementen bedient, um eine Koalition aus der Elite und der Masse eines Volkes gegen die Emanzipationsbewegungen der unteren Bevölkerungsschichten zu schmieden.

Trump setze erfolgreich auf diese politische Strategie, die den Massen ungehinderten Zugang zu Privilegien verspricht. Deshalb passe er als Konservativer wie als Republikaner vollkommen ins Schema.

Ende der klassischen Diplomatie

Was bedeutet all das für den Rest der Welt? Zunächst einmal, dass die Außenpolitik des klassischen Typs, zivile Kanäle zum Zweck von Friedenspolitik aufzubauen und zu pflegen, vor dem Ende steht – zumindest in Wa­shington. Mit dieser These hat Ronan Farrow international für ­Aufsehen gesorgt. Als ehemaliger Diplomat zählt er sich selbst zur Gruppe derer, die Opfer des neuen Präsidenten wurden – obgleich er selbst schon Jahre zuvor aus der Regierung ausgeschieden war. Als Diplomat und Sonderberater war er in Washington, in Afghanistan und in Nahost tätig. Seine Erlebnisse hat er in einer Mischung aus persönlichem Erfahrungsbericht und politischer Analyse festgehalten.

Farrow, der heute als Journalist arbeitet und 2018 mit dem Pulitzer-Preis für seine Beiträge im New Yorker zum Weinstein-Skandal ausgezeichnet wurde, macht eine Wende in der US-Außenpolitik seit dem 11. September 2001 aus, die nach seinem Urteil bisher kaum wahrgenommen, geschweige denn in ihren gefährlichen Konsequenzen verstanden worden sei: An den Kriegen in Afghanistan und im Irak, den Krisengebieten Somalia, Syrien und Ägypten sowie dem Drogenkrieg in Kolumbien macht er die Folgen einer Politik deutlich, die beinahe nur noch Militärs und Militärberatern die politische Entscheidung überlässt, mit welchen Kräften, Parteien und Gruppierungen vor Ort in den Einsatzgebieten paktiert wird.

Farrows Fazit: Da immer mehr zivile Optionen schwänden, bleibe am Ende nur die militärische, wodurch er wiederum die Qualität der USA als westliche Führungsmacht bedroht sieht. Seine Warnung an seine und andere Nationen: Die Vereinigten Staaten würden zu einem Land, das zuerst schieße und erst danach Fragen stelle. Die Kriegsgefahr wachse, wenn sich die USA mit dieser Haltung in Krisen und Konflikte einmischten.

Zwar trifft Farrows Beobachtung, die er aus eigener Anschauung heraus glaubhaft untermauern kann, zweifelsfrei zu, dass unter Trump der diplomatische Dienst der Vereinigten Staaten nicht gerade gefördert wird – deutlich erkennbar an den zahlreichen weiterhin unbesetzten Botschafterposten weltweit. Aber ob daraus direkt folgt, dass die Welt in den kommenden Jahren mehr Kriege mit amerikanischer Beteiligung sehen wird, ist schon allein aus zwei Gründen zu bezweifeln, die sich auch in den hier besprochenen Büchern zu den USA unter Trump finden.

Zum einen bedeutet für die Anhänger des neuen Präsidenten, Weltmacht zu sein, nicht, stets Kriege zu führen und in sämtlichen Konflikten dieser Welt mitzumischen. Stärke zu demonstrieren, heißt für sie ebenso, sich gezielt aus Krisen herauszuhalten und die Interessen der eigenen Nation an die oberste Stelle zu rücken. Zum anderen ist es Trump selbst, der bislang eine große Skepsis erkennen lässt, was neue Waffengänge angeht. Dies hat ihn nicht zuletzt der amerikanische Militäreinsatz im Irak 2003 gelehrt, den er für ein langfristiges strategisches Desaster hält.

Was ist also heute mit den Amis los? Vielleicht nicht mehr, aber auch nicht weniger als in den Jahrzehnten und Jahrhunderten zuvor, die mal von mehr, mal von weniger Engagement der USA in der Welt gekennzeichnet waren – je nach politischer Konjunktur in der eigenen Gesellschaft.

Dr. Thomas Speckmann ist Historiker, Politikwissenschaftler und Lehrbeauftragter am Historischen Institut der Universität Potsdam.

Kurt Andersen: Fantasyland. 500 Jahre Realitätsverlust. Die Geschichte Amerikas neu erzählt. München: Wilhelm Goldmann Verlag 2018. 714 Seiten, 18,00 €

Corey Robin: Der reaktionäre Geist. Von den Anfängen bis Donald Trump. Berlin: Christoph Links Verlag 2018. 344 Seiten, 25,00 €

Ronan Farrow: Das Ende der Diplomatie. Warum der Wandel der amerikanischen Außenpolitik für die Welt so gefährlich ist. Reinbek: Rowohlt Verlag 2018. 480 Seiten, 22,00 €

Martin Klingst: Trumps Amerika. Reise in ein weißes Land. Ditzingen: Philipp Reclam jun. Verlag 2018. 158 Seiten, 12,95 €

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2019, S. 134-136

Teilen

Mehr von den Autoren