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01. März 2006

Wieso will der Iran ein Atomprogramm?

Iranische und westliche Argument beim 132. Bergedorfer Gesprächskreis in Dubai

Nach dem Beschluss der Internationalen Atomenergiebehörde(IAEA), das iranische Projekt zur Urananreicherung vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen, will der Iran sein in Teilen suspendiertes Atomprogramm in vollem Umfang wieder aufnehmen. Die Drohungen des iranischen Präsidenten Achmadinedschad gegen Israel verschärften die Krise. In den Diskussionen des 132. Bergedorfer Gesprächskreises zeigten sich die Bruchstellen zwischen iranischen und nahöstlichen Experten auf der einen und westlichen Politikern und Sachverständigen auf der anderen Seite. Doch auch innerhalb dieser beiden „Lager“ herrschte keineswegs Einigkeit. Thomas Weihe bilanziert die Schwerpunkte der Diskussion. Im Anschluss erläutert der Politologe Wahied Wahdat-Hagh, warum das Atomprogramm aufgrund der totalitären Struktur des Irans unbedingt verhindert werden sollte. In seiner Analyse zeigt der pakistanische Kolumnist Irfan Husain, dass man auch in Pakistan die Entwicklung einer iranischen Atombombe mit großer Besorgnis verfolgt.

Beim 132. Bergedorfer Gesprächskreis im Dezember 2005 in Dubai1 wurde diskutiert, wiesodie politischen Eliten des Irans seit 18 Jahren ein Atomprogramm betreiben, was dabei ihr Ziel ist, welches Atomprogramm im objektiven Interesse des Landes liegt und welche Reaktionen die iranische Politik in der Region und im Westen auslöst. Wie sollte der Westen reagieren? Ist für den Iran eine Abweichung von der bisherigen Linie denkbar? Und lassen sich die Interessen beider Seiten vereinbaren?

Zunächst ging es um die Frage, ob der Westen vom Iran den Verzicht auf nukleare Aktivitäten verlangen darf, die im Rahmen des Atomwaffensperrvertrags (Non Proliferation Treaty, NPT) legal sind. Hossein Mousavian bestritt das entschieden. Die EU müsse das Recht des Irans auf eine friedliche Nutzung der Atomenergie im Rahmen des NPT uneingeschränkt akzeptieren. Doch der Westen nehme es sich heraus, die vertraglich garantierten Rechte des Landes aus keinem anderen Grund als einem gefühlten Misstrauen zu beschränken. Der Iran stelle seine Politik in den Rahmen internationaler Konventionen. Doch „wenn unsere legitimen Rechte im Rahmen des NPT vom Westen bestritten werden, wer garantiert dann, dass uns nicht auch chemische Aktivitäten verboten werden, obgleich wir uns der Chemiewaffen-Konvention angeschlossen haben und uns daran halten? Wer garantiert, dass der Westen nicht auch in diesem Punkt Misstrauen entwickelt?“ Wenn Aktivitäten als gefährlich eingeschätzt würden, müsse man den NPT ändern, statt ein einzelnes Land zu diskriminieren.

Michael Schaefer entgegnete, niemand bestreite das Recht des Irans auf friedliche Nutzung der Atomenergie innerhalb der Regeln des NPT. Die EU sei sogar bereit, den Iran beim Aufbau seines zivilen Programms zur nuklearen Energieerzeugung zu unterstützen. „Aber 18 Jahre heimlicher nuklearer Aktivitäten haben verständlicherweise Misstrauen erzeugt, dass das Programm nicht ausschließlich friedlichen Zwecken dient. Daher hat der Gouverneursrat der IAEA Teheran aufgefordert, freiwillig auf die proliferationskritischen Teile des Brennstoffkreislaufs zu verzichten, bis das internationale Vertrauen wieder hergestellt ist. Anlass des Misstrauens ist ferner die Tatsache, dass nukleare Anreicherung, die angeblich zur Herstellung von Brennstoff für Leichtwasserreaktoren verwendet werden soll, im Iran derzeit wirtschaftlich völlig unsinnig ist, da der Iran nicht über einen einzigen Leichtwasserreaktor verfügt. Die Wirtschaftlichkeit eigener Anreicherung wäre erst dann gegeben, wenn das Land über eine signifikante Zahl solcher Reaktoren verfügt.“

Deuten die iranischen Bemühungen um Anreicherung auf militärische Ziele hin? Robert Cooper erklärte es für schwierig zu glauben, dass das iranische Atomprogramm friedlichen Zwecken dient. „Ein friedliches Programm fängt mit dem Reaktorbau an und bemüht sich dann um die notwendigen Brennstoffe für diese Reaktoren. Wenn man aber mit den Brennstoffen anfängt, ohne irgendwelche Kraftwerke zu besitzen, wenn man dabei mit Schwerwasserreaktoren und Zentrifugen arbeitet – und zwar auf Grundlage der Technologien des ehemaligen Leiters des pakistanischen Atomwaffenprogramms, Abdul Qadeer Khan, der ja seinen Ruhm nicht gerade als Erbauer von Kraftwerken erworben hat –, wenn man darüber hinaus noch Experimente mit Polonium durchführt, das der Detonation von Atombomben dient, dann trägt ein solches Programm unübersehbar in großen Buchstaben die Aufschrift ,Kernwaffen‘.“

Schaefer äußerte die Befürchtung, der Iran strebe eine Hegemonialstellung am Persischen Golf an. Eine Mischung aus Überlegenheitsgefühl seinen arabischen Nachbarn und Unterlegenheitsgefühl den USA gegenüber sei ursächlich dafür, dass Teheran sich offenbar entschlossen habe, seine geopolitische Position durch die Schaffung einer eigenen nuklearen militärischen Option zu festigen.

Mousavian entgegnete, der Iran bemühe sich nur deshalb um die technischen Möglichkeiten zur Urankonversion  und -anreicherung, weil der Westen den Iran beim Einkauf von Reaktortechnik und Brennstoffen einmal enttäuscht habe. Er erinnerte daran, dass die Firma Siemens sich nach der Revolution von 1979 weigerte, ihre vertraglichen Verpflichtungen zur Fertigstellung des Atomreaktors von Bushehr zu erfüllen. „Dies geschah auf Betreiben der deutschen und amerikanischen Regierung. Wie sollen wir wissen, dass das nicht wieder passiert? Hätte Siemens damals das Atomkraftwerk zu Ende gebaut und hätte die Firma Eurodif in Frankreich, an deren Aktienkapital der Iran einen Anteil hielt, die vertraglich vereinbarten zehn Prozent ihrer Brennstoffproduktion geliefert, dächte heute niemand im Iran an den Brennstoffkreislauf.“

Wer ist der Aggressor?

Der Diskussion lag eine grundsätzlich unterschiedliche Bewertung des Irans als außenpolitischer Akteur zugrunde. Mousavian bestritt, dass überhaupt Gründe für ein Misstrauen existierten. Sein Land sei in den vergangenen 150 Jahren niemals als Aggressor aufgetreten. „Deshalb können wir nicht akzeptieren, dass wir heute als Bedrohung angesehen werden.“ Zudem sei der Einsatz von Massenvernichtungswaffen im Iran von höchster religiöser Stelle verboten.

Nasser Hadian betonte, der Iran sei historisch kein Aggressorstaat, sondern ein Opfer von Aggressionen. Die irakischen Giftgasangriffe auf den Iran seien eine traumatische Erfahrung für die Bevölkerung und die politische Kaste seines Landes. Auch der von der CIA orchestrierte Staatsstreich gegen den iranischen Ministerpräsidenten Mossadeq sei im historischen Bewusstsein der Iraner verankert.

Michael McFaul wandte ein, dass es angesichts der Äußerungen des iranischen Präsidenten Achmadinedschad schwer falle, den Iran als friedliches Land zu sehen: „Er fordert, Israel von der Erdoberfläche zu tilgen, und dann sagen Sie: ,Ach, das meinen wir nicht so, sehen Sie sich doch unsere friedliche Geschichte an.‘ Immerhin ist Achmadinedschad der Präsident.“

Riad Kahwaji betonte, die Staaten des Golf-Kooperationsrats (GCC) sähen den Iran allesamt als potenzielle Bedrohung an. „Der GCC hat sehr deutlich erklärt, dass das iranische Atomprogramm die Region destabilisiert.“ Die Besetzung von drei Inseln in der Straße von Hormuz durch den Iran 1992 gebe einen Vorgeschmack darauf, wozu der Iran imstande sei, wenn die ausländische Präsenz in der Region eines Tages ende.

Ghassan Atiyyah erklärte, der Iran habe zwar keine Kriege begonnen, habe aber die kurdische Rebellion gegen die irakische Regierung unterstützt und destabilisiere in vielfacher Weise andere Staaten. Cooper erinnerte an die Unterstützung der Hisbollah durch den Iran und die Besetzung der amerikanischen Botschaft in Teheran 1979. Der Iran, die einzige Macht in der Region, die ihren wohlverstandenen Interessen nach eine entschiedene Status-quo-Macht sein sollte, betreibe noch immer, und in letzter Zeit mit beängstigend wachsender Intensität, eine revolutionäre Rhetorik.

George Perkovich meinte, der Iran werde mit dem Hinweis, dass er in den vergangenen Jahrzehnten nicht als Aggressor aufgetreten sei, kaum ausreichendes Vertrauen gewinnen. Ein potenzieller Hegemon müsse aktiver Vertrauen aufbauen, wenn er verhindern wolle, dass die übrigen Mächte der Region sich gegen ihn verbündeten, um seine Vormachtstellung auszubalancieren. „China betreibt seit 20 Jahren eine Diplomatie der Beruhigung, um zu verhindern, dass seine Nachbarn sich zusammenschließen.“

Mit zweierlei Maß?

Das Atomprogramm Israels kritisierten alle Vertreter der Region als Beispiel dafür, dass der Westen mit zweierlei Maß messe. Hadian erklärte, es sei nach wie vor unverständlich, dass der Westen Israels Atomwaffen akzeptiere, aber gegenüber dem Iran strengste Sicherheitsauflagen verlange. Kahwaji wies darauf hin, dass die westliche Akzeptanz des israelischen Atomprogramms es den arabischen Staaten schwer mache, offen gegen das iranische Atomprogramm einzutreten. „Die Öffentlichkeit hätte den Eindruck: christliche Europäer und jüdische Israelis dürfen eine Atombombe haben, aber Muslime offensichtlich nicht – auch Pakistan steht wegen seines Atomprogramms unter starkem Druck.“

Rami Khouri erklärte, die Mehrheit der Bevölkerung der Region sehe einen atomar bewaffneten Iran nicht als Gefahr. Sie hieße eine solche Entwicklung vermutlich sogar willkommen, als Gegengewicht gegen die israelischen Atomwaffen, und erhoffe sich zudem eine Abschreckung ausländischer Armeen, die seit langem in der Region präsent seien und Teile davon besetzten. Atiyyah erklärte, die Schiiten im Irak seien durchaus für einen nuklear bewaffneten Iran, weil sie sich nach einem eventuellen Abzug der Amerikaner auf den Schutz Irans angewiesen sähen und sich von Atomwaffen außenpolitische Stärke versprächen.

Läge die Produktion von Atomwaffen im wohlverstandenen Interesse des Irans? Cooper bezeichnete ein Atomwaffenprogramm als „unsagbar dumm“. Potenziellen Invasoren biete der Iran eine schwierige Geographie, er habe anders als die Nachbarnationen eine relativ starke nationale Identität und sei nicht zuletzt das bei weitem größte Land der Region. „Wenn ein solches, seiner Natur nach sicheres Land eine Bedrohung für sich selbst schaffen möchte, kann ich mir keinen erfolgversprechenderen Weg denken, als den Eindruck zu erwecken, man strebe nach Atomwaffen. Damit erreicht man gleich mehrere Bedrohungen für die eigene Sicherheit. Zum ersten zieht man die Aufmerksamkeit der USA auf sich, zum zweiten bringt man andere Länder in der Region auf die Idee, dass sie ebenfalls Atomwaffen brauchen. Indien ist durch Atomwaffen nicht sicherer geworden, sondern hat seinen natürlichen Sicherheitsvorteil gegenüber Pakistan verloren, weil es Pakistan ebenfalls zum Erwerb von Atomwaffen gebracht hat.“

Christiane Hoffmann bestritt, dass Indien oder Pakistan durch den Erwerb von Atomwaffen weniger sicher geworden seien. Das iranische Streben nach einer Atomwaffe erscheine durchaus rational angesichts der latenten Bedrohung durch die USA. Die Behauptung der USA, mangels einer objektiven Bedrohung brauche der Iran keine Atomwaffen, sei angesichts der immer wieder aufflammenden Diskussion über mögliche amerikanische oder israelische Militärschläge aus iranischer Sicht nicht überzeugend. Die Zuordnung des Landes zur „Achse des Bösen“ durch US-Präsident Bush sei noch nicht lange her. Die Invasion im Nachbarland Irak sei in Teheran als bedrohlich wahrgenommen worden, man sehe sich von allen Seiten – Persischer Golf, Irak, Afghanistan, Zentralasien, Türkei – von amerikanischen Truppen umzingelt. Auch wer gegen eine iranische Atomwaffe sei, könne der Überlegung, dass Atomwaffen einen wirksamen Schutz gegen Militärschlags- und Invasionspläne bieten würden, eine gewisse Rationalität nicht absprechen.

McFaul erklärte, in der Vergangenheit sei der Iran zweifellos angegriffen und schlecht behandelt worden, aber heute bestehe keine äußere Bedrohung. In den USA vertrete heute, anders als vor einigen Jahren, kein ernst zu nehmender Akteur mehr die Meinung, Militäreinsätze gegen den Iran könnten die amerikanische Sicherheit erhöhen. Atomwaffen seien kein Mittel gegen potenzielle Bedrohungen, sondern umgekehrt: Solange der Iran nicht den Eindruck erwecke, nach Atomwaffen zu streben, gehe von den USA keine Gefahr für ihn aus.

Self-fulfilling prophecies

Hierbei ging es auch um eine psychologische Komponente: Cooper betonte, das Schädlichste für die eigene Sicherheit sei es, anderen den Eindruck zu vermitteln, man wolle sich möglicherweise eine Waffe beschaffen, solange man noch keine besitze. Man werde dann möglicherweise angegriffen, ohne sich verteidigen zu können.

Volker Perthes wandte ein, Nordkorea habe die Welt überzeugt, es besitze Atomwaffen, dadurch habe es seine eigene Sicherheit erhöht, ohne dass jemand je eine nordkoreanische Atomwaffe gesehen habe. Cooper bestritt das: „Nordkoreas eigentlicher Trumpf ist die Bedrohung Südkoreas mit konventionellen Waffen. Der angebliche Besitz von Atomwaffen ist dem gegenüber eher irrelevant.“ Ruprecht Polenz hielt es für falsch, unter Verweis auf die Beispiele Nordkoreas und des Iraks zu glauben, das Streben nach Atomwaffen schütze die eigene Regierung gegen regime change. „Genau das Gegenteil ist richtig. Sobald die internationale Gemeinschaft wirklich überzeugt ist, dass das iranische Regime nach Atomwaffen strebt, wird sie alle nötigen Schritte unternehmen um zu verhindern, dass das Regime damit Erfolg hat.“

Die iranischen Vertreter forderten, der Westen müsse die Einstellung der Bevölkerung und die politische Dynamik in ihrem Land berücksichtigen. Die Mehrheit des politischen Establishments des Irans, so Hadian, sei gegen Atomwaffen. Zwar sei die Sicherheit des Irans durch die Präsenz von US-Truppen im Irak und andere Bedrohungen wie den Narkoterrorismus aus Afghanistan real gefährdet. Doch das außenpolitische Establishment und die Mehrheit der Bevölkerung fürchteten einen möglichen nuklearen Rüstungswettlauf und seien der Meinung, der Einsatz von Atomraketen stelle in einer geographisch so begrenzten Region ein unbeherrschbares Sicherheitsrisiko dar, und die Gefahr von Nuklearterrorismus würde sich erhöhen.

Immerhin sei diese Position nicht unumstritten. „Eine kleine Gruppe fordert Atomwaffen für den Iran mit dem Argument, Nordkorea sei dank seines Atomwaffenprogramms sicher, der Irak sei mangels Atomwaffen angegriffen worden.“ Im außenpolitischen Establishment habe sich zwischen den Verfechtern eines rein zivilen Atomprogramms und den Befürwortern einer Nuklearwaffenfähigkeit – ohne den tatsächlichen Bau von Atomwaffen – eine Kompromissposition entwickelt, die eben im Schließen des Brennstoffkreislaufs bestehe. Er rate dem Westen, diese Kompromissposition zu unterstützen, um nicht die Befürworter vollständiger Nuklearwaffenfähigkeit oder sogar die bisher unbedeutende Minderheit der Befürworter eines militärischen Nuklearprogramms zu stärken.

Mousavian erklärte, die iranische Bevölkerung sei aus geschichtlicher Erfahrung der Überzeugung, der Iran sei von außen bedroht. McFaul fasste diese iranischen Argumente so zusammen: „Wir wollen keine Atomwaffen, aber wir könnten sie aus folgenden guten Gründen wollen.“

Objektive Garantien

Bei der Suche nach möglichen Verhandlungslösungen zeigten sich die Urananreicherung und der Begriff „objektive Garantien“ als entscheidende Hindernisse. Mousavian erklärte, der Iran müsse die internationalen Bedenken wegen möglicher missbräuchlicher Verwendung seiner nuklearen Kapazitäten ernst nehmen und alle notwendigen objektiven Garantien geben, um die internationale Gemeinschaft zu überzeugen, dass eine solche missbräuchliche Verwendung ausgeschlossen sei. Gleichzeitig müssten die EU-3 und die internationale Gemeinschaft die Ausübung des legitimen iranischen Rechts auf friedliche Nutzung der Atomenergie einschließlich des Brennstoffkreislaufs anerkennen und garantieren, dass der Iran in der friedlichen Nutzung der Nukleartechnologie nicht diskriminiert werde. Auch müssten die EU-3 die im Abkommen von Paris gemachten festen Zusagen zu einer umfassenden Zusammenarbeit im Bereich der Politik, der Sicherheit, der Nukleartechnologie und der Wirtschaft umsetzen.

Nötig seien vertrauensbildende Maßnahmen zwischen dem Iran und seinen Nachbarn bezüglich der friedlichen Natur des iranischen Nuklearprogramms. Als objektive Garantien könne er sich zum einen den Export der gesamten Produktion der Konversionsanlage von Isfahan nach Russland oder Südafrika unter Aufsicht der IAEA vorstellen, solange die Verhandlungen über das iranische Nuklearprogramm andauerten. Darüber hinaus könne der Iran auf den geschlossenen Brennstoffkreislauf verzichten und sich mit einem offenen Brennstoffkreislauf begnügen. Vorstellbar sei ein Pilotprojekt in Natanz, also die Anreicherung mit einer begrenzten Anzahl Zentrifugen, das keine industriell verwertbaren Ergebnisse produziere, sondern nur die Fähigkeit zur Anreicherung sicherstelle und demonstriere. Auf die Dauer könnten die EU, regionale Partner und Russland Anteilseigner in Natanz werden und damit über die Produktion der Anlage mit entscheiden.

Schaefer erklärte, Kern der Vertrauensbildung müsse sein, dass der Iran sich strikt auf die zivilen Aspekte seines Nuklearprogramms beschränke:  den Bau und Betrieb von Leichtwasserreaktoren zur Energiediversifizierung. Die Brennstoffversorgung sei durch entsprechende Garantien Russlands auf längere Zeit gesichert. „Die eigene Herstellung von spaltbarem Material ist für den Iran ökonomisch sinnlos, solange nicht eine viel größere Zahl von Kraftwerken besteht. Und solange der Iran keine Anreicherung betreibt, braucht man auch keine Konversion.“ Ziel der Vereinbarung zwischen den EU-3 und dem Iran sei es gewesen, den Iran dabei zu unterstützen, sein ziviles Nuklearprogramm im Rahmen des NPT auf hohem technologischen Niveau zu entwickeln und gleichzeitig seine Beziehungen zu Europa, und schrittweise auch zu anderen Staaten, zu normalisieren. Dafür solle der Iran freiwillig für mindestens etwa ein Jahrzehnt auf alle anreicherungsrelevanten Aktivitäten verzichten.

Ein Pilotprojekt wie von Teheran gefordert falle in den Bereich der anreicherungsrelevanten Aktivitäten. Zur Behauptung, die ganze iranische Bevölkerung unterstütze den Erwerb der Anreicherungstechnologie, erklärte Schaefer, er bezweifle, dass die iranische Bevölkerung den Unterschied zwischen Konversion und Anreicherung kenne. Für die EU sei die Anreicherung die rote Linie, die nicht überschritten werden dürfe, auch nicht mit einem Pilotprojekt, das de facto Anreicherung in kleinem Umfang sei: „Man kann nicht ,ein bisschen schwanger‘ sein.“ Auch ein Pilotprojekt werde Teheran die Technologie in die Hand geben, die es zur Herstellung nuklearer Waffen benötige. Es reiche nach Auffassung der großen Mehrheit der Staatengemeinschaft nicht aus, das Zusatzprotokoll zum NPT zu unterzeichnen und für einige Monate die dadurch eröffneten zusätzlichen IAEA-Kontrollen zuzulassen. Nach 18 Jahren klandestiner nuklearer Aktivitäten könne eine Vertrauensbasis nur über einen längeren Zeitraum aufgebaut werden. „Das ist der Kern der Verhandlungen zwischen den Europäern und dem Iran“.

Perkovich erklärte, ein Pilotprojekt sei deshalb nicht zu verantworten, weil die IAEA noch immer nicht ausschließe, dass im Iran weitere geheime atomare Aktivitäten stattfänden, möglicherweise unter militärischer Oberhoheit. Wenn der Iran in einem Pilotprojekt die Anreicherung von Uran betreibe, könnte die so gewonnene Expertise in einem geheimen militärischen Programm angewandt werden. Auch könnten die Importe für ein Pilotprogramm und die übrigen damit verbundenen Tätigkeiten zur Verschleierung von entsprechenden Tätigkeiten für ein Geheimprogramm verwendet werden. Es wäre viel einfacher, durch Überwachung die rein friedliche Natur des iranischen Atomprogramms nachzuweisen, wenn der Iran kein Pilotprojekt durchführe.

Polenz sagte zu dem Vorschlag, in einem Pilotprojekt Atomwaffenfähigkeit, aber keine Atomwaffen zu erlangen: „Es erinnert mich an den Versuch, mit einer Wasserpistole eine Bank auszurauben – manch einer stirbt bei diesem Versuch.“

Dr. THOMAS WEIHE, geb. 1974, ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung.

  • 1Das 132. Bergedorfer Protokoll „Stabilität am Golf“ mit den vollständigen autorisierten Beiträgen erscheint im Juli 2006 in der Edition Körber-Stiftung. Am 132. Bergedorfer Gesprächskreis nahmen u.a. teil: Hossein Mousavian (bis zum Amtsantritt Achmadinedschads Leiter der iranischen Nuklear-Verhandlungsdelegation), Michael Schaefer (Politischer Direktor des Auswärtigen Amtes), Robert Cooper (Generaldirektor für politische und militärische Angelegenheiten beim Rat der EU), Nasser Hadian (Juristische Fakultät der Universität Teheran), Michael McFaul (Hoover Institution), Riad Kahwaji (Institute for Near East and Gulf Military Analysis in Dubai), Ghassan Atiyyah (Direktor der Iraq Foundation for Development and Democracy, Bagdad), George Perkovich (Carnegie Endowment for International Peace), Rami Khouri (Daily Star, Beirut), Christiane Hoffmann (Frankfurter Allgemeine Zeitung), Volker Perthes (Direktor der Stiftung Wissenschaft und Politik) und Ruprecht Polenz (Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags).