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01. Nov. 2004

Iran: Der Atomkonflikt ist nur die Spitze des Eisbergs

Wie schwierig der Dialog zwischen Iran und den westlichen Staaten nach wie vor ist, zeigt Thomas
Weihe in seinem Bericht über den 127. Bergedorfer Gesprächskreis in Isfahan (Iran). Iran lehnt
jede Einmischung ab und fordert Verständnis für seine sicherheitspolitischen Interessen und politisch-
normativen Traditionen, während der Westen den Verzicht auf iranische Kernwaffen
sowie eine Demokratisierung verlangt.

Nach dem Wahlsieg von Präsident George W. Bush und dem iranischen Gesetz zur Wiederaufnahme der Urananreicherung besteht die Gefahr, dass sich der Konflikt um das iranische Atomprogramm weiter zuspitzt.

Im Verhältnis zwischen Iran und dem Westen ist der Atomkonflikt jedoch nur die Spitze des Eisbergs. Unter der Oberfläche liegen langfristige Konfliktlinien, die durch konträre Auffassungenzur außenpolitischen Rolle Irans, zum Umgang von Staaten miteinander und zum Aufbau der Gesellschaft und des politischen Systems gekennzeichnet sind.

Auf dem 127. Bergedorfer Gesprächskreis der Körber-Stiftung in Isfahan (Iran) traten diese Konfliktlinien, die tief in das historisch-kulturelle Selbstverständnis und Weltbild Irans und des Westens reichen, deutlich zutage. Unter dem Vorsitz von Bundespräsident a.D. Richard Freiherr von Weizsäcker diskutierten iranische Entscheidungsträger und Experten wie etwa die stellvertretenden Außenminister Ahmad Azizi und Alireza Moayeri mit Vertretern aus den USA, Europa, Russland, dem Nahen Osten und Asien das Thema „Kultur und internationale Politik“. Die kulturelle Dimension der internationalen Beziehungen wurde bewusst in den Mittelpunkt des Gesprächskreises gestellt. „In diesem Teil der Welt“, so Moderator Christoph Bertram von der Stiftung Wissenschaft und Politik, „muss man Kultur erwähnen, um über Politik reden zu dürfen“.

Schon die Diskussion über das im Oktober 2003 zwischen der EU und Iran ausgehandelte Protokoll zur iranischen Atompolitik zeigte deutlich die iranischen Befindlichkeiten: Comoderator Kazem Sajjadpour vom Institut für Politische und Internationale Studien in Teheran verwies auf die breite Akzeptanz des Protokolls in der iranischen Öffentlichkeit. Doch bleibe die Umsetzung politisch schwierig. Für Iran, so erläuterte Ahmad Nagheebzadeh von der Universität Teheran, sei eine starke militärische Machtposition unverzichtbar, denn das Land sei in Zeiten eines Machtvakuums immer wieder von außen angegriffen worden. „Wenn das den USA nicht gefällt, müssten sie uns ähnliche Verteidigungsgarantien geben wie Deutschland, Österreich oder der Schweiz. Dann könnte Iran vielleicht sogar bereit sein, seine Armee aufzulösen.“

Die iranischen Teilnehmer am Gesprächskreis forderten ein außenpolitisches Entgegenkommen des Westens. Sajjadpour wies darauf hin, dass Iran in Afghanistan konstruktive Beiträge geleistet habe und auch für Irak dazu bereit sei. Die Ächtung durch die USA („Achse des Bösen“) und der internationale Druck stünden dem aber im Wege.

Dagegen forderten Vertreter des Westens von Iran einen Verzicht auf außenpolitische Abenteuer sowie Reformen im Innern. „Manche Länder“, so Stanford-Politologe Michael McFaul, „halten den Erwerb von Atomwaffen für das sicherste Mittel, um eine feindliche Invasion zu verhindern.“ Wirksamer sei aber eine Demokratisierung. „Immanuel Kants Hypothese hat sich als richtig erwiesen: Demokratien führen keinen Krieg gegeneinander. Demokratien haben auch – im Allgemeinen – keine Invasion durch mein Land zu befürchten.“

Dagegen erklärte Nagheebzadeh „ganz offen […], dass ich gegen Demokratie bin, zumindest in Iran. […] Solange die Bürger nicht ein bestimmtes politisches Niveau erreicht haben, führt Demokratie leicht zu neuen Diktaturen. Wie sind denn Hitler und Mussolini an die Macht gekommen?“ Iran habe durch den Ausbau der Universitäten die Basis für eine Demokratisierung geschaffen. Nagheebzadeh erinnerte daran, dass im Westen die Entwicklung hin zu Menschenrechten und Demokratie Jahrhunderte gedauert habe. In Iran stehe der Begriff Freiheit für Zügellosigkeit, so dass Forderungen des Auslands nach mehr Freiheit auf Unverständnis stießen. Die aggressive Haltung der USA habe Iran innenpolitisch geeint.

Ein grundlegender Konflikt bestand über kulturelle Eigenheiten und universale Werte. Homayra Moshirzadeh von der Universität Teheran erklärte, eine gemeinsame Wertebasis könne nur in einem „gleichberechtigten und gewaltfreien Dialog“ zwischen den Kulturen entstehen, „in dem alle Seiten offen für die Argumente der anderen sind“. Die Vorstellung universeller Werte sei ein Deckmantel für die Durchsetzung eigener Interessen. McFaul dagegen argumentierte, es gebe „universell Gutes“ und „universell Schlechtes“. Zum letzteren gehöre auch die Diktatur, unabhängig von kulturellen Faktoren, und diese Einsicht werde sich weltweit durchsetzen. „Mir scheint Iran reif für volle Demokratie.“

Die Positionen stehen sich auch heute weitgehend unversöhnlich gegenüber: auf der einen Seite die iranische Ablehnung jeder Einmischung und Forderung nach Verständnis für sicherheitspolitische Interessen und politisch-normative Traditionen, auf der anderen Seite die westliche Forderung nach einem Verzicht auf außenpolitische Abenteuer und nach einer Demokratisierung Irans, die vor allem die USA mit massivem Druck durchsetzen wollen.

Nach dem 25. November 2004 entscheidet die IAEO darüber, ob sie den Konflikt über das iranische Atomprogramm an den UN-Sicherheitsrat überweist. Dann wird sich zeigen, ob es dem Westen gelingt, eine gemeinsame transatlantische Position zu finden oder ob die Gräben der Irak-Politik wieder aufbrechen werden.

Das Protokoll des 127. Bergedorfer Gesprächskreises erscheint Ende November bei der edition Körber-Stiftung und ist im Volltext im Internet unter <http://www.bergedorfer-gespraechskreis.de&gt; recherchierbar.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11-12, November/Dezember 2004, S. 25‑26

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