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01. Nov. 2012

Wende im Wahlkampf

Warum Mitt Romney doch noch US-Präsident werden kann

Noch im September gingen die meisten Wahlbeobachter von einem fast unausweichlichen Wahlsieg Obamas aus – trotz großer Unzufriedenheit angesichts schleppender Konjunktur und zielloser Außenpolitik. Doch im gleichen Maße, wie der Präsident schwächelt, holt sein republikanischer Widersacher auf. Gut möglich, dass Mitt Romney noch die Wende schafft.

Ganz unvermittelt ist der US-Präsidentschaftswahlkampf wieder zu einem echten Rennen geworden. Bis zum Oktober waren es im Wesentlichen sein Amtsbonus und die Sympathie, die Obama als Persönlichkeit genießt, die dem Amtsinhaber die Wiederwahl zu sichern schienen. Der Glaube daran, dass es unvermeidlich so kommen müsste, wurde im Laufe der ersten TV-Debatte mit seinem Herausforderer Mitt Romney erschüttert. Obama wirkte desinteressiert, abwesend und arrogant; Romney hingegen machte einen durchaus präsidialen Eindruck. Im Nachhinein nicht gerade eine schwierige Aufgabe, hatte doch Obamas Kampagnenteam enorme Summen für TV-Spots ausgegeben, die Romneys persönliche Glaubwürdigkeit unterminieren sollten. Alles, was Romney tun musste, war, zu beweisen, dass er nicht der Teufel in Menschengestalt ist. Er punktete, weil sich sein Auftritt durch Würde, Intelligenz und Mitgefühl auszeichnete. Er übte präzise Kritik an der Politik der Obama-Regierung, während sich der Präsident in Gemeinplätzen verlor. Weder die folgenden Debatten noch die Diskussion zwischen den Vize-Präsidentschaftskandidaten konnten diesen ersten Eindruck revidieren. Der Vorsprung Obamas verringert sich seither, und Romney holt in den Umfragen beträchtlich auf.

Laut der jüngsten Umfrage von ABC News und Washington Post würden 50 Prozent derjenigen, die zur Wahl gehen, ihre Stimme Mitt Romney geben und 47 Prozent für Obama votieren. Eine Differenz von drei Prozent liegt noch im Bereich statistischer Fehlertoleranz, jedoch gilt dieser Trend für fast alle jüngsten Umfragen. Das aber sagt, so unverständlich das für nicht-amerikanische Beobachter ist, noch nichts über Romneys Chancen aus, auch Präsident zu werden. Prognosen über die Anzahl der Wahlmänner, die Obama bzw. Romney gewinnen könnten, sind derzeit kaum möglich, feststellen lässt sich aber, dass Obama noch einen leichten Vorsprung besitzt. Romney könnte also die Mehrheit der abgegebenen Stimmen erhalten, aber nicht die Mehrheit der Wahlmänner und damit die Präsidentschaft erringen. Eine ähnliche Situation brachte George W. Bush im Jahre 2000 ins Weiße Haus, obwohl Al Gore die Mehrheit der Wählerstimmen gewonnen hatte.

Beide Kandidaten werden ihren Wahlkampf auf wenige umkämpfte Staaten konzentrieren, vor allem auf Ohio. Noch kein Kandidat der Republikaner konnte die Präsidentschaftswahl für sich entschieden, ohne diesen Staat gewonnen zu haben. In Ohio aber liegt Romney um ein paar Prozentpunkte zurück. Allerdings zeigen sich in der Obama-Kampagne – und bei Obama selbst – erste Anzeichen von Furcht vor einer Erosion auch dieses Vorsprungs. Dass die Rhetorik immer schriller wird, ist ein untrügliches Anzeichen. Amerikanische Wähler aber wünschen sich einen Präsidenten, der eine gewisse präsidiale Aura wahrt und sich nicht in die Niederungen des Schlachtengetümmels begibt. Traditionell überlässt der Amtsinhaber die Schlammschlachten seinen Anhängern. Doch in Anbetracht seines schwindenden Vorsprungs beginnt Obama, wie ein ängstlicher Verlierer zu klingen: In seinen Wahlkampfreden greift er neuerdings auf ein nicht besonders intelligentes Wortspiel zurück und spricht in Anlehnung an „Amnesie“ von „Romnesie“. Derlei Albernheiten mögen bei seinen Anhängern gut ankommen. Die noch unentschiedenen Wähler aber dürften davon kaum beeindruckt sein. Noch  dümmlicher ist die neue Obama-Kampagne mit der Filmemacherin Lena Dunham, ein Appell an junge Wählerinnen: Die erste Stimmabgabe für Obama wird dort verglichen mit dem ersten Geschlechtsverkehr, der ein Mädchen zur Frau macht.

Dies ist extreme Wahlkampfrhetorik, Zeichen der Verzweiflung eines Kandidaten. Sie könnte ihm einige Stimmen sichern, aber ebenso gut auch die hart umkämpften Wähler der Mitte abschrecken. Jene Wähler also, die am Ende über die Ergebnisse in Ohio und anderen wichtigen Staaten entscheiden.  Natürlich: Der Wahlausgang bleibt völlig offen, eine zweite Amtszeit für Obama ist durchaus möglich. Aber auf dem Weg dorthin verliert er das Charisma und die Würde, die ihn vor vier Jahren ins Weiße Haus gebracht haben.

RUSSELL A. BERMAN ist Walter A. Haas-Professor der Humanities an der Stanford University und Senior Fellow der Hoover Institution.

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