IP

01. Sep 2008

„Von innen noch nicht globalisiert“

Warum die Deutschen am Arbeitsplatz am liebsten unter sich bleiben

Ausgerechnet der Exportweltmeister verschläft die Erkenntnis, dass kulturelle Vielfalt im Unternehmen die Leistung verbessern kann. Längst werden in anderen Ländern Führungsmethoden wie Diversity Management eingesetzt, mit denen multikulturelle Teams erfolgreicher arbeiten, erklärt der Unternehmensberater Ralph-R. Küntscher im IP-Interview.

IP: Angloamerikanische Unternehmen fahren mit Diversity Management Erfolge ein. Damit vermindern sie Konflikte und steigern die Zufriedenheit im eigenen Betrieb. Warum folgen deutschen Unternehmen diesem Vorbild noch nicht?

Küntscher: Der Nutzen von Vielfalt für höhere Kreativität und Qualität scheint in deutschen Unternehmen noch nicht angekommen zu sein. Bei angloamerikanischen Konzernen ist das anders. Google in Dublin ist zum Beispiel ganz bewusst ein multikultureller Laden. In Deutschland scheuen die Unternehmer den Mehraufwand, den das erfordert. Cultural Diversity Management hat hierzulande längst nicht den Stellenwert, den es in Großbritannien oder den Vereinigten Staaten hat, das zeigen auch aktuelle -Untersuchungen.

IP: Ist Diversity Management denn nur etwas für international aufgestellte Konzerne oder auch für den Mittelständler?

Küntscher: Ein schwäbischer Mittelständler braucht seine Mannschaft nicht zu internationalisieren, wenn er sein Hauptgeschäft in Mitteleuropa hat. Und selbst wenn er nach China exportiert, sollte er nicht seine Zentrale mit asiatischen Mitarbeitern bereichern, sondern Partner finden, die das besser können. Interessant wird Cultural Diversity durch den Arbeitskräftemangel in den technischen Berufen. Mehr als 60 000 Stellen können nicht besetzt werden, weil es keine deutschen Bewerber gibt. Die Firmen werden also gezwungen sein, sich stärker mit Ausländern zu arrangieren.

IP: Welche Verständnisprobleme kann es geben, wenn Menschen aus unterschiedlichen Nationen zusammenarbeiten sollen?

Küntscher: Jede Kultur hält für bestimmte Situationen ihre spezifischen Verhaltensmuster bereit. In großen Teilen Asiens zum Beispiel ist es undenkbar, seinen Vorgesetzten zu kritisieren, weil dieser dadurch sein Gesicht verlieren könnte. Also muss man sich Strategien überlegen, wie man diese Kommunikationsbarrieren überwindet. Sonst findet man nie heraus, wo es bei Arbeitsabläufen hakt.

IP: Falls eine neue Mitarbeiterin zum Beispiel mit Kopftuch zur Arbeit kommt, kann Diversity Management die möglicherweise entstehenden Konflikte ausräumen?

Küntscher: Die Konfliktreduzierung spielt natürlich eine gewisse Rolle. Aber eigentlich geht es viel mehr darum, eine bessere Leistungsentfaltung zu erreichen, Hemmschwellen zu beseitigen. Es geht darum, in der Verschiedenheit der Mitarbeiter versteckte Potenziale zu entdecken.

IP: Wie muss man sich einen Diversity Workshop vorstellen, was genau wird trainiert?

Küntscher: Man nimmt typische Alltagssituationen und beschreibt, wie die Menschen in unserem Kulturkreis normalerweise darauf reagieren. Dann schaut man, wie man in Indien oder den USA reagiert hätte. Schnell wird man sehen, dass die Prioritäten ganz unterschiedlich sind. Die Deutschen gelten etwa als sehr ergebnisorientiert und geradeheraus. In nahezu allen anderen Nationen wird es kritisiert, so brutal-deutsch auf den Punkt zu kommen. In einem Workshop probiert man dann in Rollenspielen aus, wie das wäre, wenn man mal nicht sofort auf den Punkt käme. Auf die feine englische Art würde man sich dann erst übers Wetter unterhalten, bei den Iranern hingegen auf jeden Fall über die Familie. Dort ist es undenkbar, sofort mit dem Geschäftlichen einzusteigen.

IP: Eine Gebrauchsanweisung für eine fremde Kultur also?

Küntscher: Ja. Und man lernt auch, welche Themen als Tabu gelten. In einer amerikanischen Geschäftsbeziehung etwa haben die Themen Politik und Religion keinen Platz. Das habe ich selbst zu spüren bekommen, als der Irak-Krieg losging. Selbst meine engsten Kollegen aus den USA haben das Thema einfach gemieden. Den Konflikt zwischen Europa und den USA anzusprechen wäre extrem schlechtes Benehmen gewesen.

IP: Was sind typische interkulturelle Hemmschwellen, an denen man mit Diversity Management arbeiten kann?

Küntscher: Eine amerikanische Kollegin koreanischer Abstammung wurde in Meetings durch einen indischen Kollegen komplett ignoriert – weil sie eine Frau war. In einer anderen internationalen Arbeitsgruppe gab es einen Argentinier, der von allen anderen als arroganter „Bruder Leichtfuß“ geschnitten wurde. Im Idealfall können Gespräche hier zu einem besseren Betriebsklima und besseren Ergebnissen führen. Man muss sich aber nichts vormachen: Zwei Tage Training allein reichen natürlich nicht aus, um alle Konflikte zu lösen. Aber sie können den Beteiligten die Augen öffnen.

IP: In Umfragen zeigen sich Unternehmen vom Nutzen von DM überzeugt – in der Praxis aber betreibt es nur ein Bruchteil der Firmen. Es entsteht der Eindruck, dass zwar die Personalleiter die Relevanz von Diversity Management erkennen, nicht aber die Unternehmensführungen.

Küntscher: Das könnte ich so nicht unterschreiben. Es liegt mehr an der fehlenden Internationalisierung in deutschen Unternehmen, und die hat häufig ganz andere Gründe. Sprache zum Beispiel. In vielen Firmen wird perfektes Deutsch erwartet. Oder die Löhne: Ein Manager aus England ist mit den hiesigen Löhnen kaum zu locken.

IP: Es gibt in Deutschland also so wenig Management von kultureller Vielfalt, weil es gar nicht so viel kulturelle Vielfalt gibt?

Küntscher: Zumindest auf der Führungsebene ist das so, leider. Zu viel sprachliche und kulturelle Verwirrung wird da nur als zusätzliche Belastung empfunden. Natürlich können die Manager sich untereinander auf Englisch unterhalten. Aber wenn dann ein Amerikaner mit dem Betriebsrat reden oder zur Belegschaft sprechen muss? Ich war dabei, als Bayer Pharma und Schering verschmolzen sind. Zunächst hatten sie noch einen schottischen CEO, heute macht das wieder jemand, der Deutsch spricht. Da bleiben die Deutschen in vielen Unternehmen doch lieber unter sich.

IP: Ausländer nimmt man nur dann, wenn man dazu gezwungen ist?

Küntscher: Eine Studie der Bertelsmann Stiftung hat jetzt herausgefunden, dass deutsche Unternehmen im internationalen Vergleich die kleinsten Anteile von ausländischen Mitarbeitern im Inland und inländischen Mitarbeitern im Ausland aufweisen – jeweils elf Prozent.

IP: Aber der Anteil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund liegt in Deutschland bei 19 Prozent …

Küntscher: Sicher. Und in den Geschäftsberichten präsentieren sich die Unternehmen gern multikulti mit bunten Bildern lächelnder Menschen aus aller Welt. Aber das ist reine Imagepflege, die dem Kunden zeigen soll, wie globalisiert man ist. Von innen sind die meisten deutschen Firmen aber noch längst nicht globalisiert. Ich berate eine Firma, die früher zu einem DAX-Unternehmen gehörte und die sich heute als sehr global verkaufen möchte. Aber alle Schlüsselpositionen sind mit Deutschen besetzt. Man lügt sich eben gern selbst in die Tasche.

IP: DM kommt aus den USA, dem klassischen Einwanderungsland und Vielvölkerstaat. Haben deutsche Unternehmen Probleme, DM auf die Agenda zu setzen, weil sich die Deutschen noch immer nicht als Einwanderungsland verstehen?

Küntscher: Amerika hat da einen ganz anderen Hintergrund. Wie weit Deutschland noch mental davon entfernt ist, hat ja die verbitterte Debatte über das Gleichbehandlungsgesetz gezeigt. Die Unternehmen wollten sich nicht reinreden lassen. Sie haben Angst vor Kontrollen und Klagen. Deshalb bekommt man ja heute als abgelehnter Bewerber auch keine -Antwort mehr, warum man nicht genommen wurde; man könnte sich ja diskriminiert fühlen und klagen.

IP: Das sind natürlich sehr schwierige Voraussetzungen für den Aufbau eines sinnvollen DM. Während die Vorreiter nun Datenbanken mit den kulturellen Fähigkeiten ihrer Mitarbeiter erstellen, haben die anderen alle Merkmale aus ihren Datenbanken getilgt – um bloß niemanden zu diskriminieren.

Küntscher: In den USA ist das noch drastischer. Dort dürfen noch nicht einmal Alter, Geschlecht oder Fotos von Mitarbeitern gespeichert werden. Trotzdem gibt es genaue Statistiken darüber, wie die Zusammensetzung im Unternehmen ist: Ethnien, Geschlechter, Altersstruktur. Nur eben nicht mit individuellen Daten. Wir müssen lernen, mit Multikulti umzugehen, ohne Einzelne zu diskriminieren. So weit sind wir in Deutschland noch nicht.

Das Gespräch führte Hilmar Poganatz

RALPH-R. KÜNTSCHER ist ehemaliger Vice President Corporate Human Ressources der Siemens AG; heute leitet er die Unternehmensberatung „HR Businesslink“ in München.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 9, September 2008, S. 72 - 75

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