Internationale Presse

01. Nov. 2013

USA: Alte Debatten in neuen Kleidern

Über den Umgang mit dem Iran gibt es ganz unterschiedliche Meinungen

Was will das iranische Regime? Wie kann man es in der Nuklearfrage zum Einlenken bewegen? Kann man dem iranischen Regime überhaupt vertrauen? Diese Fragen werden seit zwei Jahrzehnten in der außenpolitischen Gemeinde der USA diskutiert. Die so genannte Charme-offensive des seit Anfang August amtierenden Präsidenten Hassan Rohani warf also keineswegs neue Fragen auf, sondern rückte lediglich alte Debatten wieder in den Vordergrund. Eine der wichtigsten Fragen in Bezug auf das Regime in Teheran ist: Was darf Rohani, was wird ihm der Oberste Religionsführer Ali Khamenei erlauben?

Das Magazin des außenpolitischen Establishments, Foreign Affairs, widmet seinen Aufmacher der Analyse der Motive und Denkmuster Khameneis („Who is Ali Khamenei? The Worldview of Irans Supreme Leader“, September/Oktober 2013). Als junger Mann schon habe Khamenei die Welt im Wesentlichen als Konfrontation zwischen dem Westen und der so genannten Dritten Welt begriffen, schreibt der iranische Journalist und Dissident Akbar Ganji, der in den Jahren 2000 bis 2006 in Teheran im Gefängnis gesessen hat.

Khamenei sei frühzeitig zu dem Schluss gekommen, dass die USA auf jeden Fall versuchen würden, das Mullah-Regime zu stürzen. Dabei wirke der Sturz der Mossadeq-Regierung mit Hilfe der CIA im Jahr 1953 nach. Auch die Unterstützung Saddam Husseins im Iran-Irak-Krieg 1980 bis 1988 sei der gesamten Führungselite noch sehr präsent. Alle anderen vom Westen aufgeworfenen Fragen, so denke Khamenei, seien lediglich Vorwände, die Legitimation des islamischen Regimes zu unterlaufen. Die USA wollten „regime change“ in Teheran, ob durch einen internen Kollaps, eine demokratische Revolu-tion, wirtschaftlichen Druck oder eine Invasion.

Ganji entwirft ein Bild der Weltsicht Khameneis, das geprägt ist von einer Mischung aus historischen Erfahrungen, islamischen Überlegenheitsphantasien, paranoiden Unterwanderungsängsten, einem teleologischen Geschichtsbild, das bereits seit Jahrzehnten den baldigen Absturz des Westens in die Irrelevanz prophezeit, sowie schlichten realpolitischen -Nützlichkeitserwägungen. Khameneis Weltbild, so stellt der erstaunte Leser fest, ähnelt in vielen Versatzstücken der linksextremen, marxistischen Kritik der westlichen Zivilisation.

Khamenei sei zwar kein Freund der Demokratie und betrachte den Kapitalismus als zum Untergang verdammt, aber er erkenne auch, dass die USA und der Westen nicht für alle Probleme der islamischen Welt verantwortlich seien und dass der Koran und die Scharia nicht ausreichen, um die Bedürfnisse der modernen Welt zu befriedigen. Khamenei sei kein verrückter, irrationaler, verantwortungsloser Zelot, der einen Vorwand für Aggressionspolitik suche, so versichert Ganji.

Dementsprechend hält der Autor eine breit angelegte politische Lösung der Probleme mit dem iranischen Regime für durchaus möglich – wenn auch mit einem schwierigen und langwierigen Prozess verbunden. Für die Sanktionen sieht Ganji erstaunlicherweise keinen Platz im diplomatischen Werkzeugkasten des Westens – obwohl es eindeutig auch deren Wirkung zu verdanken ist, dass Rohani im Juni 2013 gewählt wurde und anschließend seine diplomatischen Ouvertüren starten konnte. Ganji meint, die USA seien gut beraten, die Sanktionen aufzuheben, denn sie würden, was immer auch ihre Intention sei, besonders die Bevölkerung treffen und nicht das Regime. Der tägliche Überlebenskampf werde bald schon sämtliche Überlegungen zu mehr Demokratie und Menschenrechten zur Seite drängen.

Die iranische Führung müsse jedoch anerkennen, dass langfristig nur freie Wahlen und die Achtung der Menschenrechte die Islamische Republik legitimieren können. Worauf der Autor seinen Optimismus gründet, dass die fest etablierte religiös-politische Klasse im Iran dies jemals zulassen wird, erfahren wir nicht.
Ein stufenweiser Fortschritt bei der Lösung der Nuklearfrage müsse an die stufenweise Lockerung der Sanktionen gekoppelt werden, so Akbar Ganji in Foreign Affairs.

(Keine) Chance für Vertrauen

Ganjis Optimismus teilt Bret Stephens nicht. Er ist außenpolitischer Kolumnist des Wall Street Journal und ein ausgesprochener Falke. Stephens glaubt, dass das iranische Regime nur mit handfesten militärischen Drohungen zum Einlenken gebracht werden kann („How not to negotiate with Iran“, 7. Oktober 2013). Der Iran lüge und verdrehe die Wahrheit, wo immer es nur gehe: bei Breite und Zweck des Nuklearprogramms, über seine angebliche Kooperation mit den Inspektoren der IAEO, bei seiner Rolle bei der Unterstützung von Terroristen, bei seiner Beteiligung am blutigen syrischen Bürgerkrieg, über seine -Haltung zum Holocaust.

Und die Obama-Regierung mache sich Gedanken darüber, wie sie ihren guten Willen zeigen könne. Stephens zitiert eine Aussage der Staatssekretärin im amerikanischen Außenministerium Wendy Sherman, die in einer Anhörung im Kongress von „Vertrauensbildung“ gesprochen habe, und sieht dies als einen Beleg für den Ausverkauf amerikanischer Interessen. Dass Präsident Barack Obama jedoch ausdrücklich zur Vertrauensbildung transparente, verifizierbare Schritte des Iran gefordert hat, lässt Stephens unerwähnt. Er fordert einen noch schärferen Sanktionsdruck auf den Iran. Dass die Sanktionen in einem sehr grundlegenden Sinne erfolgreich waren – zu dieser Erkenntnis kann sich der Obama-Kritiker Stephens nicht durchringen. Und dass der Sinn von Sanktionen gerade darin besteht, sie gegen – klare und verifizierbare – Zugeständnisse auch wieder zu lockern, scheint er auch nicht zu sehen. Eine realistische Erörterung dessen, was nach einem Militärschlag kommen würde, fehlt in Stephens’ Essay ebenso.

Auch die Publizistin Roya Hakakian, amerikanische Staatsbürgerin iranischer Herkunft, warnt davor, die Wahl Rohanis und dessen neuen Ton überzubewerten („Misreading Iran’s Elections. Iranian Infighting and American Narcissism“, World Affairs, September/October 2013). Das iranische Regime habe in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Töne des Dialogs angeschlagen, um anschließend Dissidenten im In- und Ausland zu ermorden und die Demokratiebewegung im Keim zu ersticken. Die Autorin verweist als Beleg unter anderem auf die deutsche Politik des so genannten kritischen Dialogs Anfang der neunziger Jahre, der von Seiten Deutschlands auch nicht abgebrochen worden sei, nachdem 1992 im Berliner Restaurant „Mykonos“ vier kurdisch-iranische Oppositionspolitiker von Schergen des Mullah-Regimes ermordet worden seien.

Es sei ein Irrtum anzunehmen, dass allein westliche Politik nach einer Art Reiz-Reaktionsschema für die entsprechende iranische Antwort verantwortlich sei. Wenn man den Artikel nicht als Absage an sämtliche Verhandlungen mit Teheran lesen will, dann beinhaltet er auf jeden Fall den guten Rat zur Nüchternheit und zum Beharren auf nachvollziehbaren Verifikationsmechanismen – egal, wie beredt das iranische Regime Klage führen wird über angebliche (und tatsächliche!) Souveränitätsverletzungen.

Kleine, große Schritte

Chancen und Risiken sieht der außenpolitische Kolumnist der Washington Post David Ignatius in einer möglichen Annäherung zwischen den USA und dem Iran. Igna-tius gilt als intellektuell aufrichtiger und realistischer Beobachter der internationalen Beziehungen. Er scheut sich nicht, Parallelen zur Annäherung an China Anfang der siebziger Jahre und zum Ende des Kalten Krieges zu ziehen.

Präsident Obama nähere sich einem Punkt, ab dem ein großer außenpolitischer Schwenk möglich sei („Obama’s diplomatic opportunity“, Washington Post, 4. Oktober 2013). Weil die Feindschaft mit dem iranischen Regime Jahrzehnte alt sei, hielten dies manche für Anzeichen amerikanischer Schwäche oder gar Kapitulation. Dies sei falsch. Die Vereinigten Staaten würden im Gegenteil gestärkt, wenn es gelänge, einen Rahmen zu schaffen für mehr Stabilität und Sicherheit im Nahen und Mittleren Osten. Das beinhalte auch die Chance, den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten in weiten Teilen der Region zu entschärfen.

Zu einem Deal mit dem Iran gehörten nach Ansicht des Autors ein einwandfreier Verifikationsprozess, eine Begrenzung des iranischen Vorrats von 20-prozentigem Uran und die eventuelle Schließung der unterirdischen Nuklearanlagen in Fordow und Qum („Both Opportunity and Peril over Iran“, Washington Post, 20. September 2013).

Insgesamt gelte es, eine schnelle Ausbruchsfähigkeit des Iran zu verhindern. Das heißt, dass der Iran, falls er aus dem zu vereinbarenden nuklearen Regime ausbrechen wollte, im Zweifelsfall so lange an der Herstellung einer Nuklearwaffe arbeiten müsste, dass Israel und die USA vorgewarnt wären. Im Gegenzug werde der Iran auf dem prinzipiellen Recht zur Anreicherung bestehen – etwas, was die israelische Regierung ganz und gar nicht will.

Nicht nur Israel ist nach einer über 30-jährigen Geschichte der Täuschung und Lüge wechselnder iranischer Regierungen skeptisch. Auch die regionalen Nachbarn, wie zum Beispiel Saudi-Arabien, haben Sorge, dass ihre Interessen unter den Tisch fallen würden, wenn die USA und der Iran sich einigten.

Um dem vorzubeugen, empfiehlt David Ignatius eine Verhandlungsstrategie, die bereits Präsident George Bush Senior und sein Nationaler Sicherheitsberater beim Prozess der deutschen Einheit angewandt haben: Verhandlungsbegleitend alle Seiten umfassend auf dem Laufenden zu halten und schwierige Fragen gut zu kommunizieren.

Ein außenpolitischer Erfolg in Bezug auf das iranische Nuklearprogramm und ein neuer sicherheitspolitischer Rahmen, der die Interessen der Iraner, der Saudis, der Israelis, der Russen und der Amerikaner berücksichtige – das seien verlockende Aussichten für Obama. Aber für einen angeschlagenen Präsidenten ohne Aussicht auf einen überparteilichen außenpolitischen Konsens seien dies gigantische Schritte. Im Weißen Haus müsse man jetzt gleichzeitig in großen strategischen Kategorien denken, ohne die handwerklichen Regeln der Diplomatie aus den Augen zu verlieren.

Man möchte hoffen, dass Ignatius’ Ratschläge im Weißen Haus gehört werden. Doch angesichts der außenpolitischen Zögerlichkeit des international paradoxerweise so vielbejubelten Präsidenten, angesichts der sich auftürmenden innenpolitischen Probleme (Haushalt! Shutdown! Schuldenobergrenze! Konjunktur! Arbeitslosigkeit!) ist die Hoffnung darauf gering. Ganz zu schweigen davon, ob die Avancen von Präsident Rohani halten werden, was das iranische Regime zu oft versprochen hat – offen und ehrlich und guten Willens zu verhandeln.

Dr. Marcus Pindur ist USA-Korrespondent des Deutschlandradio.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, November/Dezember 2013, S. 130-133

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