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01. Juli 2010

Unter dem Deckmantel des Sozialismus

Brief aus … Quito

Hängen großformatige Plakate mit dem Konterfei des Präsidenten in den Straßen der ecuadorianischen Hauptstadt, die sich 1802 bereits Alexander von Humboldt erwandert hatte? Nein. Rafael Correa, im April 2009 bereits in der ersten Runde mit 51,90 Prozent wiedergewählt, ist trotzdem omnipräsent in einem Land, das er mehr und mehr als seinen Staat zu betrachten scheint. Und auch er erwandert es sich – zumindest dann, wenn für seine -wöchentliche Fernsehsendung die Kameras dabei sind, die den Präsidenten in Armenvierteln, abgelegenen Dörfern oder den Gegenden der Indigenen zeigen.

Das von ihm angekündigte Programm lautet „Sozialismus im 21. Jahrhundert“, und Kritiker befürchten, das sich hier unter dem Einfluss des venezolanischen Stichwortgebers Hugo Chávez etwas ankündigt, was eine nun eher bedenkliche Nachhaltigkeit anstrebt. Schon ruft der Präsident – ganz nach dem Vorbild des Nachbarlands – zur Bildung von „Bürgerkomitees“ auf, um „Destabilisierung“ zu bekämpfen und die „Bürgerrevolution“ zu schützen. Logischerweise wird diese dann gleichgesetzt mit der Parteiengruppierung PAIS, die in Kongress und Parlament zwar nicht die Mehrheit besitzt, aber noch immer die stärkste politische Kraft ist und nach Correas Wünschen vor allem als ein williger Transmissionsriemen dienen soll. Wer sich dem als Minister widersetzt, wird – selbstverständlich im Namen des „Volksinteresses“, nach altbekannter Demagogen-Manier verkörpert von „Señor el Presidente“ – gnadenlos gefeuert.

„Die effizienteste Kritik kommt derzeit von links“, sagen ausländische Beobachter und Mitarbeiter politischer Stiftungen. Dort, bei den Basisbewegungen der Zivilgesellschaft, muss man nämlich keine Sorge haben, von den regierungsnahen Medien als „Handlanger der Oligarchie und des Imperiums“ (sprich USA) geschmäht zu werden, wenn man etwa das Treiben der einflussreichen Alvarado-Brüder kritisiert, die vom Präsidentenpalast aus ihre finanziellen Partikularprojekte im Bergbau vorantreiben und sich keinen Deut um die Interessen und Sorgen der Indigenen scheren. Von einer Regenbogenallianz der „progressiven Kräfte“ unter dem Baldachin eines gütigen Präsidenten kann deshalb keine Rede sein.

Jenseits aller Pro- und Contra-Rhetorik bleibt jedoch eine entscheidende Frage: Geht es den Armen heute besser als zuvor? Könnte es sein, dass sie häufig ignoriert wird in der Rede vom „Linkspopulismus“, die verschweigt, dass die alten Eliten und deren Parteien trotz hochtönender Namen eben keine liberalen Demokraten, sondern oligarchisch strukturierte Diebesbanden waren (und sind)?

„Wohl wahr, obwohl hier Genauigkeit angebracht ist.“ Vincente Albornoz ist Wirtschaftswissenschaftler und Präsident des Forschungszentrums CORDES, das seit Jahren die ecuadorianische Realität analysiert. „Auf Correas Habenseite steht, dass die Sozialausgaben massiv gesteigert wurden – für Schulbauten, Schulspeisung und eine Art Sozialhilfe. Allerdings fällt die Verringerung der Armutsquote nicht stärker aus als unter den in den gleichgeschalteten Medien verteufelten Vorgängerregierungen, unter denen sogar die Lebenserwartung von 61 auf 75 Jahre gestiegen war, was ja kein unwichtiger Indikator für den Fortschritt ist.“

Albornoz weist noch auf einen weiteren Aspekt hin: „Der Zusammenhang zwischen erhöhten Sozialausgaben und geringerer Armut ist empirisch nicht beweisbar, allen gängigen Mythen zum Trotz. Ungleich wichtiger ist – für die Armen ebenso wie für die breite Mittelschicht –, dass die Wirtschaft nicht stottert und die Inflation niedrig bleibt, was in Ecuador immerhin durch unsere Dollar-Währung mehr oder minder garantiert scheint.“ Und die Oligarchie? „War faul und gewiss diebisch, hatte in der Vergangenheit die enormen Einnahmen aus den Kakao-, später den Ölexporten weder der Infrastruktur noch der Binnenmarktentwicklung zugute kommen lassen. Nur – sie war eben zu keinem Zeitpunkt so mörderisch wie in El Salvador oder Guatemala. Selbst zu Zeiten von Militärdiktaturen, für das Volk von den üblich rasant wechselnden Präsidialregierungen ohnehin kaum zu unterscheiden, gab es keine vergleichbaren Menschenrechtsverletzungen, Foltertoten und Verschwundenen. Wenn Präsident Correa jetzt also auf Teufel komm’ raus polarisiert, ignoriert er bewusst die ecuadorianische Geschichte und bringt uns damit alle in gefährliches Fahrwasser.“

Denn schon häufen sich die Fälle von verletzter Medienfreiheit. So werden regierungskritische Zeitungen gegängelt, und der Fernsehsender „Tele Amazonas“ (der dem Besitzer der landesweit größten Bank gehört) musste für ein paar Tage sogar schließen und wurde vor den Kadi gezerrt. Sein Vergehen: „Mögliche (sic!) Hysterie geschürt“ zu haben, indem man über die Sorgen der Fischer im Golf von Guayaqil angesichts der dortigen Gasbohrungen berichtet hatte.

Kein Wunder, denkt der Besucher beim Abschied, dass sich die Mehrheit im viel zitierten „Volk“ für Correa ausspricht und ihm zugute hält, für „eine gewisse Stabilität“ zu sorgen. Von „Sozialismus“ ist dabei jedoch nirgends die Rede. Allerdings auch nicht von sozialer Demokratie.

MARKO MARTIN, lebt als Schriftsteller und Publizist in Berlin. Zuletzt erschien von ihm der Erzählband „Schlafende Hunde“.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2010, S. 122 - 123

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