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01. Sep 2011

Syriens verlässliche Feinde

Stabilitätsinteressen halten das Regime von Baschar al-Assad an der Macht

Die Baath-Diktatur greift bei der Niederschlagung der Oppositionsbewegung im eigenen Land weiter zu fast jedem Mittel. Internationale Gegenmaßnahmen musste das Regime bislang kaum fürchten. Eine seltsame Allianz aus Russland, Saudi-Arabien, Iran und Israel verhinderte ein schärferes Vorgehen gegen Damaskus. Dem Westen ist das nicht unrecht.

Der Propagandaapparat des Regimes spult weiter seinen eigenen Film ab. „The Reality of Events“ heißt die Rubrik auf der englischsprachigen Webseite der staatlichen Nachrichtenagentur Sana, die Meldungen über die aktuelle Situation in Syrien auflistet. „Bewaffnete Gruppen greifen Polizeistation in Hama mit Maschinengewehren und Molotowcocktails an“, „Verletzter Soldat beschreibt Details von Terroristenangriff“, „Unterstützung des Volkes für Reformprozess hält an“, war dort am Tag nach Ramadan-Beginn zu lesen. Berichte über Massendemonstrationen tauchen nicht auf, von toten Zivilisten war keine Rede – ebenso wenig von den Beratungen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen in New York, der Anfang August zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkam.

Es war bereits der dritte Anlauf der beiden ständigen Sicherheits-ratsmitglieder Großbritannien und Frankreich, das Gremium zu einer Verurteilung des syrischen Vorgehens zu bewegen. Doch wie im April und im Juni scheiterte das Vorhaben am Widerstand Russlands: Seit Verabschiedung von Resolution 1973 im März, die ein bewaffnetes Eingreifen in Libyen erlaubte, weigert sich Moskau, Kritik an seinem Verbündeten in Damaskus zu Papier bringen zu lassen. Den NATO-Einsatz gegen die Truppen Muammar al-Gaddafis betrachtet die russische Führung inzwischen als Resolutionsmissbrauch. Sie fürchtet, mit einer Syrien-Resolution westlichem Interventionsstreben in Nahost weiteren Vorschub zu leisten. Immerhin veröffentlichte der Sicherheitsrat am 3. August eine „Erklärung des Präsidenten“, in der recht allgemein „Menschenrechtsversetzungen in Syrien“ und der Einsatz von Gewalt verurteilt werden.

Halbwegs klare Worte der internationalen Gemeinschaft waren bis dahin Mangelware. Staatspräsident Baschar al-Assad habe „jeden Sinn für Menschlichkeit verloren“, kritisierte UN-Generalsekretär Ban Ki-moon erst Anfang August: Nach internationalem Recht könnte der syrische Präsident für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden – eine Drohung, die vorerst ins Leere lief. Ein Telefonat zwischen Ban und dem syrischen Staatspräsidenten Baschar al-Assad blieb jedenfalls ohne erkennbare Wirkung. „Die internationale Gemeinschaft ist zutiefst beunruhigt“, sagte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, und drückte den Angehörigen der Opfer ihr Mitgefühl sowie Mitgliedern der Protestbewegung ihre Solidarität aus. Schärfere Kritik äußerte sie nicht; und auch Sanktionen muss Damaskus wohl bis auf Weiteres nicht fürchten.

„Reformen, bevor es zu spät ist“

Als in Daraa und Deir al-Zor auch danach weiter die Panzer rollten, riefen schließlich die Golf-Staaten und die Arabische Liga am 8. August Syrien erstmals auf, die Gewalt gegen Zivilisten einzustellen. Aus Angst vor Protesten im eigenen Land hatte sich Saudi-Arabien, die Führungsmacht der Arabischen Liga, mit Kritik am repressiven Vorgehen lange zurückgehalten. „Was in Syrien geschieht, ist nicht akzeptabel“, ließ der saudische König Abdullah nun erklären und mahnte „wirkliche Reformen“ an, „bevor es zu spät ist“.

Die Baath-Diktatur dürfte dies wenig beeindruckt haben. Das Re-gime hat sich längst seine eigene Realität geschaffen. Assad und seine Getreuen leben in einer anderen Welt als große Teile der Bevölkerung. Am letzten Wochenende vor dem Ramadan hatten Armee-, Geheimdienst- und Polizeieinheiten allein in Hama mehr als 100 Demonstranten getötet, landesweit waren es UN-Angaben zufolge über 140. Nur bei einem Freitagsprotest Ende April waren ähnlich viele Opfer zu beklagen gewesen. Das Signal an die Freiheitsbewegung am Vorabend des muslimischen Fastenmonats war deutlich: Wer es wagen sollte, nach dem Moscheebesuch auf die Straße zu gehen, riskiert sein Leben. Einschüchtern ließ sich die Opposition davon nicht. Schon in der ersten August-Woche gab es bei -Demonstrationen wieder Dutzende Tote in Hama und in anderen Städten. Hunderte sollen nach Angaben von Menschenrechtlern verhaftet worden sein.

Auf praktische Solidarität von außen warteten die Demonstranten weiter vergeblich. Eine Allianz verlässlicher Feinde verhindert, dass Assad sich wie Gaddafi Sorgen um einen Sturz seines Regimes machen müsste. Nicht nur Saudi-Arabien reagierte lange zögerlich. Auch in Israel, das bis heute keinen Friedensvertrag mit Syrien geschlossen hat, wenngleich an der gemeinsamen Grenze seit 1973 Ruhe herrschte, wünscht man sich Assads Machterhalt – einen angenehmeren politischen Gegner kann man sich in Jerusalem nicht wünschen. Kaum etwas käme der israelischen Regierung ungelegener als ein Machtvakuum in Syrien. Dass ein Sturz Assads Syriens Bündnis mit dem Iran beenden könnte, erscheint zweitrangig – Stabilität an seinen Nordgrenzen ist Jerusalem wichtiger als demokratischer Aufbruch. Der Mut zur Veränderung, der den arabischen Frühling vom Hohen Atlas bis zum Persischen Golf trägt, ist in Israel bislang nicht angekommen.

Die anfangs kaum organisierte syrische Opposition dürfte sich dadurch in ihrem Kurs bestätigt sehen, äußere Einmischung abzulehnen. Nach einer ersten harten Welle der Repression im April fasste sie neuen Mut: Weil das Regime Zusammenkünfte in Syrien selbst unterband, wich die Opposition ins Nachbarland Türkei aus. Dort erlaubte die Regierung Recep Tayyip Erdogans Ende Mai in Antalya ein Treffen syrischer Aktivisten, im Juli kamen in Istanbul Mitglieder der Freiheitsbewegung zusammen. Für Assad muss das ein Schlag ins Gesicht gewesen sein: Nach langer internationaler Isolation hatte er Syriens Verhältnis zur Türkei in den vergangenen Jahren immer stärker ausgebaut. Neben Irans Präsident Machmud Achmadinedschad galt Erdogan als sein engster Verbündeter in der Region. 2008 vermittelte dieser Friedensverhandlungen mit Israel.

Doch die von Kritikern als „neo-osmanisch“ bezeichnete Außenpolitik Ankaras hat auch eine moralische Komponente: So wie Erdogan und sein Außenminister Ahmet Davutoglu sich in Tunesien, Ägypten und Libyen auf die Seite der Demokratie-bewegungen stellten, konnten sie auch in Syrien bei der systematischen Unterdrückung der Demonstranten nicht tatenlos zuschauen. Aufforderungen Erdogans, Reformen einzuleiten, kam Assad nicht nach – der erst im Juli im Amt bestätigte türkische Ministerpräsident wandte sich enttäuscht ab. Davutoglu, der am 8. August zu einer Friedens- und Vermittlungsmission nach Damaskus flog, holte sich von Assad eine Abfuhr.

Deutliche Worte gefordert

„Im Ramadan werden die Menschen noch mutiger werden, ihre Bereitschaft, Opfer zu bringen, wird weiter wachsen“, erklärte Walid al-Bunni, einer der untergetauchten Oppositionsführer, Mitte Juli. Gemeinsam mit Gleichgesinnten hatte er kurz zuvor eine Zusammenkunft Oppositioneller in Damaskus organisiert, doch das Treffen wurde brutal zusammengeschossen – so wich man nach Istanbul aus. Für Unterstützung aus dem Ausland ist al-Bunni dankbar, gibt sich jedoch keinen Illusionen hin: Trotz der vielen Opfer ist die Bewegung weitgehend auf sich allein gestellt; von internationaler Hilfe, wie sie die libyschen Rebellen innerhalb weniger Wochen erreichte, oder regionaler Solidarität, wie die Aufständischen auf Kairos Tahrir-Platz und der Avenue Habib Bourguiba in Tunis sie erfuhren, keine Spur.

Eine westliche Militärintervention lehnt al-Bunni ab, und steht damit nicht allein. Auch Radwan Ziadeh, einer der wichtigsten Sprecher der Opposition im Exil, stellt sich gegen ein Eingreifen nach libyschem Vorbild. Deutlichere Stellungnahmen des Westens allerdings fordert er schon. Präsident Barack Obama müsse das syrische Volk unterstützen und Assad „zum sofortigen Rückzug auffordern“, sagte er nach einem Treffen mit der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton Anfang August.

Mit einer Zuspitzung der Situation während des Ramadan rechneten Oppositionelle ebenso wie Diplomaten in New York. Zu lange schon dauerte der Konflikt zwischen den Eliteeinheiten Assads und der ohne gemeinsames Programm in mehr als 300 Städten aktiven Protestbewegung an; zu offensichtlich war geworden, dass Assads Kurs aus leeren Reformversprechen und rücksichtsloser Repression sich zwar über einige Monate aufrechterhalten, aber auf Dauer keine Lösung bringen würde. Mehr als 1600 Zivilisten sowie fast 400 Soldaten und Polizisten sind Menschenrechtsorganisationen zufolge seit Beginn des Aufstands im südsyrischen Daraa Mitte März getötet worden. Hinzu kommen mindestens 12 000 Inhaftierte und 3000 Verschwundene.

Was die Lage für Assad in den kommenden Monaten schwierig machen könnte, sind die Flüchtlinge, die vor seinen Einheiten Sicherheit suchen – sie könnten die Nachbarstaaten auf den Plan rufen. So flohen mehr als 10 000 Bewohner in die Türkei, als Einheiten der von Assads Bruder Maher kommandierten 4. Division im Juni in die Gegend um Jisr al-Shughur im Nordwesten des Landes einmarschierten. Auch in Jordanien, im Irak und im Libanon haben syrische Flüchtlinge inzwischen Unterschlupf gefunden. Dabei war Syrien bislang ein Aufnahmeland: Im Zuge des Irak-Kriegs flohen mehr als eine Million Menschen und fanden in Damaskus und anderen Städten eine temporäre Heimat. Nicht nur aus humanitärer Perspektive war das eine große Leistung: Das fragile Gleichgewicht zwischen Syriens Sunniten, Kurden, Christen und Alawiten wurde durch den Zustrom der konfessionell ebenfalls diversen Flüchtlinge auf eine harte Probe gestellt.

Assad und sein engster Führungszirkel sind Alawiten, mehr als 80 Prozent der Bevölkerung aber Sunniten. Der Propagandaapparat der Minderheitendiktatur startete im Frühjahr eine Serie von Plakatkampagnen, die vor den Gefahren eines religiösen Bürgerkriegs warnten. Die Drohung mit brutaler Repression wirkte seit dem Massaker von Hama im Februar 1982, als Assads Vater Hafez einen Aufstand der sunnitischen Muslimbruderschaft niederschlagen ließ. Doch dieses Jahr scheint die Angst verschwunden: Die Parolen auf den großen Demonstrationen in Hama, Homs, Deir al-Zor und Latakia betonten stets die nationale Einheit der Syrer; es ist das Regime, das das Schreckensszenario konfessioneller Spaltung herbeiredet, um den Bürgern Angst zu machen. Sollte Assad die Kontrolle verlieren, drohten Zustände wie im Irak und Libanon, lautet die Botschaft. Eine Argumenta-tion, die in Washington, Brüssel, Berlin, London und Paris ebenfalls Anhänger findet.

Erfolg mit diesem Diskurs des Schreckens hat die syrische Führung zumindest im Libanon. Sechs Jahre nach der „Zedernrevolution“, die im April 2005 zum Abzug der syrischen Truppen führte, ist die antisyrische Opposition verstummt. Die im Juni ins Amt gekommene libanesische Regierung unter dem sunnitischen Ministerpräsidenten Nadschib Mikati hat Assad mehrfach seine Unterstützung ausgesprochen. Auch der wichtigste christliche Politiker, der frühere Armeechef Michel Aoun, und der Generalsekretär der schiitischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, verteidigen den Repressionskurs Syriens. Ihnen ist klar, dass ein Sturz Assads auch für sie einen erheblichen Machtverlust bedeuten würde.

Die Anklage des UN-Sondertribunals für den Libanon gegen Hisbollah-Mitglieder wegen ihrer mutmaßlichen Beteiligung an der Ermordung des ehemaligen Ministerpräsidenten Rafiq Hariri 2005 droht nun allerdings, die Spannungen zu verschärfen. Denn indirekt sitzen damit Syrien und der Iran ebenfalls auf der Anklagebank in Den Haag: Die von den iranischen Pas-daran Anfang der achtziger Jahre gegründete Miliz ist der wichtigste Verbündete Assads im Libanon; ihren militärischen Nachschub wiederum erhält die Nasrallah-Organisation aus dem Iran.

Wieder einmal steht dem Libanon eine Konfrontation zwischen den von Syrien und dem Iran unterstützten Kräften sowie ihren prowestlichen Widersachern bevor: In der nahe der syrischen Grenze gelegenen Hafenstadt Tripoli gab es bei Zusammenstößen zwischen Anhängern und Gegnern Assads im Juni bereits mehrere Tote; bei Anschlägen auf Einheiten der Libanon-Schutztruppe der Vereinten Nationen (UNIFIL) wurden mehrere Soldaten verletzt.

Sowohl iranische wie Hisbollah-Kader sollen an der Niederschlagung des Aufstands in Syrien beteiligt sein. Die EU und die USA haben deshalb im Juni Sanktionen gegen den Oberkommandierenden der Revolutionsgarden in Tehe-ran, Ali Jafari, und den Kommandeur der Al-Kuds-Brigaden, Kasem Soleimani, verhängt. Sie sollen das Regime in Damaskus sowohl operativ wie materiell unterstützt haben.

Druck von innen und außen

Ein knappes halbes Jahr nach Beginn der syrischen Rebellion scheint Assad zurückgeworfen zu sein auf eine Situation, die er nur allzu gut kennt: den Überlebenskampf gegen äußere Bedrohung. Drei Jahre nach seinem Amtsantritt im Juni 2000 begann der Irak-Krieg. Die Vereinigten Staaten erhöhten danach ihren Druck, die Entsendung islamistischer Kämpfer in den Irak zu stoppen. 2004 schlossen sich Frankreich und die USA zusammen, um Syriens Einfluss im Libanon zu beenden – Assads Kampf gegen die Sicherheitsratsresolution 1559, die den Abzug fremder Truppen und die Entwaffnung aller Milizen forderte, begann. Mit dem Attentat auf Hariri stand das Regime noch stärker am Pranger: Eine UN-Ermittlungskommission unter Leitung des deutschen Staatsanwalts Detlev Mehlis bezichtigte syrische Stellen des Mordes.

Im Unterschied zu damals allerdings war Assad keinem vergleich-baren inneren Druck ausgesetzt wie heute. Schrittweise gelang es ihm seit 2006, sich aus der internationalen Isolation zu befreien. Besuchen westlicher Politiker in Damaskus folgte im Sommer 2008 eine Einladung des -französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy nach Paris. Kurz zuvor hatte Assad seinen Diplomaten bereits grünes Licht zu indirekten Verhandlungen mit israelischen Gesandten ge-geben – die Gespräche fanden unter türkischer Vermittlung statt. Ehe der Gaza-Krieg die syrisch-israelische Annäherung im Dezember 2008 beendete, hatten beide Seiten deutliche Fortschritte gemacht, mit gefühlten Vor-teilen für beide Seiten: Während sich Israel eine Entmachtung der in Damaskus ansässigen Hamas-Exilführung um Khaled Meshal und ein Ende der syrischen Allianz mit der Hisbollah und dem Iran versprach, hoffte Assad, vor allem wirtschaftlich Gewinn aus einem Friedensschluss zu ziehen.

An einem Bruch der syrisch-iranischen Allianz arbeiten die westlichen Vetomächte im Sicherheitsrat seit langem. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die syrische Opposition im Falle einer Machtübernahme das Bündnis mit Teheran beenden würde. Wie kein anderes Land der Region würde Israel von einer Schwächung der iranischen Stellvertreterarmeen Hamas und Hisbollah profitieren. Saudi-Arabien könnte als schärfster arabischer Rivale des Iran seinen Einfluss im Nahen Osten ausweiten. Das durch Stabilitätsinteressen bedingte Zögern westlicher Staaten, sich eindeutig auf die Seite der Freiheitsbewegung zu stellen, dürfte sie eines Tages noch Kredit kosten. Weder Obama noch Sarkozy haben bislang den Sturz Assads gefordert.

MARKUS BICKEL ist Politikredakteur der FAZ und Autor des Buches „Der vergessene Nahostkonflikt – Syrien, Israel, Libanon, Hisbollah“ (2011).
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 5, September/Oktober 2011, S. 68-73

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