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01. Jan. 2016

Erdogans Sonderweg

Ankara spielt die Kurden gegeneinander aus. Das nutzt nur dem IS

Die Entsendung türkischer Truppen an die Front bei Mossul heizt den innerirakischen und innerkurdischen Konflikt an – und schwächt damit die internationale Allianz gegen den Islamischen Staat. Berlin, das die Peschmerga aus dem Nordirak aufrüstet, sollte Ankara drängen, eine gemeinsame Front mit dem PKK-Ableger YPG nicht länger zu desavouieren.

Der Krieg gegen den so genannten Islamischen Staat (IS) im Irak ist in eine neue Phase getreten. Doch anders als in Syrien, wo das abendliche Massaker der Terror­organisation am 13. November 2015 in Paris ein verstärktes militärisches Engagement Frankreichs eingeleitet hat, ist es hier der offene Kriegseintritt der Türkei, der die politischen Koordinaten in dem Zweistromland entscheidend verändert.

Mit dem Aufmarsch von 150 Soldaten und 20 Panzern unweit der nord­irakischen Provinzhauptstadt Mossul am Nikolaustag ist im Irak erstmals eine sunnitische Regionalmacht auf die Bühne getreten, die den IS auf dem Boden ernsthaft militärisch herausfordern könnte. Zugleich verstärkt die Intervention durch den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan die konfessionellen Spannungen, die der im Sommer 2014 ins Amt gehobene schiitische Ministerpräsident Haider al-Abadi eigentlich entschärfen wollte.

Erdogans Eingreifen in den Konflikt ist eine offene Parteinahme für den irakisch-kurdischen Präsidenten Masud Barsani, der mit der vom Iran unterstützten Zentralregierung in Bagdad seit langem im Clinch liegt. Barsanis Peschmerga wäre es ohne die Luftangriffe amerikanischer und britischer Kampfflugzeuge nicht gelungen, mehr als 40 Prozent des nord­irakischen Territoriums zurückzuerobern, das vor anderthalb Jahren in die Hände des Islamischen Staates gefallen war.

Nothilfe vom PKK-Ableger

Ähnlich wie die irakische Regierungsarmee im Juni 2014 vor den Dschihadisten aus Mossul floh, so nahmen die Kämpfer der kurdischen Nationalgarde zwei Monate später Reißaus, als die Terroreinheiten des selbst ernannten Kalifen Abu Bakr al-Bagdadi im Sindschar-Gebirge und in Dutzenden christlichen Gemeinden westlich und nördlich von Mossul einfielen. Dass ein Genozid an Zehntausenden ­Jesidinnen und Jesiden verhindert werden konnte, war neben der amerikanischen Luftwaffe den syrischen Verbündeten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) zu verdanken – erbitterte Rivalen Barsanis um die Vormacht an den Nordgrenzen des „Kalifats“.

Deshalb stimmt die Behauptung, die Peschmerga seien im Kampf gegen den IS die wichtigsten Boden­truppen des Westens, nur bedingt. Sicherlich haben sie es seit Ende 2014 sukzessive geschafft, die Dschihadisten aus Gebieten rund um den Mossul-Staudamm und im November auch aus dem Sindschar-Gebirge zu vertreiben; dort freilich waren auch die mit der PKK verbündeten Volksverteidigungseinheiten (YPG) an der Rückeroberung des strategisch wichtigen Gebirgszugs beteiligt.

Die Verbindungsroute zwischen den syrischen und irakischen Proto-Hauptstädten des IS-Kalifats, ­Raqqa und Mossul, ist seitdem unterbrochen. Für eine Rückeroberung der Millionenstadt Mossul aber, die amerikanische Militärs bereits für Mitte 2015 anvisiert hatten, reicht die Stärke der Peschmerga allein nicht aus – ebensowenig wie die Bewaffnung mit G36-Gewehren und Milian-Panzerabwehrraketen durch die Bundeswehr. Aus Militär- und Regierungskreisen in Erbil heißt es, dass sich die irakisch-kurdischen Kämpfer zwar an einer Offensive auf die Hauptstadt der Provinz Niniveh beteiligen würden, aber nicht als treibende Kraft.

Was drohte, wäre ein kurdisch-arabischer Bürgerkrieg, sollte die sunnitische Metropole am Tigris fallen, sagt Regierungssprecher Safeen Dizayee. „Bagdad muss deshalb die Federführung übernehmen.“ Die irakischen Regierungseinheiten aber sind auch anderthalb Jahre nach der schmählichen Flucht aus Mossul weit davon entfernt, einen Feldzug gegen die vom IS hermetisch abgeriegelte Stadt anzuführen.

Alle Versuche des im Juni 2014 geflohenen Provinzgouverneurs Mossuls, Atheel Nujaifi, eine sunnitische Streitkraft aufzustellen, traten bislang auf der Stelle. Auch deshalb wurden amerikanische Pläne, Mossul bereits 2015 anzugreifen, zunächst zurückgestellt.

Denn anders als in Tikrit, wo schiitische Volksmobilisierungsmilizen (Hashd Shaabi) im April 2015 die entscheidende Kraft bei der Rückeroberung der Geburtsstadt Saddam Husseins waren, lehnt Regierungssprecher Dizayee eine Koalition mit den aus dem Iran finanzierten und gelenkten Einheiten strikt ab: „Es ist ausgeschlossen, dass sie sich an der Rückeroberung Mossuls beteiligen, das eine Schlüsselrolle bei der Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung im Irak spielt.“

Rivalität mit Teheran

Die Rivalität Erdogans mit dem Iran macht das türkische Eingreifen im Irak so gefährlich – ähnlich wie in Syrien, wo sich Ankara neben Doha und Riad als wichtigster sunnitischer Regionalakteur zum Gegenspieler der iranischen Expansionspolitik herausgebildet hat. „Türkische Panzer werden in die Luft gesprengt, wenn sie nicht sofort den Irak verlassen“, sagte der Anführer der einfluss­reichen schiitischen Badr-Milizen, Hadi al-Ameri, am Tag nach dem türkischen Einmarsch. Zuvor hatte bereits Ministerpräsident Abadi einen unverzüglichen Abzug der türkischen Truppen verlangt, die sich nur 30 Kilometer von Mossul entfernt, in der Frontstadt Bathiqa, aufhalten. Das Außenministerium in Bagdad sprach von einem „feindlichen Einfall“.

Und in der Tat treibt die Intervention der Türkei die Spaltung des Irak entlang konfessioneller Linien weiter voran: Zwar hat die irakisch-kurdische Regierung um Präsident Barsani ihre Unabhängigkeitspläne zunächst hinter den Kampf gegen den IS zurückgestellt. Doch die offene militärische Zusammenarbeit mit Ankara außerhalb des eigentlichen kurdischen Territoriums facht den Konflikt zwischen Erbil und Bagdad neu an und verschärft die Spannungen zwischen arabischen Sunniten und der mehrheitlich aus schiitischen Rekruten zusammengesetzten Regierungsarmee. Bathiqa liegt bereits in der Provinz Niniveh, außerhalb des kurdischen Territoriums.

Zwar versuchte der türkische Ministerpräsident Ahmet ­Davutoglu, die Krise 48 Stunden nach dem Truppenaufmarsch zu entschärfen. Man werde keine weiteren Soldaten entsenden, versicherte er seinem irakischen Counterpart – und kündigte einen baldigen Besuch in Bagdad an. Allerdings werde die Türkei ihre zu Ausbildungszwecken in die Nähe der Front mit dem IS entsandten Einheiten auch nicht zurückziehen. Über diese sei die irakische Zentralregierung immer im Bilde gewesen, behauptete Davutoglu. Ebenso wie die Vereinigten Staaten, die vorab über die Aufrüstung im Nachbarland informiert worden seien.

Für die von den USA geführte ­Anti-IS-Allianz birgt der türkisch-kurdische Schulterschluss die Gefahr, dass Ankara seinen Sonderweg im Kampf gegen den Islamischen Staat fortführt, vor allem in Syrien. Bis heute weigert sich Erdogan, den fast 100 Kilometer breiten Streifen, den der IS entlang der türkisch-syrischen Grenze kontrolliert, wirksam anzugreifen. Damit verhindert er den Zusammenschluss der syrisch-kurdischen Gebiete von Qamishli im Osten bis Afrin im Westen – und die vollständige Machtübernahme der Volksverteidigungseinheiten (YPG) und ihrer politischen Vertretung, der Partei der Demokratischen Union (PYD).

Dass er nun auf Seiten Barsanis in den Irak-Konflikt eingreift, dient deshalb weniger dem Kampf gegen den IS, sondern dem Rollback der syrischen PKK-Verbündeten, die zuletzt auch in Erbil und Suleymanije an Sympathien gewannen.

Kein Veto gegen Luftangriffe

Barsani war es auch, der Erdogan nach dem Massaker von Suruc im Süden der Türkei im Juli 2015 grünes Licht gab, PKK-Stellungen im Nordirak zu bombardieren – und bis heute kein Veto gegen die anhaltenden Luftangriffe eingelegt hat, die sowohl rund um Dohuk wie im Kandil-Gebirge an der Grenze zum Iran viele zivile Opfer gefordert haben.

Das Verhältnis der innerkurdischen Rivalen ist seitdem so frostig wie seit Jahren nicht mehr. Die Hoffnung, die nach der Rückeroberung der nordsyrischen Enklave Kobane vom Islamischen Staat Anfang 2015 aufkam, dass eine Allianz aus Peschmerga und PKK-Verbündeten dafür sorgen könnte, die Dschihadisten auf Dauer zurückzudrängen, hat sich längst zerschlagen.

Stattdessen spiele Ankara weiter ein abgekartetes Spiel, sagt Nilüfer Koc vom Kurdischen Nationalkongress (KNK). Oberstes Interesse Erdogans und seiner Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung (AKP) bleibe – und darin deckten sich seine mit den Zielen Barsanis – die Verhinderung eines kurdischen Autonomiegebiets im Norden Syriens, das sich als pluralistische Alternative zur Alleinherrschaft der beiden autoritären Führer herausbilden könnte. „Die Drohung Erdogans ist eindeutig: Wer sich ihm in die Quere stellt, bekommt es mit dem IS zu tun“, erklärt die KNK-Covorsitzende Koc. Auch die Rückeroberung des Sindschar-Gebirges im November müsse daher aus einem anderen Blickwinkel betrachtet werden, so Koc: Von dem Höhenzug aus lasse sich das syrisch-kurdische Rojava kontrollieren, darum sei es den Peschmerga bei ihrem Einmarsch vor allem gegangen.

Das Kalkül der Bundesregierung, einerseits die autonome Kurdenregion im Nordirak militärisch zu unterstützen, andererseits aber auf den Erhalt des Gesamtstaats zu dringen, geht daher längst nicht mehr auf. Während Abadi wie der syrische Präsident Baschar al-Assad auf Russland und dem Iran setzt, um die sunnitische Terrorgruppe zurückzudrängen, unterstützt Barsani deren schärfsten Kontrahenten, die Türkei.

Dass Ankaras Geheimdienste und Grenzer IS-Kämpfern über Jahre den freien Zugang ins Kampfgebiet ermöglichten, dass sie sie mit Nachschub ausstatteten und ihnen in türkischen Krankenhäusern die Versorgung ­ihrer Verwundeten erlaubten, gerät bei der ganzen Angelegenheit aus dem Blick.

Symbolischer Schulterschluss

Der symbolische Schulterschluss von Peschmerga-Einheiten und PKK-Verbündeten bei der Befreiung Kobanes vor einem Jahr sollte deshalb die künftige Handlungslinie gegenüber den zerstrittenen Kurdenfraktionen bestimmen. Sowohl in Syrien wie im Irak sind die kurdischen Kämpfer auf Luftangriffe der Anti-IS-­Koalition angewiesen, um Gebietsgewinne zu erzielen. Der Feind ist aber auf beiden Seiten des Sindschar-Gebirges der gleiche: Gegen den IS gilt es, getrennt zu marschieren und vereint zuzuschlagen; auf diese Formel ließe sich eine Strategie im Umgang mit Peschmerga und YPG reduzieren. Sie gegeneinander auszuspielen, würde am Ende nur dem IS nutzen.

Das müssen Berlin und Washington auch Ankara gegenüber deutlich machen. Denn mit der jüngsten Truppenentsendung an die Front vor Mossul hat die Türkei sich bereits in Stellung gebracht für eine mögliche Nachkriegsordnung, in der die Entsendung einer internatio­nalen Schutztruppe unumgänglich erscheint.

Markus Bickel war bis 2015 Kairo-­Korrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Der Autor des Buches „Der vergessene Nahostkonflikt“ arbeitet als freier Publizist in Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar/Februar 2016, S. 46-49

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