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01. Okt. 2008

Superjet ohne Landebahn

Viele nutzen die Atomkraft, aber niemand hat ein Konzept für die sichere Endlagerung ihres hochgiftigen Abfalls

Beim Thema Atomkraft geht es immer um sehr viel: um Energie, um riesige Investitionen und Gewinne, um gigantische Zeiträume – der Müll strahlt hunderttausende von Jahren. Manchmal geht es um Rohstoff für potente Massenvernichtungswaffen, im Fall einer schweren Störung oder eines Angriffs auch um tausendfachen Tod. Kein Wunder, dass im Umfeld nuklearer Spaltprozesse gern das Vokabular des Glaubens benutzt wird. Günther Beckstein (CSU) hat kürzlich wieder „ein klares Bekenntnis für die Weiternutzung der Atomenergie“ abgegeben. Das neue CDU-Papier, das längere Laufzeiten für deutsche Atommeiler fordert, steht unter der Überschrift „Bewahrung der Schöpfung“.

Worüber noch streiten? Die Potenziale und Probleme sind hinlänglich erörtert, die ökologischen, gesundheitlichen und geostrategischen Risiken bekannt. Viele internationale Konflikte der vergangenen Jahre – Irak, Iran und Nordkorea – rankten sich um den tatsächlichen oder vermeintlichen Ausbau nuklearer Waffenarsenale. Bei der „friedlichen“ Nutzung gab es gravierende Störfälle: Im Juli sickerten aus dem französischen Atomkraftwerk Tricastin bei Avignon mindestens 74 Kilogramm Uran in die Flüsse der Umgebung; 2006 kam es im schwedischen Forsmark zu einer Beinahe-Kernschmelze; 2007 standen wegen Pannen und Wartungsarbeiten zeitweilig sieben deutsche AKWs still. Der Atomanteil am Strom fiel auf 22 Prozent.

Gewiss: Atomkraftwerke produzieren auf der Welt eine Menge Strom und stoßen dabei deutlich weniger Kohlendioxid aus als andere konventionelle Kraftwerkstypen. Doch von der menschheitsbeglückenden Verheißung der fünfziger Jahre, als man von nuklear betriebenen Küchen und Autos träumte, sind wir – zum Glück – weit entfernt. Große Worte sind wieder wohlfeil. George W. Bush, Nicolas Sarkozy und Silvio Berlusconi setzen lautstark auf Atomkraft. John McCain will in den USA 45 neue Atomkraftwerke bauen lassen. China, Libyen und der Iran applaudieren. Bislang aber ist die Renaissance der Kernkraft nur eine Fata Morgana der Kraftwerksbauer. Der Anteil des -Atomstroms sinkt weltweit. Europas Vorzeigebaustelle, der finnische Reaktor Olkiluoto 3, liegt Jahre hinter dem Zeitplan und wird, zum Festpreis angeboten, wohl teuer für den Lieferanten Areva und die beteiligte Siemens AG.

26 Nationen setzen auf Atomkraft. Keine hat eine Lösung für die Lagerung des hochgiftigen Abfalls. Die alte Metapher gilt fort: ein Superjet, für den bis heute die passende Landebahn fehlt. Der Müll muss für hunderttausende Jahre sicher von der Biosphäre getrennt werden. Zur Diskussion stehen drei Varianten: Salz, Ton oder Granit. Die Schweiz und Frankreich hoffen auf Tongestein. Ton gilt als guter Verschluss, stoppt sogar Radionukleide. Aber er ist wärmeempfindlich. Und brüchig – schwierig für den Bergbau. Schweden und Finnland versuchen es mit Granit. Gleich neben der Olkiluoto 3-Baustelle frisst man sich tief in den harten Stein. Um die Ecke ist bereits schwächer strahlender Müll verstaut. Im Stollen erkennt selbst der Laie das Problem: Wasser, das durch die Felsspalten fließt. Granit ist nicht wirklich dicht.

In Deutschland stapeln sich schon gut 12 500 Tonnen abgebrannte Brennelemente. Zur Endlagerung setzt Deutschland seit den siebziger Jahren auf Salz. 1977 wurde dafür der Salzstock in Gorleben bestimmt – im Wendland, damals ein in die DDR ragender Pickel Niedersachsens, abgelegen, dünn besiedelt, an drei Seiten vom Eisernen Vorhang begrenzt. Eine politische Wahl. Die atomseelige SPD/FDP-Regierung unter Helmut Schmidt träumte von einem nuklearen „Entsorgungspark“ – inklusive Endlager und Wiederaufbereitungsanlage. Wer ungern belogen wird, sollte sich ein anderes Thema suchen; spätere Generationen werden staunen über so viel freiwillige und bezahlte Schönfärberei. Beispiel: Asse II, ein stillgelegtes Salzbergwerk in den grünen Hügeln südlich von Braunschweig. In den Sechzigern begann hier eine „Versuchseinlagerung von schwachradioaktiven Abfällen“. Die Experten waren verzückt. Das Asse-Salz ruhe schon 150 Millionen Jahre, erklärten sie, es werde den Strahlenmüll sicher einschließen. Über 126 000 Fässer mit schwach- und mittelradioaktiven Abfällen verschwanden per „Abkipptechnik“ unter Tage – in einem „Forschungsbergwerk“, bis heute ohne atomrechtliche Genehmigung. Es war der große Modellversuch für Gorleben.

Der Versuch ist gescheitert. Seit 1985 dringt Lauge in den Salzstock, inzwischen zwölf Kubikmeter täglich. Der Berg wird instabil, droht einzustürzen. Cäsium-137 tritt aus. Der Exbetreiber, das Helmholtz-Zentrum, wollte die Asse zügig fluten, abdichten, vergessen. Im Bundesamt für Strahlenschutz gingen alle roten Lampen an, eilig übernahm sie das löchrige Lager. Professor Klaus Kühn, der einst als „Endlagerpapst“ galt, räumt plötzlich Fehler in der Vergangenheit ein. Und schwärmt im gleichen Atemzug wieder vom Endlager Gorleben. „Bislang spricht nichts dagegen, dass Gorleben geeignet ist“, findet auch Dieter Marx, Generalbevollmächtigter des Deutschen Atomforums. Marie-Luise Dött, umweltpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, beteuert wortgleich: „Bislang spricht nichts gegen Gorleben.“ CSU-Wirtschaftsminister Michael Glos ergänzt: „Gorleben ist zu 95 Prozent erforscht und wäre für abgebrannte Kernbrennstäbe in Kurzem aufnahmebereit.“ Dies alles ist falsch.

TOM SCHIMMECK schreibt als freier Journalist über Politik und Wissenschaft.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2008, S. 62 - 63

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