Russlands Wirtschaft muss keinen Kollaps fürchten
Putins „Militär-Keynesianismus“ hat seine Grenzen erreicht. Eine Rückkehr zur Friedenswirtschaft wäre verkraftbar.
Als Russland im Februar 2022 die Ukraine angriff und die westlichen Mächte mit den bis dato härtesten Sanktionen reagierten, glaubten nur wenige Ökonomen, dass das Aggressorland diesem Druck würde standhalten können. Die Autoren dieses Textes allerdings hielten Russland von Anfang an für „too big to fail“. Unser Argument war, dass die Sanktionen – vom Einfrieren der russischen Zentralbankreserven über das europäische Ölembargo und die Ölpreisobergrenze bis hin zu den Bankenbeschränkungen der USA – nicht zu einem Zusammenbruch der russischen Wirtschaft führen würden, sondern sich gegen den Westen selbst wenden könnten.
Viele unserer Kolleginnen und Kollegen brauchten eine Weile, um sich mit der Tatsache abzufinden, dass Russlands Wirtschaft während der drei Kriegsjahre weiter gewachsen ist und sich die Wohlfahrt des durchschnittlichen russischen Bürgers zumindest nicht verschlechtert hat. Anfang 2024 nahm die Zahl der pessimistischen Prognosen schließlich ab, weil die Beobachter von den Sanktionen weitgehend desillusioniert waren. Stattdessen konzentrierten sie sich darauf, andere Faktoren ausfindig zu machen, die Russlands sofortigen wirtschaftlichen Untergang herbeiführen könnten.
Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus und seine Versuche, einen Waffenstillstand zwischen Russland und der Ukraine zu erreichen, haben die Situation – und die Stimmung vieler Experten – deutlich verändert. Nun lauteten die Überschriften „Für Russlands Wirtschaft ist der Frieden eine Bedrohung“, „das Ende des Krieges bedeutet auch das Ende von Russlands wirtschaftlicher Illusion“ oder „Putin kann sich keinen Frieden leisten – seine Wirtschaft ist vom Krieg abhängig“. Solche Argumentationen überschwemmten im Verlauf der amerikanisch-russischen Verhandlungen die angesehensten Zeitschriften und Zeitungen, allerdings ohne fundierte Begründung.
Wieso hat sich die Stimmung der Analysten so radikal geändert? Sieht man von jenen Autoren ab, die für ihre jahrelange Behauptung, Putins Zeit sei abgelaufen, ein neues Argument brauchen, ist der wichtigste Grund eine allgemeine Erkenntnis der Wirtschaftsgeschichte: In fast jeder Marktwirtschaft ist auf einen größeren Krieg eine Depression gefolgt. In den meisten Fällen betrug der wirtschaftliche Abschwung nach dem Krieg 40 bis 80 Prozent des Umfangs der Ausgabenkürzungen beim Militär. Nach dem ersten Weltkrieg schrumpfte die US-Wirtschaft zwischen 1920 und 1921 um 6,9 Prozent. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die US-Militärausgaben innerhalb eines Jahres von 41 auf 23 Prozent des BIP sanken, brach die US-Wirtschaft um 10,9 Prozent ein.
Die Geschichte der Sowjetunion zeigt, wie auch der Zerfall einer militarisierten Volkswirtschaft eine enorme Krise auslösen kann. Ende der 1980er Jahre verloren die sowjetischen High-Tech-Industrien die staatlichen Gelder, die ihnen jahrzehntelang zugeflossen waren, und mussten ihre bestqualifizierten Arbeiter und Ingenieure entlassen. Allerdings ist dieses sowjetische Beispiel ein Sonderfall, weil hier der Übergang von einer Militär- zu einer Zivilwirtschaft mit dem Übergang zum Postkommunismus zusammenfiel und daher einzigartig war. Ansonsten waren die wirtschaftlichen Abschwünge nie tief und lang genug, um ernste politische Probleme zu verursachen (was nicht heißen soll, dass Diktaturen wie die Putins solche Herausforderungen besser bewältigen können als viele Demokratien).
Gestiegene Staatsausgaben
Könnte das Ende des Krieges in der Ukraine Putins Wirtschaft gefährden? Richtig ist: Zwischen 2021 und 2025 sind die Staatsausgaben in Russland außerordentlich stark gestiegen. Legt man für 2025 den im Haushalt festgelegten Ausgabenplan zugrunde, erhöhten sie sich um das 3,79-fache, was 10,1 Billionen Rubel entspricht. Aufgrund dessen nahm auch die Inflation zu, sodass sich die russische Zentralbank gezwungen sah, ihren Leitzins nach und nach bis auf 21 Prozent zu erhöhen. Selbst das hat den Anstieg der Verbraucherpreise nicht anhalten können – ganz im Gegenteil, die jährliche Inflation erreichte im April 10,3 Prozent.
Die immer höheren Leitzinsen führen aber zu einer effektiven Abkühlung der Wirtschaftstätigkeit. Im ersten Quartal 2025 verlangsamte sich der Zuwachs der Industrieproduktion auf 1,1 Prozent; im ersten Quartal 2024 waren es noch 4,6 Prozent gewesen. Zusammen mit dem Rückgang der Ölpreise führte dies am Ende des ersten Quartals 2025 zu einem deutlichen Minus bei den Haushaltseinnahmen. Das russische Finanzministerium musste seine Prognosen für das Gesamtjahr revidieren und das geplante Haushaltsdefizit von 0,5 auf über 1,7 Prozent des BIP oder um 3,8 Billionen Rubel erhöhen. Dennoch setzte die Wirtschaft insgesamt ihr moderates Wachstum fort – angetrieben durch den militärisch-industriellen Sektor.
Der Krieg hat den russischen Staat ärmer, aber seine Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen reicher gemacht
Man könnte meinen, die Aussichten wären insgesamt düster. Dann allerdings kam das erste Trump-Putin-Telefonat, und die Märkte erkannten plötzlich, dass ein Waffenstillstand – und das Ende des Krieges – in Sicht sein könnte. Infolge dieser Nachrichten begannen die Aktienkurse zu steigen (oder besser gesagt, sie stiegen weiter, da sie bereits seit Trumps Wiederwahl im November 2024 im Steigen begriffen waren). Ende März, auf dem Höhepunkt des Booms, lag der RTS-Aktienindex 36,7 Prozent über seinem Wert vom 1. November 2024. Der Rubel schoss in die Höhe – aber nicht so sehr wegen der Friedensaussichten, sondern wegen der extrem hohen Zinssätze von bis zu 22 Prozent pro Jahr, die Gelder zu den russischen Banken lockten. Privatanleger wie Unternehmen tauschten ihre harte Währung in Rubel um und legten sie bei den Banken an. Es gab sogar einige russische Geschäftsleute, die beschlossen, das Geld, das sie eigentlich lieber im Ausland hatten aufbewahren wollen, in die Heimat zurückzuführen.
Diese Trends machten den Rubel im ersten Quartal 2025 zur Währung mit der weltweit besten Performance. Für die Regierung wird dies sogar zum Problem, weil der in Rubel ausgedrückte Ölpreis – der für die Füllung der Haushaltskasse von entscheidender Bedeutung ist – in den vergangenen sechs Monaten um 40 Prozent sank. Dennoch blieb der Rubel Mitte Mai 2025 bei etwa 80 bis 82 Rubel je US-Dollar stabil. Die Einlagen von Privatpersonen bei russischen Banken erreichten im April ein Allzeithoch von 60 Billionen Rubel, was dem 15-fachen des für 2025 prognostizierten föderalen Haushaltsdefizits entspricht.
Was steckt hinter all diesen Entwicklungen? Die Regierung hat in den vergangenen Jahren riesige Summen für die Finanzierung der Armee, des militärisch-
industriellen Komplexes und die Zahlung hoher Pauschalbeträge an neu eingezogene Soldaten und die Angehörigen von Gefallenen aufgewendet (diese Barzahlungen beliefen sich auf drei Billionen Rubel oder 1,5 Prozent des BIP pro Jahr). Auf diese Weise hat sie Rücklagen und Steuereinnahmen aufgebraucht – aber das Geld kam sowohl russischen Bürgern als auch russischen Unternehmen zugute. Wir sollten auch das Nettofinanzergebnis der russischen Unternehmen (Gesamtgewinne minus Gesamtverluste) erwähnen, das sich 2023 auf 33,3 Billionen Rubel und 2024 auf 30,8 Billionen Rubel belief, wobei wegen der Unsicherheiten über die Regierungspolitik und die Zukunftsperspektive des Landes nur wenig davon reinvestiert wurde. Der Krieg hat also den russischen Staat ärmer, aber seine Bürgerinnen und Bürger und die Unternehmen reicher gemacht. Es ist durchaus möglich, dass ein Teil dieses Geldes investiert wird, wenn der Krieg beendet ist.
Was ebenfalls für die Zukunft der russischen Wirtschaft spricht, ist die Tatsache, dass sie derzeit nicht übermäßig militarisiert ist – und von den Russen auch nicht so eingeschätzt wird. Auch wenn Russland einen großen Krieg gegen ein großes Nachbarland führt, bleiben die kriegsbedingten Ausgaben unter 8 Prozent des BIP, von denen, wie bereits erwähnt, nicht weniger als 1,5 Prozentpunkte direkt an die Soldaten oder ihre Angehörigen fließen (man könnte dies als „Helikoptergeld à la Putin“ bezeichnen). Erinnert man sich an die Militärausgaben während der letzten 20 Jahre der Sowjetunion, so wurden diese meist auf 16 bis 21 Prozent des BIP geschätzt.
Interessant ist auch der Vergleich zu den USA: Während des Zweiten Weltkriegs, genauer gesagt zwischen 1943 und 1945, belief sich der US-Militärhaushalt durchschnittlich auf 38 Prozent des BIP. Um diesen Bedarf zu decken, ließ die US-Regierung 1943 ein Haushaltsdefizit von 26,9 Prozent des BIP zu. Nicht ganz so hoch, aber immer noch viel höher als in Russland heute, waren die US-Militärausgaben während des Koreakriegs: 1953 erreichten sie 14,5 Prozent des BIP. Die Gehälter der Soldaten machten jeweils nur einen geringen Anteil der Gesamtausgaben aus.
Jeder kann erkennen, wie massiv der Unterschied zwischen 6 bis 7 Prozent des BIP und 16 bis 21 beziehungsweise 38 Prozent ist. Selbst wenn die Militärausgaben nach einem Friedensschluss mit der Ukraine halbiert würden, würde dies die russische Wirtschaft kaum in eine umfassende Rezession treiben, wenn alle Gegenfaktoren berücksichtigt werden. Zumal die Verluste an Waffen und Munition, die die russische Armee in der Ukraine erlitten hat, so groß sind, dass niemand einen signifikanten Rückgang der Rüstungsproduktion erwartet. Putin sagte im vergangenen Jahr, dass die Rüstungsunternehmen die kommenden fünf, wenn nicht zehn Jahre mit Aufträgen versorgt seien.
Bedeutet all das, dass es der russischen Wirtschaft, die während des Krieges angeblich so gut lief, nach Kriegsende noch besser gehen wird? Nein, eine so klare Aussage wäre unserer Meinung nach übertrieben, aber es ist eben auch nicht mit einem Zusammenbruch zu rechnen.
Im Friedensfall
Was also würde passieren, wenn Russland und die Ukraine Frieden schlössen? Zunächst einmal würden Russlands Militärausgaben sinken, allerdings nicht dramatisch. Unserer Ansicht nach würde der Kreml keine sofortige Demobilisierung ankündigen. Einerseits erscheint es zu riskant, rund 400 000 Söldner nach Hause zu schicken, wo sie wahrscheinlich keine angemessene Arbeit finden würden und möglicherweise Gewaltverbrechen begehen (seit Kriegsbeginn wurden Tausende von Strafverfahren gegen Kriegsveteranen aus der Ukraine registriert, die bisher über 750 Menschen getötet oder verletzt haben); andererseits ist es schwer vorstellbar, dass Putin seine Träume von einer weiteren Konfrontation mit dem Westen aufgeben wird. Es ist kein Zufall, dass die Zahl der aktiven Soldaten der russischen Armee während des Krieges von 1,01 auf 1,5 Millionen erhöht wird.
Der Kreml könnte die Armee etwas verkleinern und den heutigen Soldaten anbieten, bei einem vergleichbaren Gehalt wie heute weiter zu dienen – allerdings ohne einen Großteil der aktuellen Risiken. Auch bei den Ausgaben für die Rüstungsproduktion sind keine wesentlichen Kürzungen zu erwarten. Lediglich die Mittel, die jetzt für die Militärlogistik verwendet werden, könnten frei werden. Wir gehen davon aus, dass die finanzielle Gesamtbelastung durch das Militär von derzeit 13 bis 14 Billionen Rubel auf rund 10 Billionen Rubel im ersten Friedensjahr sinken wird, mit Aussicht auf einen weiteren Rückgang um etwa eine Billion Rubel jährlich. Dieser Rückgang wird keine verheerenden Auswirkungen auf die Volkswirtschaft haben, könnte aber das für 2025 prognostizierte Rekord-Haushaltsdefizit fast vollständig beseitigen. Das gilt auch dann noch, wenn Russland seine Investitionen in den besetzten Gebieten auf dem aktuellen Niveau von rund 350 Milliarden Rubel pro Jahr hält.
Zweitens dürfte ein Ende des Krieges zu der Aussetzung oder Aufhebung vieler Beschränkungen führen, vor allem im Außenhandel und bei Finanztransaktionen. Für die russischen Importe bedeuteten die vergangenen Jahre einen Dämpfer. Die Rückkehr zum Frieden würde den Außenhandel beleben, auch wenn mit einer Abwertung des Rubels zu rechnen wäre, die üblicherweise zu Importrückgängen führen würde. Denn die Nachfrage nach Devisen (an denen derzeit ein deutliches Überangebot besteht) würde steigen, was auf den Rubelkurs drücken würde. Die Zentralbank könnte ihre Geldpolitik lockern, um die Wirtschaft anzukurbeln und die Kreditkosten für Staat und Unternehmen zu senken. In der Folge würden die Einlagenzinsen sinken, und Anleger würden ihre Anlagen von Rubel-denominierten Anlagen abziehen.
Insgesamt dürften diese Maßnahmen den Wechselkurs deutlich senken. Der Dollar würde über 100 Rubel steigen und sich der Schwelle von 120 Rubel je Dollar annähern. Eine solche Entwicklung würde Unternehmen zu Investitionen und Privatpersonen zu höheren Konsumausgaben ermutigen, da sie steigende Preise befürchten müssten und sich vom fallenden Rubel würden trennen wollen. Außerdem würde die Abwertung die in Dollar ausgedrückten Arbeitskosten in Russland senken, die während der Kriegsjahre enorm gestiegen sind. Denn während der Rubelkurs fast unverändert blieb, stieg der Medianlohn von 35 200 Rubel im Jahr 2021 auf 77 200 Rubel im März 2025.
Auch in Russland gilt: Die Senkung des Leitzinses ist ein starker Anreiz für Unternehmen und Verbraucher; hohe Zinsen schränken dagegen ihre Aktivitäten ein. Im ersten Quartal 2025 sank das Volumen neuer Autokredite im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 45 Prozent, die Hypothekendarlehen sanken um 41 Prozent, das Volumen der Verbraucherkredite nahm sogar nominal ab. Zum ersten Mal seit 2008 zahlten die Haushalte mehr Kredite zurück, als sie aufnahmen. Infolgedessen ging die Neubautätigkeit Anfang 2025 um 23 Prozent zurück, die Verkäufe neuer Personenkraftwagen sanken um 25,3 Prozent, und so weiter. All diese Trends könnten sich umkehren, wenn sich die Richtung auf den Kreditmärkten ändert.
Drittens würde Geld von Bankeinlagen weg und in den Aktienmarkt und den Immobiliensektor fließen. Schon die anfänglichen Zuflüsse würden einen deutlichen Anreiz für Investitionen in beide Sektoren auslösen. Seit Kriegsbeginn ist der in Rubel denominierte Aktienindex der Moskauer Börse um rund 40 Prozent gefallen, während die Immobilienpreise trotz eines Anstiegs der Hypothekenfinanzierung zwischen 2022 und 2024 relativ stabil geblieben sind.
Die „Rückkehr zur Normalität“ könnte durchaus zu einer Wiederbelebung des russischen Aktienmarkts und des Immobiliensektors führen, wenn mehr Investitionsgelder in beide Sektoren fließen und das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Wie gesagt: Die 40 bis 50 Billionen Rubel, die derzeit zurückgehalten werden, haben einen viel größeren Einfluss auf das allgemeine Wirtschaftsgeschehen als die 13 Billionen Rubel, die jährlich an die Armee und die Rüstungsunternehmen fließen. Dabei scheint der russische „Militär-
Keynesianismus“ erschöpft, vor allem, weil fast alle Reservefonds aufgebraucht sind und der Staat begonnen hat, sich Gelder von Unternehmen und Verbrauchern zu holen.
Viertens dürfte die russische Exportindustrie profitieren, vor allem der Erdöl- und Erdgassektor, aber auch andere Branchen. Russland kann dann womöglich seine Gas- und Öllieferungen nach Europa wieder aufnehmen, wo die Gewinne am höchsten waren; die Preisunterschiede zwischen russischen und internationalen Erdölmarken würden sich verringern, ebenso wie die Transaktionskosten. Die von Sanktionen besonders betroffenen Branchen wie die Kohle- und Holzindustrie dürften sich erholen, ebenso die Nichteisenmetallverarbeitung und die Düngemittelproduktion. Insgesamt könnte sich die „Friedensdividende“ aufgrund gestiegener Exporte auf 30 bis 40 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen. Ein vergleichbarer Effekt könnte erzielt werden, wenn auch die westlichen Beschränkungen für die Versorgung Russlands mit Ersatzteilen und Komponenten aufgehoben würden, was diese zum wichtigsten Faktor der bevorstehenden wirtschaftlichen Erholung machen würde.
Fünftens sei erwähnt, dass das Ende des Krieges zu erheblichen Veränderungen bei der Verteilung der russischen Gelder im Ausland führen könnte. Unter dem derzeitigen Sanktionsregime haben die russischen Unternehmen ein Netz von Auslandskonten aufgebaut, auf denen sie erhebliche Mittel geparkt haben – zum einen, um den von der Regierung befohlenen Verkauf von Devisen zu vermeiden, zum anderen, um Importzahlungen zu erleichtern, da diese in vielen Fällen nicht von russischen Konten aus getätigt werden konnten. Niemand weiß genau, wie viel Geld auf diesen Konten lagert, aber es könnten durchaus 200 Milliarden Dollar sein.
Natürlich wird die russische Wirtschaft auch unter veränderten Bedingungen noch Einschränkungen unterliegen. Schon während der Phase des schnellen Wachstums von 2023 bis zur ersten Jahreshälfte 2024 wurden die Produktionsfaktoren maximal ausgelastet. In bestimmten Monaten sank die Arbeitslosigkeit auf nur noch 2,3 Prozent der Erwerbstätigen, und die Kapazitätsauslastung lag bei über 80 Prozent, verglichen mit der historischen Norm von 60 bis 65 Prozent. Die Zahl der jährlich geleisteten Arbeitsstunden nahm zu, ein erheblicher Teil der Arbeitnehmer, die während des Krieges das Rentenalter erreicht hatten, blieb erwerbstätig, und einige, die zuvor in den Ruhestand getreten waren, kehrten in das Berufsleben zurück.
Keine Volkswirtschaft kann einen solchen Zustand lange aufrechterhalten. Er treibt die Inflation in die Höhe, erhöht die Personalfluktuation, verringert die Motivation der Arbeitskräfte, erschwert die Wartung von Anlagen und so weiter. Das weckt Zweifel, ob die russische Wirtschaft in Zukunft wirklich so stark wachsen kann. Noch problematischer wird die Situation, wenn man berücksichtigt, wie dramatisch sich die Haltung gegenüber ausländischen Gastarbeitern in den vergangenen Jahren verändert hat. Zudem hat die Regierung neue Gesetze erlassen, die ihren Aufenthalt im Land erschweren.
In der Folge sank die durchschnittliche Zahl ausländischer Arbeitskräfte 2024 auf den niedrigsten Stand seit 2013. Zugleich ging die Zahl der Einbürgerungen im Vergleich zu 2023 um das mehr als 2,5-fache auf nur 209 000 Personen zurück. Ohne mehr Wettbewerb auf dem Arbeitsmarkt dürfte die Rubelabwertung aber nicht ausreichen, um die Gesamteffizienz russischer Unternehmen zu verbessern und für Wirtschaftswachstum zu sorgen.
Gut beherrschbar
Die russische Wirtschaft wird also kaum florieren, sobald – und weil – Putins Krieg in der Ukraine beendet ist. Nach wie vor ist sie mit zahlreichen Schwierigkeiten konfrontiert. Unserer Meinung nach wird es ihr aber nach Kriegsende definitiv besser gehen, als wenn die Kämpfe in der Ukraine weitergehen. Denn dann muss der russische Staat immer mehr Mittel in die militärische Produktion und die Versorgung der Armee fließen lassen und versuchen, Investoren ihr Eigentum zu entziehen. Außerdem würde das Land neuen Sanktionen ausgesetzt sein, die die westlichen Mächte für den Fall einer Fortsetzung des Krieges angekündigt haben.
Die „Friedensdividende“ aufgrund gestiegener Exporte könnte sich auf 30 bis 40 Milliarden Dollar pro Jahr belaufen
Russland wird noch mehrere Jahre lang in der Lage sein, den laufenden Krieg zu finanzieren. Allerdings wird dies erhebliche Unterinvestitionen in kritische Infrastrukturen sowie die Streichung der Mittel für Sozialprogramme erfordern – ganz zu schweigen von steigenden Haushaltsdefiziten. Das Problem, das für das Jahr 2025 deutlich erkennbar ist, besteht in der Erschöpfung des russischen „Militär-Keynesianismus“, der offenbar kein nennenswertes Wachstum mehr generieren kann. Die einzige Möglichkeit, ihn wiederzubeleben, besteht darin, dem Staat neue Geldquellen zu erschließen. Doch gibt es hier keine guten Optionen, da jede Zwangsmaßnahme das Vertrauen der Bevölkerung in die Regierung untergraben würde.
Die negativen wirtschaftlichen Folgen eines Friedens wären relativ gut beherrschbar. Durch die Reduzierung der Militärausgaben kann die Regierung sowohl die Konsum- als auch die Investitionsnachfrage deutlich steigern, indem sie die Zinsen senkt und die Programme wieder aufnimmt, die zu Beginn der wirtschaftlichen Überhitzung ausgesetzt wurden. Die „Friedenswirtschaft“ mag nicht alle Probleme lösen, erscheint aber als bessere Alternative zur „Kriegswirtschaft“. Es gibt keinen einzigen Grund zu der Annahme, dass eine solche Umstellung die Macht des Kremls untergraben würde und als etwas verstanden werden sollte, das er sich „nicht leisten kann“.
Aus dem Englischen von Bettina Vestring
Internationale Politik 4, Juli/August 2025, S. 71-77
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