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01. Apr. 2006

Reich – und hilflos ausgeliefert

Die andauernde Ausplünderung des Kongos

Die ersten Wahlen im „Herz der Finsternis“ sind ein wichtiger Schritt zur Stabilisierung. Sie werden jedoch vorerst nichts an der rücksichtslosen Interessenpolitik derer ändern, die seit einem Jahrzehnt vom Chaos in der Demokratischen Republik Kongo profitieren.

Die vor bald einem Jahrzehnt, mit dem Abkommen von Lusaka 1999 begonnenen internationalen Bemühungen zur Befriedung des Kongos und seiner Wiederherstellung als funktionierender Staat treten in diesem Jahr in ihre entscheidende Phase. Mit der Organisation der ersten umfassenden freien Wahlen seit der Unabhängigkeit soll die im Dezember 2002 in Pretoria vereinbarte Übergangsperiode zwischen Bürgerkrieg und gesamtstaatlichem Neubeginn zu Ende gehen. Wenn keine weiteren Verzögerungen eintreten, wird der Kongo im September ein neues Zwei-Kammern-Parlament, Provinzparlamente und einen neuen Präsidenten haben. Die neue Verfassung ist nach einem erfolgreichen Referendum im Dezember 2005 inzwischen in Kraft getreten. Ihre Bestimmungen lösen die Regelungen der Übergangsverfassung schrittweise ab: Sie werden wirksam, sobald die neuen Personen und Institutionen gewählt sind.

Die Wahlen sind jedoch nicht mehr als der erste Schritt des Kongos in eine neue Periode seiner Geschichte, die bislang vor allem von Misswirtschaft, Gesetzlosigkeit, Unordnung und Ausbeutung bestimmt gewesen ist. Die Stationen sind bekannt: von der durch den Berliner Kongress 1885 sanktionierten Privatkolonie Leopolds II. über die staatlich-belgische Herrschaft von 1909 bis 1960, eine katastrophale Entkolonisierung ohne jegliche Vorbereitung, sodann drei Jahrzehnte der Kleptokratie Mobutus bis zu einer Implosion in acht Jahren Krieg und der Selbstauflösung der Strukturen. Kein anderes Land des Kontinents trägt eine vergleichbare historische Last auf seinen Schultern.

Andere Nachkriegssituationen in Afrikas jüngster Geschichte haben gelehrt, dass Wahlen allein den Ausweg nicht weisen können. Zwar geht es nicht ohne sie, doch muss man sie einbetten in ein breit gefächertes und langfristig angelegtes Stabilisierungsprogramm. Für den Kongo bedeutet dies vor allem, seine innere Ordnung zu finden, rechtsstaatliche Grundlagen zu legen und das Land aus der Rolle des weitgehend passiven Opfers der Interessen anderer herauszuführen. Der Kongo muss ein seinem potenziellen Gewicht entsprechender Akteur Zentralafrikas werden. Nationalstolz und staatliches Selbstbewusstsein, derzeit kaum noch existent, müssen von demokratisch legitimierten Führern wiederbelebt werden. Nur dann kann die Abhängigkeit von internationaler Hilfe allmählich vermindert werden, nur dann kann man anfangen, ernstlich von „ownership“ und „empowerment“ zu sprechen, den gegenwärtigen Leitbegriffen für die Entwicklung Afrikas.

Ob es, und falls ja, wie rasch es dazu kommt, ist heute völlig offen. Der Kongo als Objekt fremder Begierden, als leichte Beute für Rohstoffräuber, ist strukturell und moralisch so tief gefallen, dass man hier in Jahrzehnten wird denken müssen. Zu stark ist das aggregierte Interesse der versammelten Profiteure am Status quo. Damit die Dimension dieses Zustands einigermaßen erfassbar wird, sollen hier zunächst die zahlreichen fremden und internen Interessen beschrieben und dann die Bedingungen genannt werden, unter denen sie wirksam begrenzt werden könnten.

Staatliche Ordnung vorausgesetzt, könnte der Kongo – statt gemäß UNDP-Statistik unter den zehn ärmsten Ländern der Welt – unter den fünf reichsten Schwarzafrikas sein. Seine nachgewiesenen Bodenschätze weisen ihm mit Südafrika den Spitzenplatz auf dem Kontinent zu. Sein Wasserkraftpotenzial macht ihn zum potenziellen Energielieferanten für halb Afrika. Die Pläne für die dazu erforderlichen Kraftwerke liegen in den Schubladen der Weltbank. Die Holzreserven des noch einigermaßen intakten Tropenwalds sind die größten der Welt und harren der ökologisch korrekten wirtschaftlichen Nutzung. Und trotz dieses immensen Potenzials entspricht der Staatshaushalt dem Budget einer kleineren deutschen Großstadt – und ist dabei zu 57 Prozent geberfinanziert.

Wohin fließen also die Einnahmen aus der Ausbeutung der kongolesischen Rohstoffe? Es hat mehrere internationale Versuche gegeben, dies zu ermitteln,1 und zuletzt auch einen bemerkenswerten Bericht im Auftrag des Übergangsparlaments, der vom Oppositionsabgeordneten Christoph Lutundula verfasst worden ist und ein halbes Jahr unter der Decke gehalten wurde, jetzt aber zur Verfügung steht.2 Trotz der Brisanz dieses Berichts für den beginnenden Wahlkampf hat eine öffentliche Diskussion in Kinshasa bislang nicht stattgefunden.

Die Wahrheit ist bekannt, aber es folgen keine Konsequenzen

Die skandalöse Wahrheit ist also weitgehend bekannt, aber Konsequenzen bleiben aus. Rekapitulieren wir zunächst, wer alles von der Schwäche des Landes profitiert. Dies sind zuerst die östlichen Nachbarn Uganda und Ruanda, jedoch indirekt auch Sambia.

Uganda ist wichtigster Nutznießer der Ausplünderung des Ituri-Distrikts. Westlich des Albert-Sees liegen dort Afrikas zweitgrößten Goldreserven. Schon zu Mobutus Zeiten war die Staatsgewalt in Ituri schwach, und während des Krieges seit 1996 brach sie vollends zusammen. Ugandische Truppen hielten Ituri bis Anfang 2003 besetzt und sicherten ihren Einfluss auch nach ihrem Abzug durch die Bewaffnung konkurrierender Milizen, die Gold und Tropenholz nach Uganda schafften. MONUC konnte nachweisen, dass Uganda 2004 Gold im Werte von über 60 Millionen Dollar exportiert, dabei selbst jedoch nur im Wert von neun Millionen Dollar gefördert hat. Die Differenz kann nur aus illegaler Einfuhr aus Ituri stammen.

Ruanda hat über Mittelsmänner in den westlich angrenzenden Provinzen Nord- und Südkivus in den letzten fünf Jahren regelmäßig zwischen 400 und 1800 Tonnen Kassiterit, ein seit längerem hochpreisiges Zinnerz, bezogen,3 ohne dass diese Importe in den Statistiken erscheinen. Kassiterit wird in denselben Gegenden wie Coltan gewonnen, das bis zum Preisverfall 2001 die Haupteinnahmequelle der Ruanda beliefernden bewaffneten Gruppen in den Kivu-Provinzen war. Ruanda verdankt einen wesentlichen Teil seiner Stabilität dieser von den Behörden in Kinshasa nicht kontrollierten Ausbeutung.

Sambia profitiert von der andauernden Kupfer- und Kobalthausse, die unter normalen Bedingungen der Provinz Katanga eine wirtschaftliche Blüte bescheren müsste. Dies ist eine unmittelbare Folge des weitgehenden Zusammenbruchs des offiziellen Bergbaus. Die beiden stets zusammen vorkommenden Metalle, zu Mobutus Zeiten durch die staatliche Monopolgesellschaft Gécamines abgebaut, stellen keine wesentliche Einnahmequelle für Kinshasa mehr dar. „Asset stripping“ in großem Stil hat aus Gécamines eine leere Hülle gemacht, seit Kabila der Ältere (2001 ermordet und von seinem Sohn Joseph im Präsidentenamt beerbt) Konzessionen an internationale Bergbaugesellschaften vergeben hat, die keinen Niederschlag bei den staatlichen Einnahmen fanden, dafür aber der Mehrung des Familienvermögens dienten.

Mit der Austrocknung des Bergbaukomplexes Gécamines ging eine anarchische Zunahme des Individualbergbaus einher. Niemand kontrolliert die Hunderttausenden von Kupfergräbern in Katanga,4 die in kleinen Gruppen den Rohstoff abbauen, der dann von Händlern zur weiteren Veredelung nach Sambia verbracht wird. Dies sichert zwar das Überleben der illegalen Gräber, verlagert jedoch die eigentliche Wertschöpfung ins Nachbarland, wo unter chinesischer Kontrolle im Wege industrieller metallurgischer Prozesse der Kobaltgehalt pro Kubikmeter Abraum verdoppelt wird. Das statistische Ergebnis dieses wirtschaftlich und sozial katastrophalen Zustands ist, dass weniger als zehn Prozent der exportierten Kobaltmenge in den Zahlen der Zentralbank erscheinen.

Große internationale Bergbaugesellschaften, darunter Anglogold, Adastra, Anvil, Phelps Dodge, De Beers und Alrosa, haben seit dem weitgehenden Zusammenbruch staatlicher Kontrolle in unterschiedlichem Ausmaß ihre Möglichkeiten genutzt. Ob und inwieweit sie dabei die OECD-Regeln5 beachtet haben, ist seit mehreren Jahren Gegenstand des Interesses der Vereinten Nationen6 und mehr noch einiger Nichtregierungsorganisationen wie International Crisis Group, Global Witness, Human Rights Watch, RAID und Transparency International. Diese aufmerksamen Beobachter der Entwicklungen im Kongo haben sich große Verdienste erwiesen und einheimischen Kritikern wie dem bereits genannten Abgeordneten Christophe Lutundula den Mut und die Hilfestellung gegeben, den fortgesetzten Skandal zu einem der großen Probleme des Landes zu erklären.

Die Regelverletzungen sind gut dokumentiert und es genügt, einige davon kurz und beispielhaft zu rekapitulieren. Anglogold hat sich die Sicherheit seiner 2003 unmittelbar mit Präsident Kabila vereinbarten Konzession für die Goldmine von Mongwalu (Ituri) von der örtlichen Miliz erkauft, bis MONUC 2005 in der Lage war, diese zu neutralisieren. Anvil Mining hat zugelassen, dass unkontrollierte Elemente der Armee die Fahrzeuge der Gesellschaft nutzten, um bei der Rückeroberung einer zuvor von Anvil ausgebeuteten Mine im Osten Katangas ein Massaker mit über 70 Toten zu veranstalten. Als dies in Australien bekannt wurde, fielen Anvils Aktien deutlich. Phelps Dodge hat unter wenig transparenten Umständen noch im August 2005, also bei absehbarem Ende des Übergangsregimes in Kinshasa, mit Kabilas Einverständnis die Konzession zum Abbau der größten bislang unberührten Kupferreserven der Welt erworben, der Region Tenke-Fungurume in der Provinz Katanga. Allein die dort bisher nachgewiesenen Reserven von sieben Millionen Tonnen Kupfer und 1,5 Millionen Tonnen Kobalt sind nach heutigen Preisen 90 Milliarden Dollar wert, was etwa 50 Jahresbudgets des Landes entspricht. Nun sind 85 Prozent der Schürfrechte für ganze 15 Millionen Dollar (dies ist die offizielle Konzessionsgebühr) an Phelps Dodge gegangen, ein, gelinde gesagt, erklärungsbedürftiger Vorgang.7 Es nimmt nicht Wunder, dass Lutundula in seinem Bericht ans Parlament die Annullierung und Neuverhandlung dieses Vertrags fordert.

Ein nicht weniger düsteres Kapitel der ökonomischen und sozialen Realität des Kongos ist der Diamantenabbau und -handel. Die Umstände der Rohstoffgewinnung erinnern an Beschreibungen der Zustände in Südafrika vor 100 Jahren. Hunderttausende graben und suchen unter grauenerregenden Bedingungen auf eigene Rechnung, die zumeist bei unter einem Dollar pro Tag liegt. Zwar ist der Kongo Mitglied des Kimberley-Prozesses, doch wird nur ein Teil der Ausbeute nach dessen Regeln behandelt. Ein dichtes von libanesischen Familien kontrolliertes Händlernetz arbeitet, mit flexiblen Proportionen, teils legal, teils illegal. Unter dubiosen Umständen ist noch zu Lebzeiten von Kabila sen. eine Milliardenkonzession an den israelischen Geschäftsmann Dan Gertler vergeben worden, der seinerseits mit dem russischen Alrosa-Konzern verbunden ist, der für ein Viertel der Weltproduktion an Diamanten steht. Diamanten lassen sich bekanntlich besonders leicht schmuggeln, und der Kongo hat viele undichte Grenzen. Den Rest kann man sich vorstellen.

Russland und China torpedieren internationale Bemühungen

Dieser nur recht grobe Überblick über ausländische Partikularinteressen, die einer Normalisierung der Verhältnisse entgegenstehen, wäre unvollständig ohne die Erwähnung der beiden ständigen Sicherheitsratsmitglieder, die bis heute alle Bemühungen des UN-Generalsekretärs vereitelt haben, ökonomische Transparenz und gute Regierungsführung als Arbeitsziele im Mandat von MONUC, der UN-Mission im Kongo zu verankern. Russland und China haben sich 2005 nicht darauf einigen können, MONUC zur Einrichtung einer gemeinsamen Kommission zu ermächtigen, in der – wie bei der Vorbereitung der Wahlen, der Gesetzgebung und der Reform von Armee, Justiz und Polizei – internationale und nationale Akteure regelmäßig miteinander am Tisch sitzen. Die Uneinigkeit im Sicherheitsrat haben die an Transparenz und guter Regierungsführung nicht interessierten Akteure der Übergangsregierung rasch erkannt und dazu genutzt, alle Versuche der internationalen Gemeinschaft in Kinshasa, hierfür einen Konsultationsmechanismus zu finden, zu torpedieren.

Warum sperren sich Russland und China gegen mehr Transparenz? Sehr viel diskreter als die Nachbarländer Uganda und Ruanda haben beide Mächte Wege gefunden, die chaotische Lage im Kongo zu ihrem Vorteil zu nutzen. Im Austausch von Waffen und Diamanten sind russische Interessen dominant. Erleichtert wird dies in der Praxis durch die weitgehende Beherrschung des zentralafrikanischen Luftfrachtverkehrs durch russische Besatzungen, die nach dem Ende der Sowjetunion Militärflugzeuge nach Afrika verbracht und „privatisiert“ haben. Es gilt die Regel, dass der Pilot nicht nach dem Inhalt der Fracht fragt. Illegalem Handel sind damit praktisch keine Grenzen gesetzt.

Die chinesische Strategie zur Gewinnung wirtschaftlichen Einflusses in Afrika ist in jüngster Zeit mehrfach analysiert worden.8 Für den Kongo basiert sie in erster Linie auf gewaltiger Rohstoffnachfrage, insbesondere nach Kupfer. International eingeforderte Kriterien wie staatliche Ordnung, gute Regierungsführung und Beachtung der Menschenrechte fallen für Peking bei der Verfolgung von Wirtschaftsinteressen nicht ins Gewicht. Mehrere Tausend chinesische Arbeiter sind in Katanga und südwestlich von Kinshasa an der Atlantik-Küste tätig, wo Ölvorkommen ausgebeutet wurden, ohne dass dies zu staatlichen Einnahmen führt. China nutzt das Fehlen staatlicher Strukturen auch zur sozial rücksichtslosen Zerstörung des ohnehin schwachen innerkongolesischen Textilmarkts. Fabriken werden aufgekauft, die einheimischen Stoffmuster kopiert und sodann in China billiger produziert. Danach werden die Fabriken im Kongo geschlossen. Niemand scheint sich dagegen wehren zu können. Die kongolesischen Politiker beginnen zu verstehen, dass ihnen hier ein neuer Kolonialismus droht, dem sie im Augenblick nichts entgegenzusetzen haben.

Schließlich sei erwähnt, dass insbesondere in den rohstoffreichen Provinzen Katanga und Kasai zahlreiche südafrikanische Firmen tätig sind, die ebenfalls von der quasi gesetzlosen Situation profitieren. Insgesamt jedoch spielt Südafrika, als die Region dominierender Staat ebenso wie von Seiten seiner mächtigen privaten Akteure, eine konstruktive Rolle im Kongo und dürfte künftig dessen wichtigster Partner bei großen Infrastrukturprojekten vor allem auf dem Energiesektor werden.

Südafrika und die EU sind zuverlässige Partner

Damit sind wir bei denjenigen internationalen Partnern des Landes, die sich verpflichtet fühlen und bereit sind, dem Kongo mit langem Atem, Festigkeit und Geduld aus seiner desolaten Lage herauszuhelfen. Ohne den zumeist klaren Kurs und ohne die regelmäßigen Interventionen Südafrikas und der Europäischen Union wäre der Übergangsprozess seit 2003 zweifellos mehrfach aus dem Gleis geraten. Ohne diese beiden wichtigsten Stabilisatoren des Landes wird es auch künftig nicht gehen. Zugleich dürfen Weltbank und Währungsfonds nicht immer wieder die Augen zudrücken wie sie dies gerade im Kongo allzu oft getan haben. Im Umfeld einer kaum entwickelten politischen Kultur und völlig verrotteten Finanzmoral kommt nach den Wahlen in diesem Sommer alles darauf an, die neuen Führer und Institutionen intensiv zu begleiten und ihnen die Vorzüge ordentlicher Verwaltung und Wirtschaftsführung nahe zu bringen. Der Kongo hat zum ersten Mal eine Chance zur Selbstbefreiung. Internationale Aufmerksamkeit und die Bereitschaft zu helfen sind so groß wie nie zuvor. Es gibt – im Gegensatz zu 1960 – eine gut ausgebildete Elite, die Verantwortung übernehmen kann. Sie muss aber in ihrer Moralität und ihrem Verständnis des Gemeinwohls gestärkt werden. Es gibt eine schon weitgehend konkretisierte und programmierte Entwicklungsstrategie, bei der die Bretton-Woods-Institutionen die Führung übernehmen müssen. Die Befriedung der Ostregionen, insbesondere mit Hilfe der Blauhelme, kommt voran. Es gibt ein gutes Bergbaugesetz – man muss es nur anwenden. Und es gibt mehr Stabilität ringsum als vor dem Krieg: Angola ist befriedet, Südafrika stabil, und die Nachbarn Uganda und Ruanda könnten bei entsprechendem Einsatz ihrer Freunde wohl überzeugt werden, dass sie auch mit legalem Rohstoffimport aus dem Kongo leben können.

So lässt sich resümieren, dass die Startbedingungen für den neuen Kongo so schlecht nicht sind. Die nächste Phase erfordert allerdings große Umsicht und unverminderte internationale Präsenz. Zwei große Prioritäten gibt es jetzt: Die Befriedung des Ostens muss abgeschlossen werden. Hierzu bedarf es einer Armeereform, die diesen Namen verdient: Der Kongo braucht ein nicht zu großes Heer, korrekt ausgerüstet, professionell geführt, regelmäßig ernährt und bezahlt – andernfalls wird es im Osten des Landes keine Sicherheit für die geschundene Bevölkerung geben. Die Blauhelme werden nicht ewig bleiben; denn schon hört man in New York den sehr verfrühten Ruf nach einer „Exit Strategy“. Die zweite Priorität ist die Herstellung staatlicher Strukturen, die diesen Namen verdienen. Ein starker Staat mit funktionierenden Kontrollmechanismen ist unerlässlich. Die neue Verfassung des Kongos macht ihn möglich, es bedarf nur des nötigen politischen Willens.

Hilfreich und sinnvoll wäre eine Struktur internationaler Partnerschaft, etwa durch Errichtung einer Agentur für Wiederaufbau nach dem Modell des Stabilitätspakts für den Balkan, die die öffentliche Auftragsvergabe kontrolliert und die fragwürdigen Bergbaukonzessionen der jüngsten Vergangenheit revidiert. Ziel der Bemühung muss es sein, den immensen Reichtum des Landes endlich dem Kongo selbst und seinen Bürgern zugute kommen zu lassen. Bei guter Planung und Organisation der nächsten Phase ist es denkbar, dass das Land in zehn Jahren seine Entwicklung allein finanzieren kann. Erst dann wird der Kongo seine von der Natur vorgezeichnete Rolle als Schwergewicht südlich des Äquators  einnehmen können. Hierfür bedarf es uneigennütziger, entschlossener und selbstbewusster politischer Führung wie sie das Land bislang nie gekannt hat. Bis zu den Wahlen, und vermutlich auch darüber hinaus, bleibt fraglich, ob man darauf hoffen kann.

Dr. ALBRECHT CONZE, geb. 1954, ist seit 1981 im Auswärtigen Amt; Stationen in Hongkong, Peking,

  • 1 International Crisis Group, Human Rights Watch, Global Witness und RAID (Oxford) haben sich besondere Verdienste erworben. Einzelheiten auf den jeweiligen Websites.
  • 2 Der volle Text ist zu finden unter www.freewebs.com/congo-kinshasa.
  • 3 Global Witness: Under-Mining Peace: the explosive trade in casserterite in Eastern DRC, Washington Juni 2005.
  • 4 Zur Rohstoffausbeutung in Katanga umfassend Global Witness: Rush and Ruin, The Devasta- ting Mineral Trade in Southern Katanga, Washington, September 2004 sowie zuletzt Internatio- nal Crisis Group: Katanga – The Congo’s forgotten crisis, Africa Report Nr. 103, Januar 2006.
  • 5 OECD Guidelines for Multinational Enterprises, siehe www.oecd.org.
  • 6 Der Bericht des Kassem-Panels (Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resour- ces and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of Congo) an den Sicherheitsrat vom 23. Oktober 2003 (S/2003/1027) sties nicht auf ungeteilte Zustimmung des Sicherheitsrats. Das Mandat des Panels wurde nicht erneuert. Seitdem sind Berichte zu diesem Thema nur noch von den in Anm. 1 genannten und weiteren Nichtregierungsorganisationen vorgelegt worden.
  • 7 Phelps Dodge gibt auf seiner Internetseite selbst weitreichende Auskunft über das Projekt. Die Zahlen stammen vom früheren Generaldirektor der Gécamines, Robert Crem, veröffentlicht am 8. März 2006 auf www.congolite.com.
  • 8 Guter Überblick bei Princeton Lyman: China’s Rising Role in Africa, Council on Foreign Relations, Washington, Juli 2005.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2006, S. 42 - 48

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