Abschied vom Fatalismus
Einst weit abgeschlagen, ist Afrika jetzt ein Kontinent im Aufbruch
Jahrzehnte stand der Kontinent für Krankheit, Krieg und Korruption, Hunger und Hoffnungslosigkeit. All dies ist nicht über Nacht verschwunden. Aber jetzt geht die Rede von Entwicklung und Emanzipation: Dank moderner Kommunikationstechnologien, einer wachsenden Mittelschicht und dem Willen der Afrikaner, ihr Schicksal selbst zu bestimmen.
Afrikas Wirtschaft ist seit der Jahrtausendwende kräftig gewachsen, von der Krise 2008 kaum berührt. Es gibt weniger bewaffnete Konflikte, eine wachsende Mittelklasse, häufiger faire Wahlen, mehr regionale politische Integration, mehr Mädchen, die zur Schule gehen und eine bessere Kontrolle von Malaria und HIV/Aids. Allmählich verschwinden die alten Machthaber, die ihre Taschen füllten und ihre Länder ruinierten. Hat Afrika das Schlimmste hinter sich? Wird der Kontinent ebenfalls seinen Weg aus der Armut finden? Noch ist dies Zukunftsmusik, aber es gibt bemerkenswerte Entwicklungen. Afrikaner beginnen, eigene Antworten auf ihre brennenden Fragen zu finden.
Auf der Weltbühne probiert Afrika ein neues Rollenfach, jenseits von Befreiungsideologie, Opferrhetorik und ständigen Hilferufen. Man hört weniger Lamento und mehr Selbstkritik; weniger Emotionales und mehr vernünftige Argumentation. Afrikanische Intellektuelle scheuen sich nicht mehr, dem neuen Wohltäter China Paroli zu bieten. Sie verweigern Fatalismus, zeigen uns, dass Afrika nicht mehr der verlorene Kontinent ist, abgekoppelt vom globalen Fortschritt, sondern Teil unserer einen Welt. Die Stimmen kommen von überall her aus Afrikas aufstrebender Mittelschicht. Sie mögen uns als Diskurs einer Avantgarde erscheinen, aber die ihrer Theorien so sicheren westlichen Entwicklungsingenieure, die immer noch glauben, man könne Armut von außen beseitigen, sollten genauer hinhören. Es ist höchste Zeit, Mitleid als Kategorie westlicher Afrika-Politik aufzugeben, falsch, stets zuerst Hilfe im Sinn zu haben und töricht, für Afrika zu denken und zu planen. Der Kontinent entwickelt sich schneller als noch vor einer halben Generation. Wer daran partnerschaftlich teilhaben will, der sollte jetzt seine Urteile neu sortieren.
Seit der Entkolonialisierung hat Subsahara-Afrika mindestens zwei Mal seinen eigenen Weg zu finden versucht: nach der großen Unabhängigkeitswelle zwischen Sahara und Sambesi um 1960 und nach dem Ende des Kalten Krieges, als die Macht einiger „Großer Männer“ von demokratischen Bewegungen erfolgreich angefochten wurde.
Beide Male wurden die Hoffnungen zerstört. In den siebziger Jahren stürzten Militärs reihenweise zivile Regierungen, erstickten die politische Emanzipation im Keim und öffneten der Misswirtschaft Tür und Tor. In den neunziger Jahren wurden in Afrika mehr Kriege geführt als je zuvor seit 1960. Zwischen 1989 und 2004 mussten UN-Blauhelmtruppen in 15 afrikanischen Ländern intervenieren. Die Rohstoffpreise befanden sich im Keller, und die noch nicht erlassenen Auslandsschulden lähmten die Wirtschaft. Die asiatischen Tigerstaaten und dann China versetzten die Welt in Erstaunen. Afrika schien hoffnungslos hinterherzuhängen.
Afrikas zweifaches Scheitern verfestigte seinen internationalen Ruf als hoffnungsloser Fall. Offensichtlich unfähig zur Regelung seiner Angelegenheiten, bedurfte der Kontinent fortwährend neuer internationaler Hilfe verschiedenster Art. Während die USA und viele europäische Staaten ihre Unterstützung aufstockten, die Millenniumsentwicklungsziele konzipierten und einen Großteil der afrikanischen Schulden abschrieben, begann China, Afrikas Infrastruktur zu entwickeln und im großen Stil Rohstoffe ohne weitere örtliche Veredelung und Wertschöpfung auszubeuten, oft auf Basis intransparenter Verträge. Westliche Staaten mit starker protestantischer Tradition behandelten Afrika – mit der Erinnerung an Kolonialismus und Sklavenhandel im Hinterkopf – aus der verzerrten Perspektive ihres schlechten Gewissens. Noch 2004 veröffentlichte das Brooking Institute unter Leitung von Jeffrey Sachs eine Studie über die Beseitigung der afrikanischen Armutsfalle. Unter den Autoren befand sich kein einziger Afrikaner.
Wachstumskontinent Afrika
In acht der zehn vergangenen Jahre war das Wachstum Subsahara-Afrikas größer als das Ostasiens. Der IWF erwartet, dass Afrikas Wirtschaft 2012 um 5,75 Prozent gewachsen sein wird, in einigen Ländern mit Raten von über 10 Prozent. Die Weltbank glaubt, dass Afrika kurz vor einem ökonomischen Höhenflug steht, ähnlich wie China vor 30 und Indien vor 20 Jahren.
Die Produktivität stieg durchschnittlich um 2,7 Prozent jährlich, der Handel zwischen Afrika und dem Rest der Welt wuchs seit 2000 um mehr als 200 Prozent, die Inflation fiel von 22 Prozent in den neunziger Jahren auf 8 Prozent in der Dekade seit 2000. Die Auslandsverschuldung ging um ein Viertel zurück und die Haushaltsdefizite sanken im Durchschnitt um zwei Drittel. Auslandsinvestitionen steigen seit 2000 kontinuierlich. Ausländische Investoren planen heute auf lange Sicht. Für das Jahr 2015 liegt die Prognose für in Afrika investiertes Kapital bei 150 Milliarden Dollar. Auch Afrikaner investieren vermehrt in anderen Ländern der Region – die Binnenbeziehungen verdichten sich. Investoren aus Schwellenländern nutzen Chancen in Afrika schneller als solche aus Industriestaaten. Westliche Akteure müssen sich jetzt positionieren, wenn sie weiter ihren Zugang zu Afrikas Rohstoffen sichern wollen. China hat sich hier in sehr kurzer Zeit langfristige Vorteile verschaffen können.
Vier Faktoren sprechen für Afrikas Aufschwung und Emanzipation in den kommenden Jahren.
Mobiltelefonie und Internet
Viele von Afrikas neuen Milliardären sind Netzbetreiber. Die Verfügbarkeit von Mobiltelefonen hat die neue afrikanische Mittelschicht gestärkt. In Stadt und Land, rund um die unzähligen Märkte, ist der Handel effizienter geworden. Kenia ist führend bei der raschen Verbreitung von Bankgeschäften via Internet, andere Staaten folgen. Die ersten Wahlen in Afrikas größtem Flächenstaat, der Demokratischen Republik Kongo, hätten 2006 ohne Einsatz von Mobiltelefonen nicht stattfinden können. Selbst aus entlegenen Wahllokalen gelangten die Ergebnisse per SMS zur zentralen Wahlkommission. Mobiltelefone haben auch die Arbeit von Bürgerrechtsaktivisten und Oppositionsbewegungen erleichtert. Afrikaner verfügen heute über Möglichkeiten der Kommunikation, die noch vor kurzer Zeit unerreichbar und unerschwinglich waren. 1998 gab es vier Millionen Mobiltelefone; zehn Jahre später waren es 260 Millionen; das Wachstum ist ungebrochen.
Das Internet verbreitet sich weniger schnell. Schuld daran ist vor allem die vielerorts mangelhafte Stromversorgung. Aber auch Regierungen stehen im Weg. Oft halten sie die Kosten künstlich hoch oder behindern anderweitig den Zugang zum Netz. Doch werden Breitbandverbindungen jetzt zügig ausgebaut, weshalb die Preise früher oder später sinken müssen. Im Juli 2009 wurde vor der afrikanischen Ostküste ein Glasfasernetz in Betrieb genommen, das Afrika direkt mit Europa und Südasien verbindet. Viele Länder der Ostküstenregion haben nun Zugang zum Internet mit großer Bandbreite. Auch E-Government ist keine Utopie mehr. Südafrika und mehrere ostafrikanische Staaten haben mit der Einführung begonnen.
Bessere Regierungsführung
Demokratie ist noch längst nicht die vorherrschende Regierungsform. Nur in wenigen Staaten hat sie bisher Fuß gefasst; meist sind sie klein und verfügen über besondere Voraussetzungen. Doch erkennt man vielerorts positive Tendenzen, oft weitsichtig unterstützt vom Westen. Aufbau und Stärkung von Institutionen, Ermutigung und Ertüchtigung der Bürgergesellschaft sind die Domäne europäischer und nordamerikanischer Partner. Ihr Rat und ihre Hilfe sind gefragt. Hier glänzen China, Russland und die Schwellenländer durch Abwesenheit.
Wichtiger als westliche Hilfe ist allerdings die innere Dynamik von Gesellschaften und ihren Eliten, die den politischen Status quo nicht mehr hinnehmen wollen und Reformen fordern. Afrikas Wandel zu mehr Rechtsstaatlichkeit und besserer Verwaltung kommt heute vor allem von innen. Man hat gelernt, die eigenen Forderungen besser durchzusetzen. Demokratische Verfahren werden dabei immer häufiger bevorzugt. In der Oppenheimer Lecture von 2012 nannte der angesehene ghanaische Anwalt Nana Akufo-Addo die Verbreitung von Demokratie in Afrika während der vergangenen 20 Jahre „überwältigend“. Dies habe das Jahr 2011 mit Wahlen in 27 Ländern eindrucksvoll bestätigt – als „Anfang vom Ende eines 50-jährigen Krieges um Demokratie“.
Besseres Regieren erfordert vor allem bessere Politiker. Der Generationswechsel in Afrika birgt hierfür Chancen. Akufo-Addo sieht „die Zeit der passiven Staatsbürgerschaft in Afrika“ zu Ende gehen. „Für leere Versprechen von Politikern hat die junge und enthusiastische Facebook-Generation keine Zeit.“ Aber warum steht Afrika sich bis heute immer wieder selbst im Wege?
Die wohl schlüssigste Antwort darauf liegt in einer kulturellen Eigenart: dem in ganz Afrika tief verwurzelten Respekt vor dem Alter. Er mag hier und da stabilisierend wirken. Doch wird der Respektreflex der Jüngeren skrupellos ausgenutzt von denen, die am meisten von ihm profitieren: Afrikas alte Staatsmänner. Viele von ihnen sträuben sich, ihre Posten nach Mandatsablauf zu räumen und ändern lieber Verfassungen, um auf Lebenszeit an der Macht zu bleiben. Altersgemäßen Rückzug ins Privatleben können oder wollen sie sich nicht vorstellen. Verständlich, wenn es keine Altersversorgung gibt und ein gieriger Clan und eine Unzahl von Klienten weiterhin durchgefüttert werden wollen. Oft auch haben zu viele Jahre allzu großer Macht Leichen im Keller angesammelt. Wer will sich schon der Strafverfolgung durch einen Nachfolger aussetzen oder sich gar in Den Haag wiederfinden?
So klammern sich die alten Despoten weiter an ihre Macht, unterstützt von all jenen, die ihnen jahrelang zum eigenen Vorteil gefolgt sind. Die Unfähigkeit, von der Macht zu lassen, führt zu absurden Konstellationen. So in Kenia, wo eine dysfunktionale Koalition – gewiss der beste Ausweg aus einer blutigen Staatskrise – über 100 Minister beschäftigt; oder in Simbabwe, wo Wasser und Feuer gemeinsam zu regieren versuchen. Immer wieder gibt es Übergangsregierungen, die länger im Amt bleiben als sie sollten.
Afrikas neue Mittelschicht versucht, den traditionellen Fatalismus hinter sich zu lassen, der den Kontinent jahrhundertelang gefesselt hat. Illegitime Regierungen werden heute weit weniger geduldig hingenommen. So entledigten sich die Senegalesen 2012 an der Wahlurne eines 85-jährigen Präsidenten, der unter Missachtung der Verfassung zum dritten Mal angetreten war. In Benin sammelte eine Gruppe junger, mutiger Menschen 2006 genug Unterstützung für ihr Begehren, den alternden Präsidenten nach 24 Jahren Amtszeit von einer Wiederwahlkampagne abzubringen. Er kapitulierte vor der geballten Unzufriedenheit seines Volkes und zog sich zurück.
Umfragen zeigen, dass sich eine große Mehrheit von Afrikanern regelmäßige, freie und korrekte Wahlen als Methode für die Bestimmung politischer Entscheidungsträger wünscht. Ein gutes Beispiel für den Trend zu besserer Regierungsführung ist Ghana. Obwohl der vor kurzem verstorbene Präsident die Wahlen nur mit hauchdünnem Vorsprung gewonnen hatte, akzeptierte sein Gegner das Ergebnis. Es fiel kein einziger Schuss, was Skeptiker Lügen strafte, die immer noch glauben, dass Demokratie in Afrika nur mit massiver Nachhilfe von außen funktionieren kann. Deutlich mehr als vor zehn Jahren ist Afrika heute in der Lage, seine Probleme selbst zu regeln. Bei der allmählichen Durchsetzung demokratischer Prinzipien hat der Kontinent einen Punkt erreicht, der einen Rückfall in den Despotismus alten Stils sehr erschweren dürfte.
Werden modernere Regierungsführung, eine effektivere Handhabung öffentlicher Angelegenheiten und wirtschaftlicher Fortschritt auch die Korruption eindämmen? Wenn den Medien mehr Freiheit gewährt wird, mag es hier Fortschritte geben. Korruption ist kein afrikanisches Phänomen, sondern ein Symptom dysfunktionaler Regierungssysteme überall auf der Welt. Es wird Aufgabe der neuen afrikanischen Mittelschicht sein, der verbreiteten Indifferenz gegenüber Korruption Einhalt zu gebieten. Auch hier nehmen der Fatalismus ab und die Ungeduld zu. Transparency International hat in vielen Staaten Afrikas mutige und geachtete Landesorganisationen geschaffen.
Die Regierungsführung kann nur dann verbessert werden, wenn sich Afrikaner selbst beharrlich dafür einsetzen. Sichtbare Erfolge werden ihre Zeit brauchen. Doch stehen die Chancen für substanziellen Fortschritt heute so gut wie nie zuvor seit der Dekolonisierung.
Die neue Mittelschicht
Die Mittelschicht ist Afrikas neues Rückgrat. Sie ist mittlerweile so groß wie die in Indien oder China und trägt die wirtschaftliche und politische Entwicklung. 2010 ließen sich ihr (nach einer Berechnung der Afrikanischen Entwicklungsbank) 34,3 Prozent der gesamten afrikanischen Bevölkerung zurechnen, also 313 Millionen Menschen. Heute gibt es 60 Millionen afrikanische Haushalte mit einem Jahreseinkommen von mehr als 3000 Dollar. Bis 2015 soll diese Zahl auf 100 Millionen steigen.
Allerdings sind die Einkommen extrem ungleich verteilt. So besaßen 2008 die 100 000 reichsten Afrikaner ein Vermögen von 800 Milliarden Dollar und damit 60 Prozent des gesamten afrikanischen Bruttoinlandsprodukts. Am unteren Ende der Skala hat dagegen kaum jemand eine Chance, der Armut zu entkommen. Die demografischen Trends lassen erwarten, dass noch Hunderte Millionen Kinder in Armut hineingeboren werden, bevor die Geburtenraten sinken.
Afrikas Regierungen stehen vor der Herkulesaufgabe, den heute Unter-20-Jährigen sowie den in den nächsten 30 Jahren zur Welt kommenden Kindern eine Perspektive zu bieten. Dies kann nur mit erheblich verbesserter Qualität der grundlegenden öffentlichen Dienstleistungen, einer wachsenden Wirtschaft und einer vernünftigen Mischung aus mehr Freiheit und mehr Ordnung erreicht werden. Nur durch Bildung und Ausbildung für breite Schichten wird sich die demografische Zeitbombe entschärfen lassen. Asien wartet nicht – im internationalen Wettbewerb braucht Afrika gut ausgebildete Arbeitskräfte, um auf Dauer Anschluss an die Weltwirtschaft zu finden.
Handel mit den Aufsteigern
In den achtziger Jahren standen die BRIC-Staaten für nur 1 Prozent des afrikanischen Außenhandels. Heute gehören China (38 Prozent), Indien (14), Südkorea (7,2), Brasilien (7,1) und die Türkei (6,5) zu den größten Handelspartnern des Kontinents. Das Wachstum Chinas und Indiens hat auch Afrika reicher gemacht. Chinesische Konsumgüter sind allgegenwärtig und beherrschen Afrikas Märkte. Die neue Mittelklasse kauft heute chinesisch, träumt dabei aber von Waren „Made in Germany“ und ist voller Zuversicht, sich bald unsere Produkte leisten zu können. 2010 summierte sich der Handel zwischen Afrika und China auf über 120 Milliarden Dollar. China vergibt heute mehr Kredite an Afrika als die Weltbank. Mehr als ein Viertel von Chinas Ölimporten kommen aus Subsahara-Afrika, und umgekehrt macht Rohöl mehr als zwei Drittel aller afrikanischen Exporte nach China aus. Zwischen 2005 und 2010 flossen 14 Prozent aller chinesischen Investitionen im Ausland nach Subsahara-Afrika.
Afrikaner beobachten Chinas neue Dominanz mit gemischten Gefühlen. Es gibt einerseits viel Anerkennung für Chinas Engagement. Neben erschwinglichen Konsumgütern kann China Afrika etwas Einzigartiges bieten: aus eigener Erfahrung gespeisten Rat zur Überwindung von Armut. Ein afrikanischer Finanzminister hat mir dies einmal so erläutert: „Europa ist schon vor 150 Jahren reich geworden. Deshalb könnt ihr heute nicht mehr erklären, wie eure Vorfahren es geschafft haben, die Armut zu besiegen. Die Chinesen können genau das – sie haben es ja gerade erst hinter sich, und noch längst nicht überall in ihrem Land.“ Die westlichen Großstrategen für Afrikas Entwicklung täten gut daran, über diese einfache Wahrheit nachzudenken, bevor sie ihr nächstes Entwicklungsmodell entwerfen.
Doch hat die chinesische Medaille auch eine Kehrseite: Seit 20 Jahren überflutet China den afrikanischen Markt mit billigen Textilien und zerstört damit vielerorts die lokale Produktion. Dies führt ebenso zu Unmut wie Chinas oft intransparentes und regelwidriges Gebaren im Bergbausektor. Die Vereinbarungen mit Joseph Kabila über Kupferkonzessionen im kongolesischen Katanga oder mit Robert Mugabe über Diamantenschürfrechte im Nordosten Simbabwes sind besonders krasse Beispiele dafür, wie Afrika sich nicht entwickeln sollte.
Es ist keine Überraschung, wenn man heute mehr Beschwerden über China hört als noch vor zehn Jahren. Über eine Million Chinesen arbeiten ständig in Afrika. Sie repräsentieren nicht gerade die Elite ihres Landes und verfügen oft über wenig kulturelle Sensibilität. So steigt das Risiko für Reibungen – die Zusammenstöße bei Arbeitskämpfen in den Kupferminen von Sambia seit 2010 zeigen die neuen Konfliktlinien.
China hat eine Strategie für Afrika. Sie folgt aus seinem existenziellen Bedürfnis nach Zugang zu Rohstoffen. Aber Afrika hat noch keine Strategie für den Umgang mit China. Trotz gelegentlicher Großkonferenzen verkehrt das starke Peking jeweils bilateral mit dem stets schwächeren afrikanischen Land, in dem es seine Interessen verfolgt. Eine neue Variante von divide et impera? Jedenfalls keine Situation, in der es Afrikanern leicht gemacht wird, mit China eine gleichwertige Partnerschaft zu pflegen.
Kann Afrika noch einmal scheitern?
Trotz aller Hoffnungszeichen gibt es eine Reihe kultureller, demografischer und wirtschaftlicher Faktoren, die Afrikas neuen Schwung verlangsamen oder sogar wieder zum Stillstand bringen könnten. Kulturelle Muster verändern sich langsamer als Wachstumsraten. Bessere Regierungsführung gelingt nicht in kurzer Frist.
Afrikas Eliten sind mit der Modernisierung ihrer Gesellschaften schon zu oft gescheitert, und zu lange ging zu vieles schief. Die Widersprüche sind zahlreich: jung gegen alt; gebildete Städter gegen rückständiges Landvolk, rationales Handeln am Tag, Aberglaube nach Sonnenuntergang; moderne Staatlichkeit auf dem Papier, Clan- und Stammeswirtschaft in der Wirklichkeit. Die neue Mittelschicht will sich der traditionellen Bürden entledigen und sucht Orientierung in der Praxis anderer Länder.
Demografisch steht Afrika das Schlimmste noch bevor. Der schon heute sicher kalkulierbare künftige Verlauf der Bevölkerungskurve mag Afrika eine Fortschrittsdividende bescheren. Er kann aber auch zu Afrikas neuem Fluch werden. Prognosen der Vereinten Nationen gehen davon aus, dass sich die Bevölkerung Subsahara-Afrikas bis 2050 verdoppeln wird. In einigen Regionen muss man mit Verdrei- oder Vervierfachung der Zahlen rechnen. Die zwei-, drei- oder viermal größere und überwiegend junge afrikanische Bevölkerung wird ebenso viel mehr Nahrung, Gesundheitsversorgung und Bildung benötigen. Auch ihre politische Führung müsste zwei-, drei- oder viermal besser sein als die heutige. Wir überschreiten hier die Grenze zur Utopie, kommen aber nicht umhin, sie trotzdem als Ziel zu formulieren.
Ernährungssicherheit wird sich noch am leichtesten gewährleisten lassen. Afrika verfügt über 60 Prozent der weltweit landwirtschaftlich nutzbaren Flächen. Schwieriger wird es dagegen mit den Gesundheitsdienstleistungen. Sie haben sich letzthin stark verbessert, könnten aber unter dem Druck der Bevölkerungsexplosion rasch an ihre Grenzen kommen. Das Leben in den Metropolen wird schwieriger, Trink- und Nutzwasser noch rarer werden. Die größte Gefahr aber droht Afrikas meist noch jungem Bildungssystem. Dem vorhersehbaren Ansturm der zu rasch wachsenden Zahl von Schulkindern könnte es nicht standhalten. Nichts wäre schlimmer als eine solche Entwicklung, denn Bildung, besonders für Mädchen, ist der einzige Weg zu einem langfristigen Abflachen der demografischen Kurve. Den Zusammenbruch des Bildungssystems kann Afrika sich ebenso wenig leisten wie seine Partner in der Welt.
Die guten Tendenzen in Afrikas Wirtschaftsentwicklung bedürfen der Untermauerung durch weitsichtige Politik. Ausländische Investoren und Käufer sollten am Export unveredelter Rohstoffe gehindert und zur Schaffung von lokalem Mehrwert verpflichtet werden. Afrika braucht Baumwollspinnereien und Textilfabriken, um jungen Frauen zu Arbeitsplätzen zu verhelfen. Es braucht Raffinerien zur Verarbeitung von Rohöl. Eine international konkurrenzfähige lebensmittelverarbeitende Industrie und besserer Zugang zu westlichen Märkten können die immer noch starke Abhängigkeit Afrikas von schwankenden Rohstoffpreisen mindern. Ein Blick nach Asien genügt, um nützliche Ideen für eine bessere Integration Afrikas in die Weltwirtschaft zu gewinnen. Sie bedarf sorgfältiger politischer Steuerung und des Umdenkens in vielen afrikanischen Regierungen.
Afrika muss seine Prioritäten setzen. Die anstehende Revision der Millenniumsziele kann hierfür der geeignete Rahmen sein, wenn Afrikaner bei diesem Prozess die ihnen gebührende Führungsrolle übernehmen. Es kommt jetzt auf die richtige Mischung an zwischen nachhaltigem Wirtschaften, modernem und rational bestimmtem Regierungshandeln und einer historisch präzedenzlosen Konzentration auf Bildung und Ausbildung. Stagnation brächte die alten Leiden des Kontinents zurück und ließe seine in hartem Kampf errungene neue Emanzipation wieder in sich zusammenbrechen. Vieles aber spricht dafür, dass Afrikaner fähig und in der Lage sind, die nötigen Antworten selbst zu finden.
Albrecht Conze war sieben Jahre für die UN und das Auswärtige Amt in Afrika tätig. Heute ist er Botschafter in Bangladesch. Er gibt seine persönliche Meinung wieder.
Internationale Politik 2, März/April 2013, S. 76-83