Patronage der Proliferation
Nukleare Kooperation als Geopolitik – eine gefährliche Tendenz
Die USA haben Indien als „verantwortlichen“ Nuklearwaffenstaat anerkannt und technologische Zusammenarbeit in Aussicht gestellt. Dem lag eine realistische Einschätzung zugrunde: Rhetorik und halbherzige Sanktionen bringen Indien nicht von seiner Nuklearwaffenfähigkeit ab. Mit der Anerkennung, die von anderen nuklearen Lieferländern schnell nachvollzogen wurde, soll Indien nun als Partner für die multilaterale Nichtverbreitung gewonnen werden.
Hinter dem pragmatischen Vorgehen steht aber ein geopolitisches Motiv. Die USA wollen Indien als Verbündeten in der Auseinandersetzung mit China stärken. Nukleare Abschreckung ist eine feste Größe in der asiatischen Machtbalance. Ähnlich wie bei dem jüngst vorgelegten Vorschlag eines Atompakts mit Russland setzt Washington die nukleare Zusammenarbeit als außenpolitischen Anreiz ein – erfolgversprechend, weil die Kernkraft für viele Staaten Energieunabhängigkeit verspricht.
Hierin liegt auch ein Risiko. Nicht nur belastet die dahinterstehende Doppelmoral die Verhandlungen mit dem Iran. In Zukunft können auch andere Staaten bei der Bewertung von Proliferationskandidaten geopolitische Kriterien anlegen. Große Lieferländer wie China und Russland machen dies bereits vor. In Zukunft könnten sich auch Staaten, die eben erst die Schwelle zur Nuklearwaffenfähigkeit überschritten haben, zu Patronen der Proliferation machen, um eigenen politischen und wirtschaftlichen Zielen zu dienen. In dieser Sichtweise ist es wünschenswert, wenn ein befreundetes Land über Atomwaffenfähigkeit verfügt oder teuer für die Technologie bezahlt.
Externe Unterstützung beim Atomwaffenerwerb ist kein neues Phänomen. Eine Kernregel des NVV besagt, dass Kernwaffenstaaten einem anderen Staat nicht beim Nuklearwaffenerwerb helfen dürfen. Die USA unterstützen Indien nicht direkt beim Nuklearwaffenerwerb, denn das Schwellenland darf das Nuklearmaterial aus den USA nicht für militärische Zwecke abzweigen. Doch liegen beide Verwendungen der Atomtechnologie nahe beieinander. Die USA haben oft argumentiert, dass die Kontrolle über zivile Kerntechnologie die Entwicklung von Atomwaffen erleichtert, etwa im Iran.
• Russland hilft dem Iran beim Bau von Leichtwasserreaktoren – gegen amerikanischen Druck. Moskau argumentiert, man behalte so das Programm im Auge und erkenne früh eine militärische Nutzung.
• Der Iran entwickelte seine umstrittene Fähigkeit zur Urananreicherung auch mit Hilfe des Netzwerks um den pakistanischen Nuklearingenieur A. Q. Khan. Khans Nachfolger sind vermutlich noch immer auf dem Nuklearmarkt aktiv – von Islamabad stillschweigend geduldet.
• Beim pakistanischen Atomprogramm, das unter Khans Ägide durch Industriespionage vorangetrieben wurde, spielte auch China eine signifikante Rolle. Durch die Lieferung von Technologie und Blaupausen stärkte Peking einen Gegner des Rivalen Indien. Pakistan ist keine direkte Bedrohung für China.
• Frankreich unterstützte Israel in den fünfziger Jahren (vor Verhandlung des NVV) mit Reaktortechnologie und Designinformationen für Atomwaffen. Die USA, anfangs gegen die Atomwaffen Israels, verhindern bis heute eine kritische Diskussion dieser Potenziale.
Die indisch-amerikanische Nuklearkooperation fügt sich in dieses Schema ein, auch wenn sie nicht auf eine Ebene mit den Schwarzmarktaktivitäten Nordkoreas oder Pakistans zu stellen ist. Was aber, wenn sich diese Interessenpolitik in einer Welt fortsetzt, indem mehr Staaten Atomwaffen suchen und das Nichtverbreitungsregime langsam erodiert? Viele Beobachter befürchten Proliferationsketten, wenn die regionalen Nachbarn Nordkoreas und Irans deren Atompläne zum Anlass nehmen, selbst solche Waffen zu entwickeln. Japan, Südkorea und Taiwan könnten den Weg zur Bombe suchen, ebenso Syrien, Ägypten, Saudi-Arabien oder die Türkei. Es rächt sich hier, dass die Kernwaffenstaaten an der strategischen Bedeutung dieser Vernichtungswaffen festhalten und sie nicht durch substanzielle Abrüstung oder neue Doktrinen abgewertet haben.
Wird eine solche Entwicklung nukleare Patronagesysteme schaffen, bei denen die Atomwaffenstaaten anderen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen bei der Proliferation weiterhelfen oder die internationalen Reaktionen in ruhiges Fahrwasser lenken? Die westlichen Industriestaaten haben sich den Normen des Nichtverbreitungsvertrags verschrieben und sehen in ihm die beste Strategie gegen neue Atomwaffen. Von ihnen ist eine direkte Unterstützung illegaler Proliferation in einem Drittstaat kaum zu erwarten. Allerdings verschwimmen die Grenzen zwischen hilfloser Einbindung und Patronage.
Wirksame Maßnahmen des Westens gegen die Proliferation bei Alliierten sind wenig wahrscheinlich. Würden die USA den bedrohten Verbündeten Japan vom Nuklearwaffenbau abhalten können? Ein Atomwaffenprogramm in der Türkei, als Reaktion auf eine iranische Bombe, würde NATO und EU belasten. Allerdings hätten die Partner wenig Druckmittel oder Anreize, um Ankara umzustimmen – außer die Verknüpfung mit dem unsicheren EU-Beitritt. Bei diesen Verbündeten würden die USA und die meisten Europäer schnell auf eine resignierte Einbindungspolitik umschwenken.
Andere Staaten würden dies aber als nuklearpolitische Patronage oder als Teil legitimer Großmachtpolitik verstehen. China kann sich schon jetzt in seiner Unterstützung Pakistans bestätigt fühlen. Pakistan könnte andere Golf-Staaten bei der Aufrüstung gegen den Iran unterstützen. Iran oder Nordkorea, einmal im Besitz der Waffentechnologie, können das Recht für sich in Anspruch nehmen, in rationalem Kalkül eine Gleichgewichtsbildung in anderen Regionen zu fördern, am Streben nach atomarer Parität (und Prestige) zu verdienen oder eine befreundete Regierung innenpolitisch zu stärken. Die Nichtverbreitungspolitik steht in einer Welt, in der jeder nach Nuklearwaffen sucht, der sie sich leisten kann, vor einer doppelten Herausforderung: Nicht nur gilt es, die Möchtegern-Kernwaffenstaaten zu beeinflussen, auch müssen die Interessen möglicher Lieferländer berücksichtigt werden.
Ein Festhalten an einer schwächer werdenden vertrags- und verifikationsgestützten Nichtverbreitung genügt dann nicht mehr. Auch die Ausdehnung eines nuklearen Schutzschirms wäre wenig glaubwürdig. Unersetzlich bleibt die internationale Zusammenarbeit bei der robusten Blockade illegaler Nuklearexporte, damit die Lieferländer die Kontrolle über diesen Markt zurückgewinnen. Gleichzeitig müssen aber stärker als bislang Anreize für regionale Sicherheitsstrukturen gesetzt werden.
Dr. HENNING RIECKE, geb. 1966, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Programm „Europäische Außen- und Sicherheitspolitik“ der DGAP und verantwortlich für die Studiengruppen „Strategische Fragen“ und „Europapolitik“.
Internationale Politik 8, August 2006, S. 26‑27