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01. Dez. 2009

Patient oder Partner?

Buchkritik

Der nigerianische Bürgerkrieg Ende der sechziger Jahre markierte einen Wendepunkt in der internationalen Wahrnehmung Afrikas: Aus dem Kontinent der Hoffnung wurde ein krisengeschüttelter und zur Entwicklung unfähiger Weltteil. Was tun? Journalisten und Wissenschaftler suchen nach Rezepten für die Zukunft.

Nigeria ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas und ein wichtiger Ölproduzent. Glück hat das „schwarze Gold“ freilich nur wenigen gebracht, die Mehrheit der Menschen lebt weiterhin in Armut. Der Übergang zur Demokratie zeitigte in den letzten Jahren unerwartete und höchst problematische Konsequenzen. Zwölf der 36 Bundesstaaten führten das islamische Recht, die Scharia, ein und brachten die Religion mit Nachdruck zurück in die Politik. Scharia-Politiker eignen sich zum Teil erfolgreich die Machtmittel des Staates an, um sich im Namen göttlicher Gebote über alle weltlichen Gesetze hinwegzusetzen. Nicht wenige Interpreten glauben, dass auf diese Weise in Nigeria die Reste staatlicher Autorität endgültig zerstört zu werden drohen.

John N. Paden zeichnet in seiner schmalen Studie ein positiveres Bild. Nigeria könne aufgrund seiner Erfahrungen mit einem föderalen System und mit dem Schmieden von Allianzen über religiöse und ethnisch-regionale Grenzen hinweg als Modell für andere Staaten dienen und in der internationalen Politik als Brückenbauer zwischen dem Westen und der islamischen Welt fungieren. Allerdings sind die Belege, auf die der Autor seine Hoffnung gründet, nicht wirklich überzeugend.

Es war der nigerianische Bürgerkrieg (1967–70) oder Biafra-Krieg, wie er bis heute zumeist genannt wird, durch den die Hoffnungen auf eine friedliche Entwicklung im nachkolonialen Afrika einst einen kräftigen Dämpfer erhielten. Dieser Krieg war einer der ersten schweren bewaffneten Konflikte in Afrika nach dem Ende der Kolonialzeit. Mehrere hunderttausend Menschen, einige Quellen sprechen von über einer Million, ließen ihr Leben. Im Kriegsgebiet kam es zu einer schweren Hungerkatastrophe. Der Biafra-Krieg markierte einen Wendepunkt in der internationalen Wahrnehmung Afrikas. Aus dem Kontinent der Hoffnung wurde ein krisengeschüttelter und zur Entwicklung unfähiger Weltteil, bestenfalls Gegenstand des Mitleids. Überdies scheinen innere Kriege in vielen Regionen südlich der Sahara seither endemisch zu sein.

Die Ethnologin Rita Schäfer bietet mit ihrem Fokus auf Geschlechterverhältnisse eine wichtige Ergänzung zur einschlägigen Forschungsliteratur. Anhand zahlreicher Länderbeispiele lotet die Autorin die Bedeutung von Geschlechterdynamiken und -differenzen für die verschiedenen Kriegskontexte aus. Dabei betont sie die zentrale Bedeutung von gewaltbesetzten Maskulinitätskonzepten. So zählte in vielen Bürgerkriegen sexualisierte Gewalt zur Kriegstaktik. Mit Vergewaltigungen von Frauen und Mädchen sollten die Männer der „Feindesgruppe“ als Versager verhöhnt werden.

Hexerei wird gemeinhin definiert als der Gebrauch übernatürlicher Kräfte durch eine Person zum Schaden einer anderen. In der industrialisierten Welt, die sich gerne als „modern“ etikettiert, gelten Hexereipraktiken und der Glaube an das Okkulte als Relikte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit. Entsprechende Phänomene im zeitgenössischen Afrika wurden folglich lange Zeit als zähe Überbleibsel afrikanischer Traditionen gedeutet, als Beispiel für die Rückständigkeit des Kontinents. Jüngere, insbesondere sozialanthropologische Studien haben diese bei vielen Entwicklungspolitikern weiterhin verbreitete Sichtweise jedoch grundlegend korrigiert. Dabei ist deutlich geworden, dass Moderne/Tradition und Religion/Politik falsche Dichotomien sind. Die umfangreiche Forschung, in die sich die materialreiche ethnographische Studie von James H. Smith zu Kenia einreiht, interpretiert den seit Jahren stetig wachsenden Hexereiglauben im nachkolonialen Afrika überwiegend als Auseinandersetzung mit Prozessen sozialer Differenzierung, hervorgerufen durch die Entwicklung neuer Marktbeziehungen und die „Modernisierung“ von Wirtschaft und Gesellschaft. Hexerei in Afrika repräsentiert demnach nicht die hartnäckige Verweigerung von Wandel und Entwicklung, sondern markiert den Versuch, sich aktuellen Umwandlungsprozessen zu stellen und sie zu verstehen. Smith zeigt am Beispiel der Keita-Region, wie eng Entwicklung und Hexerei verknüpft sind. Die durch Entwicklungsprojekte bewirkten Veränderungen haben in diesem Gebiet dafür gesorgt, dass einige wenige wohlhabender wurden, die Hoffnung auf Besserung für die Mehrheit der Bevölkerung aber vergeblich blieb. Dies führt verstärkt zu moralischen Debatten, die häufig mit Kategorien des Okkulten und der Hexerei ausgetragen werden.

Lange Zeit galt Afrika selbst bei vielen Historikern als „Kontinent ohne Geschichte“. Zwar mag heute so mancher weiterhin hinter vorgehaltener Hand mit Hegel behaupten, Afrika sei „das Geschichtslose und Unaufgeschlossene, das noch ganz im natürlichen Geiste befangen ist“. Gleichwohl liegen inzwischen auch in deutscher Sprache eine Reihe von guten Einführungs- und Überblickswerken zur afrikanischen Historie vor. Lutz van Dijks bereits in zweiter, überarbeiteter Auflage vorliegende „Geschichte Afrikas“ richtet sich vornehmlich, auch wenn das nicht explizit vermerkt wird, an eine jugendliche Leserschaft. Der Autor spannt mit viel Mut zur Lücke einen weiten Bogen von Afrika als der Wiege der Menschheit hin zur gegenwärtigen Aids-Problematik. An vielen Stellen liefert er Quellenauszüge und lässt afrikanische Akteure ausführlich zu Wort kommen. Über einige seiner Urteile kann man sicherlich streiten, insgesamt bietet das Buch aber einen lesbaren ersten Einblick in die komplexen historischen Entwicklungen und Konstellationen auf dem afrikanischen Kontinent.

John N. Paden: Faith and Politics in Nigeria. Washington: United States Institute of Peace Press 2008, 152 Seiten, 14,95 $ 

Rita Schäfer: Frauen und Kriege in Afrika. Ein Beitrag zur Gender-Forschung. Frankfurt/M.: Brandes & Apsel 2008, 520 Seiten, 39,90 €

James Howard Smith: Bewitching Development. Witchcraft and the Reinvention of Development in Neoliberal Kenya. Chicago University Press 2008, 272 Seiten, 21,00 $

Lutz van Dijk: Die Geschichte Afrikas. Frankfurt/M.: Campus Verlag 2008, 238 Seiten, 19,90 €

Prof. Dr. ANDREAS ECKERT lehrt die Geschichte Afrikas am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2008, S. 105 - 107

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