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01. Juli 2007

Afrika

Andreas Eckert über einen Kontinent zwischen Ausbeutung und Urbanisierung

Besprochen werden "Saltwater Slavery. A Middle Passage from Africa to American Diaspora", "After Abolition. Britain and Slave Trade since 1807", "A History of Sub-Saharan Africa" und "The African City".

Saltwater Slavery. A Middle Passage from Africa to American Diaspora

Stephanie Smallwood | Harvard University Press 2007, ISBN 9780674023499, 273 Seiten

Die auf Sklavenarbeit basierenden Plantagensysteme in Brasilien, der Karibik und später im Süden Nordamerikas bildeten vom 16. bis in das 19. Jahrhundert hinein einen zentralen Bestandteil der atlantischen Wirtschaft. In diesem Zeitraum wurden mehr als zwölf Millionen Menschen von Afrika in die Amerikas verschleppt, um auf den Feldern der „Neuen Welt“ zu schuften – die größte Zwangsmigration in der Geschichte der Menschheit. Für das Gros der Zeitgenossen waren Sklaverei und Sklavenhandel eine Selbstverständlichkeit, die keinerlei Rechtfertigung bedurfte. Sklaverei gehört international zu den am intensivsten beackerten Feldern der Historiographie, wenngleich sich die deutsche Geschichtswissenschaft hier vornehm zurückhält. Dieses Jahr drängen besonders viele Studien auf den Markt des Wissens, denn vor genau 200 Jahren verbot das britische Parlament den Sklavenhandel und leitete damit das langsame Ende des Handels mit Menschen über den Atlantik ein. Zu den eindrucksvollsten Neuerscheinungen gehört die Untersuchung der amerikanischen Historikerin Stephanie Smallwood. Der Autorin gelingt es, eine wahrhaft transatlantische Perspektive zu entwickeln und dabei sowohl die Situation in Westafrika als auch die Middle Passage – also die für die Sklaven traumatische und nicht selten tödliche Überfahrt über das Meer – und die Entwicklungen in Nordamerika in gleicher Dichte einzubeziehen. Die Middle Passage markierte dabei allem Schrecken zum Trotz keinen Bruch, sondern viel eher eine Brücke, über die während Jahrhunderten immer wieder neue afrikanische Kulturelemente nach Amerika fanden. Die soziale Geographie schwarzen Lebens im atlantischen Raum war in der Zeit des Sklavenhandels geprägt durch die, so Smallwood, „verschwommenen und blutigen Grenzen zwischen Gefangenschaft, Verkauf und Diaspora“. Die afrikanischen Sklaven verließen dabei nicht so sehr eine Welt und betraten eine andere. Vielmehr bewegten sie sich ohne eigenen Fahrplan, unfreiwillig, getrieben von anderen Personen und Interessen.

After Abolition. Britain and the Slave Trade since 1807

Marika Sherwood | I.B. Tauris 2007, ISBN 9781845113650, 246 Seiten

Im Jahr 1944 erschien das Buch „Capitalism and Slavery“ des karibischen Historikers Eric Williams, das mit Fug und Recht als Klassiker der Geschichtsschreibung zur Sklaverei gelten kann. Auf dem Hintergrund seiner Überzeugung, dass nicht Ideen, sondern das Geld die Welt regiere, deutete Williams die Abolition im Wesentlichen als zwangsläufige Folge veränderter wirtschaftlicher Rahmenbedingungen. Die Sklaverei, so Williams zentrale These, sei abgeschafft worden, weil sie sich nicht länger rentierte. Zunächst hätten Sklavenhandel und mit Sklavenarbeit betriebene Plantagenökonomie in den Amerikas das Kapital für die Industrielle Revolution generiert. Der Dreieckshandel sei vor allem dadurch so bedeutsam gewesen, weil er ideal in das merkantilistische Wirtschaftssystem gepasst und auf diese Weise die Landwirtschaft in den Kolonien, die Manufakturen im Mutterland und den internationalen Handel gleichermaßen gefördert habe. Bis dahin hatte in der Historiographie wie in der Öffentlichkeit eine idealistische Interpretation der Abolition dominiert, welche die Beendigung von Sklavenhandel und Sklaverei im britischen Empire zuvorderst als Sieg einer neuen humanitaristischen Haltung über Vorurteile, Gleichgültigkeit und wirtschaftliche Interessen deutete. Den Ton hatte William E.H. Lecky in seiner 1869 erstmals publizierten „History of European Morals from Augustus to Charlemagne“ vorgegeben. Der Kreuzzug Englands gegen die Sklaverei habe „wohl zu den drei oder vier perfekten Seiten in der Geschichte der Nationen“ gehört. Weder diese idealistische Version von der Abolition noch Williams markante Thesen können heute noch unverminderte Gültigkeit für sich beanspruchen. Dennoch, schreibt die englische Historikerin Marika Sherwood in ihrer neuen, provokanten Studie, gelte die von Williams aufgemachte Verknüpfung zwischen Sklavenhandel und britischer Ökonomie gerade auch für die Zeit nach der formalen Abolition 1807. Sherwood zeichnet detailliert nach, wie Sklaverei bis weit in das 19. Jahrhundert hinein ein wesentlicher Bestandteil britischer Investitionen, des Handels und des Empire blieb. Britische Kaufleute, Schiffsbauer, Versicherungsagenten, Bankiers und Fabrikbesitzer profitierten weiterhin vom Handel mit Menschen und der Ausbeutung von Sklaven auf Plantagen und in Minen. Die daraus resultierenden Profite stellten einen wichtigen Schrittmacher für Großbritanniens Entwicklung im 19. Jahrhundert dar, besonders sichtbar in den großen Industriestädten Liverpool und Manchester sowie in der Finanzmetropole London, wo jeweils viele Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Sklaverei abhingen.

A History of Sub-Saharan Africa

Robert O. Collins und James M. Burns | Cambridge University Press 2007, ISBN 9780521867467, 406 Seiten

Die Frage, wie tief die Auswirkungen des Sklavenhandels auf Afrika selbst waren, ist in der Forschung umstritten. In ihrer neuen, ausgezeichnet lesbaren Gesamtdarstellung betonen die amerikanischen Historiker Robert Collins und James Burns zum einen die beträchtlichen demographischen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Zwangsexodus für viele afrikanische Regionen. Zum anderen heben sie die „Unverwüstlichkeit“ afrikanischer Menschen und ihrer Institutionen hervor, die geholfen habe, die Zeit des Leidens zu überleben. Recht optimistisch ist auch ihre Bilanz nach fünf Dekaden Unabhängigkeit. Die Autoren leugnen zwar nicht die düsteren und zum Teil von afrikanischen Politikern selbst zu verantwortenden Fehlentwicklungen, sehen jedoch Licht am Horizont. Nicht zuletzt betonen sie das südlich der Sahara wachsende Bewusstsein für regionale und kontinentale Kooperation. Ob die von ihnen gelobte Afrikanische Union allerdings tatsächlich den Weg zu neuen Ufern wird weisen können, bleibt abzuwarten.

The African City

Bill Freund | Cambridge University Press 2007, ISBN 9780521527927, 224 Seiten

Die seit Ende des Zweiten Weltkriegs rasante Urbanisierung kann als der vielleicht bedeutendste sozioökonomische Trend auf dem afrikanischen Kontinent im 20. Jahrhundert gelten. Gegenwärtig leben hier – glaubt man einigen Statistiken – bereits fast ebenso viele Menschen in Städten wie auf dem Lande. Halten die gegenwärtigen Wachstumsraten an, werden im Jahre 2020 Afrikas Ballungsräume wie Johannesburg, Lagos und Kinshasa zu den weltweit größten urbanen Konglomeraten zählen. Dieses Wachstum verläuft allerdings weitgehend außerhalb der Kontrolle von Politikern und Stadtplanern. Ungenügende Infrastruktur, fehlende Versorgung mit Sozial- und anderen Dienstleistungen, mangelnde Sicherheit, unzureichender Wohnraum und hohe Arbeitslosigkeit gehören zu den Charakteristika der afrikanischen Metropolen. Viele der aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Probleme südlich und nördlich der Sahara werden zunehmend mit der Verstädterung in Verbindung gebracht. Das hat sich auch in der internationalen Forschung niedergeschlagen. Noch vor zwei, drei Dekaden galt Afrika bei den meisten Wissenschaftlern als vornehmlich ländlich-agrarisch geprägter Kontinent, dessen Städte gleichsam eine „quantité négligeable“, ja geradezu etwas „Unnatürliches“ darstellten. Erst seit kurzem entdecken zahlreiche afrikawissenschaftliche Disziplinen die Stadt als Arena, in der sich grundlegende gesellschaftliche Entwicklungen vollziehen. Der in Durban lehrende Historiker Bill Freund bietet jetzt einen konzisen Einblick in das Thema. Urbanisierung in Afrika begann, wie Freund betont, nicht erst im 20. Jahrhundert, sondern stellte ein wichtiges Merkmal der afrikanischen Geschichte der vergangenen zwei Jahrtausende dar. Derzeit befänden sich sowohl die Geographie als auch die politischen und sozialen Strukturen der afrikanischen Metropolen im Umbruch. Sollen die neuen Formen funktionieren, dann müssen, so Freund, die historischen und kulturellen Gegebenheiten der jeweiligen Städte ausreichend Berücksichtigung finden.

Dr. Andreas Eckert, geb. 1964, ist Professor für die Geschichte Afrikas am Institut für Asien- und Afrikawissenschaften der Humboldt-Universität zu Berlin. 2007 erschien von ihm „Herrschen und Verwalten. Afrikanische Bürokraten, staatliche Ordnung und Politik in Tanzania, 1920-1970“ (Oldenbourg).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 7/8, Juli/August 2007, S. 199 - 202.

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