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01. Juli 2011

Partnerschaftsagentur NATO

Wie kann das Bündnis auf die Veränderungen in der arabischen Welt reagieren?

NATO-Partnerschaften waren immer lohnende Investitionen. Das gilt für die Einsätze in Afghanistan und Libyen wie für die Umbrüche in Ägypten und Tunesien. Doch nun muss eine unüberschaubar gewordene Partnerschaftsindustrie modernisiert werden: Die NATO sollte auch privilegierte Partnerschaften mit den Demokratien aufbauen.

Fragt man nach den großen Erfolgsgeschichten der NATO, so erhält man als Antwort meist die Osterweiterung, den Sieg über Milošević oder den Brückenbau zu Russland. Eine der nachhaltigsten Leistungen der Atlantischen Allianz in den vergangenen zwei Jahrzehnten bleibt hingegen oft im Hintergrund: das Knüpfen eines engen Netzes von Partnerschaften mit Ländern und Institutionen innerhalb und außerhalb Europas.

Anfangs eher als Trostpflaster für die Länder gedacht, die nicht oder noch nicht in die NATO aufgenommen werden konnten, hat sich dieses Netz schrittweise zu einem Geflecht konkreter Zusammenarbeit entwickelt – von der Bekämpfung neuer Bedrohungen bis hin zu gemeinsamem militärischen Handeln. Kaum ein Maßnahmenbündel des Bündnisses hat auf internationaler Ebene so tiefgreifend zur politischen und militärischen Transformation beigetragen und hat das Image der NATO damit so positiv beeinflusst, wie das, was in der NATO-Sprache „Partnership“ genannt wird.

Das gilt bis hin zu den aktuellen Entwicklungen in der arabischen Welt. Natürlich hat die Partnerschaft mit der NATO die „Arabellion“ weder ausgelöst noch entscheidend vorangetrieben. Es ist aber auch kein Zufall, dass Partnerländer wie Ägypten oder Tunesien die Umbrüche bislang friedfertiger gemeistert haben als Libyen oder Syrien, die in der Vergangenheit nicht mit der NATO kooperierten. Die enge Zusammenarbeit mit einer demokratischen Institution hat offenbar gerade bei den Streitkräften der Partnerländer Früchte getragen.

Allerdings wohnt jeder erfolgreichen Maßnahme immer ein Veränderungsdruck inne. Ein Konzept, das Anfang der neunziger Jahre entworfen wurde, kann heute kaum noch so weitergeführt werden. Mittlerweile gibt es Partnerschaften mit Ländern wie Australien oder Japan, die sicher keines Demokratieexports bedürfen, die aber Einfluss auf die Entscheidungsprozesse der NATO wünschen. Auch wird die NATO nach dem Ende des Libyen-Einsatzes, wie immer dies aussehen mag, kaum an den bisherigen Verfahren im Umgang mit den Staaten der Mittelmeerregion oder des Mittleren Ostens festhalten können.

Weiches Thema, harte Realität

Durch seine inflationäre Verwendung im politischen Alltagsgeschäft haftet dem Begriff der Partnerschaft stets der Hauch der Unverbindlichkeit an. Bestes Beispiel ist die „strategische Partnerschaft“ mit Russland, die immer wieder beschworen wird. Unklar bleibt, worin sich eine strategische Partnerschaft von einer besonderen, einer privilegierten oder einer normalen Partnerschaft unterscheidet.

Ähnliche Unschärfe wird auch in der NATO vermutet. Wer schon nicht Vollmitglied werden kann, wird zumindest Partner und scheint damit zwischen Baum und Borke zu stehen – man hat keine NATO-Sicherheitsgarantie, kein Stimmrecht, aber man kooperiert irgendwie mit der Allianz – hoffentlich zum beiderseitigen Nutzen. Die Realität ist viel konkreter. NATO-Partnerschaften waren stets eine Investition, die sich rentierte; allerdings wusste man nicht, wann. Als das Bündnis ab Mitte der neunziger Jahre Partnerschaften mit den zentralasiatischen Staaten Kirgistan, Usbekistan oder Turkmenistan einging, fragte mancher nach dem Zweck einer solchen Verbindung. Als dann aber Jahre später die NATO in den Krieg in Afghanistan eintrat, hatte sie keine Probleme, die Unterstützung dieser Länder in Gestalt von Basen oder Überflugrechten zu bekommen.

Die Partnerschaften mit den südlichen Mittelmeeranrainern (Mediterranean Dialogue/MD) oder der Golf-Region (Istanbul Cooperation Initiative/ICI) schienen anfangs vergebene Liebesmüh, waren doch weder der israelisch-palästinensische Konflikt noch das Problem islamistischer Gewalt rasch zu lösen – mit oder ohne Partnerschaft. Allerdings gelang es durch konkrete Zusammenarbeit gerade mit den Streitkräften dieser Länder, das negative Bild der NATO in der arabischen Welt als westlicher Weltpolizist oder Handlanger des amerikanischen Imperialismus schrittweise zu korrigieren. Heute unterstützen ICI-Länder wie Kuwait, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar die NATO-Einsätze in Libyen.

Beziehungsprobleme

Ungeachtet dieser Erfolge ist eine grundlegende Reform des Partnerschaftskonzepts unerlässlich. Geografisch umfassen die NATO-Partnerschaften bislang drei Regionen: Ost- und Südosteuropa bis weit nach Zentralasien über das Forum Partnership for Peace (PfP), südlich des Mittelmeers bis zur Golf-Region über MD und ICI und weltweit durch bilaterale Partnerschaften mit Ländern wie Australien, Japan und Südkorea. Zusätzlich zu den Foren gibt es besonders herausgehobene Partnerschaften mit einzelnen Ländern wie Russland, Ukraine und Georgien.

Neben den geografischen sind auch inhaltlich bezogene Partnerschaften geschaffen worden, etwa mit Blick auf die gemeinsame Terrorismusbekämpfung. Darüber hinaus gibt es Partnerschaften unterschiedlicher Intensität mit internationalen Institutionen wie der Europäischen Union oder den Vereinten Nationen. Letztlich hat die NATO Ad-hoc-Partnerschaften mit den Ländern entwickelt, die das Bündnis in seinen Militäreinsätzen unterstützen; man trifft sich regelmäßig in den sogenannten „Contributors Forums“, um zu beraten, wie etwa in Afghanistan weiter vorgegangen werden soll.

Es ist also seit dem Ende des Ost-West-Konflikts eine ganze Partnerschaftsindustrie mit einer schier unüberschaubaren Zahl von Foren, Gremien und Unterorganisationen entstanden – jedes davon mit seinem eigenen Akronym ausgestattet. Ein solches Buchstabengewirr ist nicht nur schwer zu steuern, auch die übergeordnete politische Zielsetzung ist nicht immer klar zu erkennen.

Die Probleme, die sich daraus ergeben, sind sowohl praktischer als auch grundsätzlicher Natur. Die praktischen Schwierigkeiten zeigen sich bei jedem Gipfeltreffen der Allianz. Was als Konferenz der Staats- und Regierungschefs zur Fortentwicklung des Bündnisses gedacht ist, wird regelmäßig zu einem Sitzungsmarathon, in dem sich die gleichen Repräsentanten in immer neuen Kombinationen treffen, um in dem jeweiligen Partnerschaftsforum zu agieren. Politisch kann dabei durchaus Gegensätzliches herauskommen. Auch ist man sich innerhalb der NATO nicht immer einig, wie weit die Partnerschaft denn gehen soll. Eine Zusammenarbeit mit den Streitkräften der Partner verläuft meist problemlos. Bitten aber Partnerländer um eine über das Militärische hinausgehende Kooperation, die etwa Grenzkontrollen, Sprachausbildung oder den Aufbau von Polizeikräften betrifft, wird es manchem NATO-Staat zu politisch – und dann heißt es schnell, die NATO möge sich doch auf ihr Kerngeschäft beschränken.

Ebenso gravierend sind die grundsätzlichen Fragen. Die NATO ist eine Organisation demokratischer Staaten, die sich zu Recht eine Wertegemeinschaft nennt. Darum fußt die Partnership for Peace auf einem Grundlagendokument, in dem diese Werte als verbindlich für die PfP-Mitglieder erklärt werden. Dennoch gibt es PfP-Staaten, die nach wie vor Freiheit und Demokratie mit Füßen treten. Bislang hat die NATO noch kein Rezept für die Auflösung dieses Widerspruchs gefunden.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen hatte den Reformbedarf erkannt und strebte eine grundlegende Neugestaltung an. Für ihn ging es um drei Kernfragen: 1. Wie reformiert man den Wildwuchs bei den bislang existierenden Partnerschaften? Welche Gremien und Formate sind heute noch sinnvoll und was soll in diesen Gremien genau geschehen? 2. Wie geht man mit den Partnern um, die sich an den Militäraktionen der NATO beteiligen und die nicht notwendigerweise einem der traditionellen Partnerschaftsforen angehören? Wie viel Mitspracherecht gibt man diesen Ländern, die das Leben ihrer Soldaten riskieren, um Missionen der Allianz zu unterstützen? 3. Wie weit soll das Partnerschaftskonzept geografisch ausgedehnt werden? Sind Partnerschaften mit China, Indien oder Brasilien die richtige Antwort auf die Globalisierung oder überhebt sich das Bündnis mit einer allzu globalen Rolle?

Rasmussen wollte diese Probleme mit einem radikalen Schnitt lösen. Statt der „Buchstabensuppe“ der unterschiedlichen Gruppen und Grüppchen sollte es im Wesentlichen ein übergreifendes Partnerschaftsforum geben. Auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2010 forderte der Generalsekretär, dass die NATO selbst zum Drehkreuz in einem weltweiten Netzwerk von Partnerschaften werden solle. An einen solchen „Hub of Security Partnerships“ sollten Länder oder Organisationen ähnlich wie die Speichen an einer Radnabe andocken können, um je nach Bedarf gemeinsam zu handeln.

Diese Idee war zwar nebulös, führte aber sogleich zu heftigen Debatten. Die USA, die dem Gedanken einer weltweit agierenden NATO stets positiv gegenüberstanden, unterstützten die Idee Rasmussens, obgleich sie noch viele Fragen offen ließ. Die europäischen NATO-Mitglieder reagierten in der Mehrheit ablehnend. Länder wie Deutschland oder Frankreich sind stets skeptisch, wenn das Wort von der globalen NATO fällt. Andere fürchteten, dass die globale NATO zu viel politisches Gewicht etwa im Vergleich zur EU gewinnen würde, wenn das Drehkreuz-Konzept wirklich funktionieren sollte. Auch viele Partner hatten selbst ihre Zweifel an der Hub-Idee. Mancher fürchtete um seine feste Position in einem der vielen Gremien, die man seit Jahren inne hatte und die zumindest auf dem Papier Gewicht und Einfluss suggeriert.

Folglich hatte der Versuch der NATO, nach dem Gipfel von Lissabon im November 2010 ein neues Partnerschaftskonzept zu entwickeln, nur sehr begrenzten Erfolg. Zwar einigten sich die NATO-Außenminister bei ihrem Treffen in Berlin am 15. April 2011 auf ein Dokument, das eine neue Politik für eine effektivere und flexiblere Partnerschaft sein will. Genauer betrachtet ist es aber weder sonderlich neu noch besonders weitreichend. Stattdessen verfährt das neue Partnerschaftskonzept nach dem Prinzip „von allem ein bisschen mehr“: Kooperation soll noch ein wenig leichter werden, soll noch mehr Länder umfassen und den Sicherheitsproblemen der Partner besser Rechnung tragen. Das ist im Grundsatz nicht verkehrt, löst aber den Reformstau im Partnerschaftsgeschäft nicht auf und beantwortet vor allem nicht die vielen offenen Fragen, die sich mit Blick auf die Zukunft der Partnerschafen stellen.

Vorhang zu – und viele Fragen offen

Von den vielen ungelösten Problemen sind zwei aus aktuellem Anlass besonders dringlich: Mit welchen Mitteln aus dem Partnerschaftsbaukasten reagiert die NATO auf die Veränderungen in der arabischen Welt? Und wie entwickelt die NATO ihre globalen Partnerschaften?

In Nordafrika und im Nahen und Mittleren Osten (Middle East and Northern Africa/MENA) wird die Rolle der NATO derzeit durch die Protestbewegungen und den Bürgerkrieg in Libyen auf den Prüfstand gestellt. Dabei kommt der Allianz zugute, dass sie durch ihre Partnerschaften seit vielen Jahren als Akteur in der Region anerkannt wird. Allerdings mussten diese Partnerschaften in der Vergangenheit immer mit großer Behutsamkeit vorangetrieben werden, um den vielen politischen Sensibilitäten Rechnung zu tragen. Ein solch vorsichtiges Vorgehen der NATO war alternativlos; allerdings zeigen die Proteste und die damit verbundenen Regimewechsel zweierlei: Erstens hat die NATO in der Vergangenheit ihr eigenes Wertegerüst häufig dem Pragmatismus geopfert, d.h. Stabilität zählte mehr als Freiheit oder Demokratie. Zweitens haben sich die NATO-Mitglieder neben den zahlreichen Partnerschaftsaktivitäten nie der Frage gestellt, wie die MENA-Region langfristig aussehen sollen.

Daraus ergeben sich zwei Aufgaben: Zum einen muss die NATO eine Zukunftsvision entwickeln, die aber nicht unbedingt deckungsgleich mit den Vorstellungen jedes einzelnen MENA-Staates sein muss. Allerdings müssen die Werte und Prinzipien der Atlantischen Allianz in dieser Vision eine Rolle spielen. Das hat nichts mit Sendungsbewusstsein oder aggressivem Demokratieexport zu tun, aber Partnerschaft nur um der Partnerschaft willen allein reicht ebenso wenig.

Zum Zweiten muss sich diese Vision an der Realität orientieren. Die Regierungen der MENA-Region gehen vor allem deshalb Partnerschaften mit der NATO ein, weil sie konkrete Hilfe bei der Transformation ihres Sicherheitssektors wünschen. Realität ist ebenfalls, dass regionale Institutionen wie die Arabische Liga oder die Afrikanische Union einen viel geringeren Integrationsgrad aufweisen als die NATO – und auch nur begrenzte Bereitschaft und Fähigkeit, für die Sicherheit in der eigenen Region zu sorgen. Auch auf Seiten der NATO – das hat Libyen gezeigt – ist die Bereitschaft, sich für die Krisenbewältigung in der Region militärisch zu engagieren, nicht sonderlich ausgeprägt. Das muss bedacht werden, wenn über gemeinsame Aktivitäten wie Krisenmanagement oder Stabilisierungsmissionen nachgedacht wird.

Der zweite große Problemkomplex – die globalen Partnerschaften – ist ebenso brisant. Die NATO ist in den vergangenen Jahren eine Reihe von bilateralen Partnerschaften mit Staaten außerhalb Europas eingegangen (Australien, Neuseeland, Japan, Südkorea), die sich in zwei Punkten von vielen europäischen oder nordafrikanischen Partnern unterscheiden: Diese Länder unterstützen die konkreten Militäreinsätze der NATO – die Mehrzahl kämpfte Seite an Seite mit NATO-Truppen in Afghanistan. Allein deshalb verdienen sie ein weitgehendes Mitspracherecht. Darüber hinaus handelt es sich um zutiefst demokratische Staaten, welche die Grundprinzipien der NATO uneingeschränkt teilen und auch in ihren Sicherheitsinteressen stärker mit denen der NATO übereinstimmen als viele der traditionellen Partner.

Folglich ist eine konkrete Zusammenarbeit auch aus praktischer Sicht viel einfacher zu gestalten, etwa was die Sicherheit beim Austausch von sensiblen Informationen angeht. Es stellt sich somit die Frage, ob die NATO als demokratische Institution nicht eine privilegierte Partnerschaft mit den Demokratien weltweit aufbauen soll. Diese hätten zwar kein Stimmrecht am Mitgliedertisch, sollten aber ansonsten so eng wie möglich in die Beratungen der NATO einbezogen werden. Dieser Gedanke ist nicht neu und wird seit Jahren in den USA diskutiert. Aus Europa folgte meist reflexartige Ablehnung – es dürfe keinen „Red Carpet Club“ in der NATO geben. Warum aber eine besonders enge Zusammenarbeit von Demokratien nachteilig sein sollte, blieb meist offen. Gerade im Rahmen einer Neuordnung der Partnerschaften, in der es neben dem Abbau von Wildwuchs auch darum gehen muss, Synergien zu nutzen und das Profil der NATO als erfolgreichste demokratische Sicherheitsorganisation weltweit zu schärfen, kommt der Idee einer möglichst engen Kooperation demokratischer Staaten eine besondere Bedeutung zu.

Eine stärkere Einbeziehung von Demokratien in die Entscheidungsprozesse der NATO hätte auch ganz praktische Auswirkungen. Wenn heute ein japanischer Regierungsangehöriger in der NATO Gespräche führen möchte, muss er sich an der Pforte als Besucher melden und auf Einlass hoffen. Sein Kollege aus Weißrussland zeigt seinen Dienstausweis und kann sich auf dem NATO-Gelände frei bewegen, weil sein Land eine eigene Vertretung in der NATO hat. Das ist nicht nur für Japaner schwer zu verstehen.

Dr. KARL-HEINZ KAMP ist der Forschungsdirektor des NATO Defense College in Rom. Der Autor gibt seine persönliche Meinung wieder.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2011, S. 80-85

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