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01. Dez. 2008

Obamas „Green New Deal“

Die Supermacht wird grün: Amerika steht vor einer neuen Energie- und Klimapolitik

Die Ziele sind ehrgeizig, die Chancen stehen gut: Innerhalb der nächsten zehn Jahre will Barack Obama 150 Milliarden Dollar in erneuerbare Energien investieren und sich für die Einführung des Emissionshandels stark machen. Die USA kehren auf die Bühne internationaler Klimaverhandlungen zurück – einer drastischen CO2 Reduktion werden sie dennoch nicht zustimmen.

Die übergroßen und höchst widersprüchlichen Hoffnungen, die an Barack Obamas weltweit umjubelte Präsidentschaft geknüpft werden, sind auch seine größte Bürde. Noch in seiner Dankesrede am Wahlabend bemühte sich Obama deshalb, die Erwartungen zu dämpfen und wies darauf hin, dass der angestrebte Wandel nicht in einer Amtsperiode zu erreichen sei.

Das Erwartungsproblem besteht auch in der Klimapolitik. Bei allem Realismus stehen die Chancen jedoch gut, dass mit Obama eine neue Ära in der US-Klimapolitik eingeleitet wird. Ein völkerrechtlich verbindliches Abkommen zur Begrenzung von Treibhausgasen ist endlich wieder in greifbare Nähe gerückt.

Im Wahlkampf und auch in der jetzigen Übergangsperiode hat der designierte Präsident wieder und wieder angekündigt, ein Emissionshandelssystem einzuführen, 15 Milliarden Dollar pro Jahr in erneuerbare Energien zu investieren und eine klimapolitische Wende anzustreben.

Europa wird zum ersten Mal seit Jahren wieder ernsthaft mit den USA über ein internationales Klimaregime verhandeln. Der amerikanische Beitrag wird dabei ambitioniert ausfallen. Doch 16 verlorene Jahre – unter Clinton wie unter Bush –, in denen die Emissionen der USA stark angestiegen sind, können nicht von heute auf morgen rückgängig gemacht werden. Hinzu kommt die Rezession, unter der Obama die erste Zeit seiner Präsidentschaft regieren muss. Zwar dürfte dies zum einen die Spielräume für neue, innovative Politikinstrumente verengen. Auf der anderen Seite aber sind Investitionen in erneuerbare Energien, Wärmedämmung oder neue Stromnetze geeignet, um die Nachfrage zu steigern und so der Rezession entgegenzuwirken.

Eine ambitionierte Klimapolitik lässt sich im amerikanischen Kongress nur sehr schwer durchsetzen. Daher darf dieser Prozess nicht unnötig von internationaler Seite erschwert werden, indem man ihn verfrüht mit zu ergeizigen Zielen überfrachtet. Das Hauptaugenmerk gilt daher zunächst den inneramerikanischen Abläufen und der Gesetzgebung, weil sie mit der globalen Klimadiplomatie Hand in Hand gehen müssen.

Ökologische Jobmaschine

Die Bekämpfung der Finanz- und Wirtschaftskrise wird für Obama zunächst absolute Priorität haben und haben müssen. Eine ambitionierte Klimapolitik wird keine Chancen haben, wenn sie nicht zur Lösung grundlegender Wirtschaftsprobleme der amerikanischen Bürger und Unternehmen beiträgt. Solange Klimapolitik weiter in Konkurrenz zur Wirtschaft gesehen wird, hat sie es schwer.

Obama hat das Energie- und Klimathema aber bereits im Wahlkampf sehr stark als wirtschafts- und arbeitsmarktpolitisches Thema etabliert. In Deutschland haben wir bereits erfolgreich gezeigt, dass ökologische Modernisierung ein Wirtschaftsthema mit riesigen Zukunftschancen ist und schon heute eine Jobmaschine darstellt. In den USA wird dieses Potenzial nun ebenfalls erkannt.

Gerade die Abhängigkeit von Ölimporten aus politisch schwierigen Regionen hat geholfen, Energiepolitik in den USA zu einem parteiübergreifend „harten“ Thema zu machen. Überall dort, wo Energie- und Klimapolitik wirtschafts- und sicherheitspolitische Aspekte hat, hat sie gute Chancen: die erneuerbaren Energien auszubauen, die Stromnetze zu modernisieren und die Autoindustrie auf effiziente Autos umzustellen. All das birgt große Potenziale.

In der Reaktion auf die Rezession feiert der grüne Gedanke eines ökologisch orientierten Konjunkturprogramms, eines „Green New Deal“, derzeit weltweit große Erfolge. Auch in einer Obama-Administration wird der Politikansatz, den man unter dem Begriff „ökologischer Keynesianismus“ fassen kann, an Fahrt gewinnen. Er beinhaltet die angekündigten Investitionen in erneuerbare Energien, die Obama wiederholt auf 150 Milliarden Dollar in den nächsten zehn Jahren bezifferte.

Derzeit fallen wichtige Personal- und Strukturentscheidungen für die künftige Klimapolitik Obamas. Schlüsselpositionen im Kongress müssen personalpolitisch richtig besetzt werden. Die Demokraten haben zwar in beiden Kammern die Mehrheit, doch auch die steht nicht immer automatisch auf der Seite des Präsidenten. Innerhalb Obamas Partei sind die Interessen von Kohle-, Öl- und Autoindustrie stark vertreten. Um die Mehrheit im Kongress wird er daher fortlaufend kämpfen müssen.

Den Kongress davon zu überzeugen, ein Emissionshandelssystem in den USA einzuführen, erscheint möglich. Wie genau es sich ausgestaltet, wird jedoch hart verhandelt werden müssen. Schon im Sommer hatte der Senat darüber debattiert. Klar ist: Ein solches System wird die Interessenslage der USA um 180 Grad verändern: Wollen sie dadurch keine Wettbewerbsnachteile erleiden, müssen sich Europa und die Schwellenländer verbindlich zu ähnlichen Maßnahmen verpflichten. So kann aus der amerikanischen Ablehnung multilateraler Umweltpolitik ein manifestes Interesse an völkerrechtlicher Verbindlichkeit erwachsen.

Wegen der Komplexität und der politischen Sprengkraft wird das Gesetz wohl auch im kommenden Jahr noch nicht verabschiedet. Entscheidend dafür ist auch, wie die Spitzen der federführenden Ausschüsse im Repräsentantenhaus besetzt werden: Wünschenswert ist, dass der klimapolitisch progressive, kalifornische Abgeordnete Henry Waxman ebenso wie die bisherige Vorsitzende des Umweltausschusses, Barbara Boxer, eine wichtige Rolle spielen. Zudem müssen im Senat Zuständigkeiten geklärt werden, da der Emissionshandel die Kompetenzen von vier verschiedenen Ausschüssen berührt.

Auf Seiten der Exekutive kommt der Umweltagentur EPA (Environmental Protection Agency) eine zentrale Rolle zu. Sie wird unter Obama aufgewertet werden. Nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs darf die EPA bereits heute auf der Basis bestehender Gesetze den Ausstoß von Treibhausgasen regeln. Darüber hinaus wird über die Einrichtung eines nationalen Energierats spekuliert. Erwartet wird, dass Obama einen „Chief Energy Officer“, also einen obersten „Klima-Zaren“, benennen wird, möglicherweise in prominenter Besetzung. Noch offen ist, ob das State Department weiterhin die Federführung bei den Klimaverhandlungen übernimmt.

All diese Struktur- und Personalfragen werden mit darüber entscheiden, wie weit die inneramerikanische Wende in der Energie- und Klimapolitik durchsetzbar ist. An ihnen hängt auch, wie gut die Chancen sind, spätere internationale Verpflichtungen durch den Kongress zu bringen. Der gute Wille des Weißen Hauses und ein erkennbares Umdenken im Kongress erlauben zumindest einen vorsichtigen Optimismus.

Eines ist bereits jetzt absehbar: Einzelne US-Bundesstaaten werden nicht mehr an klimapolitisch ambitionierten Vorstößen gehindert, wie es bisher der Fall war. Damit haben regionale Klimagesetze, Verbrauchsstandards für Autos und Ausbauziele für erneuerbare Energien fortan gute Chancen.

Realistische Emissionsziele

Die Fragen, ob sich der Emissionshandel innenpolitisch durchsetzen lässt, und ob die USA dem internationalen Klimaschutzregime beitreten, hängen stark voneinander ab. Da mit dem Gesetz zum Emissionshandel vor der nächsten Klimakonferenz von Kopenhagen im nächsten Jahr wohl nicht zu rechnen ist, werden die dortigen Verhandlungen und ihre Aufnahme in den USA einen starken Einfluss auf die Reichweite und Ausgestaltung des Emissionshandels haben. Die Verhandlungsstrategie der Europäer muss dies berücksichtigen.

Obama hat jüngst erklärt, die CO2-Emissionen der USA bis 2020 auf den Stand von 1990 reduzieren zu wollen. Das macht deutlich, wie weit die USA auch unter ihm von dem entfernt sind, was international für das Jahr 2020 diskutiert wird. Eine Reduktion von 25 bis 40 Prozent, wie sie bei der letzten Klimakonferenz für die Industrieländer vereinbart wurde, ist von den USA nicht zu erwarten. Immerhin wäre die Verringerung von 16 Prozent, um die der CO2-Ausstoß in den USA seit 1990 gestiegen ist, eine entscheidende Trendwende. Amerika würde in zehn Jahren so viel mindern wie der Vorreiter Deutschland zwischen 1990 und 2000 – und das ganz ohne die Deindustrialisierung eines großen Landesteiles, wie es im Falle der DDR geschehen ist. Langfristig könnte sich Obama dann auf eine 80-Prozent-Reduktion bis 2050 verpflichten.

Für die globale Klimapolitik ist die Einbeziehung der USA in eine internationale Klimaschutzarchitektur essentiell, denn sie verantworten 25 Prozent der weltweiten Treibhausgase und haben die höchsten Pro-Kopf-Emissionen. Von einem solchen Schritt geht zudem ein nicht zu unterschätzendes Signal aus: Ohne die USA werden sich auch die Schwellenländer nicht verbindlich festlegen. Andersherum aber werden die USA nur dann beitreten, wenn Indien und China verbindliche – relative oder sektorale – Emissionsziele akzeptieren. Ein Beitritt sollte daher letztlich nicht an – auf den ersten Blick – enttäuschenden Zahlen scheitern.

Europa darf trotz der amerikanischen Zurückhaltung seine Klimaziele nicht abschwächen – im Gegenteil.Ohne eine glaubwürdige Vorreiterrolle der EU wird ein Präsident Obama zuhause keine Chance haben – und kein Schwellenland wird verbindliche Ziele akzeptieren. Die EU muss sich dazu auf die vollständige Versteigerung der Emissionszertifikate einigen. Deshalb war der Blaue Brief, den UN-Generalsekretär Ban Ki-moon Angela Merkel in dieser Angelegenheit schrieb, für Deutschland peinlich, aber zutreffend: Berlin entwickelt sich mehr und mehr zum Bremser beim Klimaschutz.

Von Seiten der EU ist daher zweierlei entscheidend: Die Europäer müssen klimapolitisch glaubwürdig bleiben. Eine lobbypolitische Ausrede unter Verweis auf Finanzkrise oder Rezession ist nicht zu akzeptieren. Auch die Bundesregierung muss unbedingt hart bleiben. Dabei müssen die Europäer allerdings vermeiden, das Weiße Haus  zu demonstrativ und ostentativ unter internationalen Druck zu setzen. Sie würden so die grüne Wende der USA schon im Ansatz abwürgen.

Es ist damit zu rechnen, dass ein Post-Kyoto-Abkommen kaum bei der nächsten Klimakonferenz in Kopenhagen, sondern eher 2010 verabschiedet werden wird. Barack Obama wird nicht die Fehler von Bill Clinton wiederholen – er wird einem internationalen Klimavertrag nicht ohne vorheriges Mandat durch den Senat zustimmen. Ein umfassendes Klimagesetz wird der Kongress aber vermutlich erst übernächstes Jahr billigen.

Wünschenswert wäre daher folgendes Szenario: Die Regierung Obama kehrt aus Kopenhagen erfolgreich zurück, möglicherweise sogar als internationaler Anführer eines neuen klimapolitischen Weltkonsenses. Dann nämlich könnte es im Kongress und in der öffentlichen Meinung Unterstützung für einen ambitionierten Klimaschutz in den USA geben. Von der europäischen Verhandlungsstrategie für Kopenhagen hängt daher viel ab.

JÜRGEN TRITTIN ist Bundesumweltminister a.D. und Spitzenkandidat von Bündnis 90/Die Grünen für den Bundestagswahlkampf.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 12, Dezember 2008, S. 71 - 75

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