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01. Okt. 2004

In neuer Befindlichkeit

Die Außenpolitik der USA im Zeitalter des internationalen Terrorismus

Haben die Vereinigten Staaten und ihr Präsident angemessen auf die Herausforderung des internationalen
Terrorismus reagiert? Oder nutzen sie die Anschläge vom 11. September 2001, um ein
neues Imperium zu errichten? Vollzieht Washington mit seinem Bekenntnis zu Hegemonie, Unilateralismus
und Präemption einen grundsätzlichen Kurswechsel? Stephan Bierling stellt vier
Neuerscheinungen vor, die Klarheit in die Debatte bringen.

Hat die Bush-Regierung angemessen auf die Herausforderung des internationalen Terrorismus reagiert? Nutzt sie die Anschläge vom 11. September 2001, um ein neues Imperium zu errichten? Vollzieht Washington mit seinem Bekenntnis zu Hegemonie, Unilateralismus und Präemption einen grundsätzlichen Kurswechsel? Das sind die Fragen, die seit nunmehr drei Jahren Amerika und die Welt bewegen.

Antworten gibt es zuhauf, kluge allerdings nur wenige. Die vier im Folgenden vorgestellten Bücher helfen, Klarheit in die Debatte zu bringen. Der Journalist Bob Woodward und der Politiker Richard Clarke bieten vor allem Fakten und Hintergrundinformationen, die Historiker Niall Ferguson und John Lewis Gaddis Reflexionen und eine Einordnung in langfristige Entwicklungen.

Woodward, dessen Watergate-Recherchen vor 30 Jahren Präsident Richard Nixon zum Rücktritt zwangen, ist seit den späten achtziger Jahren zum wichtigsten Chronisten der amerikanischen Politik geworden. Alle paar Jahre erscheint von ihm ein neues Buch, das die Entscheidungsprozesse hinter Weichen stellenden Ereignissen der Innen- und Außenpolitik untersucht. Dabei verfügt er über einen besseren Zugang zu den Entscheidungsträgern als alle seine Kollegen. Selbst Dokumente, die einer langjährigen Sperrfrist unterliegen, können von Woodward oft eingesehen werden. Seine Bücher sind deshalb eine Fundgrube für Politikwissenschaftler wie für Zeithistoriker. Nicht unumstritten ist jedoch seine Praxis, Gedanken wichtiger Akteure wiederzugeben und Dialoge zu entwerfen. Bisweilen wird ihm auch vorgeworfen, sich den privilegierten Zugang durch Hofberichterstattung zu erkaufen.

Beide Vorwürfe sind wohl unvermeidbar, wenn man spannend schreiben will und hohe Regierungsmitarbeiter als Hauptquellen nutzt. Aber sie schmälern den Wert seines neuesten Buches „Der Angriff“ kaum. So haben die betroffenen Politiker ja immer die Möglichkeit, Passagen in Woodwards Büchern, die sie als unzutreffend empfinden, öffentlich zu dementieren und so die Redlichkeit der Darstellung in Frage zu stellen. Dies geschah auch bei diesem Buch, als die Administration die von Woodward geschilderten Konflikte im außenpolitischen Team dementierte. Aber das war zu erwarten bei einer Regierung, die mehr als andere auf Fraktionsdisziplin setzt.

Es wundert deshalb nicht, dass die Rezensenten unterschiedliche Botschaften aus dem Buch herauslesen. Für die meisten war die zentrale Botschaft, dass Präsident George W. Bush schon kurz nach den Terrorattacken systematisch auf eine Militäraktion gegen Irak hinzuarbeiten begann. Diese Interpretation ist aber nicht schlüssig. Dass Bush und sein Verteidigungsminister Donald Rumsfeld schon früh Aufmarsch- und Invasionspläne gegen Bagdad entwickeln ließen, lag erstens daran, dass die alten Szenarios aus dem Golf-Krieg von 1991 stammten und schlichtweg überholt waren. Zweitens war in den ersten Wochen und Monaten nach dem 11. September nicht eindeutig klar, ob es nicht doch eine Verbindung zwischen Al Khaïda und Saddam Hussein gab. Die Entwicklung von realistischen Kriegsplänen war unter diesen Umständen nicht nur eine Option, sondern eine Notwendigkeit.

Die wichtigere Botschaft des Buches ist aber, wie die amerikanische Politik gegenüber Irak Gefangene ihrer eigenen (Fehl-)Aktionen und -interpretationen wurde. Wollte Washington eine funktionierende Drohkulisse gegenüber Bagdad aufbauen und einen Regimewechsel herbeiführen, musste es mit der Verlegung von Truppen und der Rekrutierung von potenziellen Partnern beginnen. Das war aber durchaus problematisch. Schritt für Schritt begab man sich aus solchen taktischen Zwängen auf Kriegskurs. Auch gegenüber der eigenen Bevölkerung und den UN manövrierte sich die Regierung Bush in eine ausweglose Lage. Im Bemühen, die von Irak ausgehende Gefahr zu beweisen, verlor das Kriegskabinett, zuletzt auch Außenminister Colin Powell, die Fähigkeit zur nüchternen Abwägung der Fakten, vor allem, nachdem CIA-Chef George Tenet die Existenz von Massenvernichtungswaffen gegenüber Bush als „todsicher“ und „slam dunk“ bezeichnet hatte. Indizien wurden nun immer stärker als Tatsachen angenommen, Quellen nicht kritisch überprüft, Alternativerklärungen blieben unbeachtet. Und Sicherheitsberaterin Condoleezza Rice sorgte nicht dafür, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre, dass abweichende Meinungen vorgetragen wurden. Am Ende entstand für Bush eine Situation, „in der er einen Krieg brauchte“.

Ob die Invasion richtig oder falsch war, will Woodward nicht beurteilen. Was ihm aber auf faszinierende Weise gelingt, ist die Dynamik hinter dem Entscheidungsprozess vor dem Irak-Krieg aufzuzeigen und die Motive und Taktiken der handelnden Akteure zu beleuchten. Da ist der grimmig entschlossene Vizepräsident Dick Cheney, der Saddam lieber heute als morgen den Krieg erklären möchte, jede Geheimdienstinformation negativ interpretiert und an unbelegbaren Thesen festhält; da ist der sphinxhafte Verteidigungsminister Rumsfeld, der immer nur Fragen in der dritten Person stellt und sich nie mit eigenen Stellungnahmen outet; da ist die tragische Figur Powell, der auf den UN-Prozess vertraut, aber trotz aller Bedenken Bushs Kriegsentscheidung mitträgt. Und da ist Bush selbst: ein Präsident, der, durch den schnellen Sieg gegen die Taliban ermuntert, die Welt notfalls im Alleingang umgestalten will und sukzessive zu der Entscheidung gelangt, dass es auch für das Problem Saddam eine rasche militärische Lösung gibt.

Dass der Irak-Krieg ein großer strategischer Fehler war, weil er die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Feind Nummer Eins der USA, Osama Bin Ladens Al Khaïda, ablenkte, ist das eine zentrale Argument von Richard Clarke, dem ehemaligen Antiterror-Zar der USA. Das andere ist, dass Clinton wie Bush den Warnungen der Dienste zu wenig Beachtung schenkten und immer wieder Gelegenheiten verpassten, Bin Laden und seine Organisation zu schwächen. „Against all Enemies“ beschreibt vor allem Clarkes jahrelangen Kampf, seine Vorgesetzten von der islamistischen Bedrohung zu überzeugen. Zwar hat Gerald Posner in „Why America Slept“ schon vor einem Jahr das Gemisch aus Schlamperei, Kompetenzgerangel zwischen FBI und CIA, übertriebener Angst des FBI, angeblich religiöse Veranstaltungen in den USA zu infiltrieren, und Desinteresse der politischen Führung aufgedeckt, das vor 9/11 herrschte. Aber Clarkes persönlicher Bericht stützt und illustriert Posners Thesen.

Den Irak-Krieg hält Clarke für falsch: „Anstatt energisch ein ideologisches Gegengewicht zu al-Qaida zu schaffen, fielen wir im Irak ein und verschafften damit al-Qaida genau den Treibstoff für ihre Propaganda, den sie brauchten.“ Damit formuliert er das stärkste Argument der Kriegsgegner. In der Tat sieht es so aus, als ob die USA mit ihrer Irak-Invasion den Islamisten zumindest kurzfristig in die Hände gespielt hätten.

Irak kann noch immer zum Erfolgsmodell werden, argumentiert dagegen der britische Finanzhistoriker Niall Ferguson, der gerade einen Lehrstuhl an der New York University übernommen hat. Aber nur, wenn sich die USA dazu bekennen, dass sie eine imperiale Macht sind und sich langfristig in Irak engagieren. Ein amerikanisches Imperium, das so viele Europäer fürchten, ist nämlich genau das, was die Welt in Fergusons Augen braucht. Angesichts der neuen globalen Herausforderungen wie dem internationalen Terrorismus, Schurkenstaaten, die nach Massenvernichtungswaffen streben, und kollabierenden Staaten kann niemand außer den USA für Ordnung und Stabilität sorgen, auch nicht die UN und die EU. Ohne amerikanische Führung drohe der Welt Apolarität, also Anarchie.

Das Problem ist dabei nur, so Ferguson, dass es den Vereinigten Staaten an den Voraussetzungen fehlt, ein Imperium zu errichten. Erstens mangelt es Eliten und Bevölkerung am Willen, globale Führungsaufgaben dauerhaft zu übernehmen. Während im britischen Empire die talentiertesten Absolventen der Elitehochschulen Karrieren in der Kolonialverwaltung anstrebten, kann man kaum einen Yale- oder Harvardzögling für den Dienst im Ausland gewinnen. Zweitens sind Demokratien, insbesondere die von den Medien so sehr beeinflusste amerikanische, nicht in der Lage, langfristiges Nation-Building zu betreiben. Traditionelle Imperien, so der Autor, hätten sich auch nicht um Umfragen geschert, die ihnen weltweiten Ansehensverlust bescheinigten. In den USA führe das gleich zu einer außenpolitischen Sinnkrise. Drittens schließlich fehle es den Vereinigten Staaten schlichtweg an den Ressourcen – Paul Kennedys „imperiale Überdehnung“ lässt grüßen – für die Gewinnung und Aufrechterhaltung eines Imperiums. Aufgrund der demographischen Entwicklung würden künftig immer mehr Mittel in den Sozialbereich fließen, die dann für internationales Engagement fehlten.

Insgesamt gelingt Ferguson ein stimulierendes Buch, auch wenn es nicht völlig stringent durchkomponiert ist. Der wichtigste Einwand ist ein grundsätzlicher: Ist die Analogie zwischen britischem Empire und amerikanischem Imperium wirklich zulässig? Bestand das Erfolgsgeheimnis der USA in der internationalen Politik nach 1945 nicht genau darin, die Fehler Londons zu vermeiden und nicht auf die Macht der Bajonette zu setzen, sondern auf die der Verführung? Hat das amerikanische Imperium deshalb nicht den Vorteil, viel billiger zu sein als alle Vorläufer?

John Lewis Gaddis, der Yale-Historiker und Doyen der amerikanischen Forschung über den Kalten Krieg, stimmt mit Ferguson überein, dass die USA dabei sind, ein Imperium zu errichten. In „Surprise, Security, and the American Experience“ argumentiert er indes, dass Washington seit dem Ende der Bipolarität, vor allem seit 9/11, auf jene Grand Strategy zurückgreift, die seine Außenpolitik vom frühen 19. Jahrhundert bis Pearl Harbor bestimmte, und deren Maximen lauten: Hegemonie, Unilateralismus, Präemption. Das Gleichgewicht der Mächte und der Multilateralismus seien zutiefst europäische Traditionen, derer sich Washington von 1941 bis 1990 nur deshalb bediente, weil die Nazis und Sowjets nicht anders als durch eine US-geführte Allianz zu besiegen waren. Jetzt aber, da die Vereinigten Staaten weltweit eine Suprematie genössen wie bis 1941 in ihrer eigenen Hemisphäre, würden sie ihr altes Erfolgsrezept auf die globale Ebene übertragen. Konkret heißt das: eine Ordnung errichten, in der es keinen Rivalen für die amerikanische Dominanz gibt, die eigene Handlungsfreiheit maximieren, schließlich Gefahren ausschalten, bevor sie unmittelbar bedrohlich werden.

Gaddis weist darauf hin, dass der neuen/alten Grand Strategy, so ambitioniert und grandios sie auch erscheinen mag, der Erfolg nicht garantiert ist. Das hat aber nicht viel mit den Beschränkungen zu tun, die Ferguson aufzählt. Vielmehr kämen die Hindernisse aus dem internationalen System, da immer mehr Staaten angesichts der neuen amerikanischen Außenpolitik unwohl sei. Zum einen würden die USA nun als Macht auftreten, die das internationale System destabilisierten; zum andern gäbe es keine Sowjetunion mehr, die durch ihre Bedrohung auch die amerikanische Hegemonie im Westen legitimierte. Guten Strategen wie Bismarck, so Gaddis, sei klar gewesen, dass man sich nach einem atemberaubenden Aufstieg in Verträge integrieren und sich saturiert erklären müsse, um keinen kollektiven Widerstand zu provozieren. Schlechte Strategen wie Napoleon, Wilhelm II. und Hitler seien in diese Falle getappt. Den Vereinigten Staaten empfiehlt Gaddis deshalb, ihr Imperium dadurch international akzeptabel zu machen, dass es allen Mitgliedern Sicherheit, Freiheit, Stabilität, Prosperität und Mitsprache in Aussicht stellt. Am Ende ist der große Stratege Gaddis dann doch wieder ganz konventionell.

Bob Woodward, Der Angriff. Plan of Attack, München: DVA 2004, 512 S., 24,90 EUR.

Richard A. Clarke, Against All Enemies. Der Insiderbericht über Amerikas Krieg gegen den Terror, Hamburg: Hoffmann und Campe 2004, 384 S., 19,90 EUR.

Niall Ferguson, Das verleugnete Imperium. Chancen und Risiken amerikanischer Macht, Berlin: Propyläen 2004, 448 S., 26 EUR.

John Lewis Gaddis, Surprise, Security, and the American Experience, Cambridge/London: Harvard University Press 2004, 150 S., 18,95 $.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2004, S. 117-121

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