IP

01. Juli 2010

Mehr Mars, weniger Venus

Was Obama misslingt, nutzt dem Iran

Barack Obamas Charme-Offensive im Nahen Osten ist bisher wenig erfolgreich – immer mehr ehemalige Verbündete des Westens suchen die Nähe zum Iran, dem größten Rivalen der USA in der Region. Obama konnte die wichtigsten regionalen Akteure nicht überzeugen, und Washington verliert im Kampf gegen das Regime in Teheran immer mehr an Boden.

Es fiele wohl jedem Politiker schwer, sich so zu erniedrigen. Besonders im Nahen Osten, wo ein viriler Ehrbegriff unerlässliches politisches Kapital ist, war das Interview, das der libanesische Drusenführer Walid Dschumblatt im März dieses Jahres Al Dschasira, dem wichtigsten Satellitensender der arabischen Welt, gab, außergewöhnlich. Er müsse sich öffentlich beim syrischen Staatspräsidenten Baschar Al Assad für seine „unanständigen“ Bemerkungen entschuldigen, die sich „jenseits aller politischen Gepflogenheiten“ befunden hätten. Er hatte den Präsidenten wenige Monate zuvor als „grausamen Diktator und Tyrann“ bezeichnet. Nur zwei Wochen später empfing Assad ihn gnädig in Damaskus. Ein „neues Kapitel in den syrisch-libanesischen Beziehungen“ hatte begonnen.

Auf den ersten Blick mag diese Episode nebensächlich erscheinen – die Drusen sind eine kleine Minderheit in einem der kleinsten arabischen Länder. In Wirklichkeit ist Dschumblatts Sinneswandel aber höchst aufschlussreich. Dschumblatt galt als führende Kraft in der Koalition vom 14. März, einem Bündnis aus Drusen, Sunniten und Christen, das angetreten war, die Fremdherrschaft im Libanon zu beenden. Zunächst hatten sich alle politischen Kräfte auf Israel konzentriert, das im Süden Libanons eine so genannte Sicherheitszone besetzt hielt.

Nach dessen Abzug im Juni 2000 wandte sich Dschumblatt gegen den Iran, Teherans Verbündeten Syrien und die mächtige, von den iranischen Revolutionswächtern unterstützte schiitische Hisbollah-Miliz im Libanon. Die Kräfte des 14. März verließen sich auf Hilfe aus dem Westen, allen voran aus Frankreich und den USA. Der Machtkampf mit den pro-iranischen Kräften der Koalition des 8. März geriet daher auch zum Gradmesser der Auseinandersetzung zwischen Teheran und Washington in der gesamten Region.

Kurz schien es, als sei dem prowestlichen Bündnis Erfolg beschieden. Syrien, international immer stärker isoliert und eingeschüchtert von der aggressiven amerikanischen Außenpolitik unter George W. Bush, zog 2005 seine Truppen ab. Damit verlor die Hisbollah ihre Schutzmacht und geriet politisch unter Druck. Nach dem zweiten Libanon-Krieg 2006 forderten Drusen und Sunniten von der Hisbollah, ihr Waffenarsenal aufzugeben und zu einer regulären politischen Partei zu werden. Doch damit verlöre die Hisbollah ihren einzigartigen Machtvorteil, ihre schlagkräftige Miliz. Als das prowestliche Bündnis weitergehende Forderungen erhob und von der Hisbollah verlangte, dass sie ihr eigenes Kommunikationsnetz dem staatlichen unterstelle, war das 2008 Anlass für einen bewaffneten Putsch.

Gang nach Canossa

Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Noch vor Walid Dschumblatt hatte bereits der libanesische Premierminister Saad Hariri, der vor allem die sunnitische Bevölkerung repräsentiert, eine Kehrtwende vollzogen. Er stattete im Dezember 2009 erstmals Assad einen Besuch in Damaskus ab. Für Hariri muss dieser Besuch noch weitaus schwerer gewesen sein als für Dschumblatt. Schließlich verdächtigt man den syrischen Präsidenten, die Ermordung von Hariris Vater angeordnet zu haben. Dieser „Gang nach Canossa“ markiert das Ende der prowestlichen Bewegung im Libanon.

Auch das Verhältnis zur Hisbollah hat sich verändert. Seit November 2009 ist ihre Koalition des 8. März mit zehn Ministern in Hariris Kabinett vertreten. Damit kontrolliert die Hisbollah ein Drittel der Stimmen und genießt ein Vetorecht über Regierungsentscheidungen. Ihre Entwaffnung, in UN-Resolution 1701 nach dem zweiten Libanon-Krieg ausdrücklich gefordert, mag einst eine zentrale Forderung Hariris und Dschumblatts gewesen sein. Mit der Bildung der „nationalen Einheitsregierung“ ist sie jedoch vom Tisch. Die Minister der Koalition des 8. März haben dafür gesorgt, dass Syrien im Libanon kein gedemütigter Paria mehr ist, sondern ein zentraler Akteur. Damit hat in Wirklichkeit Teheran, nicht Washington, in Beirut das Sagen.

Ein Großteil der libanesischen Bevölkerung hatte gehofft, dass sich die USA energisch für sie einsetzen würden. Doch der Hebel des Westens im Libanon war zu kurz und kraftlos, um glaubhaft Druck auszuüben. Die libanesische Armee (LA) war, allen Bemühungen Washingtons zum Trotz, zu keiner Zeit ein ernsthafter Gegner der Hisbollah. Beispiel Mai 2008: Nachdem der prowestliche Premier Fuad Siniora versuchte, das Kommunikationsnetz der Hisbollah zu verstaatlichen und den Hisbollah-freundlichen Direktor des internationalen Flughafens in Beirut absetzte, brachten die Hisbollah-Milizen innerhalb von kürzester Zeit Beirut in ihre Gewalt. Nicht nur materiell, sondern auch hinsichtlich der Kampfmoral war die LA den ethnisch homogenen und ideologisch eingeschworenen Hisbollah-Milizen unterlegen.

Nun kann der Westen seinen Bedeutungsverlust im Libanon durchaus verkraften. Doch Beirut ist nur ein Beispiel unter vielen. Mit dem scheinbar unaufhaltsamen Fortschritt des iranischen Atomprogramms gerät allmählich der gesamte Nahe Osten in den Einflussbereich des Iran, auf Kosten der USA und ihrer Verbündeten. In einer Region, in der mehr als die Hälfte der weltweiten Energiereserven lagern, deutet sich eine neue Machtbalance zu Ungunsten des Westens an. Barack Obamas Strategie, durch eine Abkehr von der Politik seines Vorgängers an Einfluss im Nahen Osten zu gewinnen, droht zu scheitern. George W. Bush hatte erfolgreich auf Caligulas Wahlspruch „Oderint dum metuant“ gesetzt – „Lasst sie mich hassen, solange sie mich nur fürchten“. Mit seiner Konzilianz ist Obama nicht nur relativ erfolglos – er schmälert auch das Abschreckungspotenzial der USA. Selbst da, wo Washington aufgrund eines hohen Truppenaufgebots oder massiver Wirtschaftshilfen den größten Einfluss haben sollte, nämlich im Irak, in Afghanistan und Israel, deutet sich ein Wandel an. Obamas Forderungen beeindrucken lokale Akteure immer weniger, während der Iran als aufsteigende Regionalmacht akzeptiert wird.

Dass im Frühjahr im Irak erfolgreich demokratische Wahlen abgehalten werden konnten, ist in erster Linie der amerikanischen Präsenz zuzuschreiben. Obwohl rund 92 000 US-Soldaten die Wahlen absicherten, statteten die Vertreter der größten Parteien nicht der US-Botschaft in Bagdad einen Besuch ab, sondern dem Regime in Teheran. Und obwohl eine Annäherung an Teheran selbst unter den irakischen Schiiten umstritten ist, behaupten viele, dass eine Regierung in Bagdad nur mit dem Segen der Iraner gebildet werden kann. Man kann es den Irakern nicht verübeln: Obama kündigte an, er werde die amerikanischen Truppen aus dem Irak abziehen. Das bedeutet, ähnlich wie im Libanon, dass die Amerikaner die politischen Akteure im Irak eines Tages nicht mehr schützen werden. In vorauseilendem Gehorsam und getrieben von ähnlichen Überlebensinstinkten wie Dschumblatt und Hariri sind sie daher bemüht, sich mit dem mächtigen Nachbarn im Osten zu arrangieren. Der blutige Putsch der Hamas gegen die Fatah in Gaza im Jahr 2007, das brutale Verhalten der Hisbollah im Libanon im Mai 2008, eine Reihe tödlicher Attentate auf die Gegner der politischen Präsenz der Syrer im Libanon und die grausame Niederschlagung der Protestbewegung im Iran nach den umstrittenen Parlamentswahlen im Jahr 2009 haben jedem in der Region gezeigt, wie Teheran und seine Verbündeten mit politischen Widersachern umgehen.

Warnung an den Westen

Auch der afghanische Präsident Hamid Karsai betrieb ein Doppelspiel, als er im März Achmadinedschad nur wenige Stunden nach dem Besuch von US-Verteidigungsminister Robert Gates zu einem feierlichen Staatsbesuch empfing. Zwar verdankt Karsai seine Macht dem von den USA geführten NATO-Einsatz. Doch gleichzeitig betont er, dass er nicht vom Westen abhängig sei. Korruptionsvorwürfen an seine Regierung begegnet er mit der Drohung, ins Lager der Taliban zu wechseln. In der Öffentlichkeit geriert sich Karsai als Retter Afghanistans vor fremder Einmischung. Dass sich die Beziehungen zwischen Kabul und Teheran zu einer Zeit verbessern, in der sich Washington auf Konfrontationskurs mit dem Iran befindet, ist eine kaum verhohlene Warnung des afghanischen Präsidenten an seine westlichen Verbündeten.

Im amerikanischen Verhältnis zu Israel sieht es ähnlich aus: Obwohl die Israelis militärisch, diplomatisch und wirtschaftlich von den USA abhängig sind, gelang es dem israelischen Premierminister Benjamin Netanjahu, Obama in seine Schranken zu verweisen. Zwar beugte sich Netanjahu anfänglich dem Druck aus Washington. Er bekannte sich öffentlich zur Zwei-Staaten-Lösung und verkündete kurz darauf einen temporären Baustopp in den Siedlungen im Westjordanland. Als Obama jedoch einen Baustopp in Ostjerusalem verlangte, widersetzte sich Netanjahu. Und als Israel im Siedlungsstreit die Oberhand behielt, büßte Obama in der arabischen Welt, vor allem bei den Palästinensern, an Glaubwürdigkeit ein.

In der arabischen Presse heißt es zum amerikanisch-israelischen Verhältnis, der Schwanz wedele mit dem Hund. Netanjahu habe in der „Aus-ein-andersetzung mit Obama gewonnen“, urteilte die ägyptische Al Ahram und fügte hinzu, „der Umstand, dass die Demokraten die absolute Mehrheit im Kongress verloren haben“, mache es unmöglich, „Entscheidungen zu fällen, die Israel nicht genehm sind“. In einem Interview mit der italienischen Zeitung La Republicca sagte der syrische Präsident Assad, Obamas Nahost-Politik habe bereits versagt und die USA hätten jeglichen Einfluss in der Region verloren.

Tatsächlich scheint die Strategie des Westens, Syrien aus dem engen Bündnis mit dem Iran zu lösen und so den negativen Einfluss des iranischen Regimes in der Region zu mindern, endgültig gescheitert. Kurz: Damaskus bleibt auch weiterhin strategischer Schutzherr militanter palästinensischer Organisationen, die jeden Fortschritt im Friedensprozess mit Israel erheblich erschweren. Laut einer Umfrage der israelischen Tageszeitung Haaretz glaubten im vergangenen März nur noch knapp zehn Prozent der Palästinenser, dass Obamas Bemühungen im Friedensprozess Früchte tragen würden. Im Juni 2009 waren es noch rund 35 Prozent.

Schulterschluss mit Teheran

Der Gipfel der Arabischen Liga im März dieses Jahres zeigt, dass der besorgniserregende Trend sich nicht auf die Krisenherde Afghanistan, Irak, Libanon, Israel und Palästina beschränkt. Zwar bestätigten die Teilnehmer erneut die arabische Friedensinitiative aus dem Jahr 2002, ein wichtiger Erfolg für die Vertreter des gemäßigten Lagers. Gleichzeitig wurden aus Syrien und Libyen Stimmen laut, auf bewaffneten Widerstand anstatt auf Verhandlungen zu setzen.

Als besonders bedenklich stuften Beobachter die Eröffnungsrede des Generalsekretärs der Liga ein, Amr Mussa, der die 22 Mitgliedsstaaten zum Unmut der Ägypter und Saudis dazu aufforderte, den Dialog mit und die Nähe zu Teheran zu suchen. Offenbar setzt sich selbst in arabischen Staaten, die bisher als enge Verbündete des Westens galten, die Ansicht durch, man müsse sich mit dem iranischen Regime arrangieren. Denn sollten die von den USA vorangetriebenen Verhandlungen über das iranische Atomprogramm scheitern, und danach sieht es derzeit aus, müssen sich die pragmatischen sunnitischen Staaten der Nahost-Region gegen die hegemonialen Ansprüche Teherans absichern. Mit welcher Sorge und Dringlichkeit die prowestlichen Golf-Anrainer das iranische Atomprogramm beobachten, zeigt die Aussage des saudischen Außenministers Saud Al Faisal bei einer Pressekonferenz mit seiner amerikanischen Amtskollegin Hillary Clinton im Februar: Sanktionen wirkten langfristig, doch diese Zeit stehe nicht zur Verfügung.

Dass man sich nicht nur innerhalb, sondern auch außerhalb des arabischen Raumes von den USA abwendet, zeigt das Beispiel der Türkei, deren Präsident Recep Tayyip Erdogan konsequent die Annäherung an Syrien und den Iran verfolgt. Die Eskalation der Spannungen mit Israel, die nun mit der blutigen Übernahme des türkischen Hilfskonvois für den Gaza-Streifen ihren Höhepunkt erreichte, ist ein weiteres Anzeichen für den Machtverlust Washingtons. Die Beziehungen zu Israel besitzen für Ankara einen hohen politischen Wert, galten sie doch als goldene Türklinke zum Weißen Haus und als Garant für die Annäherung an die EU.

Doch nun hat Erdogan dem Westen den Rücken gekehrt und sich eben jenen Staaten zugewandt, die Bush einst als „Achse des Bösen“ bezeichnet hatte. Konsequenzen drohen ihm dafür keine. Natürlich hat der Kurswechsel in Ankara vielfältige Ursachen, angefangen bei der Enttäuschung über das sich dahinschleppende EU-Beitrittsverfahren bis hin zur Weltanschauung Erdogans, der sich laut eigenem Bekunden der Hamas näher fühlt als den türkischen Kemalisten. Aber die empfundene Schwäche Obamas trägt maßgeblich dazu bei, dass Achmadinedschad immer mehr Verbündete zulaufen.

Nichts als leere Drohungen?

In der überarbeiteten nationalen Sicherheitsstrategie der USA erkennt Barack Obama ausdrücklich die Entstehung weiterer Machtzentren an. Dort werden die EU, Russland, China, Indien „aufstrebende Mächte von Südamerika über Asien bis in den Pazifik“ genannt. Das legt den Schluss nahe, dass es keine Konsequenzen gibt, wenn Staaten sich von Washington distanzieren. Drohte Bush noch mit militärischen Präventivschlägen, klingen in Obamas Sicherheitskonzept deutlich leisere Töne an. Dort heißt es, dass feindliche Staaten, die sich nicht an internationale Richtlinien halten, die Konsequenzen tragen – einschließlich „größerer Isolation“.

Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen im Nahen Osten ist das keine besonders abschreckende Drohung, zumal es mit der Umsetzung hapert. Saad Hariri und Hamid Karsai etwa lud man kurz nach dem Schulterschluss mit Teheran und seinen Verbündeten ins Weiße Haus ein. Anstatt der angekündigten Isolation ist der Handschlag mit Teheran für Politiker im Nahen Osten eine Lebensversicherung. Mehr noch: In dem Machtkampf, in dem die USA und der Iran um Verbündete ringen, wird wankelmütiges Verhalten von beiden Seiten belohnt. Wer sich nicht festlegt, wird von Washington und Teheran umworben. Und derzeit zieht Obama dabei den Kürzeren: In vielen Ländern der Region ist er weniger willkommen als Achmadinedschad oder Erdogan. Dort droht den USA, nicht ihren Feinden Isolation.

Noch ist es zu früh, die USA als ehemalige Supermacht im Nahen Osten zu bezeichnen. Doch wenn Obama den entscheidenden Machtkampf mit dem Iran um die Vorherrschaft in der Region nicht verlieren will, muss er eine härtere Gangart einlegen. Dazu braucht es Sanktionsdrohungen, die, wenn nötig, auch verhängt werden. Obama muss die immer noch vorhandene militärische Übermacht der USA glaubhaft in die Waagschale werfen und Entschlossenheit demonstrieren. Gleichzeitig muss er deutlich machen, dass er im Ernstfall zu seinen Verbündeten steht. Nur dann hat er eine Chance, den expandierenden iranischen Einfluss in der Region zurückzudrängen.

Dr. GIL YARON arbeitet als Journalist und Nahost-Experte für verschiedene deutsche Medien. Er lebt in Tel Aviv.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2010, S. 84 - 89

Teilen