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01. Okt. 2008

Liebe macht blind

Warum uns ein nüchterner Blick auf Amerikas Demokraten gut täte

Die meisten Deutschen lieben Barack Obama, denn seit jeher schlägt ihr Herz demokratisch. Washington denkt und handelt aber parteiübergreifend, doch das wollen die verliebten Deutschen nicht sehen. Nicht allein George Bush jun. handelte unilateral, auch Bill Clinton entschied, sobald amerikanische Interessen bedroht waren, oftmals allein – nicht zuletzt bei seinen Strafbombardierungen Saddam Husseins im Irak.

Er war es, der nach den Anschlägen auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998 von Krieg sprach, um militärische Attacken gegen Ziele in Afghanistan und im Sudan zu rechtfertigen. Er war es, unter dem die Amerikaner in Somalia eine klägliche Niederlage erlitten und während des Genozids in Ruanda versagten – gemeinsam mit ihnen die Deutschen. Er war es auch, der in Bosnien mit dem Vertrag von Dayton lediglich ein internationales Protektorat schuf und im Kosovo einen völkerrechtlich umstrittenen Angriffskrieg der NATO gegen Serbien anführte.

Doch die Deutschen lieben weiterhin ihre Demokraten. Mit Obama wünschen sie sich einen Präsidenten in das Weiße Haus, der ähnlich wie die Republikaner militärische Interventionen nicht ausschließt. Daher hat er sich die Aufstockung des Militärapparats um 92 000 Soldaten ins politische Programm geschrieben. Daher unterstützt er die Ausweitung amerikanischer Luftangriffe auf pakistanisches Territorium. Daher will er sogar Bodentruppen in Stammesgebieten des nordwestlichen Pakistan einsetzen.

Erinnerungen an Vietnam werden wach. Damals waren es mit John F. Kennedy und Lyndon B. Johnson gleichfalls demokratische Präsidenten, die mehr und mehr GIs in einen Krieg schickten, der militärisch nicht zu gewinnen war. Erst ein Republikaner machte damit Schluss: Richard M. Nixon beendete den verhassten Krieg und setzte auf Entspannung gegenüber den kommunistischen Mächten – der Startschuss für Willy Brandts Ostpolitik. All das haben die Deutschen vergessen. Liebe macht blind – weitaus besser wäre eine „sachliche Romanze“.

Dr. THOMAS SPECKMANN ist Referent in der Staatskanzlei der Landes Nordrhein- Westfalen und Lehrbeauftragter für Politische Wissenschaft der Universität Bonn. Der Beitrag gibt seine persönliche Meinung wieder.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 10, Oktober 2008, S. 120

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