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05. Jan. 2018

Kostspieliger Kurs

Saudi-Arabiens aggressive Politik gegenüber dem Iran läuft ins Leere

Der saudische Kronprinz Mohammed Bin Salman betreibt eine Politik, die mit der traditionellen Strategie des Interessenausgleichs bricht. Sein Ziel: Den Iran zu dämonisieren, um seine politische Macht zu sichern – und das in Rekordtempo. Dieser Kurs ist jedoch riskant. Statt die Kosten für Teheran in die Höhe zu treiben, schwächt sich Riad eher selbst.

„Mohammed Bin Salman rennt in vollem Tempo auf einen Abgrund zu, würde es aber nie wagen, über die Klippe zu springen.“ So umschreibt ein Analyst des Königreichs die politische Strategie des saudischen Kronprinzen, den alle nur MBS nennen. Diese Strategie beruht auf kalkulierter Eskalation – und das in Hochgeschwindigkeit.

MBS hat seit der Thronbesteigung seines Vaters Salman im Januar 2015 einen kometenhaften Aufstieg erfahren: Der neue König machte ihn zum Verteidigungsminister und stellvertretenden Kronprinzen, ehe er im Juni 2017 zum nächsten Thronfolger befördert wurde – mit gerade einmal 32 Jahren. Außer einem ­Jura-Abschluss der König-Saud-Universität hatte er an Qualifikationen nicht viel vorzuweisen; allerdings berät er seinen Vater bereits seit 2009, als dieser Gouverneur von Riad war. 2013 wurde er Leiter am Hof des Kronprinzen, zu dem sein Vater 2012 ernannt worden war.

In Saudi-Arabien wird MBS bereits als „Mr. Everything“ bezeichnet. Bei all dem Tempo, das er vorgelegt hat, wirkt er wie ein Getriebener. „Ich befürchte, dass ich sterbe, ohne das erreicht zu haben, was ich beabsichtigt hatte. Das Leben ist zu kurz“, sagte er. „Deswegen muss ich mich so beeilen.“1

Mit seinem Namen verbindet sich vor allem die umfassendste Wirtschaftsreform in der Geschichte des Königreichs. Seine „Vision 2030“ soll den Petrostaat nicht nur diversifizieren und attraktiver für ausländische Investoren machen, sondern „die Welt erneut begeistern“, wie es MBS blumig formuliert. Dazu gehört auch eine vorsichtige gesellschaftliche Öffnung: Es werden wieder Kinos zugelassen, und saudische Frauen dürfen ab Juni nicht nur Auto fahren, sondern sollen zu einem Pfeiler des neuen Wirtschaftswunders werden.

Um dieses ungestört umsetzen zu können, hat MBS in den vergangenen Monaten eine Reihe unliebsamer Querulanten und Kritiker entmachtet oder gar verhaften lassen. Der Vorwurf: Korruption. Es ist ein durchaus illustrer Kreis, darunter Mitglieder seiner eigenen Familie, von denen er fürchtete, sie könnten ihm den Anspruch auf den Thron streitig machen, sowie einflussreiche Geschäftsleute, Medienmogule und sogar amtierende Minister. Die meisten wurden ins Fünf-Sterne-Hotel Ritz Carlton in Riad verbracht und dort festgehalten.

Der Kronprinz bricht damit mit der traditionellen „Eine Hand wäscht die andere“-Politik der saudischen Königsfamilie. Bislang hatten es die Herrscher perfekt verstanden, einflussreiche Eliten wie die Religionsgelehrten oder die Händlerfamilien mit Macht und Geld an sich zu binden. MBS kündigt diese stillschweigende Abmachung; nun sollen alle Hände nur noch die seine waschen. Damit könnte er sich Feinde schaffen.

Politik mit Risiko

Doch dieses Risiko nimmt er in Kauf. Wichtiger als das Establishment ist ihm, die Unterstützung der saudischen Jugend zu gewinnen. Für sie macht er Politik, sie will er auf seine Seite ziehen. Bisher mit Erfolg: Sie feiert ihn als neuen Polit-Helden, dem es gelingt, ihr Perspektiven zu geben, das verkrustete und korrupte System zu reinigen und die Vetternwirtschaft zu bekämpfen. 70 Prozent der saudischen Bevölkerung sind jünger als 30 Jahre, fast die Hälfte noch nicht einmal volljährig. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei fast 40 Prozent. Den jungen Menschen muss MBS eine berufliche Perspektive anbieten. Also geriert er sich als deren Sprachrohr, als Teil ihrer Generation, der ihnen die Chance auf eine bessere Zukunft gibt. MBS hat begriffen, dass diese Untertanen die Zukunft des Landes sind und seine wichtigsten Fürsprecher werden müssen, wenn er das Land über eine Ära hinweg prägen soll. Damit schürt er aber auch hohe Erwartungen, die er nun erfüllen muss.

Neben der Modernisierung der Wirtschaft, der Marginalisierung des Establishments und der Mobilisierung der Jugend beruht sein Erfolgsrezept auf einem klaren äußeren Feindbild: dem Iran. Seit der Islamischen Revolution 1979 fühlt sich Saudi-Arabien durch den iranischen Einfluss in der arabischen Welt bedroht.

Den Zuwachs des iranischen Einflusses im Irak nach dem Sturz Saddam Husseins 2003 betrachtete Riad zwar mit Sorge, hielt sich aber aus den innerirakischen Querelen heraus. Doch seit 2011 fühlt sich das Königreich regelrecht von iranisch kontrollierten Feinden umzingelt. Ob es die schiitische Bevölkerungsmehrheit im benachbarten Bahrain, der vom Iran unterstützte Diktator Baschar al-Assad in Syrien, die Hisbollah im Libanon oder die Huthi-Rebellen im Jemen sind – sie alle gelten in der saudischen Wahrnehmung als Marionetten Teherans, die darauf hinarbeiten, das Haus Saud zu stürzen.

Ohne Frage hat sich der iranische Einfluss in den vergangenen Jahren in der arabischen Welt nochmals ausgeweitet: Verbündete wie die Hisbollah oder Assad hätten sich ohne iranisches Geld und Ausbildung kaum behaupten können. Doch die neue politische Führung um MBS neigt dazu, Teheran für alles Schlechte in der Region verantwortlich zu machen und dessen Einfluss zu übertreiben.

So beschuldigte der saudische Außenminister Adel al-Jubair im Februar 2017 auf der Münchner Sicherheitskonferenz den Iran, an der Entstehung des so genannten Islamischen Staates beteiligt gewesen zu sein: „Die Iraner sind erstaunlicherweise das einzige Land der Region, das weder vom Islamischen Staat noch von Al-Kaida attackiert wurde. Da stellt man sich doch die Frage: Warum? Wenn man annimmt, dass beide Organisationen sunnitische Extremisten sind, sollte man doch davon ausgehen, dass sie den Iran, einen schiitischen Staat, angreifen würden. Haben sie aber nicht. Kann es vielleicht sein, dass es eine Abmachung zwischen ihnen gibt, die sie davon abhält, Iran zu attackieren?“2

Diesen Krieg der Worte heizte MBS noch weiter an, als er den Revolutionsführer Ayatollah Khamenei kürzlich als „neuen Hitler des Mittleren Ostens“ bezeichnete.3 Dabei fühlt sich MBS auch von Donald Trump ermutigt: Dessen Besuch in Riad – das Ziel von Trumps erster Auslandsreise als US-Präsident überhaupt – und scharfe Polemik gegen das Atomabkommen und den Iran überhaupt bestärken MBS in seinem Kurs der kalkulierten Eskalation.

Der eigenen Bevölkerung kann sich der Kronprinz so als starker Führer in Krisenzeiten präsentieren; auch schließt er mit dem gemeinsamen Feindbild Iran die eigenen Reihen und schürt eine Wagenburgmentalität. Auf diese Weise wird die saudische „Iranoia“ machterhaltendes Mittel. Außenpolitisch verabschiedet er sich damit aber von der einstigen Politik des regionalen Interessenausgleichs: In der Vergangenheit war das Königreich darauf bedacht gewesen, Konflikte als Vermittler hinter den Kulissen zu lösen. Dabei floss viel Geld, um einzelne Konfliktparteien zu kaufen und damit für Ruhe zu sorgen. So vermittelte man unter anderem im libanesischen Bürgerkrieg und zwischen der palästinensischen Hamas und Fatah 2007.4

MBS setzt stattdessen auf eine Politik der kompromisslosen Stärke und die Eindämmung des Iran. Ein Beispiel dafür ist das harte Vorgehen gegen Katar, dem vorgeworfen wird, zu eng mit Teheran zu kooperieren; seit dem Sommer 2017 wird das Scheichtum boykottiert. Der kurzzeitige Rücktritt des libanesischen Ministerpräsidenten Saad Hariri, im November in Riad erklärt, sollte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die destruktive Rolle der Hisbollah lenken, die vom Iran kontrolliert wird.

Am deutlichsten wird diese Politik allerdings im Jemen: Das arme Nachbarland im Süden des Königreichs wird in Riad als „Hinterhof“ betrachtet, der kontrolliert werden müsse, um die eigene Sicherheit zu bewahren. Bereits in den 1960er Jahren griff Saudi-Arabien militärisch im Jemen auf Seite der Royalisten gegen die von Ägypten unterstützten republikanischen Kräfte ein. In den 2000er Jahren lieferte sich das saudische Militär immer wieder Grenzscharmützel mit den Huthi-Rebellen.

Heute geht es wieder gegen die Huthis: Seit März 2015 führt Saudi-Arabien eine Militärallianz an, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Siegeszug der Rebellen zu beenden. Diese hatten im September 2014 gemeinsam mit dem ehemaligen Präsidenten Ali Abdullah Salih die Hauptstadt Sanaa erobert und danach immer mehr Gebiete eingenommen, bis sie sogar die südliche Hafenstadt Aden kontrollierten.

Die Huthis sind Zaiditen, Angehörige einer schiitischen Konfession, die jedoch mit den religiösen Lehren der im Iran dominierenden Zwölfer-Schia nur wenig gemein haben. Dennoch gelten sie für Saudi-Arabien als enge Verbündete des Iran, die mit Waffenlieferungen und Ausbildungsmaßnahmen zu einer „jemenitischen Hisbollah“ aufgebaut werden sollen, um Saudi-Arabien zu destabilisieren.

Zweifelsohne haben die Huthis und Teheran ihre Kooperation in den vergangenen Monaten deutlich intensiviert; regelmäßig treffen jemenitische Raketen saudisches Territorium. Dazu hat jedoch auch die Propaganda Saudi-Arabiens beigetragen, die dem Iran und den Huthis von Beginn an eine symbiotische Verbindung unterstellt hat. Dieser Vorwurf ist zur selbsterfüllenden Prophezeiung geworden: Der Iran hat begriffen, dass er Saudi-Arabien im Jemen schwächen kann, ohne selbst viel investieren zu müssen.

Denn von dem Ziel, die Huthis militärisch zurückzuschlagen, ist MBS immer noch weit entfernt. Nach 32 Monaten des Bombardements ist das Ergebnis ernüchternd, und in Saudi-Arabien spricht man hinter vorgehaltener Hand schon von einem „saudischen Vietnam“. Die Kosten explodieren und belasten das durch den gefallenen Ölpreis ohnehin gebeutelte Budget des saudischen Staates. Gleichzeitig muss sich die saudische Allianz Vorwürfe der Vereinten Nationen erwehren, Fassbomben einzusetzen und Flüchtlingslager zu bombardieren. Außerdem hat die Seeblockade, die von Saudi-Arabien eingerichtet wurde, die humanitäre Krise verschärft. Drei Viertel der Bevölkerung sind hilfsbedürftig, 17 Millionen leiden unter Unterernährung. Im Herbst 2017 brach zudem eine Cholera-Epidemie aus. Seit Beginn der Militärintervention sind 5000 Zivilisten durch die Luftschläge getötet und 9000 verletzt worden.

Fehlende Alternativen

Mit dem Tod Salihs, der von seinen einstigen Verbündeten, den Huthis, am 4. Dezember 2017 erschossen wurde, weil er mit Saudi-Arabien paktieren wollte, verringern sich die Optionen Riads noch weiter. Hätte sich Salih auf die saudische Seite geschlagen, hätte sich das Blatt zugunsten Saudi-Arabiens wenden können. Doch nach dem Mord an Salih fühlen sich die Huthis klar im Aufwind. Und MBS, der als amtierender Verteidigungsminister verantwortlich für den Jemen-Feldzug ist, fehlen die Alternativen.

Das kann dramatische Auswirkungen für die jemenitische Bevölkerung haben: Sollte Saudi-Arabien seine militärische Präsenz ausweiten und sogar verstärkt Bodentruppen entsenden, könnte die lose Allianz zwischen dem Iran und den Huthis zu einer engen Partnerschaft werden. Die Folge wäre eine Ausweitung der Kämpfe.

MBS aggressive Außenpolitik mag innenpolitisch fruchten, nachhaltige diplomatische Lösungen sind allerdings nicht in Sicht – weder im Jemen noch im Libanon oder gegenüber ­Katar. Die Hasstiraden aus Riad scheinen den Rivalen eher zu stärken. In Saudi-Arabien vermutet man, dass MBS die politischen und wirtschaftlichen Kosten des Iran für das Engagement in der arabischen Welt drastisch nach oben treiben und auf diese Weise die Islamische Republik zum Rückzug zwingen will. Doch er könnte sich verspekulieren: Bisher sind nämlich nur die Kosten für das Königreich gestiegen.

Sebastian Sons ist Associate Fellow im Programm Naher Osten und Nordafrika der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

  • 1Zitiert nach Thomas Friedman: Saudi Arabia’s Arab Spring, at Last, The New York Times, 23.11.2017.
  • 2Sicherheitskonferenz, 19.2.2017, http://www.mofa.gov.sa/sites/mofaen/Minister/MinisterMedia/PressConfere…. Im Juni 2017 folgte dann ein koordinierter Anschlag auf das iranische Parlament und die Gedenkstätte Ayatollah Khomeinis in Teheran. Die Hintergründe sind jedoch nicht eindeutig geklärt. Siehe dazu Ali Fathollah-Nejad: Der Doppelschlag von Teheran, IP, 4/2017, S. 103–107.
  • 3Thomas Friedman, a.a.O. (Anm. 1).
  • 4Siehe dazu René Rieger: Saudi Arabia, Diplomacy, and Mediation: An Approach to Conflict Resolution in International Relations, London 2016.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 1, Januar-Februar 2018, S. 106 - 110

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