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18. Nov. 2022

Geldmeisterschaften

Wie Katar die Fußball-WM nutzt, um seinen Einfluss in der Welt auszubauen, werden wir in den kommenden Wochen erleben. Doch auch Saudi-Arabien und die VAE betrachten Sportpolitik als Machtinstrument: Die Vergabe der Asiatischen Winterspiele 2029 an Riad sowie Investitionen in englische und französische Top-Clubs zeigen das deutlich. Dass Deutschland keine stringente Strategie gegenüber der Region hat, ist ein schweres Versäumnis.

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Bild: Bau eines Stadions in Quatar
Strukturelle Gewalt, unzureichende Wohn- und Hygienebedingungen, ausstehende Löhne: Auf WM-Bau­stellen in Katar sind die Arbeitsbedingungen immer noch katastrophal.
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Es war im Jahre 1993, als ein Deutscher in einem dramatischen Dreisatzmatch gegen den Kroaten Goran Ivanišević das erste Tennisturnier gewann, das je im katarischen Doha ausgetragen wurde. Sein Name: Boris Becker.

Was sich in diesen Wochen am Golf abspielt, hat also durchaus eine gewisse Vorgeschichte. Sport, und namentlich der Fußball, ist für die dortigen Monarchien seit Jahrzehnten ein lukratives Spekulations- und Investitionsobjekt. Dabei hechelt das größte Land, Saudi-Arabien, dem Erfolg seiner beiden Nachbarstaaten Katar und Vereinigte Arabische Emirate (VAE) hinterher.

Seit dem Einstieg der Qatar Investment Authority bei Paris St. Germain (PSG) vor mehr als zehn Jahren und der Übernahme von Manchester City durch Abu Dhabi im Jahr 2008 haben sich die Golf-Staaten als Großmächte im internationalen Fußball etabliert. Strategische Partnerschaften mit dem AC Mailand, dem FC Barcelona oder dem FC Bayern München tragen dazu bei, dass Katar und die VAE ein weltweites Netzwerk im Fußball aufgebaut haben, das ihnen Macht und Einfluss verleiht. Die City Football Group, die zu mehr als 80 Prozent der Abu Dhabi United Group Investment & Development Limited gehört, hat mittlerweile Franchise-Vereine in den USA, Indien, China und Australien gegründet, welche die emiratische Ausnahmestellung auf dem Fußballmarkt festigen sollen.

Neid auf den Newcomer

Katar und die VAE haben den Sport schon seit vielen Jahren für sich entdeckt, um das eigene Geschäftsmodell attraktiver zu gestalten, ausländische Investoren anzulocken und den Sport als Schutzschirm vor ausländischen Aggressionen zu nutzen. Diese kleinen Länder sind auf regionale wie wirtschaftliche Stabilität angewiesen und fühlen sich durch die Rivalität der regionalen Schwergewichte Saudi-Arabien, Iran und Türkei in ihrer Sicherheit bedroht.

Das gilt insbesondere für Katar. Im Juni 2017 verhängten Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten eine Blockade, um das Emirat mit den größten Gasvorkommen der Welt in die Schranken zu weisen. Katar hatte sich nicht nur zu einer Drehscheibe des internationalen Handels entwickelt, sondern unterhielt auch enge Kontakte zum Iran und zu den afghanischen Taliban. Es beherbergt den wichtigsten Stützpunkt der US-Armee in der Region und hat sich als Investor in europäische Unternehmen wie Volkswagen oder zuletzt RWE als verlässlicher und finanzstarker Partner der westlichen Wirtschaft erwiesen. All das rüttelte am Ego der ambitionierten Herrscher in Riad und Abu Dhabi. Somit wurde die Blockade von Neid getrieben, der sich auch an der gewachsenen Bedeutung Katars im Sport entzündete. Immerhin hatte Katar im Jahr 2010 die Fußball-Weltmeisterschaft zugesprochen bekommen – eine Sensation, aber eben auch ein Reizthema.

Folgerichtig wollten Saudi-Arabien und die VAE die Blockade auch dazu nutzen, Katar die WM wegzunehmen. So hatte sich Riad intensiv beim Weltfußballverband FIFA darum bemüht, bereits die WM 2022 auf 48 Teams aufzustocken, damit die katarischen Kapazitäten nicht ausreichten, um ein solch aufgeblähtes Turnier auszurichten, und selbst als Ko-Gastgeber aufzutreten.

Doch die FIFA wies dieses Ansinnen zurück – ein Triumph für den jungen katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani. Er war standhaft geblieben und konnte ein starkes Signal senden: PSG verpflichtete kurz nach Ausbruch der Krise den brasilianischen Superstar Neymar und zahlte 222 Millionen Euro als bis dato höchste Ablösesumme. Dieser Transfer, der ausschließlich aus Katar finanziert worden war, war eine direkte Reaktion auf die Blockade und eine Demonstration finanzieller Stärke. Im Januar 2021 schließlich versöhnten sich Saudi-Arabien und die VAE recht widerwillig mit Katar; der Plan, Katar die WM wegzunehmen, war gescheitert.

Tod auf der Baustelle

Im Westen wird seither eine kontroverse und hochemotionale Debatte über die Korruption bei der Vergabe der WM und über Menschenrechtsverletzungen in Katar geführt: Auf den Baustellen sind in den vergangenen Jahren vor allem Arbeitsmigranten aus asiatischen Ländern wie Bangladesch oder Nepal Opfer der katastrophalen Arbeitsbedingungen geworden und gestorben.

Zwar hat die katarische Regierung auf den enormen internationalen Druck reagiert und in den vergangenen Jahren eine Vielzahl an rechtlichen Reformen initiiert, um die Arbeitssituation der Migranten zu verbessern: Neben der Einführung eines Mindestlohns, der Möglichkeit, auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers den Arbeitsplatz zu wechseln und der Einrichtung von Beschwerdezentren wurde im April 2018 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) erlaubt, ein Büro in Doha zu eröffnen – das erste in den Golf-Staaten.

Allerdings: Diese Reformen werden nur unzureichend umgesetzt. Noch immer klagen Migranten über ausstehende Löhne, unzureichende Wohn- und Hygienebedingungen und strukturelle Gewalt. Vielen wird weder von ihren Heimatregierungen noch von den Beschwerdestellen geholfen, Kontrollen der Arbeitsbedingungen finden kaum statt. Die Migranten müssen sich verschulden, um den beschwerlichen Weg aus ihren Heimatländern nach Katar auf sich zu nehmen und begeben sich in die Abhängigkeit von kriminellen Rekrutierungsagenturen.

Die gravierende Diskrepanz zwischen den Verbesserungen im rechtlichen Bereich und den sich fortsetzenden Missständen in der Umsetzung kritisieren Menschenrechtsorganisationen bereits seit Jahren. Geändert hat sich bisher wenig. Im Gegenteil: Während der Corona-Pandemie wurden asiatische Arbeitsmigranten als „Superspreader“ stigmatisiert; Zehntausende von ihnen wurden in ihre Heimatländer abgeschoben.

Wintersport in der Wüste

Die Ereignisse rund um die Katar-Blockade zeigen, mit welcher Härte und Kompromisslosigkeit die Golf-Staaten um Einfluss im Weltsport konkurrieren. Insbesondere Saudi-Arabien versucht, den erfolgreichen Weg der VAE und Katars zu kopieren und will sich als Global Player im Fußball positionieren. So übernahm das Königreich im November 2021 für 360 Millionen Euro 80 Prozent des britischen Traditionsvereins Newcastle United FC (NUFC), der damit über Nacht zu einem der reichsten Clubs der Welt aufstieg. Dies erlaubte dem bis dato im unteren Drittel der Premier-League-Tabelle stehenden Verein, über 100 Millionen Euro in neue Spieler zu investieren – das meiste Geld weltweit (zum Vergleich: Aus den 18 Vereinen der Bundesliga flossen „nur“ 60,6 Millionen Euro in Transfers).

Zudem ist dem Königreich ein spektakulärer Coup gelungen: Mit der Ausrichtung der Asiatischen Winterspiele 2029 will man endgültig ins Konzert der Großen aufsteigen und sich als neuer Stern am internationalen Sporthimmel positionieren. Dafür soll im Sarawat-Gebirge in der nordwestlichen Region Tabuk das Skiressort Trojena errichtet werden. Die Winterspiele sind für Saudi-Arabien ein weiterer Meilenstein, sich in der Sportwelt zu etablieren.

Dafür soll das Unmögliche möglich gemacht werden: Da die Temperaturen in dieser Region selten unter null Grad fallen und Schnee künstlich erzeugt werden muss, sollen Wasserleitungen durch das Gebirge verlegt, das Luxusresort „The Vault“ vertikal in den Berghang gebaut sowie ein künstlicher Süßwassersee angelegt werden. Beobachter nennen die Pläne „bizarr“ und verweisen auf die massiven Beeinträchtigungen der Umwelt und die Energieverschwendung. Doch die saudische Führung betont den Nutzen für die einheimische Wirtschaft: Die Asienspiele sollen als Motor dienen, um Wintersport im Königreich – einem der heißesten Länder der Welt – zu vermarkten. Nach Fertigstellung soll Trojena jedes Jahr 700.000 Touristen anlocken und 10.000 neue Jobs schaffen.

Höher, schneller, weiter

Hinter diesen saudischen Megainvestitionen steckt die Absicht, sich nach dem Vorbild Katars international als relevanter Austragungsort für internationale Sportveranstaltungen zu positionieren. Damit will das Königreich dringend benötigte ausländische Investitionen und Touristen anziehen. Saudi-Arabien muss trotz momentan hoher Energiepreise seine ölabhängige Wirtschaft diversifizieren. Während der Corona-Krise sanken die Ölpreise zeitweise um bis zu 80 Prozent – ein Schock für ein Land, das seit Jahren versucht, seine Wirtschaft unabhängiger vom Öl aufzustellen und die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu bekämpfen.

Im Gegensatz zu den kleinen Nachbarn Katar und VAE, in denen die überschaubare einheimische Bevölkerung auch in Zeiten der fallenden Öl- und Gaspreise noch umfangreich vom Staat alimentiert werden kann, steht das Vollkaskosystem in Saudi-Arabien vor dem Kollaps.

Kronprinz Muhammad bin Salman (MbS) will deshalb Wirtschaft und Gesellschaft radikal umkrempeln – und Investitionen in den Sport sind ein wichtiges Puzzleteil seines Geschäftsmodells geworden. So wurde mit der spanischen Liga ein Deal geschlossen, den spanischen Supercup in Saudi-Arabien stattfinden zu lassen. Dieses Großevent lässt sich das Königreich 120 Millionen Euro für insgesamt drei Austragungen kosten.

Die Ausrichtung des ersten Formel-1-Rennens in Dschidda im November 2021 gilt ebenso als Meilenstein der saudischen Sportpolitik wie die Ausrichtung von internationalen Golf-, Tennis- oder Wrestling-Turnieren. Und Saudi-Arabien beabsichtigt, gemeinsam mit Griechenland und Ägypten die Fußball-WM 2030 auszurichten und damit nicht nur in die Fußstapfen des kleinen Nachbarn Katar zu treten, sondern darüber hinaus in neue Dimensionen aufzubrechen. Das Motto ist klar: Höher, schneller, weiter – darum geht es MbS mit seinen ambitionierten Plänen im Sport. +

Ziel des Thronfolgers ist es, mit Sport sein Land als modern, weltoffen und sportbegeistert zu präsentieren; er will sich als Herrscher der Jugend zeigen. Da 70 Prozent der saudischen Bevölkerung jünger als 30 Jahre sind, viele von ihnen im Ausland studiert haben und mit hohen Erwartungen in ihre Heimat zurückgekehrt sind, richtet sich MbS vor allem an diese Generation, die nach gesellschaftlicher Freiheit drängt und unterhalten werden möchte. Sportevents sind demnach ebenso Bestandteil dieser „Brot-und-Spiele“-Politik wie gigantische Musikfestivals, Konzerte von internationalen Superstars oder Investitionen in touristische Großprojekte.

Machtsicherung nach innen und außen

Neben patriotischem Stolz will der Kronprinz auch die Sportbegeisterung fördern. Immerhin leiden 17,7 Prozent aller saudischen Erwachsenen unter Diabetes. Jeder fünfte Staatsangehörige ist adipös und mehr als ein Drittel übergewichtig – eine Folge mangelnder Sportangebote und unausgewogener Ernährung. Doch das ändert sich. Im Freizeitbereich ist das Sportangebot in den vergangenen Jahren rasant gewachsen: Es öffnen immer mehr Fitnessstudios, und im Straßenverkehr der Großstädte Riad und Dschidda sieht man Radfahrer und Jogger – vor einigen Jahren noch undenkbar. Nur eine fitte Gesellschaft ist auch leistungsstark, so das Credo von MbS. Die saudische Sportpolitik ist also auch ein innenpolitisches Instrument, um die Macht des Königshauses und vor allem des Kronprinzen zu sichern und die gesellschaftliche Einheit zu bewahren.

Darüber hinaus will das Königreich durch solche Investitionen sein angeschlagenes Image in der westlichen Welt verbessern und neue Märkte erschließen. Insbesondere England ist hierbei interessant. Somit ist die Übernahme Newcastles auch ein strategisches Mittel, um sich noch stärker auf dem englischen Markt zu positionieren. Die Hafenstadt Newcastle ist aus wirtschaftlichen Erwägungen besonders interessant für Saudi-Arabien: Das Königreich engagiert sich in der maritimen Logistik und erhofft sich durch den Einstieg bei NUFC bessere Chancen auf Investitionen in die dortige Hafeninfrastruktur.

Aufgrund seiner Größe mit 30 Millionen Einwohnern betrachtet sich Saudi-Arabien als natürliche Führungsmacht am Golf. Das soll sich auch im Sport niederschlagen. Die Konkurrenz im Sport ist somit zum Sinnbild einer großangelegten Rivalität der Golf-Staaten um den Erfolg der diversen Geschäftsmodelle geworden: Da sowohl Katar, die VAE als auch Saudi-Arabien auf ausländische Investitionen, Touristen und wirtschaftliche Diversifizierung angewiesen sind, werden sie weiter versuchen, den anderen auszustechen.

Golf-Strategie dringend gesucht

Dieser Konkurrenzkampf zeigt sich auch in Deutschland. Der Sponsorendeal zwischen dem deutschen Serienmeister Bayern München und Qatar Airways, der staatlichen Fluglinie Katars, hat bei vielen Bayern-Fans und in der breiten Öffentlichkeit zu massiver Kritik geführt. In der Bundesliga weiß man jedoch, dass die Golf-Staaten zu einem wichtigen potenziellen Partner geworden sind.

Auf den Aufstieg der Golf-Staaten muss aber nicht nur die Bundesliga, sondern auch die deutsche Außenpolitik reagieren. Noch immer verfolgt sie keine kohärente Strategie gegenüber dieser Region, mäandert zwischen realpolitischen Interessen und moralischen Werten – ein Widerspruch, der sich auch in der teilweise hysterisch geführten Diskussion um einen möglichen WM-Boykott widerspiegelte. Ohne Frage muss die Situation der zumeist asiatischen Arbeitsmigranten in Katar kritisch diskutiert und die Rolle der katarischen Regierung bei der Umsetzung der implementierten Veränderungen ebenso hinterfragt werden wie das autoritäre Herrschaftsmodell. Allerdings sollte diese Kritik nicht in Polemik ausarten, sondern sich auf konstruktive Ansätze konzentrieren: So könnte die Bundesregierung gemeinsam mit dem Deutschen Fußballbund (DFB), der Deutschen Fußballliga (DFL) oder einigen Vereinen wie Bayern München die katastrophalen Umstände in der Arbeitsmigration kritisieren.

Trotz all dieser Widrigkeiten lebt noch immer jeder zehnte Arbeitsmigrant der Welt in den Golf-Staaten. Nach den USA stammten 2020 die meisten Rücküberweisungen aus den VAE und Saudi-Arabien. Es handelt sich also um ein globales Phänomen; Empfängerländer wie Katar dürfen sich nicht ihrer Verantwortung entziehen. Deutschland sollte daher entwicklungspolitisch stärker zurückgekehrte und künftige Migranten mit ihren Familien in Entsendestaaten wie Pakistan unterstützen und dazu auch die offene Diskussion mit den Golf-Staaten suchen. Berlin könnte vorbereitende Maßnahmen für Auswanderungswillige in ihren Heimatländern anbieten, um sie auf die Herausforderungen in Katar und anderswo vorzubereiten und sie zu beraten.

Die Bundesregierung sollte darüber hinaus auf die Regierungen der Entsendestaaten Druck ausüben, sich intensiver und umfassender für die Belange ihrer Staatsangehörigen einzusetzen, wenn sie in Saudi-Arabien inhaftiert werden oder in Katar ihren Lohn nicht ausgezahlt bekommen. Gemeinsame Bemühungen von Sport und Politik könnten hier zu einer differenzierteren Diskussion beitragen. Die WM hat dazu geführt, die prekären Arbeitsbedingungen von Migranten international sichtbarer werden zu lassen. Dieses Thema braucht auch nach der WM die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft.

Bibliografische Angaben

Dieser Beitrag ist die aktualisierte Fassung eines Beitrags in Internationale Politik 3, Mai/Juni 2022, S. 94-99

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Mehr von den Autoren

Dr. Sebastian Sons ist Senior Researcher bei CARPO und beschäftigt sich intensiv mit den arabischen Golf-Staaten, deren Sport-, Entwicklungs- und Außenpolitik. Im September erschien sein neues Buch „Menschenrechte sind nicht käuflich. Warum die WM in Katar auch bei uns zu einer neuen Politik führen muss“. Gemeinsam mit seiner Kollegin Mirjam Schmidt moderiert er den Podcast „Katar 2022 – Mehr als eine WM“.