Sport als Machtinstrument
Die Fußball-Weltmeisterschaft in Katar und enorme Investitionen in europäische Top-Clubs zeigen: Die arabischen Golf-Staaten konkurrieren mit aller Härte um Einfluss.
Saudi-Arabien will sich als Global Player im Fußball positionieren. Deshalb übernahm im November 2021 der saudische Investitionsfonds PIF (Public Investment Fund) für 360 Millionen Euro 80 Prozent des britischen Traditionsvereins Newcastle United FC (NUFC), der damit über Nacht zu einem der reichsten Clubs der Welt wurde. Mit einem geschätzten Kapital von 480 Milliarden Dollar verfügt PIF über gewaltige Finanzmittel, die nun auch in Newcastle fließen sollen. Diese Übernahme erlaubte dem bis dato im unteren Drittel der Premier-League-Tabelle stehenden Verein, über 100 Millionen Euro in neue Spieler zu investieren – den weltweit höchsten Betrag. Zum Vergleich: Aus den 18 Vereinen der Bundesliga flossen „nur“ 60,6 Millionen Euro in Spieler-Transfers.
Hinter dieser saudischen Megainvestition steckt die Absicht, die aus Erdöl und Erdgas generierten Einnahmen sinnvoll zu nutzen. Zugleich soll die Wirtschaft unabhängiger vom Erdöl aufgestellt und die hohe Jugendarbeitslosigkeit bekämpft werden. Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) will Wirtschaft und Gesellschaft radikal umkrempeln – und Investitionen in den Sport sind ein gewichtiges Puzzleteil seines Geschäftsmodells geworden. So wurde zum Beispiel mit der spanischen Liga ein Deal geschlossen, Spaniens Supercup in Saudi-Arabien stattfinden zu lassen. Dieses Großevent lässt sich das Königreich 120 Millionen Euro für insgesamt drei Austragungen kosten.
Die Ausrichtung des ersten Formel-1- Rennens in Dschidda im November 2021 gilt ebenso als Meilenstein der saudischen Sportpolitik wie die Ausrichtung von internationalen Golf-, Tennis- oder Wrestlingturnieren. Der saudische Ölkonzern Aramco vereinbarte im März 2020 eine strategische Partnerschaft mit der Formel 1 und kaufte sich im Februar 2022 bei Aston Martin ein.
Dass das Investment in die Formel 1 jedoch auch schnell massive Kritik nach sich ziehen kann, zeigte der Grand Prix in Dschidda im März 2022: Während des ersten Renntags war es 20 Kilometer von der futuristischen Rennstrecke entfernt zu einem Raketenangriff der jemenitischen Huthis auf eine Ölproduktionsstätte von Aramco gekommen. In der Folge gab es hektische Debatten um eine mögliche Absage des Rennens. Am Ende entschied sich die Formel 1 dagegen – auch auf Drängen der saudischen Behörden. Für das Königreich wäre das eine Katastrophe gewesen. Aber auch so wurde das Image des Landes als sicherer Ausrichter von sportlichen Großveranstaltungen beschädigt.
Innenpolitische Ziele
Ziel des Thronfolgers ist es, mit Sport sein Land als modern und weltoffen zu präsentieren; er will sich als Herrscher der Jugend zeigen. Da 70 Prozent der saudischen Bevölkerung jünger als 30 Jahre sind, viele junge Menschen im Ausland studiert haben und mit hohen Erwartungen in ihre Heimat zurückkehren, richtet sich MbS vor allem an diese Generation. Sie drängt nach gesellschaftlicher Freiheit und möchte unterhalten werden. Sportevents sind demnach ebenso Bestandteile dieser „Brot-und-Spiele“-Politik wie gigantische Musikfestivals, Konzerte von internationalen Superstars oder Investitionen in touristische Großprojekte wie „The Rig“, bei dem auf einer ausrangierten Bohrinsel im Persischen Golf Luxushotels und ein Freizeitpark entstehen sollen.
Der E-Gaming-Bereich ist ein weiteres Geschäftsfeld: So erwarb die zum PIF gehörende Savvy Group im Januar den schwedischen Spieleentwickler ESL Gaming für 875 Millionen Dollar. 2018 wurde der saudische Gamer Msdossary Weltmeister des virtuellen Fußballspiels FIFA und ist seitdem ein Superstar der Szene.
Neben patriotischem Stolz will der Kronprinz auch die Sportbegeisterung fördern. Immerhin leiden 17,7 Prozent aller saudischen Erwachsenen unter Diabetes. Jeder fünfte Staatsangehörige ist adipös und mehr als ein Drittel übergewichtig – eine Folge mangelnder Sportangebote und unausgewogener Ernährung.
Doch dies ändert sich. Im Freizeitbereich ist das Sportangebot in den vergangenen Jahren rasant gewachsen: Es öffnen immer mehr Fitnessstudios, und im Straßenverkehr der Großstädte Riad und Dschidda sieht man Radfahrer und Jogger – das war vor einigen Jahren noch undenkbar. Nur eine fitte Gesellschaft ist auch leistungsstark, so das Credo von MbS. Die saudische Sportpolitik dient also auch als innenpolitisches Instrument, um die Macht des Königshauses und vor allem des Kronprinzen zu sichern und die gesellschaftliche Einheit zu bewahren.
Wirkung nach außen
Darüber hinaus will das Königreich durch solche Investitionen sein angeschlagenes Image in der westlichen Welt verbessern und neue Märkte erschließen. Die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Oktober 2018 hat die Reputation des Kronprinzen bei westlichen Partnern drastisch verschlechtert: Seitdem ist kein westlicher Staatsführer nach Saudi-Arabien gereist – mit Ausnahme des französischen Präsidenten Emmanuel Macron.
Insbesondere US-Präsident Joe Biden pflegt ein zutiefst misstrauisches Verhältnis zu MbS. Direkte Kommunikation fand bislang nicht statt – Biden telefoniert stattdessen mit dem greisen Vater des Kronprinzen, König Salman. Die Ausweitung des saudischen Engagements im Sport ist also auch ein Versuch, von den zerrütteten Beziehungen zu den USA abzulenken.
Umso wichtiger wird der englische Markt: In der Regierung um Premierminister Boris Johnson sieht man einen potenziellen Partner, um sicherheits- und wirtschaftspolitisch enger zu kooperieren. Die Übernahme Newcastles ist somit auch ein strategisches Mittel, sich noch stärker auf dem englischen Markt zu positionieren. Die Hafenstadt Newcastle ist aus wirtschaftlichen Erwägungen besonders interessant für Saudi-Arabien: Das Königreich engagiert sich in der maritimen Logistik und erhofft sich durch den Einstieg bei NUFC bessere Chancen auf Investitionen in die dortige Hafeninfrastruktur.
Rivalen am Golf
Sport, insbesondere Fußball, ist für die Monarchien am Golf ein lukratives Spekulations- und Investitionsobjekt. Dabei hechelt Saudi-Arabien dem Erfolg seiner beiden Nachbarstaaten Katar und Vereinigte Arabische Emirate (VAE) hinterher. Bereits 1993 richtete Katar das erste Tennisturnier in Doha aus (der Gewinner hieß Boris Becker). Und seit dem Einstieg der Qatar Investment Authority bei Paris St. Germain vor mehr als zehn Jahren und der Übernahme von Manchester City durch Abu Dhabi 2008 haben sich die Golf-Staaten als Großmächte im internationalen Fußball etabliert. Strategische Partnerschaften mit dem AC Milan, dem FC Barcelona oder dem FC Bayern München tragen dazu bei, dass Katar und die VAE ein weltweites Netzwerk im Fußball aufgebaut haben, das ihnen Macht und Einfluss verleiht. Die City Football Group, die zu mehr als 80 Prozent der Abu Dhabi United Group Investment & Development Limited gehört, hat mittlerweile Franchise-Vereine in den USA, Indien, China und Australien gegründet, die die emiratische Ausnahmestellung auf dem Fußballmarkt festigen sollen.
Die VAE und Katar haben den Sport schon seit vielen Jahren für sich entdeckt, um das eigene Geschäftsmodell attraktiver zu gestalten, ausländische Investoren anzulocken und den Sport als Schutzschirm vor ausländischen Aggressionen zu nutzen. Diese kleinen Länder sind auf regionale wie wirtschaftliche Stabilität angewiesen und fühlen sich durch die Rivalität der regionalen Schwergewichte Saudi-Arabien, Iran und Türkei in ihrer Sicherheit bedroht.
Das gilt insbesondere für Katar. Im Juni 2017 verhängten Saudi-Arabien, die VAE, Bahrain und Ägypten eine Blockade, um das Emirat mit den größten Gasvorkommen der Welt in die Schranken zu weisen. Denn Katar hatte sich zu einer Drehscheibe des internationalen Handels entwickelt, unterhielt enge Kontakte mit dem Iran sowie den afghanischen Taliban, beherbergt zugleich den wichtigsten Stützpunkt der US-Armee in der Region und hat sich als Investor in europäische Unternehmen wie Volkswagen als verlässlicher und finanzstarker Partner der westlichen Wirtschaft bewiesen.
All das rüttelte am Ego der ambitionierten Herrscher in Abu Dhabi und Riad. Die Blockade wurde von Neid getrieben, der sich auch an der gewachsenen Bedeutung Katars im Sport entzündet hatte. Immerhin war Katar im Jahr 2010 die Fußball-Weltmeisterschaft 2022 zugesprochen worden – eine Sensation, aber eben auch ein Reizthema.
Im Westen wird seither eine kontroverse, teils polemische Debatte über die Korruption bei der Vergabe der WM und vor allem über die Menschenrechtsverletzungen auf den Baustellen in Katar geführt. In den vergangenen Jahren sind dort mindestens 15 000 Arbeitsmigranten aus asiatischen Ländern wie Bangladesch oder Nepal aufgrund der katastrophalen Arbeitsbedingungen ums Leben gekommen. Die katarische Regierung hat auf den enormen internationalen Druck reagiert und rechtliche Reformen initiiert, um die Situation von ausländischen Arbeitern zu verbessern: Neben der Einführung eines Mindestlohns, der Möglichkeit, auch ohne Zustimmung des Arbeitgebers den Arbeitsplatz zu wechseln und der Einrichtung von Beschwerdezentren wurde im April 2018 der Internationalen Arbeitsorganisation erlaubt, ein Büro in Doha zu eröffnen – das erste überhaupt in den Golf-Staaten.
Allerdings: Diese Reformen werden nur unzureichend umgesetzt. Noch immer klagen Migranten über ausstehende Löhne, unzureichende Wohn- und Hygienebedingungen und strukturelle Gewalt. Vielen wird weder von ihren Heimatregierungen noch von den Beschwerdestellen geholfen; Kontrollen der Arbeitsbedingungen finden kaum statt. Die Migranten müssen sich verschulden, um den beschwerlichen Weg aus ihren Heimatländern nach Katar auf sich zu nehmen und begeben sich in die Abhängigkeit von kriminellen Rekrutierungsagenturen.
Die gravierende Diskrepanz zwischen theoretischer Verbesserung im rechtlichen Bereich und praktischer Fortdauer der Missstände vor Ort kritisieren Menschenrechtsorganisationen bereits seit Jahren. Doch geändert hat sich bisher wenig. Hinzu kommt: Während der Corona-Pandemie wurden asiatische Arbeitsmigranten als „Superspreader“ stigmatisiert; Zehntausende von ihnen wurden in ihre Heimatländer abgeschoben.
Lobbyarbeit bei der FIFA
Saudi-Arabien und die VAE wollten die Blockade auch dazu nutzen, Katar die Ausrichtung der WM wegzunehmen. Deshalb hatte sich Riad beim Weltfußballverband FIFA intensiv darum bemüht, bereits die WM 2022 auf 48 Teams aufzustocken – damit die katarischen Kapazitäten nicht ausreichten, um ein solch aufgeblähtes Turnier auszurichten – und selbst als Ko-Gastgeber aufzutreten.
Doch die FIFA wies dieses Ansinnen zurück – ein Triumph für den katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani. Er war standhaft geblieben und konnte ein starkes Signal aussenden: Paris St. Germain (PSG) verpflichtete kurz nach Ausbruch der Krise den brasilianischen Superstar Neymar und zahlte 222 Millionen Euro als bis dato höchste Ablösesumme. Dieser Transfer, der ausschließlich aus Katar finanziert worden war, war eine direkte Reaktion auf die Blockade und eine Demonstration finanzieller Stärke. Im Januar 2021 schließlich versöhnten sich Saudi-Arabien und die VAE recht widerwillig mit Katar; der Plan, Katar die WM wegzunehmen, war gescheitert.
Diese Episode zeigt, mit welcher Härte und Kompromisslosigkeit die Golf-Staaten um Einfluss im Weltsport konkurrieren. Insbesondere Saudi-Arabien versucht, den erfolgreichen Weg der VAE und Katars zu kopieren, was nicht nur die Übernahme Newcastles zeigt. Das Königreich betrachtet sich aufgrund seiner Größe mit 30 Millionen Einwohnern als natürliche Führungsmacht am Golf, was sich auch im Sport niederschlagen soll.
So setzen saudische Funktionäre ihre Lobbyarbeit bei der FIFA fort, die Weltmeisterschaft alle zwei Jahre auszurichten, um die eigenen Chancen zu erhöhen, eines der kommenden Turniere im Königreich auszurichten. Im Juli 2021 wurde berichtet, dass sich Saudi-Arabien gemeinsam mit Italien um die Durchführung der WM 2030 bewerben wolle. Mittlerweile soll FIFA-Chef Gianni Infantino seinen ständigen Wohnsitz nach Doha verlegt haben, wo am 18. Dezember 2022 das Endspiel der WM stattfinden wird – ein weiteres Beispiel für die engen und umstrittenen Beziehungen zwischen der FIFA und den Golf-Staaten.
Die Konkurrenz im Sport ist zum Sinnbild einer großangelegten Rivalität der Golf-Staaten um den Erfolg der diversen Geschäftsmodelle geworden: Da sowohl Katar und die VAE als auch Saudi-Arabien auf ausländische Investitionen, Touristen und wirtschaftliche Diversifizierung angewiesen sind, werden sie weiter versuchen, den anderen auszustechen. Exemplarisch dafür steht der Wettbewerb im europäischen Fußball, bei dem PSG, Manchester City und nun auch Newcastle um die Vormachtstellung ringen wollen – alimentiert und hochgerüstet aus den Golf-Staaten.
Dieser Konkurrenzkampf macht auch vor Deutschland nicht halt. Der Sponsorendeal zwischen dem deutschen Serienmeister Bayern München und Qatar Airways, der staatlichen Fluglinie Katars, hat bei vielen Bayern-Fans und in der Öffentlichkeit zu massiver Kritik geführt. In der Bundesliga weiß man jedoch, dass die Golf-Staaten zu einem wichtigen potenziellen Partner geworden sind. Neidisch schaut die finanziell klamme Liga auf die englische Premier League, die nicht zuletzt aufgrund der Gelder aus den Golf-Staaten zur attraktivsten und finanzstärksten Fußballliga der Welt aufgestiegen ist.
Deutschland braucht eine Strategie
Auf den Aufstieg der Golf-Staaten muss jedoch nicht nur die Bundesliga, sondern auch die deutsche Außenpolitik reagieren. Noch immer verfolgt sie keine kohärente Strategie gegenüber dieser Region, mäandert zwischen realpolitischen Interessen und moralischen Werten – ein Widerspruch, der sich auch in der teilweise hysterisch geführten Diskussion um einen möglichen WM-Boykott widerspiegelt.
Ohne Frage muss die Situation der zumeist asiatischen Arbeitsmigranten in Katar kritisch diskutiert und die Rolle der katarischen Regierung bei der Umsetzung von Veränderungen ebenso hinterfragt werden wie das autoritäre Herrschaftsmodell an sich. Allerdings sollte diese Kritik durch eine generelle Boykottforderung nicht in Polemik ausarten, sondern sich auf konstruktive Ansätze konzentrieren: Die Bundesregierung könnte gemeinsam mit dem Deutschen Fußballbund (DFB) oder der Deutschen Fußballliga (DFL) beziehungsweise mit einigen Vereinen wie Bayern München die katastrophalen Umstände in der Arbeitsmigration kritisieren.
Trotz all der beschriebenen Widrigkeiten lebt noch immer jeder zehnte Arbeitsmigrant der Welt in den Golf-Staaten. Nach den USA stammten 2020 die meisten Rücküberweisungen aus den VAE und Saudi-Arabien. Es handelt sich also um ein globales Phänomen, in dem sich Empfängerländer wie Katar nicht ihrer Verantwortung entziehen dürfen.
Deutschland sollte daher entwicklungspolitisch stärker die Situation von zurückgekehrten und zukünftigen Migranten und ihren Familien in Entsendestaaten wie Pakistan oder Eritrea unterstützen und dazu auch die offene Diskussion mit den Golf-Staaten suchen. Es könnten vorbereitende Maßnahmen für Auswanderungswillige in ihren Heimatländern angeboten werden, um sie besser auf die Herausforderungen in Katar und anderswo vorzubereiten und sie zu beraten.
Die Bundesregierung sollte auf die Regierungen der Entsendestaaten Druck ausüben, sich intensiver und umfassender für die Belange ihrer Staatsangehörigen einzusetzen, wenn sie in Saudi-Arabien inhaftiert werden oder in Katar ihren Lohn nicht ausgezahlt bekommen. Gemeinsame Bemühungen von Sport und Politik könnten hier zu einer differenzierteren Diskussion beitragen. Die WM hat dazu geführt, die prekären Arbeitsbedingungen von Migranten international sichtbarer werden zu lassen. Dieses Thema braucht auch nach der Fußball-Weltmeisterschaft die Aufmerksamkeit der internationalen Gemeinschaft.
Dr. Sebastian Sons ist Researcher bei CARPO und beschäftigt sich intensiv mit den Golf-Staaten. Im September erscheint sein Buch „Menschenrechte sind nicht käuflich. Warum die WM in Katar auch bei uns zu einer neuen Politik führen muss“.
Internationale Politik 3, Mai/Juni 2022, S. 94-99
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