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01. Nov. 2019

Kleines Wirtschaftslexikon China

Wissen Sie, wo Dschibuti liegt? Wie die größten Unternehmen in Südafrika heißen? Oder wie viele Länder auf dem afrikanischen Kontinent liegen? Nein?

Keine Sorge, mit hoher Wahrscheinlichkeit sind Sie damit nicht allein. Denn die Berichterstattung über die Region beschränkte sich bislang im Wesentlichen auf Terroranschläge, Hungersnöte und Naturkatastrophen.

Der afrikanische Kontinent wurde vom Westen lange Zeit als große Problemzone wahrgenommen. Inzwischen ändert sich dieses Narrativ: Immer öfter liest man über den „Kontinent der Chancen“ oder den „Zukunftsmarkt“ Afrika. Ein Treiber dieses Sinneswandels ist China. Denn während die westlichen Unternehmen nur langsam umdenken, hat Peking den Kontinent schon vor Jahrzehnten als Rohstofflieferanten und Absatzmarkt für sich entdeckt.

Zurückverfolgen lässt sich das Interesse Chinas bis in die 1990er Jahre. Um das Wirtschaftswachstum voranzutreiben, suchte Peking seinerzeit nach ölreichen Partnern und stieß in Afrika auf ein nahezu freies Spielfeld – ganz anders als in den meisten anderen Teilen der Welt.

Daneben war der Kontinent für China ein willkommener Absatzmarkt für Maschinen, Industrieprodukte, Telekommunikationszubehör, Waffen und Textilien. So stieg das Handelsvolumen zwischen China und Afrika dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags zufolge allein zwischen 1989 und 1997 um 431 Prozent. Und der Trend bleibt stabil: So ließ das Reich der Mitte im Jahre 2017 mit einem Handelsvolumen von 170 Milliarden Dollar sowohl die USA als auch die alte Kolonialmacht Frankreich als wichtigste Handelspartner Afrikas hinter sich. Ganz nebenbei steckt China jetzt schon seine Claims für die Zukunft ab: Bildet sich in Afrika erst einmal eine breite Mittelschicht, so das Kalkül, dann haben chinesische Firmen bereits alle nötigen Kontakte.

Meilensteine in den chinesisch-afrikanischen Wirtschaftsbeziehungen waren das erste Forum für China-Afrika-Kooperation (FOCAC) im Jahre 2000 und die Eröffnung einer chinesisch-afrikanischen Handelskammer in Peking im März 2005. Zwei Jahre später hatte die Volksrepublik bereits mit drei Vierteln der afrikanischen Staaten bilaterale Handels- und Investitionsabkommen geschlossen.

Und das war erst der Anfang. Insgesamt, so haben Wissenschaftler der Johns-Hopkins-Universität ausgerechnet, hat China von 2000 bis 2017 Kredite in Höhe von 143 Milliarden Dollar an afrikanische Regierungen und Staatsunternehmen vergeben. Allein Angola im Südwesten des Kontinents habe in dieser Zeit über 42 Milliarden Dollar an Krediten aufgenommen. Dennoch bleibt nicht China Afrikas größter Gläubiger, wie die Wissenschaftler betonen, sondern Amerika.

Die Folgen von Chinas Kreditvergabe sind überall in Afrika zu sehen. Mit dem geliehenen Geld geben afrikanische Regierungen neue Zugstrecken, Flughäfen, Autobahnen und Raffinerien in Auftrag – oft genug wiederum bei chinesischen staatlichen Baufirmen. So errichteten chinesische Ingenieure die neue äthiopische Prestige-Eisenbahn, die Äthiopien nun mit dem Nachbarstaat Dschibuti verbindet. In Angola bauten sie an der Retortenstadt Nova Cidade de Kilamba mit, in Tansania wollen sie das kleine Fischerdorf Bagamoyo zum größten Con­tainerhafen Afrikas machen, und in Südafrika will die sogenannte Shanghai Zendai Group einen Vor­ort von Johannesburg zum „New York von Afrika“ umgestalten.

Was vom chinesischen Engagement auf dem afrikanischen Kontinent zu halten ist, darüber sind sich die Beobachter uneins. Die einen bewerten China als verlässlichen Partner, der gemeinsam mit Afrika eine echte Süd-Süd-Kooperation ankurbeln will. Andere werfen Peking vor, lediglich eigene Interessen auf dem Kontinent zu verfolgen und arme Länder mit einer „Schulden-Diplomatie“ in langfristige Abhängigkeit zu treiben.

Ganz von der Hand zu weisen ist dieser Vorwurf nicht. Denn während es aufgrund mangelnder Transparenz schwierig ist, etwas über die Bedingungen für Chinas Kreditvergaben in Afrika zu erfahren, lassen doch einige Vorfälle außerhalb Afrikas erahnen, dass sie ziemlich hart sind.

Bestes Beispiel dafür ist Sri Lankas größter Containerhafen Hambantota: Er wurde mit chinesischem Geld aufgebaut, doch weil das hochverschuldete Sri Lanka seine Schulden nicht bedienen konnte, haben die chinesischen Gläubiger ihre Interessen nun auf andere Weise durchgesetzt: Seit Dezember 2017 gehört der Hafen für 99 Jahre ihnen; einen Großteil der Schulden haben sie dem Inselstaat im Gegenzug erlassen.

Solche Erfahrungen lassen andere Staaten wachsamer werden. So hat die Regierung in Sierra Leone Ende 2018 ihre Pläne für einen neuen Flughafen gestoppt, den China für umgerechnet gut 300 Millionen Dollar ausbauen wollte. Das Projekt sollte mit einem Darlehen der China Exim Bank finanziert und vom Bauunternehmen China Railway Seventh Group realisiert werden. Da der Bau das Land weiter in die Verschuldung getrieben hätte, erklärte Sierra Leones Luftfahrtminister Kabineh Kallon das Vorhaben für unökonomisch. Schon der bestehende Flughafen sei „in hohem Maße unausgelastet“.

Manche Beobachter sehen in diesem Widerstand einen Wendepunkt in den chinesisch-afrikanischen Beziehungen. „Afrika erwacht aus seiner China-Naivität“, kommentierte etwa die Tageszeitung Die Welt das Ereignis.

Noch aber dürften solche Absagen eher die Ausnahme sein. Denn der Anteil chinesischer Baufirmen am Geschäft der größten internationalen Bauunternehmen in Afrika ist in den vergangenen Jahren stetig gewachsen, konstatierte Germany Trade & Invest 2018 – von 38,7 Prozent im Jahr 2010 auf 56,2 Prozent im Jahr 2016.

Mittlerweile hat die deutsche Politik das Voranpreschen ­Chinas auf dem afrikanischen Kontinent als strategische Bedrohung erkannt und versucht, gegenzusteuern. So erklärte Bundeskanzlerin Angela Merkel Ende 2016 die Beziehungen zu Afrika zum Top-Thema der deutschen G20-Präsidentschaft.

Das Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung strebt mit einem sogenannten Marshall-Plan eine „neue Partnerschaft mit Afrika“ an, unter anderem in den Bereichen Wirtschaft, Handel und Beschäftigung. Und das Finanzministerium hat sich das Ziel gesetzt, die Bedingungen für Privatinvestitionen in Afrika zu verbessern.

Allerdings halten sich deutsche Firmen auf dem Kontinent noch stark zurück. Das Kieler In­stitut für Weltwirtschaft stellte in diesem Frühjahr fest, dass von den rund 112 Milliarden Euro, die deutsche Unternehmen 2017 im Ausland investierten, nur 0,5 Prozent nach Afrika geflossen seien – hauptsächlich nach Südafrika. Und Untersuchungen der Förderbank KfW zeigen: Firmen aus Frankreich, Großbritannien und den USA investieren nach wie vor deutlich mehr.

Den Grund für die deutsche Zurückhaltung sehen die KfW-Experten vor allem in der Wirtschaftsstruktur des Landes. So gebe es in Deutschland wenig Rohstoff- oder Baufirmen von Weltrang. Und für deutsche Anlagen-, Maschinen- und Automobilbauer sei es für einen Markteintritt noch zu früh: „Die Vergangenheit zeigt, dass erst mit dem Größerwerden der Mittelschicht deutsche Unternehmen Absatzmärkte für ihre recht teuren und technisch anspruchsvollen Produkte finden.“

Deutsche Firmen könnten also profitieren, sobald die wirtschaftliche Entwicklung in Afrika noch mehr Fahrt aufgenommen habe, so das Fazit der Autoren. Immer vorausgesetzt, dass die afrikanische Bevölkerung dann auch noch bei deutschen Firmen kaufen will.

 

 

BRICS

Dass in internationalen Gremien längst nicht alle Länder gleichberechtigt sind, wurde jüngst bei der Neubesetzung des IWF-Chefpostens wieder einmal deutlich. 189 Länder gehören dem Internationalen Währungsfonds an, doch nur ein Bruchteil dieser Staaten entscheidet darüber, wer den Fonds leiten darf. Der Chefposten wird traditionell von einem Europäer besetzt, der bei seiner Wahl von den USA unterstützt wird. Im Gegenzug helfen die Europäer Amerika, die Spitze der Weltbank zu besetzen. Kandidaten aus anderen Ländern haben bei diesem Prozedere in beiden Institutionen keine Chance.

Gerade aufstrebende Länder wie China empfinden die westliche Dominanz in internationalen Organisationen als Bevormundung. Sie sind immer weniger gewillt, das zu akzeptieren. Seit einiger Zeit treibt das Reich der Mitte parallele Finanz- und Handelsstrukturen voran, die das bestehende globale System zwar nicht ersetzen, aber doch ergänzen sollen. Basis dafür ist das sogenannte BRICS-Bündnis aus Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika – fünf Schwellenländer, die allein 40 Prozent der Weltbevölkerung und rund 18 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts auf sich vereinen.

Geprägt wurde die Abkürzung BRIC Anfang der 2000er Jahre vom damaligen Chefökonomen der US-Bank Goldman Sachs, Jim O’Neill. Dieser erklärte, die vier großen Schwellenländer Brasilien, Russland, Indien und China würden den westlichen Staaten binnen weniger Jahrzehnte den Rang ablaufen. 2003 legte Goldman Sachs eine Analyse mit dem Titel „Dreaming with the BRICs“ vor, in der es hieß: „Wenn alles seinen Weg geht, könnten die BRIC-Volkswirtschaften in Dollar gemessen in weniger als 40 Jahren wichtiger sein als die G7.“ Diese Idee steckte an: Binnen weniger Jahre legten zahlreiche Banken BRIC-Fonds auf; BRIC-Beratungsangebote für Unternehmen und BRIC-Forschungsprojekte entstanden.

Einige Jahre später hatte sich die Idee so weit durchgesetzt, dass auch die Staaten selbst anfingen, sich als gemeinsames Bündnis und politische Organisation zu definieren. 2006 fand, angeregt durch Russland, die erste offizielle Zusammenkunft der BRIC-Außenminister in Sankt Petersburg statt. 2011 wurde Südafrika in das Bündnis aufgenommen – aus BRIC wurde BRICS.

Seither ist einiges geschehen, wie eine Analyse des Mercator Institute for China Studies zeigt. So organisieren die fünf Staatschefs nicht nur regelmäßige BRICS-Gipfel, die im politischen Diskurs mit den westlichen G7-Treffen gleichgesetzt werden. Darüber hinaus haben die Staaten mehrere handels- und finanzpolitische Abkommen vorangetrieben, um ihre Abhängigkeit vom Westen zu verringern.

Als Meilenstein ist hier die Gründung der New Development Bank (NDB) zu nennen, die oft als Pendant zur Weltbank bezeichnet wird. Ziel der NDB ist es, Schwellenländer mit Krediten für Infrastrukturinvestitionen in Straßen, Telekommunikation oder Elektrizität zu unterstützen. Darüber hinaus haben die BRICS-Staaten 2014 einen finanziellen Reservepool eingerichtet, um in Krisenzeiten schwächelnde Staaten unterstützen zu können – ähnlich wie es der Internationale Währungsfonds tut.

Geplant ist zudem eine eigene Rating-Agentur, um nicht mehr so stark auf amerikanische Agenturen wie Moody’s oder Standard & Poor’s angewiesen zu sein. Dabei betonen die BRICS-Staaten stets, etablierte Strukturen wie den IWF oder die Weltbank nicht abschaffen, sondern nur ergänzen zu wollen.

Trotz solcher gemeinsamen Errungenschaften gibt es allerdings auch Trennendes innerhalb des BRICS-Bündnisses. In den vergangenen Jahren kam es zu einer erheblichen Machtverschiebung innerhalb der Staatengemeinschaft, weil Länder wie Russland, Brasilien oder Südafrika mit wirtschaftlichen Problemen kämpften, während China sich immer stärker als Weltmacht etablierte. In einer Analyse der Stiftung Wissenschaft und Politik von 2017 heißt es: „Tatsächlich aber verstehen die Führungen in Brasilia, Delhi, Moskau und Pretoria die Staatengruppe immer weniger als Fünfeck nicht-westlicher Kooperation, sondern auch dezidiert als Plattform für das Management ihrer sich wandelnden Beziehungen zu Peking.“

Und diese Beziehungen sind keinesfalls immer konfliktfrei. So standen sich erst 2017 indisches und chinesisches Militär am Himalaya gegenüber. Der Auslöser: Die chinesische Regierung hatte begonnen, eine für sie strategisch wichtige Straße durch Bhutan zu bauen, ein Land, das militärisch und wirtschaftlich eng mit Indien verbunden ist. Darüber hinaus schaut die indische Regierung schon länger skeptisch auf die chinesischen Pläne rund um den Seidenstraßen-Ausbau, da sie fürchtet, dass durch die Routenführung ihr Erzfeind Pakistan gestärkt werden könnte. Und weil China zudem in Myanmar und Bangladesch Tiefseehäfen errichtet, fühlt sich Indien in wachsendem Maße umzingelt.

Abgesehen vom Interesse an nichtwestlicher Kooperation sind die politischen Gemeinsamkeiten zwischen den BRICS-Staaten grundsätzlich überschaubar. So heißt es in einer Analyse des Hamburger GIGA-Instituts von 2015: „Bei den Themen Handel, Klimawandel und nukleare Nichtweiterverbreitung lässt sich ein zunehmendes Auseinanderdriften der Positionen feststellen.“

Zwar sei die Bedeutung der BRICS in den vergangenen Jahren gewachsen – nicht nur in Bezug auf die Institution, sondern auch mit Blick auf den Einfluss der einzelnen Mitgliedstaaten. Doch die Hoffnung, dass die BRICS-Länder die Welt grundlegend verändern würden, habe sich nicht erfüllt. Das sei kein Grund, den Abgesang auf die BRICS anzustimmen, so das Fazit der GIGA-­Autoren – aber doch Anlass, allzu euphorische Erwartungen durch einen nüchtern-realistischen Blick zu ersetzen.

Von einem übertriebenen Optimismus hat sich inzwischen auch Goldman Sachs wieder verabschiedet. 2015 legte die Bank ihren verlustbringenden BRICS-Fonds mit einem breiter aufgestellten Schwellenländerfonds zusammen. Die Zeiten für die ganz großen Renditen in den BRICS-Staaten sind aus ihrer Sicht offenbar passé.

 

 

Charme-Offensive

Vom Tellerwäscher zum Millionär: Diese magische Formel ist es, die Amerika lange Zeit zum Sehnsuchtsziel von Menschen auf der ganzen Welt gemacht hat. Das Image eines Landes der unbegrenzten Möglichkeiten haben die Amerikaner auch stets in ihren Marken trans- und exportiert.

Soft Power nennen Politikwissenschaftler die Fähigkeit, Menschen ohne Gewalt für eine gesellschaftliche Vision zu gewinnen. Geprägt wurde der Begriff durch den Amerikaner Joseph Nye, der erstmals beschrieb, wie viel politischen Einfluss ein Land allein durch solche Anziehungskraft gewinnen kann. Die USA galten lange als einer der Vorreiter dieser Methode. Doch ihr Einfluss schwindet: Nye selbst wies kürzlich darauf hin, dass Amerikas Beliebtheit in der Ära Trump laut Umfragen deutlich gesunken sei.

Ein anderes Land gibt sich derweil größte Mühe, seine Soft Power strategisch auszubauen, und das seit Jahren. Schon 2007 setzte es sich die chinesische Regierung öffentlich zum Ziel, „Kultur als Teil der Soft Power zu stärken“. Denn Kultur sei zu einem wichtigen Faktor im Wettbewerb um die nationale Stärke geworden, so die Begründung. Seitdem spricht Präsident Xi Jinping gerne vom „chinesischen Traum“ und vom „friedlichen Aufstieg“ des Riesenreichs. Parallel dazu laufen globale Werbekampagnen – unter anderem mit Videos am New Yorker Times Square. Rund zehn Milliarden Dollar jährlich lasse sich China seine Soft Power kosten, schrieb kürzlich der Economist.

So inszenierte China nicht nur eine gigantische Eröffnungsfeier für die Olympischen Spiele 2008 und eine Weltausstellung der Superlative im Jahre 2010. Die Regierung hat seit 2004 auch viel Geld in die Gründung von Konfuzius-Instituten investiert. Diese dienen jedoch nicht nur, wie deutsche Goethe-Institute, als öffentliche Bildungseinrichtungen, sondern werden auch als verlängerter Arm der Regierung kritisiert. Rund 500 solcher Institute in über 100 Ländern bieten Sprach-, Tanz- und Kochkurse, Lesungen und Konzerte an. In ähnlichem Ausmaß expandierte auch die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua, die inzwischen Auslandsbüros in über 170 Ländern betreibt.

Überhaupt spielen ­Medien eine große Rolle bei Chinas Image-Politur. China Daily, eine Art englischsprachiges Sprachrohr der Regierung, liegt inzwischen als Beilage in renommierten westlichen Zeitungen wie dem Wall Street Journal und dem Handelsblatt. Der chinesische Rundfunksender China Radio International kontrolliert inzwischen über 30 Radiostationen in 14 Ländern. Und das China Global Television Network, ein Ableger des Staatsfernsehens, soll in Afrika eine Alternative zu Sendern wie BBC, CNN und Al-Dschasira werden.

Die wichtigste Aufgabe der chinesischen Charme-Offensive ist zu zeigen, dass China es gut meint mit der Welt. Dass man mit politischen Großprojekten wie der Seidenstraßen-Initiative zwar große Pläne hat – aber auf keinen Fall jemandem schaden will. Um möglichst ungestört seine Macht ausbauen zu können, präsentiert sich China als freundlicher, verantwortungsbewusster und aufgeschlossener Riese.

Noch geht diese Strategie allerdings nur bedingt auf. Denn immer reicht die Soft Power der neuen Supermacht nicht aus, um darüber hinwegzutäuschen, dass China im Zweifelsfall auch zu ganz anderen Mitteln greift. Etwa bei den Hongkong-Protesten: Ende Juli, die Proteste gegen das umstrittene Auslieferungsgesetz waren in vollem Gange, nahm eine Maschine der Hongkonger Fluggesellschaft Cathay Pacific Anflug auf ihren Heimatflughafen. Der Pilot nutzte die Chance für eine Durchsage: Die Passagiere sollten keine Angst haben vor den Demonstranten am Flughafen. Das seien friedliche Leute, die für die Freiheit Hongkongs demonstrierten.

Mittlerweile ist dieser Pilot entlassen – genau wie einige seiner Kollegen. Und auch Firmenchef Rupert Hogg trat zurück, was das chinesische Staatsfernsehen schon wusste, bevor die entsprechende Börsenmitteilung herausgegangen war.

Das zeigt: Ziel der chinesischen Regierung ist es, sehr genau zu kontrollieren, was in ihrem Machtbereich gesagt oder gedacht wird. Chinas Jugend wächst mit einem Internet auf, in dem zahlreiche Webseiten gesperrt sind; unzählige Intellektuelle und Menschenrechtler im Land sind in den vergangenen Jahren in Geheimgefängnissen verschwunden, oft spurlos. Viele andere stehen unter Hausarrest oder sind auf andere Weise mundtot gemacht worden, wie die Korrespondentin der ZEIT Xifan Yang im Dezember vergangenen Jahres schrieb: „Inzwischen reicht ein falsches Wort, und die Staatssicherheit steht vor der Tür.“

Das macht es China trotz aller Ausgaben für Soft Power schwer, sein Image zu verbessern. Der Economist wertete im Frühjahr mehrere Umfragen des Meinungsforschungsinstituts Gallup aus und stellte fest: Die Beliebtheit Chinas hat zwischen 2007 und 2017 in fast allen Weltregionen deutlich abgenommen.

Und während die Vereinigten Staaten im aktuellen Soft Power 30 Index, der jährlich von der Kommunikationsberatung Portland und dem USC Center on Public Diplomacy veröffentlicht wird, immerhin noch auf Platz vier standen, lag China abgeschlagen auf Rang 27. Anders als in sozialen Medien ist es in der realen Welt offenbar nicht ganz so einfach, sich Follower zu kaufen.

 

 

Entwicklungshilfe

Deutschland zahlt Entwicklungshilfe an China – auf den ersten Blick liest sich das skurril. Ein Bericht der Welthungerhilfe vom vergangenen April zeigt: Im Jahr 2017 lag das Reich der Mitte sogar auf Platz drei der Empfängerländer deutscher Hilfsgelder. Rund 719 Millionen Dollar flossen auf diese Weise nach China.

Um diese Zahlen richtig einzuordnen, gilt es allerdings, genauer hinzusehen. So wies die Tageszeitung Die Welt darauf hin, dass diese Hilfen vor allem auf Kredite der deutschen Förderbank KfW zurückgehen – auf Geld also, das China zurückzahlen muss. Welche Aktivitäten die KfW in China unterstützt, lässt sich wiederum auf der Internetseite der Bank nachlesen. Demnach sollen die Darlehen vor allem dazu beitragen, Treibhausgasemissionen zu verringern. Auch die Weiterbildung von Beschäftigten aus der Schwerindustrie, die durch Maßnahmen zur Emissionsreduzierung ihren Job verlieren, soll gefördert werden.

Unter die Entwicklungshilfe für China fallen laut Welt außerdem verschiedene Beratungsprogramme der Bundesregierung, etwa zur Planung finanzieller Reformen oder zur nachhaltigen Waldbewirtschaftung. Das hat damit zu tun, dass die Aufgaben des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung sich nicht darin erschöpfen, Menschen in ärmeren Regionen beim Überleben zu helfen. Das Ministerium will nach eigenen Angaben Entwicklungspolitik betreiben und dabei weltweit „Nichtdiskriminierung und Chancengleichheit, Partizipation und Empowerment sowie Transparenz und Rechenschaftslegung“ fördern. Auch hier führt kein Weg an China vorbei.

Gleichzeitig hat sich Chinas Rolle in der Entwicklungspolitik in den vergangenen Jahren gewandelt. Schon längst ist Peking insgesamt vom Nehmer zum Geber geworden, vor allem in Afrika. Dabei setzt Peking auch auf neue Methoden. China bietet anderen Ländern nämlich nicht wie andere Geberländer in erster Linie Schuldenerlässe oder Beratungsdienste an, sondern vor allem wirtschaftliche Hilfe in Form von konkreten Projekten – also eine Mischung aus Zuschüssen, Handel und Investitionen.

China hat sein Auftreten immer weiter professionalisiert. 2016 hat die Regierung die Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB) gegründet. Deren Ziel ist es, den Ausbau von Infrastruktur in weniger entwickelten Ländern zu fördern – etwa bei Energie, Verkehr oder Stadtentwicklung. Inzwischen gehören der AIIB rund 70 Mitgliedstaaten an, wobei China mit 26 Prozent der Stimmanteile den Ton angibt. Allerdings kommt immer wieder Kritik an der Bank auf. So werden ihre Umwelt- und Sozialstandards bei der Projektvergabe in einer kürzlich veröffentlichten Studie der Heinrich-Böll-Stiftung als zu lax bezeichnet.

Lange Zeit war gleich eine ganze Reihe von Organisationen für die Koordinierung der Entwicklungszusammenarbeit in China zuständig, darunter sowohl das Außen- als auch das Handelsministerium. Um diese Strukturen zu vereinfachen, hat China im Frühjahr 2018 eine Agentur für Internationale Entwicklungszusammenarbeit gegründet. Deren erste Amtshandlung war es, klare Richtlinien für die Projektvergabe vorzulegen.

Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE) sieht darin eine Chance. Die neue Agentur könne sich bei internationalen Foren wie den Vereinten Nationen engagieren und dazu beitragen, einen besseren Überblick über die chinesische Entwicklungszusammenarbeit zu gewinnen, schreiben Liu Wei und Heiner Janus in einer DIE-Studie von 2018. Dass China sein Engagement in den vergangenen Jahren verstärkt hat, sei zu begrüßen. Zwar dürfe die internationale Gemeinschaft Initiativen wie dem „Belt and Road“-Projekt nicht unkritisch gegenüberstehen. „Eine generelle Ablehnung von Chinas Beitrag zur globalen Entwicklung ist allerdings keine Option, nicht zuletzt, weil China bereits Hunderte Millionen Menschen aus der Armut befreien konnte.“

 

 

Korruption und Kapitalflucht

Ein für chinesische Verhältnisse spektakuläres Urteil fällte das Erste Mittlere Volksgericht von Tianjin im Jahr 2015. Zhou Yongkang, der einstige Sicherheitschef Chinas, wurde wegen Korruption, Machtmissbrauch und Geheimnisverrat zu lebenslanger Haft verurteilt. Zum ersten Mal wurde damit in China ein Spitzenpolitiker wegen Korruption so hart zur Rechenschaft gezogen.

Es war ein Schritt mit Signalwirkung – und mit Ankündigung: Denn Chinas Präsident Xi Jinping hatte schon bei seinem Amtsantritt 2013 klargestellt, dass der Kampf gegen Korruption ganz oben auf seiner Prioritätenliste stehe. Seitdem greift Jinping hart durch. Allein bis 2017 seien in China mehr als 1,3 Millionen Amtsträger bestraft worden, teilte das zuständige Komitee CCDI vor rund zwei Jahren mit.

Für die Kommunistische Partei ist die Korruptionsbekämpfung stets eine Gratwanderung. Einerseits hält Xi die Maßnahmen für unverzichtbar, um die Herrschaft der KP weiter zu legitimieren. Andererseits lässt jeder neue Korruptionsskandal die Bürger stärker an der Verlässlichkeit ihrer Machthaber zweifeln. Darüber hinaus gehen manche Kritiker davon aus, dass Xi die Kampagne auch für fragwürdige Zwecke nutzt: um politische Gegner mundtot zu machen.

Ein entscheidender Grund für das hohe Ausmaß an Korruption in China ist das enorme Wirtschaftswachstum der vergangenen Jahrzehnte, in Kombination mit der fehlenden Unabhängigkeit von Justiz und Medien. So konnten sich Parteimitglieder, die mit der Vergabe von Konzessionen betraut waren, über Jahre in erheblichem Maße bereichern.

Als wichtiger Indikator für das Ausmaß der Korruption gilt die Höhe der Kapitalflucht aus China. So soll die Summe des jährlich ins Ausland transferierten Geldes allein zwischen 1991 und 2000 von rund zehn auf 45 Milliarden Dollar angestiegen sein, wie der Chinaexperte Sebastian Heilmann anmerkt. Die Anti-Korruptions-Kampagne von Xi habe zunächst sogar dazu beigetragen, die Kapitalflucht zu verstärken. Wie Heilmann im April 2016 der Wochenzeitung DIE ZEIT sagte, hätten viele einflussreiche Familien versucht, die Spuren alter Geschäfte zu beseitigen, „indem sie Anteile an Unternehmen abstoßen oder Vertrauensleuten übereignen“. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Deloitte wurden allein 2015 weitere knapp 675 Milliarden Dollar und im Jahr 2016 sogar 725 Milliarden Dollar außer Landes gebracht.

Ein weiterer Grund für die Kapitalflucht: Nicht nur die neue Oberschicht, sondern auch Familien mit mittlerem Einkommen verlören immer mehr den Glauben an die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes, wie die Deloitte-Analyse feststellt. Aufgrund des Handelskriegs mit den USA hätten die Menschen Angst vor einem erneuten Wertverlust des Renminbi und seien auf der Suche nach Investitionsmöglichkeiten im Ausland.

Um die Kapitalflucht einzudämmen, hat die chinesische Regierung in den vergangenen Jahren die Kapitalkontrollen im Land weiter verschärft. So dürfen Chinesen seit 2015 nur noch 50 000 Dollar pro Person und Jahr außer Landes bringen. Und Firmen dürfen seit 2017 nur noch exakt so viel Geld ins Ausland transferieren, wie im Gegenzug von dort aus wieder auf ihr Konto zurückfließt. Die Folgen sind schon jetzt zu spüren: Nach einer Untersuchung des Mercator Institute for China Studies sind die chinesischen Direktinvestitionen in Europa im vergangenen Jahr um 40 Prozent auf 17,3 Milliarden Euro zurückgegangen.

Auch bei Chinas Auslandsgeschäften ist immer wieder von Korruption die Rede. So warfen Journalisten des Wall Street Journal der chinesischen Regierung Anfang des Jahres vor, in den milliardenschweren Korruptionsskandal um den malaysischen Staatsfonds 1MDB verwickelt zu sein. Über vier Milliarden Dollar sind aus dem Fonds verschwunden; rund 680 Millionen davon sollen auf dem Privatkonto von Malaysias früherem Regierungschef Najib Razak gelandet sein.

Wie das Wall Street Journal berichtete, kam es im November 2016 zu einem zweifelhaften Deal zwischen Peking und Razak: Demnach soll Razak chinesischen Staatskonzernen hohe Infrastrukturinvestitionen beim Ausbau der neuen Seidenstraße zugesichert haben – etwa den Bau einer 20 Milliarden Dollar teuren Eisenbahnlinie. China habe im Gegenzug versprochen, die Ermittlungen in der 1MDB-Korruptionsaffäre zu hintertreiben und der malaysischen Regierung durch überhöhte Rechnungen Geld zuzuschieben, um die Löcher im Staatsfonds zu stopfen. Sicher ist: Die Ermittlungen um die genauen Abläufe rund um den Staatsfonds 1MDB dürften Strafverfolger und Gerichte weltweit noch über Jahre beschäftigen.

Derweil wächst auch in anderen Ländern die Kritik an chinesischen Auslandsinvestitionen – etwa in Kirgistan, einem Land, das ebenfalls Teil der neuen Seidenstraße werden soll. Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, fiel dort im Jahr 2018 bei Temperaturen unter minus 20 Grad das städtische Heizwerk aus, das erst kurz zuvor von einem chinesischen Unternehmen saniert worden war. Auch dort habe es in diesem Zusammenhang Korruptionsvorwürfe gegen die kirgisische Regierung gegeben; China sei zumindest Schlamperei vorgeworfen worden, so die SZ. Mehrere hochrangige Politiker in Kirgistan seien zurückgetreten oder festgenommen worden.

Für die chinesische Regierung wird solche Kritik in wachsendem Maße zum strategischen Risiko. Im Mai erklärte Präsident Xi Jinping daher bei einer internationalen Seidenstraßen-Konferenz, der Ausbau dieser Handelswege müsse „transparent ablaufen“. Sein Land habe „null Toleranz für Korruption“, versicherte er vor fast 40 Staats- und Regierungschefs.

 

 

Landwirtschaft

Jahrtausende lang war Hunger in China ein immer wiederkehrendes Problem – von Kaiser-Zeiten bis hin zum „Großen Sprung nach vorn“ im vergangenen Jahrhundert. Klickt man sich heute durch die Internetseite des Welthunger-Index, prangt dort auf einer Weltkarte das Land China in kräftigem Grün: Entwarnung. Die Gefahr einer Hungersnot in China sei niedrig, meldet die Organisation.

Klar, mag man nun denken – immerhin handelt es sich gemessen am Bruttoinlandsprodukt um die zweitgrößte Volkswirtschaft der Erde. Aber so selbstverständlich ist der chinesische Erfolg nicht. Denn die Führung in Peking steht vor einer gewaltigen Herausforderung: Sie muss fast 20 Prozent der Weltbevölkerung ernähren und das auf nur rund 9 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche. Bisher war das gerade noch zu stemmen.

Nun aber will die wachsende Mittelschicht im Land immer häufiger Fleisch und Milch genießen, Produkte also, die wegen des hohen Futterbedarfs der Tiere sehr flächenintensiv sind. Das macht die Sache immer schwieriger – und verlangt neue Strukturen in der Landwirtschaft.

Klassischerweise war diese in China in kleinen Familienbetrieben organisiert. Noch Anfang des Jahrtausends bestanden die meisten Höfe aus ein paar Hek­tar Land, Kühen und Schweinen. Doch um die Bevölkerung satt zu bekommen, reicht das nicht.

In den vergangenen Jahren hat die Landwirtschaft daher eine rasante Industrialisierung erfahren. Bestes Beispiel dafür ist die Mudanjiang City Mega Farm im Nordosten des Landes. Das chinesisch-russische Gemeinschaftsprojekt gilt als größte Farm der Erde. Rund 100 000 Milchkühe sollen dort auf neun Millionen Hektar Land untergebracht sein – auf einer Fläche so groß wie Portugal. Und die 2005 gegründete Modern Dairy Farm soll an 26 Standorten sogar insgesamt 230 000 Kühe halten.

Ob das wirklich gut für die Tiere ist, bleibt zu fragen. Klar ist aber: Es macht die chinesische Landwirtschaft um einiges effizienter. So zeigt ein Bericht des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft, dass sich die Schweinefleischproduktion in China von 2002 bis 2012 nahezu verdoppelt hat.

Mittlerweile ist China nicht nur der weltgrößte Milchimporteur, sondern auch der drittgrößte Produzent von Milchprodukten weltweit. Dabei hat sich die chinesische Regierung klare Ziele gesetzt: Um 5 bis 10 Prozent soll die landwirtschaftliche Produktion jährlich steigen. Und zumindest Produkte wie Getreide und Ölsaaten sollen nach dem Willen der Regierung mittelfristig nur noch aus heimischer Produktion auf chinesischen Tellern landen.

Das Streben nach immer mehr Output hat allerdings unerwünschte Nebenwirkungen. Nach Angaben der Deutschen Vertretung in China wird derzeit ein Drittel des globalen Düngeaufkommens in China eingesetzt – also auf weniger als 10 Prozent der globalen Ackerfläche. Damit trägt die Landwirtschaft kräftig zur Umweltverschmutzung im Land bei.

Inzwischen probiert die Regierung verschiedene Methoden aus, um hier gegenzusteuern. Neben strengeren Regeln für den Einsatz von Pestiziden wächst der Anteil der Flächen, die ökologisch bewirtschaftet werden; einige besonders gefährliche Pestizide wurden ganz vom Markt genommen. Gleichzeitig wächst die Bedeutung von High-Tech-Lösungen: Es gibt in China eine ganze Reihe von Indoor-Farmen, also hochtechnisierter Gebäude, in denen Kräuter und Salate in hydroponischen Nährlösungen ohne Erde herangezüchtet werden. Drohnen und Traktoren mit kameragesteuerten Düngesystemen sollen helfen, die Ackerflächen noch effizienter zu bewirtschaften.

Darüber hinaus versucht China offenbar, sein Flächenproblem auf andere Weise zu lösen. So wird chinesischen Investoren immer wieder „Land Grabbing“ vorgeworfen. Sprich: Staatliche Akteure und private Investoren aus China kaufen oder pachten große Agrarflächen in Entwicklungsländern, um dort Nahrungsmittel für den chinesischen Markt zu produzieren. Dabei bewegten sich die internationalen Investoren ebenso wie die staatlichen, halbstaatlichen oder privaten Verkäufer oft in Grauzonen des Rechts, schreibt die Zukunftsstiftung Landwirtschaft. In vielen afrikanischen Staaten befinden sich alle Landflächen formell im Staatsbesitz; die lokale Bevölkerung nutzt diese Flächen auf der Grundlage traditioneller Gewohnheitsrechte. Kommt ein Investor aus dem Ausland, werden sie vertrieben und verlieren ihre Lebensgrundlage.

Vor etwa einem Jahrzehnt wurden derartige Aktivitäten stark ausgeweitet. Damals schnellten die Lebensmittelpreise weltweit in die Höhe, teils durch die wachsende Produktion von Biotreibstoffen, teils durch Dürren und Unwetter, teils im Gefolge der Finanzkrise. Und auch langfristig ist klar, dass Nahrungsmittel immer kostbarer werden. So kommt es durch den Klimawandel zu höheren Ernteausfällen; Erosion oder Versiegelung verhindern die Nutzung von immer mehr Böden. Staaten und Investoren können sich also leicht ausrechnen, dass der Kampf um die Verteilung von fruchtbaren Flächen weltweit erst begonnen hat. Nicht nur, um dort Lebensmittel anzubauen, sondern auch, um Tierfutter und Treibstoffe zu produzieren.

Medienberichte über den chinesischen Landhunger gab es in den vergangenen Jahren immer wieder. So wurde 2008 bekannt, dass sich der chinesische Telekommunikationsausrüster ZTE rund 100 000 Hektar Land in der Demokratischen Republik Kongo gesichert habe. Im Jahr 2011 hieß es, dass der chinesische Energieproduzent Wuhan Kaidi vorhabe, in großem Umfang Energiepflanzen in Sambia anzubauen. Und die Deutsche Welle berichtete im Juni 2017, dass der chinesische Unternehmer Man Loong Lee, bekannt als Schuhfabrikant, in Nigeria auf rund 12 000 Hektar Land Zuckerrohr produziere. Meist kaufe sich China dabei „unterhalb der internationalen und oft auch nationalen Wahrnehmungsschwelle in einzelne Farmen“ ein, schrieb die ZEIT. In Europa sollen chinesische Landkäufer ebenfalls unterwegs sein – etwa in der Ukraine, in Bulgarien und in Frankreich.

Problematisch sind die Landkäufe internationaler Investoren ohne Frage. Inzwischen weiß die Forschung allerdings: So groß, wie Chinas Rolle in diesem Spiel oft dargestellt wird, ist sie in Wirklichkeit offensichtlich gar nicht. Das zeigt eine Untersuchung des International Food Policy Research Institute und der Johns-Hopkins-Universität.

Das Forscherteam machte sich die Mühe, allen bekannten chinesischen Land-Grabbing-Fällen vom Kongo über Madagaskar bis nach Sambia hinterherzureisen. Dabei stellten sie fest, dass viele Meldungen falsch oder übertrieben waren; manche Deals waren zwar angekündigt worden, kamen in der Praxis dann aber doch nicht zustande. Insgesamt hatten chinesische Investoren demnach bis 2018 rund 240 000 Hektar Land in Afrika aufgekauft – immer noch viel, aber gerade einmal 4 Prozent des Umfangs, den öffentliche Berichte zuvor suggeriert hatten.

 

 

Renminbi

Fangfrage: Wie heißt die chinesische Währung? Renminbi oder Yuan? Oder geht beides? In westlichen Medien werden diese Begriffe tatsächlich oft synonym benutzt. Richtig ist: Die chinesische Währung heißt Renminbi, was übersetzt so viel bedeutet wie „Volksgeld“. Yuan ist der Name einer Einheit, in der gezahlt wird.

Dass es im Umgang mit der chinesischen Währung noch ab und an zu Verwirrungen kommt, ist nicht überraschend. Schließlich ist deren Präsenz im internationalen Zahlungsverkehr vergleichsweise jung. Noch Anfang der 2000er Jahre war die chinesische Währung den Vertretern der globalen Banken schlicht keine Erwähnung wert. Doch nachdem China den Aufstieg zur globalen Handelsnation gemeistert hat, will die Führung in Peking nun in Sachen Geldpolitik hinterher ziehen und den Renminbi zu einer globalen Leitwährung neben dem Dollar aufbauen. Diesem Ziel nähert sie sich inzwischen seit Jahren mit vielen Trippel- und gelegentlichen Rückschritten an, langsam, aber kontinuierlich.

Aus wirtschaftspolitischer Sicht ist die geplante Liberalisierung des Renminbi nur logisch, wie Burkhard Balz, Vorstandsmitglied der Bundesbank, Ende 2018 beim fünften European-Chinese Banking Day in Frankfurt erklärte: Während der Anteil Chinas an der weltweiten Wirtschaftsleistung 2017 bei gut 17 Prozent lag, kam der Renminbi nur auf einen Anteil von 2,12 Prozent an den globalen Zahlungsströmen. Beim Euro und beim Dollar dagegen ist das Verhältnis umgekehrt: Der Anteil der Eurozone beziehungsweise der US-Wirtschaft am globalen Handel betrug 2017 nur 16 beziehungsweise 15 Prozent; doch der Dollar wurde bei 39 Prozent und der Euro bei 34 Prozent aller Zahlungsgeschäfte eingesetzt.

Für chinesische Unternehmen hat das ganz praktische Nachteile: Müssen sie ihre Geschäfte in Fremdwährungen wie dem Euro oder dem Dollar abwickeln, bleibt ihnen stets ein gewisses Wechselkursrisiko. Einnahmen und Ausgaben sind dadurch kaum exakt planbar oder aber – durch komplizierte Finanzgeschäfte, die die Wechselkursrisiken absichern – mit hohem Aufwand verbunden.

Darüber hinaus hat die Frage, in welcher Währung globale Handelsgeschäfte abgewickelt werden, auch immer mit Macht zu tun. So nutzt die US-Regierung den Dollar, die bisherige Leitwährung, gern als Waffe. Etwa, indem sie Banken, die Geschäfte mit dem Iran abwickeln, den Dollar-Zugang verwehrt – und so quasi ihr komplettes internationales Finanzgeschäft lahmlegt.

Die chinesische Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, dieser Vormachtstellung etwas entgegenzusetzen und sich dafür zunächst stärker in die internationalen Finanzmärkte zu integrieren.

Erstmals erlaubte Peking im Jahr 2003 sogenannten „qualifizierten ausländischen ­institutionellen Investoren“, in China Finanzgeschäfte zu tätigen. Die zugelassenen Institute durften chinesische Aktien oder Anleihen nach bestimmten Quoten aufkaufen. 2009 startete die Regierung ein Pilotprogramm zur grenzüberschreitenden Handelsabwicklung in Renminbi. 2013 und 2014 gestattete Peking es chinesischen Banken, grenzüberschreitende Renminbi-Kredite zu vergeben, und sie erteilte „grünes Licht“ für den direkten Währungshandel von Euro und Pfund mit dem Renminbi am chinesischen Interbanken-Devisenmarkt.

Kurz darauf beschloss der Internationale Währungsfonds, den Renminbi neben Dollar, britischem Pfund, Yen und Euro ab Oktober 2016 zur fünften sogenannten Weltreservewährung zu machen. Seitdem ist der Renminbi Teil des IWF-Währungskorbs, auf dessen Basis die Sonderziehungsrechte festgelegt werden. Diese dienen dem IWF als Berechnungsgrundlage, etwa für internationale Finanzhilfen. Für die chinesische Währung kam das einer Art Ritterschlag gleich.

Seitdem schreitet die Liberalisierung weiter voran, wenn auch nicht mehr so dynamisch. Mitte 2015 fielen die Kurse an Chinas Börsen rasant; Kritiker der Währungsliberalisierung sahen sich in ihren Warnungen bestätigt. Noch kann Peking durch Kapitalverkehrskontrollen recht gut kontrollieren, wie viel Kapital ins Land kommt oder herausfließt. Doch je mehr Kontrolle Peking aufgibt, desto eher drohen Spekulationsblasen oder Crashs – falls etwa die chinesische Konjunktur nachlässt und Anleger in großem Umfang Geld aus dem Land abziehen.

Noch kann von einer wirklich liberalen Währung in China keine Rede sein. Der Renminbi bleibt an den Dollar gekoppelt, um den Wert der Währung stabil zu halten. Auch generell dürfte Peking seine Kontrolle der Finanzmärkte erst einmal beibehalten – trotz aller Bekenntnisse zu freiem Handel. Wie Max J. Zenglein und Maximilian Kärnfelt vom Mercator Institute for China Studies schreiben, integriere sich China zwar stärker in das globale Finanzsystem, habe an einer vollständigen Liberalisierung aber kein Interesse. Ihr Tipp: „Internationale Beobachter sollten Chinas Fortschritte bei der Liberalisierung nicht an Bekenntnissen, sondern an konkreten Schritten messen.“ Und davon bräuchte es noch einige.

 

 

Südamerika

China drängt nach Afrika – so weit, so bekannt. Weit weniger Aufmerksamkeit erfahren Pekings Aktivitäten in der Region von Mexiko bis nach Patagonien. Von geringerer Bedeutung sind sie aber keinesfalls. Traditionell ist es bekanntlich die Großmacht USA, die Lateinamerika für sich beansprucht. Schon 1823 erklärte der damalige US-Präsident James Monroe das Gebiet zur alleinigen Einflusszone der USA, zum amerikanischen „Hinterhof“ quasi. Ein Anspruch, der zu kritisieren ist, aber so auch nicht mehr gilt. Denn während die USA unter Präsident Donald Trump ihre Grenzen abschirmen, ihre Teilnahme an Konferenzen absagen und weitgehendes Desinteresse an ihrem selbst ernannten Hinterhof zeigen, hat China die Länder der Region als strategische Partner für sich entdeckt.

Vereinfacht gesprochen läuft die chinesisch-lateinamerikanische Partnerschaft ganz ähnlich ab wie die zwischen China und Afrika: China kauft Rohstoffe in Südamerika und beliefert die Länder im Gegenzug mit verarbeiteten Waren wie Elektronikgütern. Gleichzeitig ist die chinesische Regierung als Investorin tätig. Sie gewährt südamerikanischen Regierungen Kredite, damit diese ihre Häfen und Straßen ausbauen können. Dass anschließend nicht selten chinesische Firmen damit beauftragt werden, die Baumaßnahmen umzusetzen, macht China zum doppelten Gewinner: Einerseits verdient es Geld durch Kreditzinsen, andererseits kann es seine Unternehmen internationalisieren. Die südamerikanischen Partner wiederum hoffen, dank des Infrastrukturausbaus konkurrenzfähiger zu werden.

Begonnen hat das Interesse Chinas an Südamerika bereits 2001 mit einer zweiwöchigen Lateinamerikareise des damaligen Präsidenten Jiang Zemin. 2004 schuf China dann Fakten. Staats­chef Hu Jintao unterzeichnete in jenem Jahr gleich 39 Handelsabkommen mit lateinamerikanischen Staaten. Kurz darauf vereinbarte China mit Staatschef Hugo Chávez, in Venezuela gemeinsam nach Öl und Gas zu bohren; es folgten Investitionen in zahlreichen weiteren Staaten. Laut einer Untersuchung des amerikanischen Thinktanks The Dialogue hat China von 2005 bis 2017 insgesamt 150 Milliarden Dollar als Kredite in Südamerika vergeben oder investiert.

Wie bei allen Aktivitäten der chinesischen Regierung gibt es auch hier einen klaren Plan. So hat Peking bereits 2008 ein erstes offizielles Strategiepapier zu seinen Lateinamerika-Beziehungen vorgelegt. Nach Darstellung des Handelsblatts lässt sich die chinesische Offensive in verschiedene Phasen teilen: Von 2005 bis 2013 sei es Peking vor allem darum gegangen, sich den Zugang zu wichtigen Rohstoff- und Energiequellen in Lateinamerika zu sichern, also zu Erdöl, Eisen, Erz und Kupfer.

In Phase zwei folgte dann der Ausbau der Infrastruktur. Ein Beispiel: Als Nicaraguas Präsident Daniel Ortega 2012 verkündete, er wolle einen Kanal quer durchs Land bauen, als Parallele zum Panama-Kanal, war China zur Stelle. Wie eine Analyse der Konrad-Adenauer-Stiftung von 2015 zeigt, vergab Ortega die Konzession für den Bau an den chinesischen Milliardär Wang Jing, „ohne parlamentarische oder zivilgesellschaftliche Rückbindung“ zu haben. Um den Bau zu finanzieren, gründete dieser die Hong Kong Nicaragua Canal Development Group, der auch Verbindungen zur chinesischen Regierung nachgesagt werden. Inzwischen ist es um das von Kritikern als „Größenwahnsinn“ bezeichnete Megaprojekt allerdings ruhig geworden.

Bei anderen Projekten wurden dagegen Fakten geschaffen: So bauen chinesische Bauunternehmen derzeit unter anderem einen Hafen in der nordbrasilianischen Stadt São Luís aus, von dem ab 2022 insbesondere Mais und Soja nach China transportiert werden sollen. Finanziert wird der Bau von der chinesischen Entwicklungsbank und der Staatsbank ICBC; 51 Prozent des Hafens bleiben in chinesischer Hand. Andern­orts planen chinesische Unternehmen neue Staudämme oder Eisenbahnlinien; unter anderem verhandeln sie mit Brasilien über eine Eisenbahnverbindung von der Ost- zur Westküste des Kontinents.

Was dabei allerdings oft auf der Strecke bleibt, ist die Natur: Gegen viele chinesische Großprojekte gibt es erhebliche Widerstände in der Bevölkerung – etwa in Südargentinien. Dort bauen chinesische Firmen derzeit zwei riesige Staudämme, Condor Cliff und La Barrancosa. Sie sollen künftig den Norden des Landes mit Strom versorgen. Das Geld für die Beauftragung der Firmen hat sich der argentinische Staat von chinesischen Banken geliehen. Umweltschützer befürchten, dass der rabiate Eingriff in die Natur die Landschaft Patagoniens nachhaltig schädigen wird. Der amtierende Präsident Mauricio Macri wollte das von seinen Vorgängern zugesagte Vorhaben daher noch stoppen, doch vergeblich: Weil die chinesische Regierung drohte, sich dann auch aus anderen Finanzierungen zurückzuziehen, sind die Bauarbeiten nun angelaufen.

Das zeigt, in welch gefährliche Abhängigkeit sich die südamerikanischen Staaten begeben haben. Auf der einen Seite sind die chinesischen Offerten für sie attraktiv. Durch den neuen Partner aus Fernost können sie ihre jahrzehntelange Abhängigkeit von den Vereinigten Staaten abfedern. Zudem wirken die chinesischen Investitionszusagen besonders verbindlich. Denn anders als Staaten, in denen die Privatwirtschaft vergleichsweise unabhängig agiert, bietet China sozusagen ein All-Inclusive-­Paket: Der Staat diktiert seinen Bauunternehmen, was zu tun ist, und stellt den Ländern gleichzeitig passende Finanzierungsangebote bereit. Außerdem: Peking koppelt seine Kreditzusagen weder an den Einsatz für mehr Menschenrechte noch an den Kampf gegen ­Drogenbanden.

Auf der anderen Seite sind aber auch chinesische Kredite keineswegs umsonst – das zeigt sich bei der Seidenstraßen-Initiative. 2017 erklärte Präsident Xi Jinping, die Route bis nach Südamerika erweitern zu wollen. Es handele sich um „die natürliche Expansion der maritimen Seidenstraße im 21. Jahrhundert“, erklärte er damals.

Mehr als zehn lateinamerikanische Staaten wollen nun mitmachen; einige davon, wie die Dominikanische Republik und Panama, haben seitdem ihre diplomatischen Beziehungen zu Taiwan abgebrochen. Und auch in internationalen Gremien wie den Vereinten Nationen gelingt es China offenbar immer öfter, lateinamerikanische Länder auf seine Seite zu ziehen.

Für Lateinamerika birgt die neue Partnerschaft mit China neben politischer Einflussnahme weitere Risiken. Viele lateinamerikanische Länder sind im Handel mit China bisher vor allem Lieferanten von Rohstoffen, was angesichts der derzeit niedrigen Rohstoffpreise nur wenige Devisen einbringt. Gleichzeitig machen es die hochwertigen Importe aus China den Ländern schwer, eigene Industrien aufzubauen. Im Grunde drohen diese Länder in der Handelspartnerschaft mit China in gewisser Weise das gleiche Schicksal zu erleiden wie zuvor in den Partnerschaften mit den USA und Europa – trotz aller In­frastrukturinvestitionen.

Überhaupt sehen sich Lateinamerikas bisherige Handelspartner – die Europäische Union und die USA – vom Aufstieg Chinas in wachsendem Maße unter Druck gesetzt. So hat das Reich der Mitte die bisherigen Platzhirsche bereits in mehreren Ländern als stärkste Handelspartner abgelöst, zum Beispiel in Brasilien, Peru und Chile. Das Handelsvolumen zwischen Lateinamerika und China stieg 2017 auf fast 260 Milliarden Dollar an, mehr als 20 Mal so viel wie zur Jahrtausendwende.

Zuletzt hat die EU erfolgreich dagegengehalten: Nachdem die EU-Kommission seit gut 20 Jahren mit dem Wirtschaftsbündnis Mercosur (Uruguay, Paraguay, Brasilien und Argentinien) über ein Freihandelsabkommen verhandelt hatte, konnte man sich Ende Juni auf ein umfassendes Abkommen einigen. Ob es allerdings auch ratifiziert wird, ist ungewiss: Die verheerenden Amazonas-Waldbrände und die rücksichtslose Politik des brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro gegenüber Indigenen, Kleinbauern und dem Regenwald lassen in Europa die kritischen Stimmen lauter werden.

Anders als etwa Frankreich spricht sich die Bundesregierung für eine Ratifizierung des Abkommens aus. Erst Ende April hatte Berlin eine Südamerika-Offensive gestartet, die mit einer Reise von Außenminister Heiko Maas nach Brasilien, Kolumbien und Mexiko begann. Ende Mai lud die Bundesregierung dann zu einer Lateinamerika-Karibik-Konferenz ein, um über die Zukunft der deutsch-lateinamerikanischen Handelsbeziehungen zu sprechen. „Lateinamerika ist zu lange aus unserem Blick geraten“, räumte Außenminister Maas in diesem Kontext ein. Ein Versäumnis, das man nun, angesichts ständig neuer Investitionszusagen aus China, korrigieren will.

 

 

Umwelt und Ressourcen

Wer in chinesischen Großstädten wie Lanzhou oder Peking aus dem Haus tritt, dem kann schnell die Luft wegbleiben: Immer wieder versinken Häuser und Autos in einer dichten Smog-Wolke aus winzigen Schadstoffpartikeln; die Sicht ist vernebelt, jeder Atemzug tut in den Lungen weh. Für viele Chinesen ist der Blick auf eine Smog-App am Morgen längst Routine; der Griff zum Mundschutz ist für sie so alltäglich wie für andere der zum Regenschirm.

Das Smog-Problem Chinas ist gut bekannt und Sinnbild für eine Zwickmühle: dem „Trade off“ zwischen schnellem Wirtschaftswachstum und ökologischen Kollateralschäden. Die Regierung in Peking hat versprochen, die Wirtschaftsleistung des Landes von 2010 bis Ende 2020 zu verdoppeln. Seit Jahren laufen Fabriken auf Hochtouren, pumpen Fördertürme gigantische Mengen Öl an die Erdoberfläche, bauen Bergwerke Seltene Erden ab. Der Preis dieses Wachstums wird allerdings immer offensichtlicher. Laut WWF sinken die Grundwasserspiegel, verdrecken die Flüsse und schwinden in rasantem Tempo Tier- und Pflanzenarten. Zudem sterben derzeit in keinem anderen Land mehr Menschen an Verkehrsabgasen als in China, wie eine Untersuchung des International Council on Clean Transportation zeigt.

Die Volksrepublik verfügt zwar nur über 9 Prozent der weltweiten landwirtschaftlichen Nutzfläche und rund 7 Prozent der globalen Süßwasserreserven, dafür aber ist das Land auf andere Weise mit Reichtum gesegnet: nämlich mit Rohstoffen. Die Liste der Rohstoffe, bei denen China als globaler Hauptlieferant gelistet wird, klingt wie eine Abhandlung aus dem Naturkundeunterricht: Sie beginnt mit Aluminiumoxid, geht über Gallium und Roheisen und endet bei Wollastonit. Diese Ressourcen braucht China vor allem für das eigene Wachstum. Daher holt man quasi alles aus dem Boden, was sich irgendwie verwerten lässt. Chinesische ­Gesellschaften bohren auf der Suche nach Öl inzwischen fast neun Kilometer tief in den Boden – so tief also, wie der Mount Everest hoch ist.

Und selbst das reicht nicht immer aus. So war China in den vergangenen Jahren nicht nur größter Produzent, sondern gleichzeitig auch weltgrößter Importeur bei vielen Rohstoffen. Das Land kauft unter anderem Öl, Eisenerz, Kupfer und Aluminium auf dem Weltmarkt auf – so viel, dass etliche rohstoffreiche Länder in den vergangenen Jahren ebenfalls einen Aufschwung erlebt haben.

Darüber hinaus gibt China inzwischen einen Teil seiner Rohstoffe in den Export, vor allem die sogenannten Seltenen Erden. Das sind besondere Metalle, die für den Bau von Smartphones und Elektroautos unverzichtbar sind. Rund 80 Prozent dieser Metalle bezieht etwa die US-High-Tech-Industrie derzeit aus dem Reich der Mitte, eine Abhängigkeit, die auch im Handelskrieg zwischen China und den USA eine Rolle spielt. Im Mai drohte China damit, seinen Export an Seltenen Erden in die USA einzustellen, ein Schritt, der quasi die gesamte US-Elek­tronik-industrie lahmgelegt hätte. Diese Drohungen machte Peking dann zwar doch nicht wahr, doch erklärtes Ziel der Pekinger Regierung ist es, künftig immer seltener Rohstoffe und immer öfter verarbeitete Metalle zu exportieren.

Die ökologischen Folgen von Pekings Wachstumsinitiative werden nicht nur in China selbst, sondern auch im Ausland deutlich. Das gilt insbesondere für den Bau der Neuen Seidenstraße. So schätzt die Umweltorganisation WWF, dass der Bau über 260 bedrohte Tierarten beeinflussen dürfte – darunter Tiger, Riesenpandas, Gorillas, Orang-Utans und Saiga-Antilopen. Zudem werde die neue Seidenstraße durch 1700 wichtige Vogelgebiete oder biodiverse Lebensräume führen oder diese zumindest in großem Umfang tangieren. Vor allem in Südostasien, also in Staaten wie Myanmar, Laos oder Thailand, sei die Umweltbedrohung durch den Ausbau der Seidenstraße enorm, sagen die WWF-Experten.

Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt eine Untersuchung der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg und anderer Institute aus dem Jahr 2018. Demnach wird die Neue Seidenstraße die Ausbreitung von invasiven Arten fördern, manche Tierarten in ihrer Bewegungsfreiheit einschränken oder gar zum kompletten Verlust von Lebensräumen führen. Zudem verursache die Nutzung von fossilen Brennstoffen im Zuge des Ausbaus und Betriebs der neuen Infrastruktur hohe Treibhausgasemissionen, so die Forscher. Sie fordern, dass alle Teilprojekte der Seidenstraße standardmäßig einer strategischen Umwelt- und Sozialverträglichkeitsprüfung unterzogen werden.

In China selbst gibt es für solche Prüfungen entsprechende Gesetze; in vielen der Länder, in denen die Bauarbeiten stattfinden, aber nicht. Das zeigt sich nicht nur beim Bau von Straßen, Eisenbahnlinien und Häfen, sondern auch bei anderen chinesischen Großprojekten – etwa bei der Errichtung von Staudämmen. So berichtete der Verein „Rettet den Regenwald“ kürzlich, dass ein geplanter Staudamm in Indonesien den Lebensraum der Tapanuli- Orang-Utans zu zerstören droht, von denen weltweit nur noch 800 Tiere leben. Finanziert werde das Bauprojekt von der Bank of China, umgesetzt vom chinesischen Staatskonzern Sinohydro. Der gleiche Baukonzern hat laut der NGO auch den Bauauftrag für einen Staudamm in Guinea erhalten, der dort den Lebensraum von rund 1500 Schimpansen bedrohe.

Ähnliche Berichte findet man beim Bau von Staudämmen und Bergwerken immer wieder. Etwa bei chinesischen Staudammprojekten am Fluss Mekong. Dort sorgen die neuen Dämme dafür, dass weniger nährstoffreiche Sedimente aus dem Himalaya ins vietnamesische Mekong-­Delta abgeschwemmt werden, was wiederum die Böden im Flussdelta schlechter werden lässt. Und weil durch die Dämme viele Laichgründe für Fische unzugänglich geworden sind, hat die Artenvielfalt im Fluss stark abgenommen.

In vielen Regionen, in denen China im Ausland aktiv ist, gibt es zwar Proteste; insgesamt aber stehen Zivilgesellschaft und Umweltgesetzgebung dort oft noch am Anfang. Anders ist das in China selbst. Dort will gerade die gut gebildete Mittelschicht die Umweltverschmutzung nicht mehr hinnehmen. Das zwingt Peking zum Handeln, zuletzt etwa bei der Verabschiedung des jüngsten Fünf-Jahres-Plans 2016. Zum ersten Mal räumte die Kommunistische Partei hier dem Thema Umweltschutz überdurchschnittlich viel Platz ein. Sie nahm sich vor, bis 2020 viele Kohlekraftwerke zu modernisieren und die erneuerbaren Energien auszubauen. Neufahrzeuge sollten in wachsendem Maße elektrisch fahren, besonders schmutzige Fahrzeuge von den Straßen verbannt werden. Und vor allem sollten die strengen Umweltgesetze, die China zum Teil damals schon hatte, endlich durchgesetzt werden.

Tatsächlich folgten diesen Ankündigungen durchaus ernsthafte Anstrengungen. So betreibt China das größte Aufforstungsprogramm weltweit – insbesondere, um die Böden des Landes gegen Erosion und die Ausbreitung von Wüsten zu schützen. Seit 1990 hat sich die Waldfläche um ein Drittel vergrößert. 2016/17 wurde die Hälfte der weltweit gebauten Solaranlagen in China errichtet. Die Zahl der E-Autos auf chinesischen Straßen steigt und steigt, und um die Luft in Großstädten zu verbessern, hat die Regierung bereits Garküchen im Stadtgebiet verbieten lassen und marode Kohlekraftwerke modernisiert. Die chemische Industrie unterliegt nun strengeren Auflagen; Umweltinspektoren wurden geschult und sollen sicherstellen, dass die neuen Regeln eingehalten werden.

Zugutekommen könnte dem Klima- und Umweltschutz in China, dass sich auch hier langsam ein Strukturwandel in der Wirtschaft vollzieht: weg von der „Werkbank der Welt“ hin zur Dienstleistungsgesellschaft. Die öffentliche Hand, aber auch die privaten Haushalte geben inzwischen mehr Geld für Gesundheit, Bildung, Unterhaltung und Reisen aus – Bereiche also, die weniger Ressourcen und weniger Energie verbrauchen als etwa der Bausektor.

Gleichzeitig gibt es allerdings bedenkliche Tendenzen: Zuletzt ist die Luftverschmutzung in mehreren Städten wieder gestiegen; der amerikanischen Informationsplattform „Coal Swarm“ zufolge baut China neue Kohlekraftwerke, und die Stahlproduktion erreichte Ende 2018 ein Rekordhoch. Das legt einen Schluss nahe, zu dem Ökonomen von KfW Research in einer im Juli 2019 publizierten Analyse kommen: „Letztendlich stehen Umweltschutzaspekte weiter hinter dem als wichtiger eingeschätzten ökonomischen Fortschritt zurück.“ Für den weltweiten Klimaschutz ist das eine ausgesprochen schlechte Nachricht.

 

 

Waffenexport

Große Militärparaden gab es in den vergangenen Jahren in China immer wieder: zum 70. Gründungstag der Volksrepublik, zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Asien, zum 90. Geburtstag der Volksbefreiungsarmee. Hunderte Panzer rollen dann an den Zuschauern vorbei, über 10 000 Soldaten marschieren im Gleichschritt. Schließlich sollen die chinesischen Bürger und auch das Ausland sehen, dass Chinas einst recht rückständige Kampftruppe kaum noch wiederzuerkennen ist.

Denn nicht nur wirtschaftlich, auch militärisch hat das Land einen rasanten Aufstieg hingelegt. Noch bis vor wenigen Jahren zählte China zu den größten Waffenimporteuren weltweit. Inzwischen aber verschickt der Staat Waffen aus eigener Produktion rund um den Globus, wie eine Analyse des schwedischen Friedensforschungsinstituts SIPRI vom Frühjahr zeigt. Danach war China zwischen 2014 und 2018 der fünftgrößte Waffenexporteur weltweit. Noch war der Marktanteil mit 5,2 Prozent im Vergleich zu den USA und Russland zwar gering. Umso auffälliger aber ­waren die Wachstumsraten: Peking steigerte seine Waffenexporte im untersuchten Zeitraum im Vergleich zu den fünf Jahren davor um 195 Prozent.

Für China ist der neue Exportzweig eine willkommene Einnahmequelle – und gleichzeitig Nebenprodukt einer viel wichtigeren Entwicklung. Denn das primäre Ziel Pekings ist es, die eigene Armee zu einer der schlagkräftigsten der Welt zu machen. Binnen 30 Jahren hat es die Staatsführung mit enormen Investitionen geschafft, aus einer Bauern- eine Elitetruppe zu formen und eine eigene Waffenproduktion aufzubauen, die sich selbst vor der amerikanischen Konkurrenz nicht verstecken muss. Denn Peking ist klar: Seinen Führungsanspruch in der Welt kann es nicht mit den Waffen der anderen verteidigen.

Begonnen hatte der Aufstieg Chinas zur neuen militärischen Supermacht Anfang der 1990er Jahre. Damals demonstrierten die USA im Zweiten Golfkrieg aller Welt ihre kriegstechnologische Überlegenheit – laut Experten ein Schlüsselerlebnis für Peking. China begann, sich das Kriegsgerät aus dem Ausland genauer anzuschauen und sich so viel Informationen über dessen Bauweise zu besorgen wie möglich – auf nicht immer legalen Wegen. So berichten US-Medien, dass chinesische Hacker in enormem Umfang Server der amerikanischen Rüstungsindustrie ausspionierten. Und Besucher der globalen Rüstungsmesse Idex 2013 staunten wohl nicht schlecht, als sie dort gepanzerte Jeeps, Kampfdrohnen und Luftabwehrraketen „made in China“ vorfanden, die nicht nur den amerikanischen, sondern auch französischen und russischen Modellen überraschend ähnelten.

Anfangs punkteten die chinesischen Rüstungshersteller vor allem über den Preis, nach und nach aber machte auch die Qualität der Waffen Fortschritte. Der chinesischen Führung reicht das aber nicht: Schon längst ist sie dabei, eigene Waffen zu entwickeln. In diesem Frühjahr testete das Militär den Prototypen einer neuen „Super-Waffe“, ein Kriegsschiff mit einer Hyperschallkanone. Und im April, als China den 70. Gründungstag seiner Marine feierte, präsentierte Peking in einem gigantischen Seemanöver mit über 30 Kriegsschiffen die neue Macht seiner Seeflotte. Bis 2030 will China seine Marine zudem weiter ausbauen.

Als ein Grund für die Aufrüstung gelten Streitigkeiten zwischen China und anderen asiatischen Staaten. So ringt die Großmacht seit Jahren mit Nachbarn wie Japan und den Philippinen um die Vorherrschaft im Südchinesischen Meer. Immer wieder mischen sich die USA in solche Streitigkeiten ein – etwa mit einem erst kürzlich genehmigten Waffendeal mit Taiwan. Durch die neue militärische Stärke kann China seinen Protesten gegen solche Aktionen inzwischen deutlich mehr Gehör verschaffen.

Darüber hinaus weiß China die wirtschaftlichen Vorteile der Waffenexporte zu schätzen. Bisher liefert China seine Waffen vor allem an asiatische Nachbarn wie Pakistan, Bangladesch oder Myanmar – darunter auch Länder, denen der Westen keine Waffen verkauft. Vor allem Afrika hat China als wichtige Säule seiner Militärstrategie ausgemacht. So hat das chinesische Militär im winzigen Dschibuti am Horn von Afrika im Juli 2017 seine erste Auslandsbasis eröffnet. Das britische Fachblatt Jane’s Defense Weekly will auf Basis von Satellitenbildern herausgefunden haben, dass China in Dschibuti auch Anlegepiers für Kriegsschiffe baut.

Dass China seine militärischen Wachstumspläne längst nicht mehr nur auf die eigenen Landesgrenzen beschränkt, lassen auch andere Anzeichen vermuten. So tauchte in Pekings Verteidigungsweißbuch im Jahr 2015 erstmals die Forderung auf, eine global operierende Marine aufzubauen – allein schon, um Chinas Handels- und Versorgungswege zu sichern. Und im Juni 2018 lud die chinesische Führung erstmals Sicherheitsbeamte, Generäle und Offiziere aus 49 afrikanischen Staaten für zwei Wochen zum „China-Afrika Forum zur Verteidigung und Sicherheit“ ein. Das Kalkül dahinter ist unschwer zu erkennen. Die USA sind in Afrika als Waffenlieferanten bisher vergleichsweise schwach vertreten; Russland musste zuletzt Einbußen hinnehmen. Für einen Neuling im globalen Waffenhandel wie China bieten sich also reichlich Chancen.

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Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 3, November 2019 - Februar 2020, S.34-52

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