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01. März 2019

Kleines Wirtschaftslexikon Skandinavien

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Bildung

➞ Seit dem „PISA-Schock“ von 2001 blicken Deutschlands Lehrer mit Neid und Bewunderung gen Norden. Doch mittlerweile zeigt sich, dass auch an Skandinaviens Schulen nicht alles Gold ist, was glänzt.

In skandinavischen Schulen herrscht seit Jahren Hochbetrieb. Nicht nur wegen der Schüler. Schulleiter, Lehrer und Bildungsforscher aus ganz Europa pilgern in den Norden, um herauszufinden, was an dortigen Schulen eigentlich so gut läuft.

Auslöser für diese Form des Bildungstourismus war die Veröffentlichung der ersten PISA-Studie der OECD zum Jahresende 2001. Darin wurden erstmals die Kompetenzen 15-jähriger Schülerinnen und Schüler aus der ganzen Welt verglichen. Besonders gut schnitten dabei die Finnen ab: Ihr Nachwuchs konnte deutlich besser rechnen und schreiben als deutsche Schüler, und auch in den Naturwissenschaften lagen die Nordländer vorn.

Schweden und Norwegen stachen nicht ganz so hervor, aber um besser zu sein als Deutschland, reichte es allemal. Als „PISA-Schock“ wird das seither in deutschen Medien bezeichnet.

Die Gründe für die Überlegenheit der skandinavischen Schulsysteme waren schnell ausgemacht. Vor allem das Modell der ganztägigen Gesamtschule, in der Schüler mit unterschiedlichen Leistungen möglichst lange gemeinsam lernen, wurde von vielen Experten hervorgehoben. Ein solches System lasse es eben gar nicht erst zu, dass einzelne Kinder zurückblieben.

Es gab zwar auch namhafte Kritiker dieser These, etwa den Chef der deutschen PISA-Studie Manfred Prenzel, der darauf hinwies, dass auch Nationen mit gegliederten Schulsystemen Bestwerte erreichten. Aber der Glaube an die Gesamtschule als skandinavisches Erfolgsrezept festigte sich trotzdem.

Inzwischen ist klar: So einfach ist es nicht. Denn in der PISA-Studie von 2015 zeigte sich: Verglichen mit anderen europäischen Ländern gibt es in Finnland zwar immer noch die meisten Schüler, die im Schreiben, Rechnen und in den Naturwissenschaften überdurchschnittlich gut dastehen. Danach aber folgt nun Deutschland; das einstige Vorbild Schweden ist im Ranking abgestürzt und hat die schlechteste Entwicklung aller OECD-Länder zu verzeichnen. Selbst in Finnland haben sich die Ergebnisse der Schüler zuletzt deutlich verschlechtert. Könnte es also sein, dass die Gesamtschule gar nicht das Erfolgsrezept war?

Einen Erklärungsversuch für die Entwicklung in Finnland lieferte 2015 der schwedische Ökonom Gabriel Heller-Sahlgren. Er zeigte auf, dass der Aufwärtstrend in den finnischen Schulen bereits in den sechziger Jahren eingesetzt hatte – zu einer Zeit, als da noch ein ganz anderes System galt. Damals gab es in Finnland eine zentrale Schulaufsicht, ein strenges Notensystem, klar strukturierte Lehrpläne. Alles Dinge, die später gelockert wurden.

Der Erfolg in den frühen PISA-Untersuchungen sei den Nachwirkungen dieser früheren, engmaschigen Bildungspolitik zu verdanken, argumentierte Heller-Sahlgren. Das Weniger an Autorität in der Schule habe dann auch zu einem Weniger an Leistung geführt.

Viel diskutiert werden die Ergebnisse der PISA-Studie auch in Schweden. Zwei Ursachen macht man dort für die Misere aus. Ähnlich wie in Finnland wurden in Schweden Ende der achtziger Jahre die Finanzierung der Schulen und die Ausgestaltung der Lehrpläne vom Staat an die Kommunen abgegeben. In vielen Rathäusern aber mangelte es sowohl an Geld als auch an Erfahrung. Als Kommunalangestellte verdienen Lehrer in der Regel weniger; in vielen Regionen Schwedens gibt es inzwischen zu wenige Bewerber für offene Stellen. Seit Anfang der Neunziger dürfen schwedische Eltern zudem wählen, welche Schule ihr Kind besuchen soll. Die Ungleichheit im Schulsystem ist seither stetig gewachsen.

Bereits im Jahr 2011 versuchte die schwedische Regierung, auf das Abrutschen im PISA-Ranking mit Reformen zu reagieren. Die Schüler werden nun schon von der sechsten Klasse an benotet, nicht erst in der achten. Der Lehrplan wurde angepasst, die Ausbildung der Lehrer verbessert und ihre Gehälter erhöht. Mit Erfolg? Die PISA-Studie 2018, ­deren Ergebnisse im Dezember 2019 vorgestellt werden, wird es zeigen.

Vorne dabei bleiben die Skandinavier, wenn es um das Thema Digitalisierung im Schulunterricht geht. Berührungsängste gibt es kaum. In Dänemark etwa konnten die Schüler bereits 2010 während der Abiturprüfungen im Internet recherchieren – damals weltweit einmalig. Am konsequentesten ging die dänische Kommune Odder im Osten Jütlands den digitalen Wandel an. Dort wurden 2011 alle 2000 Schüler der Kleinstadt mit Tablets ausgestattet und deren Einsatz im Unterricht evaluiert. Heute weiß man daher in Dänemark: Tablets sind vor allem in den unteren Klassenstufen einsetzbar, in höheren Klassen sind Laptops praktischer, weil man auf ihnen besser schreiben kann. Und: Digitale Geräte allein helfen ohne Netzausbau wenig. Daher sind inzwischen alle Schulen in Dänemark mit freiem Internet ausgestattet.

Priorität hat das Thema auch in Norwegen, wirtschaftshistorisch ein Land mit starkem Fokus auf dem Informations- und Kommunikationstechnologie-Sektor. Ein öffentliches Gymnasium bietet dort sogar E-Sport als Unterrichtsfach an. Gleichzeitig wird das Thema aber auch strategisch angegangen. So ist in Norwegen die technische Ausstattung sehr gut, wie der Bildungsmonitor der unternehmernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) zeigt.

Demnach kommt dort im Schnitt ein Computer auf 2,4 Schüler, während es in Deutschland 11,5 Schüler sind. Darüber hinaus nehmen seit 2016 144 Schulen an einem nationalen Pilotprojekt teil, bei dem Schülerinnen und Schüler Programmieren als Wahlfach belegen können. Bisher ist das Interesse an den neuen Angeboten überschaubar; nur 3 Prozent der Schüler haben sich für das neue Wahlfach entschieden. Und: 83 Prozent davon sind männlich.

Die norwegische Regierung hat daher die Sorge, dass freiwillige Angebote die Geschlechterungleichheit weiter festigen könnten. Daher will man die digitale Bildung nun verpflichtend im Unterricht verankern.

Dafür sollen 2020 neue Lehrpläne in Kraft treten, die „Computational Thinking“ und „Programming“ beinhalten. Im Fach „Programming“ sollen Kinder Grundkenntnisse im Programmieren erwerben. „Computational Thinking“ meint dagegen die Fähigkeit, komplexe Probleme abstrakt zu modellieren, sie in Teilschritte zu zerlegen und formalisierte Lösungsstrategien zu entwerfen. Diese Formen der digitalen Kompetenz sind im neuen Lehrplan gemeinsam mit Lesen und Schreiben als Schlüsselkompetenz vorgesehen.

Dafür müssen auch die Lehrer besser aus- und weitergebildet werden. Für Lehrende, die bereits im ­Berufsleben stehen, hat Norwegen spezielle Online-Kurse entwickelt. Darin werden Grundkenntnisse in fünf Programmiersprachen vermittelt: Scratch, Code Studio, Phyton, JavaScript und Micro:bit. Viele Universitäten haben diese Inhalte nun zudem in die Ausbildung integriert und experimentieren darüber hinaus mit VR-Brillen und Coding-Apps.

Sollten digitale Kenntnisse irgendwann als eigene Rubrik in die PISA-Studie aufgenommen werden, dürften skandinavische Schüler hier aller Voraussicht nach ziemlich gut abschneiden.

Digitaler Staat

➞ Industrie 4.0, Smart Cities, E-Health, E-Government: Wenn es um die Verwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien im Alltag geht, ist nur Singapur noch besser aufgestellt als Nordeuropa.
 

Norwegen hat es schon vor zwei Jahren getan: Anfang 2017 hat das Land die gute alte UKW-Radiotechnologie abgeschafft und durch DAB+ ersetzt. In Deutschland dagegen nutzten im September 2018 gerade einmal 12,7 Millionen Menschen den neuen Standard – also nur etwa jeder Sechste.

Auf welchem Wege man Radio hört, ist für die wirtschaftliche Entwicklung einer Region natürlich bei Weitem nicht spielentscheidend. Und doch steht das Radiohören in diesem Fall repräsentativ für eine viel größere Tatsache: nämlich Skandinaviens unumstrittene Vorreiterrolle in Sachen Digitalisierung insgesamt.

Als Beleg dafür reicht ein Blick in den so genannten Networked Readiness Index des World Economic Forum. Darin untersucht die Organisation regelmäßig, wie gut die Informations- und Kommunikationstechnologien in verschiedenen Ländern ausgebaut sind und wie umfassend diese in Wirtschaft und Gesellschaft genutzt werden. Am besten schneidet dabei Singapur ab, direkt danach aber folgen Finnland, Schweden und Norwegen. Ein Grund für das gute Ergebnis der Skandinavier: In Finnland etwa verfügt praktisch jeder Bürger über ein mobiles Endgerät mit unlimitiertem Datenzugang.

Auch andere Ranglisten bestätigen die Vorreiterstellung der Skandinavier. Im Index für digitale Wirtschaft und Gesellschaft der EU standen Dänemark, Schweden und Finnland auf den ersten drei Plätzen. Finnland tut sich dabei nach Angaben des deutschen Außenhandelsförderer Germany Trade and Invest insbesondere bei der Entwicklung der Industrie 4.0 hervor, beim autonomen Fahren, bei der Entwicklung des neuen Mobilfunkstandards 5G sowie bei der Digitalisierung des Gesundheitssystems.

Zu Gute kommt Finnland dabei auch die geografische Lage. So lassen sich dank des kühlen Klimas und der niedrigen Strompreise Rechenzentren dort besonders günstig betreiben. Unternehmen wie Google, Microsoft und Fujitsu haben in den vergangenen Jahren viel im Land investiert.

Vor allem aber schreitet die finnische Regierung in Sachen E-Health und E-Government voran. Bereits seit 2010 können sich Finnen Rezepte für verschreibungspflichtige Medikamente digital ausstellen lassen. Ihre Rezepte ebenso wie ihre Patientendaten und ärztlichen Diagnosen sind für die Bürger jederzeit auf einem offiziellen Portal für die öffentliche Gesundheitsversorgung einsehbar.

Die finnischen Universitätskrankenhäuser stellen für die Bürger in virtuellen Gesundheitszentren Informationen zur Selbstbehandlung und Diagnose bereit. Und um die Verwaltungsarbeit der staatlichen Behörden effizienter zu machen, hat die finnische Regierung mehr als 100 Bürgerdienstleistungen festgelegt, die bis 2021 digitalisiert werden sollen – zum Beispiel fast die komplette Steuerverwaltung.

Eine digitale Verwaltung aufzubauen, ist auch eine der obersten Prioritäten der dänischen Regierung. So hat das Land in den vergangenen Jahren ein zentrales Internetportal aufgebaut, das den rund 5,6 Millionen Bürgern des Landes Zugang zu staatlichen Dienstleistungen verschafft. Ein Großteil des Briefverkehrs wird über ein öffentliches, digitales Postsystem namens e-Boks abgewickelt. Die Dänen verschicken so Gehaltsabrechnungen, Kontoauszüge oder Rechnungen. Auch die Bürokratie für Unternehmen soll schlanker werden, etwa indem die Geschäftsberichterstattung digitalisiert wird.

Schweden will hinter seinen Nachbarländern nicht zurückbleiben. Im Digitalisierungsindex der EU belegt das Land derzeit den zweiten Platz. Nicht nur, weil die Großstädte dort schon seit Längerem fast komplett mit Glasfaserleitungen versorgt sind.

Bargeldloses Bezahlen ist in Schweden längst die Regel statt die Ausnahme. Ob Spenden in der Kirche, die Obdachlosenzeitung oder öffentliche Toiletten: All das wird in Schweden elektronisch beglichen. Nach Angaben der schwedischen Zentralbank bezahlen inzwischen mehr als 80 Prozent der Einwohner fast alles mit Karten, vor zwei Jahren traf das auf 64 Prozent zu.

Die schwedische Zentralbank denkt mittlerweile über die Einführung einer staatlichen Digitalwährung nach, damit Bürger künftig ein Konto bei der Notenbank haben können und nicht auf Privatbanken angewiesen sind. Medienberichten zufolge sollen verschiedene Varianten der so genannten E-Krone bereits 2019 in der Praxis getestet werden, etwa über Prepaid-Karten. Ganz verzichten will man in Schweden auf Bargeld aber dennoch nicht: Sonst könnte nämlich bei Stromausfall niemand mehr bezahlen.

Ambitionierte Ziele hat sich Schweden darüber hinaus bei den Smart Cities gesetzt: Stockholm soll bis 2040 die smarteste Stadt der Welt sein – digital und klimaneutral. Beispiel Verkehrsmanagement: Zahlreiche Sensoren erheben pro Sekunde 250 000 anonymisierte GPS-Daten, die eine intelligente Steuerung des Verkehrs möglich machen – etwa, indem die Busrouten an das Verkehrs­aufkommen und die Ampelschaltung angepasst werden. Durch solche Maßnahmen ist es gelungen, das Verkehrsaufkommen in der Stadt um 50 Prozent und die Abgase um 20 Prozent zu senken. Als Vorzeigeprojekt gilt der Stadtteil Hyllie in Malmö: Dort wird getestet, wie sich über smarte Netze eine dezentrale Versorgung mit erneuerbaren Energien gestalten lässt.

Energie und Umwelt

➞ Als Gerhard Schröder Anfang des Jahrtausends Deutschlands Atomausstieg ver-kündete, gingen in Dänemark die letzten Versuchsreaktoren vom Netz. Auch ansonsten kann der selbsternannte Klima-Vorreiter von Nordeuropa einiges lernen.

Früher einmal warb Deutschland gerne für sich als Vorreiter bei der Energiewende. Dass es damit nicht mehr weit her ist, zeigt unter anderem der Klimaschutz-Index, der jährlich von Germanwatch veröffentlicht wird. Darin beurteilen die Aktivisten die Klimaschutz-Anstrengungen von 56 Ländern in jeweils 14 Kategorien von „Energieverbrauch“ bis „Treibhausgase“. Deutschland landete in der Rangliste 2018 nur im Mittelfeld, auf Platz 27. Ganz vorne stand Schweden, auf Platz vier. Die ersten drei Plätze lässt Germanwatch frei, denn so richtig vorbildlich in Sachen Klimaschutz sei eben noch kein Land.

Schweden schneidet besonders gut bei den Treibhausgasen ab: So lag der CO2-Ausstoß pro Kopf laut Daten der EDGAR-Datenbank der EU-Kommission in Schweden 2016 bei nur 4,5 Tonnen im Jahr. Das sind rund 25 Prozent weniger als noch 1990. Zum Vergleich: In Deutschland liegt der CO2-Ausstoß pro Kopf mit 9,5 Tonnen pro Jahr mehr als doppelt so hoch. Und auch andere skandinavische Länder schneiden im Klimaschutz-Index von Germanwatch gut ab. Norwegen liegt auf Platz 12, Finnland auf Platz 13 und Dänemark auf Platz 15.

Dass auch Island, obgleich bei Germanwatch nicht genannt, gut dasteht, zeigt eine frühere Untersuchung der Agentur für erneuerbare Energie. Diese hatte im Jahr 2015 eine Rang­liste der Fußball-WM-Teilnehmerstaaten von 2018 im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeit erstellt. Wichtigstes Kriterium war dabei der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion. Island lag dabei vorn, denn dort wird der gesamte Strombedarf aus Wasserkraft und Erdwärme gedeckt. Schweden und Dänemark dagegen setzen dem Ranking zufolge vor allem auf Biomasse und Windkraft.

Überhaupt bemüht sich gerade Schweden konsequent darum, von fossilen Energieträgern loszukommen. 54 Prozent des Stroms kommen aus regenerativen Energiequellen. Damit hat das Land seine von der EU vorgegebenen Ziele bis 2020 bereits übererfüllt – anders als Deutschland. Ein Kritikpunkt aus Sicht von Umweltschützern ist allerdings, dass Schweden weiter auf Atomenergie setzt.

Ganz anders in Dänemark. Dort ging der letzte Forschungsreaktor Anfang des Jahrtausends vom Netz. Stattdessen kam 2016 nach Angaben der europäischen Statistikbehörde Eurostat gut ein Drittel des Stroms aus erneuerbaren Quellen; der restliche Strombedarf wird vor allem über Gas und Kohle gedeckt. Diese ambitionierte Nachhaltigkeitsstrategie zahlt sich aus: Der durchschnittliche CO2-Ausstoß in Dänemark liegt bei 6,5 Tonnen pro Person und Jahr und ist seit 1990 um 30 Prozent gesunken.

Norwegen ist bekannt als Öl-Land, doch für die Energieversorgung wird der Rohstoff nicht verwendet. Das Land nutzt seine geografischen Vorteile und gewinnt fast 98 Prozent seiner Energie aus Wasserkraftwerken.

Und auch in einem anderen Bereich schreitet Norwegen voran, nämlich in Sachen Elektromobilität. Mittlerweile fährt jedes zweite neu zugelassene Auto im Land ganz oder teils elektrisch. Dafür gibt es vor allem zwei Gründe. Während beim Kauf eines Diesels oder Benziners eine Steuer anfällt, die je nach Gewicht und Abgasen bis zu 10 000 Euro betragen kann, fällt diese beim E-Auto weg. Genau wie die Kfz-Steuer und die Mehrwertsteuer, die in Norwegen 25 Prozent beträgt. Auch Parken ist für die Fahrer von E-Autos oft günstiger.

Hinzu kommt, dass in Norwegen das Ladenetz deutlich besser ausgebaut ist als in vielen anderen europäischen Ländern. Verantwortlich dafür ist das staatliche Unternehmen Enova. An norwegischen Hauptstraßen gibt es schon jetzt im Schnitt alle 50 Kilometer zwei Schnellladesäulen. Insgesamt soll die Zahl der Ladeanschlüsse in Norwegen bis 2020 auf 25 000 steigen; bis Mitte Februar 2018 gab es etwa 10 500. Umgerechnet auf die Einwohnerzahl liegt Norwegen damit europaweit an der Spitze. Dennoch gibt es noch zu wenig Ladesäulen, um alle neu zugelassenen E-Autos zu versorgen.

Ein Problem dürfte der Ausbau der Ladeinfrastruktur allerdings nicht werden, denn inzwischen engagieren sich viele Betreiber auch ohne öffentliche Förderung im Netz­ausbau. Deutsche Energieversorger wittern ein Geschäft: So haben E.ON und das dänische Unternehmen Clever 2017 eine strategische Partnerschaft vereinbart, um ein europäisches Schnellladenetz für E-Autos aufzubauen.

In Island waren im Jahr 2017 laut Internationaler Energieagentur (IEA) 11,7 Prozent der neu zugelassenen Pkw elektrisch, in Schweden immerhin noch 6,3 Prozent. Das klingt nicht viel, ist es aber im Vergleich zu Deutschland. Dort lag der Anteil der E-Autos im Jahr 2018 unter 2 Prozent der Neuzulassungen. Auch in Schweden fördert der Staat alternative Antriebe und verbrauchsarme Fahrzeuge kräftig; umgekehrt werden für Autos, die viel Sprit verbrauchen, seit Mitte 2018 Strafsteuern erhoben. Außerdem wird der Wandel im öffentlichen Nahverkehr und bei staatlichen Gewerbefahrzeugen vorangetrieben: In Göteborg etwa setzt die Stadt seit Kurzem elektrisch betriebene Müllautos ein. In vielen Kommunen werden die Stadtbusse auf E-Mobilität umgerüstet. Bis 2035 will die Regierung den CO2-Ausstoß des Landes um 20 Prozent senken. Falls das klappt, könnte es doch noch für Platz eins im Germanwatch-Klima-Index reichen.

Fischerei

➞ Lachs, Forelle, Heilbutt: Norwegens Alternativen zum Erdöl schwimmen im Meer. Allerdings längst nicht immer in freier Wildbahn. Der Bedarf der Weltbevölkerung steigt weiter, ohne Zucht geht es nicht. Und die bleibt umstritten.

Wer bei skandinavischen Fischern an Seebären mit Vollbart und gelber Windjacke auf verwitterten Kuttern denkt, liegt falsch. Fischer sind, vor allem in Norwegen, Geschäftsmänner. Das Land ist nach China der zweitgrößte Fischexporteur der Welt. Und gerade jetzt, wo das Aus der Öl­industrie mittelfristig unabwendbar scheint, braucht das Land dringend wirtschaftliche Alternativen.

Die sieht man vor allem in der ­Fischzucht. Denn der globale Bedarf an Fisch ist riesig. 167 Millionen Tonnen Fische und Krustentiere wurden allein 2016 weltweit verzehrt, schätzt die Welternährungsorganisation FAO, 20 Millionen Tonnen mehr als noch zwei Jahre zuvor. Und da schon jetzt zahlreiche Fischbestände als überfischt gelten, ist klar: Ohne Zucht geht es nicht. In norwegischen Zuchtanlagen werden vor allem Lachse gemästet, die dann in Supermärkten in ganz Europa landen. Dazu kommen Forellen und Heilbutts. Größter Lachszüchter der Welt ist Marine Harvest mit Sitz in Oslo und einem Umsatz von knapp 3,5 Milliarden Euro im Jahr 2016.

Vor Ort ist die Fischzucht nicht unumstritten. Denn teils werden die Abwässer aus der Fischzucht ins freie Meer abgeleitet, so dass Kot und Futterreste in den Ozean gelangen. Werden die Fischgehege durch Stürme oder Schiffsschrauben beschädigt, entkommen Zuchtlachse in die freie Natur. Und wenn sich diese auf Leistung getrimmten Zuchttiere dann mit wilden Artgenossen paaren, nimmt ihr Nachwuchs den gleichaltrigen Fischen das Futter weg.

Zudem werden für die Fütterung der Tiere in den Fischzuchtanlagen zahlreiche Kleinfische gefangen und zu Fischmehl verarbeitet. Einige Fischarten wie Sardellen, Sardinen, Sprotten oder Makrelen werden aus diesem Grund sehr stark befischt.

Dennoch halten Experten die ­Fi­sch­-zucht auch künftig für unverzichtbar, um die Weltbevölkerung satt zu bekommen. Zahlreiche Forscher arbeiten daran, die Zucht nachhaltiger zu gestalten. Etwa, indem man Zucht­anlagen in Kreislaufwirtschaft baut, bei der kein Abwasser mehr ins Meer gerät. Inzwischen exportiert Skandinavien neben dem Fisch auch verstärkt das Equipment: So baut das dänische Unternehmen Nordic Aqua Partners derzeit in Ostchina eine Zuchtanlage, die mittelfristig rund 20 000 Tonnen Lachs jährlich produzieren soll.

Noch stärker umstritten ist ein anderer Fischereizweig: der Walfang. Neben Japan sind Norwegen und Island die einzigen Nationen, die Jagd auf Wale machen. Eigentlich gibt es seit 1986 ein weltweites Fangverbot, doch die norwegische Regierung beschloss, dem Moratorium nachträglich die Zustimmung zu verweigern.

Gleichstellung

➞ Als „feministisch“ verstehe seine Regierung sich, erklärte einst Schwedens Ministerpräsident Stefan Löfven. Auch die anderen Nordeuropäer sind sehr erfolgreich darin, Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern herzustellen.

Ob Unisex-Toiletten in Kneipen oder Kindergärten, in denen Jungs das Tanzen und Mädchen das „Stopp“-Sagen lernen: In Skandinavien lässt man sich einiges einfallen, um traditionelle Rollenbilder aufzubrechen. Die Region ist weltweit zum Vorreiter in Sachen Gleichstellung geworden – auch, wenn es in manchen Bereichen dort noch Nachholbedarf gibt.

Wie fortschrittlich Skandinavien ist, zeigt das aktuelle „Gender Gap“-Ranking des Weltwirtschaftsforums. Dabei werden jährlich rund 200 Länder weltweit im Hinblick auf die Frage verglichen, ob Männer und Frauen dort gleichberechtigt am wirtschaftlichen und politischen Leben teilnehmen können, wie gut sie ausgebildet und gesundheitlich versorgt werden. Angeführt wird die Rangliste von Island, dann folgen der Reihe nach mit Norwegen, Schweden und Finnland ausnahmslos skandinavische Länder. Dänemark landet mit deutlichem Abstand auf Rang 13, Deutschland einen Platz dahinter.

Diese Vorreiterstellung der skandinavischen Länder wird in vielen Punkten schon auf den ersten Blick deutlich. Während beispielsweise im Deutschen Bundestag nur weniger als jeder dritte Platz von einer Frau besetzt wird, sind in Schweden derzeit die Hälfte aller Minister weiblich: Nicht weniger als 43,6 Prozent der Sitze im schwedischen Reichstag haben Frauen inne – mehr als in jedem anderen EU-Land.

Als der alte und neue schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven im Oktober 2014 seine erste Amtszeit antrat, kündigte er an, seine Regierung verstehe sich als feministisch. Die Umsetzung dieses Vorhabens in die politische Praxis gestaltet sich allerdings nicht immer ganz einfach: So ließ die Regierung Anfang 2017 angesichts der winterlichen Niederschläge statt der Straßen die Gehwege räumen, da Frauen eher zu Fuß gingen, während Männer mehrheitlich das Auto nutzten. Ein konsequenter Entschluss – der allerdings in einem heillosen Verkehrschaos endete.

Die wichtige Rolle der schwedischen Frauen wird auch beim Blick auf die Unternehmensstrukturen deutlich. Die deutsch-schwedische AllBright-Stiftung hat im April/Mai 2018 die Vorstände der jeweils 30 größten Unternehmen in verschiedenen Ländern verglichen und festgestellt: In Schweden sind 24,1 Prozent der Vorstandsposten mit Frauen besetzt, in Deutschland sind es gerade einmal 12,1 Prozent. Und während in Schweden in immerhin zwei von drei Unternehmen mindestens zwei Frauen im Vorstand saßen, traf das auf gerade einmal 16,7 Prozent der deutschen Unternehmen zu.

Blickt man in andere skandinavische Länder, so sieht man eine ähnliche Entwicklung. In Island etwa sind 38 Prozent der Abgeordneten im Parlament weiblich. Und mit Katrin Jakobsdóttir wird auch die Regierung in Reykjavík seit November 2017 von einer Frau angeführt. Darüber hinaus ist es in Island wie in Norwegen gesetzlich vorgeschrieben, dass in der Wirtschaft beide Geschlechter mit einem Anteil von mindestens 40 Prozent in der Führungsriege von Privatunternehmen vertreten sein müssen.

Überhaupt ist der Grund für die Vorreiterstellung der skandinavischen Länder in vielerlei Hinsicht die Art, wie dort Politik gemacht wird. Steuerliche Regeln wie das Ehegatten-Splitting, bei dem Paare, die sehr ungleich verdienen, besonders viel Steuern sparen, gibt es dort nicht.

Auch die Elternzeit ist anders geregelt. In Schweden beispielsweise stehen Eltern insgesamt 480 Tage Elternzeit zu. Jeweils 90 Tage sind allein dem Vater sowie der Mutter vorbehalten, die restlichen 300 Tage dürfen die Eltern dann nach Belieben unter sich aufteilen.

Wenn Vater und Mutter dabei eine 50:50-Aufteilung wählen, bekommen sie allerdings mehr Geld als bei einer 90:10-Aufteilung. Kein Wunder, dass sich viele schwedische Väter angesichts dieser Anreize ebenfalls dafür entscheiden, eine längere Auszeit zu nehmen.

Allerdings herrscht auch in Skandinavien noch keinesfalls Gleichheit in allen Belangen. Selbst im Vorzeigeland Schweden gibt es nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen Männern und Frauen, was etwa die Gehaltsstrukturen angeht.

Laut einer aktuellen Untersuchung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) liegt der unbereinigte, durchschnittliche Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen in Dänemark bei 15 Prozent, in Schweden bei 15,3 Prozent, in Island bei 16,3 und in Norwegen bei 16,8 Prozent. Deutschland folgt wenige Plätze dahinter mit immerhin schon 21,5 Prozent – mehr als ein Fünftel. Rechnet man allerdings Faktoren wie unterschiedliche Jobs, Positionen und Karrierewege heraus, liegen Deutschland und Schweden sogar etwa gleich auf.

In Deutschland versucht die Politik, solche Lohnunterschiede unter anderem mit mehr Transparenz zu bekämpfen. Zum Jahresbeginn 2018 trat etwa das sogenannte Lohntransparenzgesetz in Kraft. Dieses Gesetz räumt den Mitarbeitern das Recht ein, bei ihrem Arbeitgeber zu erfragen, was Kollegen des anderen Geschlechts in ähnlichen Positionen verdienen.

Blickt man nach Schweden, ist allerdings fraglich, ob solche Maßnahmen auch tatsächlich Wirkung zeigen. Dort kann jeder Bürger beim Finanzamt erfragen, was sein Nachbar verdient. Die Einkommen aller Einwohner werden abschließend in einem Jahresbericht öffentlich gemacht – die Lohnlücke aber besteht nach wie vor.

Da Transparenz allein also offensichtlich nichts nutzt, hat der Staat inzwischen andere Maßnahmen ergriffen und eine Ombudsstelle gegen Diskriminierung ins Leben gerufen. Schwedische Firmen sind verpflichtet, alle drei Jahre gemeinsam mit den Gewerkschaften ihre Gehaltsstrukturen zu überprüfen.

Die Leitfragen: Gibt es Lohn­unterschiede zwischen Männern und Frauen, und wenn ja, warum? Verdient der Chef zu viel im Vergleich zu normalen Angestellten? So sollen die Firmen für bestimmte Fragen sensibilisiert werden. Auch im Zuge der in Schweden heftig geführten Me-too-Debatte forderte die staatliche Schlichtungsstelle von mehreren Firmen Berichte an, was gegen sexuelle Diskriminierung im eigenen Haus getan werde.

In Island hat die Regierung derweil zu noch einschneidenderen Maßnahmen gegriffen. 2018 trat dort ein Gesetz in Kraft, das Unternehmen und staatliche Einrichtungen mit mehr als 25 Mitarbeitern dazu verpflichtet, Frauen und Männern in gleicher Position das gleiche Gehalt zu zahlen. Arbeitgeber müssen nunmehr nachweisen, dass sie die Lohnlücke geschlossen haben. Wenn sie dies können, erhalten sie dafür ein Zertifikat – wenn nicht, droht ihnen eine Geldstrafe.

Immobilienmarkt

➞ Dass das Leben in Nordeuropa ein bisschen mehr kostet, ist bekannt. Viele Skandinavier verschulden sich fürs eigene Haus – um es später mit Gewinn weiterzuverkaufen. Doch was tun, wenn die Preise sinken?
 

Der Herr der eigenen vier Wände sein – das wollen in Nordeuropa viele. Wie eine Auswertung der LBS Research von 2017 zeigt, besitzen 74 Prozent der Finnen und 71 Prozent der Schweden eine eigene Wohnung. Das sind deutlich mehr als in Deutschland, wo nur jeder Zweite ein Haus oder eine Wohnung sein Eigen nennen kann.

Vor allem für viele Schweden war ihr Besitz lange eine Goldgrube. Die Wohnungspreise sind dort in den vergangenen 20 Jahren fast kontinuierlich gestiegen. Im Zentrum Stockholms etwa zahlte man 2016 im Schnitt 9000 Euro pro Quadratmeter, doppelt so viel wie zehn Jahre zuvor. Nach Schätzungen des Zentralamts für Wohnungswesen braucht Schweden in den kommenden zehn Jahren jährlich mindestens 100 000 neue Wohnungen. Selbst Mietwohnungen sind für viele junge Menschen oft kaum noch erschwinglich; in Stockholm kann es bis zu zehn Jahre dauern, bis man über Wartelisten eine Wohnung zugeteilt bekommt.

Inzwischen werden Stimmen laut, die vor einer Immobilienblase warnen. Nach Angaben des Deutschen Instituts für Wirtschaft gibt es in Schweden schon seit 2012 Preisübertreibungen. Ein weiteres Indiz: Ende 2017 fielen die Immobilienpreise erstmals seit Jahrzehnten deutlich.

Besonders riskant ist diese Entwicklung, weil viele Schweden ihr Wohneigentum auf Pump gekauft haben. Sie liehen sich zu sehr günstigen Konditionen Geld von der Bank, kauften, tilgten ein paar Jahre nur die Zinsen und verkauften dann mit Gewinn weiter. Diese Rechnung geht nur auf, solange die Wohnungspreise steigen.

Um die Spekulation am Immobilienmarkt einzudämmen, hat der schwedische Staat strengere Regeln eingeführt: Schweden müssen nun beim Kauf zumindest etwas Eigenkapital mitbringen und nach einiger Zeit den Kredit abzahlen. Das lässt die Wohnungspreise etwas abkühlen – eine gefährliche Entwicklung in diesem fragilen System.

In anderen skandinavischen Ländern lässt sich eine ähnliche Entwicklung beobachten. Auch in Finnland steigen die Immobilienpreise; die Schuldenlast vieler Haushalte wächst. Die finnische Finanzaufsicht hat daher ebenfalls die Anforderungen für Immobilienkredite erhöht.

In Finnland genießen die sozialen Aspekte des Wohnungsbaus tatsächlich höchste Priorität. ­FEANTSA, eine europäische Vereinigung von ­nationalen Obdachlosenhilfen in Europa, hat Anfang 2018 berichtet, dass es hier weniger obdachlose Menschen gibt als in jedem anderen Land Europas. Während es noch vor 30 Jahren über 18 000 Menschen ohne Wohnsitz in Finnland gab, waren es im Jahr 2016 noch knapp 7000 – Tendenz sinkend.

Der Grund für diese erfreuliche Entwicklung ist die Devise „Housing first“: Der finnische Staat hat in den vergangenen Jahren Obdachlosenheime zu Wohnungen umbauen lassen und weitere Wohnungen neu gebaut oder aufgekauft. Obdachlose werden gezielt angesprochen und in diesen Wohnungen untergebracht – ohne dass sie dafür bestimmte Voraussetzungen erfüllen müssen. Der Staat zahlt ihnen Wohngeld und andere Sozialleistungen; die Wohnungsmiete müssen sie davon selbst stemmen. In Norwegen hat die Regierung den Erfolg dieses Modells erkannt und geht inzwischen ähnlich vor.

Migration

➞ Lange nahm Schweden im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die meisten Flücht-linge in Europa auf. Angesichts rechtspopulistischer Erfolge verschärfte man die Regeln. Dänemark und Norwegen setzen längst auf das Prinzip Abschottung.
 

Auch wenn in Nordeuropa vergleichsweise selten die Sonne scheint: Zumindest das Image Skandinaviens strahlt weltweit. Gute Arbeitsbedingungen, eine robuste Wirtschaft und vor allem ein großzügiger Sozialstaat machen die Länder im Norden für viele Zuwanderer attraktiv. In der dortigen Politik sorgt das für Streit – und den Aufstieg von Rechtspopulisten.

Welche Probleme entstehen, wenn Immigration auf einen starken Sozialstaat trifft, lässt sich in Schweden beobachten. Lange hat die dortige Regierung im Verhältnis mehr Geflüchtete aufgenommen als andere europäische Länder. Im Jahr 2014 kamen 8,4 Asylanträge auf 1000 Einwohner. In Deutschland waren es nach Angaben von Eurostat 2,5. Doch die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber den Neuankömmlingen ist nicht gut. Steigende Kriminalität, mehr Bettelei auf den Straßen und Menschen, die das Sozialsystem ausnutzen – so etwas ist neu für das wohlhabende Schweden. Und es hat Folgen. Bei den Wahlen 2014 holten die rechtspopulistischen Schwedendemokraten 13 Prozent der Stimmen.

Noch 2016 bezeichnete die OECD die Integrationspolitik der Skandinavier als vorbildlich. So erhält jeder Asylbewerber in Schweden nach seiner Anerkennung eine Identifikationsnummer. Er bekommt eine eigene Wohnung und Geld, für ihn werden Sprachkurse und berufliche Qualifizierungen organisiert. Dennoch verstrichen 2015 laut schwedischer Arbeitsagentur zwischen sieben und neun Jahren, bis ein anerkannter Flüchtling Arbeit gefunden hatte.

Vor allem bleibt es eine Herausforderung, Zugewanderte mit geringer Qualifikation zu integrieren. Für diese Menschen bietet Schwedens Arbeitsmarkt kaum Möglichkeiten. Und auch die Schulen sehen sich vor Probleme gestellt. Das schlechtere Abschneiden der Schweden in den vergangenen PISA-Studien erklären manche Kritiker mit dem hohen Ausländeranteil in vielen Klassen.

Weil sie glaubte, dadurch den Aufstieg der Schwedendemokraten aufhalten zu können, hat die schwedische Regierung die Regeln für Geflüchtete schon mehrmals verschärft. 2015 führte man verstärkte Grenzkontrollen ein, später stellte man mehr befristete Aufenthaltsgenehmigungen aus und schränkte den Familiennachzug drastisch ein. Seitdem ist die Zahl der Flüchtlinge deutlich gesunken. Dennoch bleiben Probleme: So gestaltet sich die Suche nach bezahlbarem Wohnraum in Schweden für Geflüchtete besonders schwierig. Schon ist in Studien von Parallelgesellschaften die Rede, lässt die Bandenkriminalität in Städten wie Malmö die Sorgen in der Bevölkerung wachsen.

Eine ähnliche Debatte wird in Dänemark geführt. Dort kamen 2014 im Schnitt 2,6 Asylbewerber auf tausend Einwohner – wenig mehr als in Deutschland. Denn eine große Zahl der Flüchtlinge nutzte Dänemark nur als Transitland, um nach Schweden zu gelangen. Dänemark selbst ist für eine deutlich weniger offene Flüchtlingspolitik bekannt. Als die schwedischen Nachbarn zum Jahresende 2015 die Regeln verschärften, befürchtete man in Kopenhagen, viele Flüchtlinge würden nun Dänemark als Endhaltestelle nutzen – und führte Kontrollen an der südlichen Grenze ein.

Weitere Abschreckungsmaßnahmen wurden in Kraft gesetzt. So hat es die Polizei nun einfacher, Flüchtlinge festzuhalten und ihr Gepäck zu durchsuchen. Sogar Bargeld und Schmuck darf sie ihnen abnehmen. Geflüchtete müssen zudem bis zu drei Jahre darauf warten, ihre Familie nachholen zu können. Ende 2017 stieg Dänemark aus dem Quotensystem des UN-Flüchtlingshilfswerks aus. Darin hatte man sich 1989 verpflichtet, jedes Jahr 500 Geflüchtete aufzunehmen.

Ende ­2018 beschloss die dänische Regierung sogar, abgelehnte Asylbewerber, die straffällig geworden sind und das Land bald verlassen müssen, künftig auf die Ostseeinsel Lindholm zu schicken. Das Zentrum dafür soll bis 2021 auf dem sieben Hektar großen Eiland errichtet werden.

Auf das Prinzip Abschreckung setzt auch Norwegen. Seit November 2015 lässt die Regierung die Fährverbindungen nach Dänemark, Deutschland und Schweden kontrollieren. Und wie in den anderen skandinavischen Ländern wurde der Familiennachzug erschwert. Diese und weitere Maßnahmen haben die Anzahl der Neuankömmlinge deutlich sinken lassen. Flüchteten 2015 noch rund 31 150 Menschen nach Norwegen, so waren es 2017 noch 3560 – so wenige wie zuletzt in den Neunzigern.

Dennoch hat das Land sein Vorgehen nochmals verschärft. Die Einwanderungsministerin Silvy Listhaug teilte im Herbst 2017 mit, man wolle Asylverfahren beschleunigen, indem Flüchtlinge künftig zentral untergebracht werden. Innerhalb von drei Wochen sollen die Menschen dann Bescheid bekommen, ob sie in Norwegen bleiben dürfen oder nicht.

Die Folgen dieser rigiden Politik bekommt auch Deutschland zu spüren. So registrierte die Bundespolizei allein zwischen Januar und Oktober 2017 rund 2270 Menschen, die versuchten, illegal von Nordeuropa nach Deutschland zu gelangen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen.

 

Presse

➞ Die Medienkrise hat auch Skandinavien nicht verschont. In Schweden hat der Staat die Pressesubventionen aufgestockt und um digitale Medien, Podcasts und Web-TV-Formate erweitert. Ein Beispiel, das im Norden Schule macht.
 

Geht es um die Pressefreiheit, sind Skandinaviens Länder wie in so vielem: vorbildlich. Am gründlichsten recherchieren können Journalisten in Norwegen, gefolgt von Schweden, das hat die Organisation Reporter ohne Grenzen in ihrer jährlichen Rangliste festgehalten. Finnland folgt auf Platz vier, Dänemark auf neun, Island auf Rang 13 und Deutschland auf Platz 15.

Ganz so gut, wie es auf den ersten Blick scheint, ist die Lage für Journalisten in Nordeuropa aber nicht. Denn ihre Branche steckt in der Krise. Nach einer aktuellen Bilanz des Stockholmer Instituts für Medienstudien gibt es in Schweden in jeder dritten Kommune keine täglich erscheinende Lokalzeitung mehr. Jede achte Kommune ist ein „weißer Fleck“, ganz ohne Lokalredaktion oder zumindest fest stationierte Mitarbeiter einer Redaktion. Die Folge: 43 Prozent der schwedischen Einwohner beklagen, dass sie zu wenig Informationen darüber erhalten, was in ihren Vereinen, Schulen und Kommunen vor sich geht.

Grund für die Misere ist die schlechte finanzielle Ausstattung vieler Lokalzeitungen. Während sich die größten vier Zeitungen des Landes dank einer ganzen Reihe von Sparrunden wieder gefangen haben, können sich viele kleinere Redaktionen den Betrieb kaum noch leisten. Dabei gibt es in Schweden bereits seit über 50 Jahren staatliche Pressesubventionen, den so genannten „Presstöd“. Dieser besteht aus zwei Elementen: einer Vertriebskostensubvention, die an alle Titel geht, die sich an einem gemeinsamen Vertriebssystem beteiligen, und einer Produktionssubvention für lokale Zeitungen, die bestimmte Größenauflagen erfüllen. Allein 2011 wurden rund 65 Millionen Euro ausgezahlt.

Da dies offenbar nicht genug ist, um das Zeitungssterben aufzuhalten, will die Regierung nun noch mehr Geld investieren. Zwei Jahre lang arbeitete sie an einer Reform der Subventionen; die neuen Regeln sind Anfang dieses Jahres in Kraft getreten. Die wichtigste Neuerung: Künftig sollen es nicht mehr nur die gedruckten Publikationen sein, die in den Genuss der Zuschüsse kommen, sondern auch digitale Medien, Podcasts oder Web-TV-Formate. Außerdem wird die Unterstützung um knapp 20 Prozent auf 75 Millionen Euro aufgestockt.

Für Kommunen, in denen es schon jetzt keine Lokalzeitung mehr gibt – oder bald nicht mehr geben wird –, gibt es noch einmal gesonderte Zuschüsse. Damit das Geld fließen kann, muss allerdings vorab ein Expertengremium bestätigen, dass ein „hoher redaktioneller Standard“ gewährleistet ist.

Einen neuen Weg geht Schweden darüber hinaus bei der Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Bisher zahlten die Einwohner des Landes eine jährliche Fernsehgebühr in Höhe von umgerechnet 235 Euro – vorausgesetzt, sie besaßen ein Fernsehgerät. Wer nur Radio hörte oder das TV-Programm über seinen Laptop streamte, blieb gebührenfrei. Da sich dieses System nicht mehr rentierte, wird das Programm der Öffentlich-Rechtlichen seit Jahresanfang über eine Steuer finanziert. Deren Aufkommen liegt bei 1 Prozent der Einkünfte, maximal aber bei 125 Euro. Kritiker monieren allerdings, dass durch das neue System die Unabhängigkeit des öffentlich-recht­lichen Rundfunks leiden könnte.

Dessen ungeachtet haben sich auch andere skandinavische Regierungen für dieses Modell entschieden. In Dänemark etwa wird das öffentlich-rechtliche Fernsehen seit dem Frühjahr 2018 über Steuerausgaben finanziert, in Finnland sogar schon seit 2013.

Start-ups

➞ Subventionierte Computer und Breitbandanschlüsse, perfekt ausgebaute digitale Infrastrukturen, „Unternehmertum“ schon als Schulfach: Dass Skandinaviens junge Gründerszene boomt, ist alles andere als ein Zufall.
 

Da Skandinavien Vorreiter in Sachen Digitalisierung ist, überrascht es kaum, dass die Region auch eine starke Start-up-Szene vorzuweisen hat. Das gilt vor allem für Schweden. Dort haben gleich zwei große Deals im Jahr 2018 für Furore gesorgt: Der Musik-Streaming-Dienst Spotify wagte sich im April an die Börse, kurz darauf übernahm der amerikanische Bezahldienst Paypal das schwedische Finanz-Start-up iZettle – für umgerechnet stolze 1,9 Milliarden Euro.

Ein Grund dafür, dass Schweden in Sachen Gründungskultur in Europa ganz vorne liegt, lässt sich in der jüngeren Geschichte des Landes finden. Die Regierung führte in den neunziger Jahren subventionierte Computer und Breitbandanschlüsse ein; selbst ärmere Bürger bekamen Zugang zu diesen Technologien. Viele der heutigen Start-up-Ikonen in Schweden stammen aus dieser Generation, etwa die Gründer von Spotify.

Ein weiterer möglicher Grund für das schnelle Wachstum vieler schwedischer Unternehmen: Weil ihr Heimatmarkt zu klein ist, haben sich viele Gründer von Anfang an international aufgestellt – eine Strategie, die sich in vielen Fällen auszahlt.

Während die ersten Gründer Anfang des Jahrtausends noch weitgehend auf sich allein gestellt waren, hat sich in Schweden inzwischen eine gut vernetzte Start-up-­Community herausgebildet. Einer der bekanntesten Treffpunkte der Szene ist der Business-Inkubator SUP46, kurz für: Start-up-People in Schweden.

Die Gründungen aus dem hohen Norden ziehen in wachsendem Maße das Interesse internationaler Investoren auf sich. Wie eine Untersuchung von CB Insights zeigt, ist die Höhe der Investitionen in Stockholmer Start-ups seit 2015 so stark angestiegen wie an keinem anderen Gründer-Hub weltweit; jeder zweite Investor kam dabei aus dem Ausland. Das so genannte Start-up-Barometer der Unternehmensberatung EY zeigt, dass im ersten Halbjahr 2018 insgesamt 432 ­Millionen Euro in schwedische Start-ups investiert wurden.

Das führt dazu, dass Schweden inzwischen sieben „Einhörner“ aufweisen kann – junge Unternehmen, die mit über einer Milliarde Dollar bewertet werden. Dazu zählen neben Spotify und Sky­pe auch der Zahlungsdienstleister Klarna und die Spieleentwickler King und Mojang.

Bekannt geworden ist die schwedische Gründerszene vor allem für ihre Fin-Techs, also digitale Gründungen für Finanzdienstleistungen. Zudem haben mehrere bekannte Spieleentwickler dort ihren Sitz. Und auch in Sachen Mobilität und E-Health tut sich einiges. Das schwedische Start-up Einride etwa hat vor Kurzem gemeinsam mit dem deutschen Logistikunternehmen DB Schenker den ersten autonom fahrenden Lkw auf die Straße gebracht. Das Start-up Uniti baut seit Kurzem in Malmö günstige Elektroautos für den Massenmarkt. Und das Telemedizin-Start-up Kry, das Sprechstunden per Videotelefonie ermöglicht, hat kürzlich 53 Millionen Euro von Investoren eingesammelt.

Deutlich gewachsen ist die Gründerszene in den vergangenen Jahren auch in Finnland – unter anderem eine Folge des Verkaufs der Handy-Sparte von Nokia. Zahlreiche ehemalige Nokia-Mitarbeiter haben eigene Firmen gegründet – etwa die Spieleentwickler Supercell oder Rovio, besonders bekannt für das Spiel „Angry Birds“. Darüber hinaus legen viele finnische Universitäten einen starken Schwerpunkt auf die Gründerförderung, allen voran die technische Aalto-Universität in der Stadt Espoo. Finnlands staatliche Förderagentur Tekes schätzt, dass jährlich etwa 500 bis 700 Start-ups neu entstehen.

International bekannt ist die finnische Hauptstadt Helsinki durch ihre Gründerkonferenz Slush – ein Treffpunkt für Jungunternehmer und Investoren aus ganz Europa. Gestartet 2008 als studentische Initiative, hat sich die Slush inzwischen zu einer Veranstaltung mit jährlich 20 000 Teilnehmern aus 130 Ländern entwickelt. Gründer, aber auch zahlreiche Vertreter börsennotierter Konzerne strömen jedes Jahr zu der Tech-Konferenz, halb Festival, halb Messe, um sich über neue digitale Trends und Gründungen zu informieren.

Norwegen galt lange als Außenseiter in Sachen Gründerkultur, obwohl das Land bei der Digitalisierung ausgezeichnet aufgestellt ist. Inzwischen entwickelt sich zwar auch dort langsam eine kleine, lokale Szene – doch international bekannte Erfolgsgeschichten, wie Schweden sie aufweisen kann, fehlen bisher. Hehre Pläne verfolgt dagegen die dänische Regierung. Sie will bis 2040 auf mehreren künstlichen Inseln vor Kopenhagen Start-ups ansiedeln und so ein europäisches Silicon Valley schaffen. Der erste Spatenstich soll 2022 erfolgen.

Auch darüber hinaus bemüht sich die dänische Regierung, Gründer anzulocken, auch aus dem Ausland. So vergibt Dänemark seit 2015 spezielle Gründer-Visa. Unternehmen mit innovativen Ideen, die einen Beitrag zur wirtschaftlichen Entwicklung des Landes leisten können, erhalten eine Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigung. Den Zuschlag dafür bekommen maximal 50 Gründer pro Jahr für jeweils zwei Jahre, danach kann die Genehmigung nochmals verlängert werden. Bis April 2016 hatten sich über 300 Unternehmen für derartige Visa beworben.

Damit auch die eigenen Einwohner das Gründen nicht vergessen, wird das Thema Entrepreneurship in die Lehre aufgenommen. Die Dänische Stiftung für Entrepreneurship hat jährlich ein Budget von 2,7 Millionen Euro zur Verfügung, um Dänen für das Unternehmertum zu begeistern. Das beginnt schon in der Schule: Ziel der Regierung ist es, dass jeder Schüler mindestens einmal in jeder Bildungsphase für das Thema sensibilisiert wird.

Telekommunikation

➞ Dass Totgesagte länger leben, hat der finnische Konzern Nokia bewiesen. Nach dem Verkauf der Handysparte erfand man sich als Netzwerkausrüster neu – und ist hierin neben den Schweden von Ericsson in Europa das Maß aller Dinge.
 

Nokia – dieses Wort verbinden die meisten Menschen noch immer mit den dunkelblauen Handys, auf denen man sich beim Spiel „Snake“ die Finger wund tippen konnte. Damals war Nokia für ein Prozent der Arbeitsplätze in Finnland und für 4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich. Diese glorreichen Zeiten sind schon lange passé: Bereits 2010 zeigte sich, dass die Finnen mit ihrem Mobiltelefon den Anschluss verpasst hatten. Man startete eine Kooperation mit Microsoft, 2013 wurde Nokias Handy-Sparte ganz an die Amerikaner verkauft. Danach verschwand der ehemals wichtigste finnische Konzern vorerst von der Bildfläche.

Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich das Unternehmen mit Sitz im finnischen Espoo inzwischen neu aufgestellt und ist heute vor allem als Netzwerkausrüster tätig. Vereinfacht gesprochen, stellt Nokia die Hard- und Software für den Aufbau von Telekommunikationsnetzen her. So steckt in zahlreichen LTE-Masten Technik des finnischen Konzerns. In Deutschland betreut Nokia das gesamte Netzmanagement für O2. Das nötige Know-how eigneten sich die Finnen an, indem sie unter anderem 2015 das französische Unternehmen Alcatel-Lucent übernahmen.

Die Investition hat sich ausgezahlt. Heute beschäftigt Nokia knapp über 100 000 Mitarbeiter weltweit. Rund 30 000 weniger als in den besten Zeiten, aber immerhin schon wieder doppelt so viele wie im Jahr 2013, nach der Krise. Der Umsatz lag 2017 bei gut 23 Milliarden Euro.

Inzwischen gibt es sogar wieder Nokia-Handys, auch wenn die Finnen selbst vor allem den Markennamen und bestimmte Patente beisteuern. Gebaut werden die mobilen Geräte von HDM Global, einem eigenständigen Unternehmen, das größtenteils von früheren Nokia-Managern geführt wird und seinen Hauptsitz direkt gegenüber der Nokia-Zentrale hat.

In der Zentrale selbst konzentriert man sich dagegen lieber auf das neue Kerngeschäft, die Netzausrüstung. Und Bedarf dafür gibt es genug, schließlich entwickeln sich die Handynutzung sowie die Verbreitung des Internets der Dinge und damit auch der mobile Datenversand rasant. Den globalen Milliardenmarkt für die Netzausrüstung haben wenige Firmen unter sich aufgeteilt, darunter zwei aus Skandinavien. Neben Nokia ist das der schwedische Telekommunikationskonzern Ericsson, gegründet 1876. Auch Ericsson stellte früher Telefone her, zuerst mit Wählscheibe, später mit Drucktasten und dann als Handy. 2001 gingen die Schweden eine Kooperation mit Sony ein, 2011 zog man sich zurück und konzentriert sich seitdem voll auf die Netzausrüstung.

In Europa sind Ericsson und Nokia hierin konkurrenzlos; der Branchenprimus allerdings kommt aus einer anderen Ecke der Welt. Der chinesische Ausrüster Huawei hat in den vergangenen Jahren einen rasanten Aufstieg hingelegt. Zumindest bisher, denn derzeit steckt das Unternehmen in der Krise, und die internationale Kritik an seiner zu großen Nähe zur chinesischen Regierung wird lauter – das sei ein Risiko für Spionage, heißt es.

Aus Sicht der Konkurrenten Nokia und Ericsson sind das durchaus gute Nachrichten – insbesondere zum jetzigen Zeitpunkt. Der schwedische Ericsson-Konzern hatte zuletzt mit schrumpfenden Umsätzen zu kämpfen, musste Gewinnwarnungen aussprechen und immer wieder enttäuschte Anleger besänftigen.

Dass der Branchenvorreiter Huawei ausgerechnet jetzt schwächelt, wo in vielen Ländern der Ausbau der 5G-Netze ansteht oder schon begonnen hat, dürfte dafür sorgen, dass sich die Probleme der Skandinavier in Luft auflösen. Das lässt sich bereits in den Bilanzen ablesen. Im dritten Quartal 2018 meldete Ericsson zum ersten Mal seit 2015 steigende Umsätze in Höhe von knapp 9 Prozent – deutlich mehr, als von Anlegern erwartet. Für 2019 und 2020 rechnet der Konzern mit weiterem Wachstum. Der Grund? Neue Aufträge für den Ausbau der 5G-Netze in den USA.

Auch Nokia stellt sich derzeit für das 5G-Rennen neu auf. Die Geschäfte für Mobilfunk- und Festnetze würden zu einer Sparte vereint, teilte Konzernchef Rajeev Suri im November mit. Der Konzern hat nach einem Gewinnrückgang im dritten Quartal weitere Sparmaßnahmen beschlossen. Bis Ende 2020 will man jedes Jahr rund 700 Millionen Euro weniger ausgeben, in der Hoffnung, dass bis dahin die Investitionen in den 5G-Ausbau kräftig steigen werden.

Für die beiden skandinavischen Konzerne geht es um viel: Wer bei der Ausrüstung der Netzbetreiber für den 5G-Standard überzeugt, der wird die Branche in den kommenden Jahren dominieren. Und es gibt weitere Wachstumschancen. Fachleute gehen davon aus, dass sich das über mobile Netzwerke transportierte Datenvolumen in den kommenden fünf Jahren verfünffachen wird – auf dann 107 Exabytes im Monat. Damit die Netze das leisten können, sind weitere enorme Investitionen notwendig – und davon wollen die Netzausrüster natürlich profitieren.

Unis und Innovation

➞ Werden die Grundlagen für Skandinaviens Erfindungsreichtum in der Schule gelegt, so haben auch die Hochschulen einiges zu bieten. Besonders Schweden verfügt über herausragende Lehr- und Forschungsstätten mit großer Tradition.

Für ein so kleines Land können sich diese Ergebnisse durchaus sehen lassen: Sucht man im renommierten Times Higher Education ­World University Ranking nach den forschungsstärksten schwedischen Universitäten, landen gleich drei Hochschulen in den Top-100. Genauso viele wie im deutlich bevölkerungsreicheren Deutschland.

Neben der medizinischen Universität Karolinska auf Platz 40 befinden sich auch die schwedischen Universitäten Uppsala und Lund unter den hundert besten; sie belegen die Plätze 87 und 98. Damit liegen die drei forschungsstärksten skandinavischen Universitäten alle in Schweden. Finnland quetscht sich gerade noch so in die Top 100 des Rankings hinein: Die Universität von Helsinki grüßt derzeit von Platz 99.

Wenngleich der Sinn solcher Rankings umstritten ist, so zeigt die Rangliste doch eines: Forschung und universitäre Bildung haben gerade in Schweden eine lange Tradition. Die Universität Uppsala etwa ist die älteste noch existierende Hochschule Skandinaviens. Sie wurde bereits 1477 von Erzbischof Jakob Ulfsson gegründet. Bis heute ist die Universität führend in Umweltwissenschaften und Energie. Nahezu taufrisch dagegen wirkt das 1810 gegründete Karolinska-Institut, heute eine der renommiertesten medizinischen Forschungseinrichtungen weltweit. Ins Leben gerufen wurde sie einst vom schwedischen König Karl XIII. während eines Krieges gegen Russland, um die Ausbildung der Militärsanitäter zu verbessern. Und die Universität Lund von 1666 ist die größte Forschungseinrichtung in Schweden; über 40 000 Studierende sind dort eingeschrieben. Zu den Schwerpunkten gehören Materialforschung und Gesellschaftswissenschaften.

Ein Grund für die schwedische Vorreiterstellung ist, dass die Regierung kräftig investiert. Erhebungen des europäischen Statistikamts Eurostat zeigen regelmäßig, dass Schweden mehr für Forschung und Entwicklung ausgibt als jedes andere Land in Europa. 2017 etwa waren es 3,33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Ebenfalls weit vorne lag Dänemark mit 3,06 Prozent Anteil am BIP. Zum Vergleich: In Deutschland waren es 3,02 Prozent, im europäischen Durchschnitt 2,07 Prozent.

Eine zentrale Rolle im schwedischen Forschungssystem spielt das Ministerium für Bildung und Forschung. 2001 wurden zudem drei schwedische Forschungsräte und die Förderagentur VINNOVA gegründet. Die drei Forschungsräte kümmern sich vor allem um die Themen öffentliche Gesundheitsversorgung, Energie und Umwelt sowie Grundlagentechnologien. Die Agentur VINNOVA fördert Innovationen im öffentlichen und privaten Sektor; 40 Prozent der Mittel vergab sie laut einer OECD-Untersuchung von 2014 an Hochschulen.

Diese Art der Förderung zahlt sich offenbar aus. Denn gleich welchen Innovationsindex man zugrunde legt: Schweden mischt vorne mit. Im so genannten European Innovation Scoreboard von 2018, einem Länderranking der EU, liegt Schweden auf Platz eins. Damit befindet sich das Land in guter skandinavischer Gesellschaft, denn die Plätze zwei und drei gehen an Dänemark und Finnland. Als Grund für das gute Abschneiden der Schweden nennt die EU unter anderem die hohen Investitionen in Fachwissen vor Ort, die digitale Entwicklung sowie öffentlich-private Innovationspartnerschaften.

Und auch im Global ­Innovation Index, der jährlich von der französischen Business School INSEAD, der Cornell University und der Weltorganisation für geistiges Eigentum der Vereinten Nationen herausgegeben wird, schneidet Schweden gut ab: Platz drei, ganz knapp hinter den Niederlanden und – mit etwas mehr Abstand – hinter der Schweiz.

Ein Land, das in Sachen Innovation und Spitzenforschung zwar auch gut dasteht, zumindest aber hinter seinen skandinavischen Nachbarn etwas zurückfällt, ist Norwegen. Im European Innovation Scoreboard lag das Land nur wenig über dem EU-Durchschnitt, im Global Innovation Index reichte es für Platz 19. Die norwegische Regierung will das aber offenbar ändern: So berichtete das BusinessPortal Norwegen im vergangenen Herbst, dass die Regierung 2019 eine Rekordsumme von 9,7 Milliarden NOK – fast eine Milliarde Euro – in die industrieorientierte Forschung stecken will. 1,7 Milliarden NOK mehr als im Vorjahr. Die Ausgaben der Regierung für Forschung und Entwicklung haben sich damit seit 2013 verdoppelt.

Wohlfahrtsstaat

➞ Wenn der Bürger durch den Staat von marktwirtschaftlichen Zwängen befreit wird, nennt der Ökonom das „Dekommodifizierung“. Doch heute bedrohen Krisen und demografischer Wandel das „nordische Modell“. Mit welchen Folgen?
 

Eine kostenlose Ausbildung, ein weitgehend kostenloses öffentliches Gesundheitssystem und ein Staat, der seine Bürger mit extensiven Sozialleistungen umsorgt? Schwedische Bürger bekommen von ihrem Staat viel geboten, zahlen im Gegenzug aber auch hohe Steuern. Ähnlich sieht das in Norwegen, Finnland und Dänemark aus.

Als „nordisches Modell“ wird diese Art des Wohlfahrtsstaats gerne bezeichnet. Im Fachjargon spricht man von Dekommodifizierung, sprich: Der Bürger wird quasi dank des Staates von den Zwängen der Marktwirtschaft befreit.

Ein aktuelles Beispiel dafür ist auch das bedingungslose Grundeinkommen in Finnland. 2000 Arbeitslose bekamen dort zwei Jahre lang ein monatliches Grundeinkommen von 560 Euro. Die Zahlungen wurden auch dann fortgesetzt, wenn die Teilnehmer in der Zwischenzeit einen Job fanden und eigenes Geld verdienten. Ende 2018 lief das Projekt aus, nun steht die Auswertung an. Die Ergebnisse sollen in geplante Reformen des Sozialsystems einfließen, die nun anstehen.

Etabliert haben sich diese Modelle dank der jahrzehntelangen politischen Vorherrschaft der Sozialdemokraten und mächtiger Gewerkschaften. In Schweden etwa galt früher jede Wahl, in der die Sozialdemokratische Partei nicht mindestens 45 Prozent der Stimmen holte, als ungewöhnlich. Das Vertrauen vieler skandinavischer Bürger in ihren Staat war enorm. Diese Zeiten sind allerdings inzwischen vorbei. Die Sozialdemokraten sind seit einigen Jahren politisch geschwächt, und auch der Wohlfahrtsstaat gilt längst nicht mehr als vorbildlich.

Denn das nordische Modell funktioniert nur, solange die Bürger viel arbeiten und viel verdienen, um so die hohen Kosten des Systems über Steuern refinanzieren zu können. Wie viele andere Länder in Europa leiden die skandinavischen Staaten dabei unter dem demografischen Wandel: Denn je weniger Menschen arbeiten und je mehr Menschen Leistungen beziehen, desto schwieriger wird es, das System aufrechtzuerhalten. Dazu kommt, dass der Wohlfahrtsstaat durch verschiedene Krisen in der Vergangenheit zusätzlich geschwächt wurde.

Das lässt sich zum Beispiel in Schweden beobachten. So führte die schwedische Finanzkrise zu Beginn der 1990er Jahre dazu, dass die Arbeitslosigkeit im Land binnen weniger Jahre rasch anstieg und damit auch die Ausgaben der Arbeitslosenversicherung. Dies wiederum führte dazu, dass sich die schwedische Regierung stark verschuldete – und manche Leistungen des Sozialstaats zurückgeschnitten wurden.

Schon damals also begann das Wohlfahrtsversprechen des Staates zu bröckeln. Mit dem Beitritt Schwedens zur EU wurden dann weitere sozialpolitische Korrekturen notwendig: Um so genannten Wohlfahrtstourismus zu vermeiden, wurden bestimmte soziale Transferleistungen wie Rentenzahlungen nicht mehr einfach zugeteilt, sondern an die Aufenthaltsdauer einer Person im Land gekoppelt.

Eine ähnliche Entwicklung ließ sich im Zuge des Zusammenwachsens der Europäischen Union auch in anderen skandinavischen Ländern beobachten, etwa in Finnland.

Gleichzeitig zeigt sich in Schweden immer wieder, dass der Staat an seine Grenzen kommt. So klagen viele Schweden über lange Wartezeiten im Gesundheitssystem. Der schwedische Staat hat seinen Bürgern zum Beispiel im Rahmen einer „Pflege­garantie“ zugesichert, dass Patienten mit ernsthaften Problemen binnen 90 Tagen einen Spezialisten sehen oder eine Behandlung beginnen können.

Im Juni 2014 konnte der Staat dieses Versprechen in 44 000 Fällen nicht einhalten, im Juni 2018 traf das bereits auf 86 000 Fälle zu. Gleichzeitig kursieren im Internet Artikel über Hebammen, die werdenden Müttern beibringen, wie man Kinder im Auto gebärt – weil das nächste Krankenhaus im Zweifelsfall zu weit entfernt sein kann.

An vielen Schulen im Land herrscht Lehrermangel; auch die Polizei gilt als stark unterbesetzt. In einigen Stadtteilen breiten sich kriminelle Banden aus. In den vergangenen zwei Jahren gab es in Malmö 18 Morde, teils auf offener Straße, die nie aufgeklärt werden konnten.

Viele Schweden lässt das an ihrem Staat zweifeln, was sich auch bei der aktuellen Regierungsbildung gezeigt hat. Die bisherige sozialdemokratische Regierung von Ministerpräsident Stefan Löfven wollte die Wahl zu einem Referendum über den Wohlfahrtsstaat machen und von der Bevölkerung den Segen für Steuererhöhungen bekommen – und wurde dafür an den Wahlurnen abgestraft. Die Sozialdemokraten wurden zwar stärkste Kraft, erhielten aber lediglich 28,3 Prozent der Stimmen und damit das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte.

Mitte Januar, mehr als vier Monate nach der Wahl, wurde Ministerpräsident Löfven für eine zweite Amtszeit gewählt. Für die Bildung seiner Minderheitsregierung reichte dem 61-Jährigen im Reichstag in Stockholm aus, dass weniger als die Hälfte der 349 Abgeordneten gegen ihn stimmten.

Bibliografische Angaben

IP Wirtschaft 01, März - Juni 2019, S. 28-51

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