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01. Mai 2013

Kein Atomkaufhaus in Pjöngjang

Washington und Peking müssen Nordkorea gemeinsam einhegen

Unbeeindruckt von internationalen Sanktionen hat Nordkorea in den vergangenen Jahren sein Atomwaffenprogramm vorangetrieben. Um das Regime in Pjöngjang von nuklearer Proliferation im großen Stil abzuhalten, müssten die USA und China eine gemeinsame Strategie entwickeln. Für eine solche Zusammenarbeit spräche aus beider Sicht viel.

Am 12. Februar 2013 zündete Nordkorea, ungeachtet aller Warnungen, zum dritten Mal eine Atombombe. Es ist derzeit das einzige Land der Welt, das solche Tests durchführt. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte Pjöngjangs Vorgehen umgehend. Knapp einen Monat später verabschiedete er zudem eine Resolution, die die gegen Nordkorea gerichteten Sanktionen verschärfte. Neue Einschränkungen für Finanztransaktionen und den Handel mit bestimmten Gütern sollen Pjöngjang zum Einlenken bewegen. Vorausgegangen waren mehrwöchige amerikanisch-chinesische Konsultationen. Nach deren erfolgreichem Abschluss verabschiedete der Sicherheitsrat die amerikanisch-chinesische Vorlage einstimmig.

Auf die USA wie auf China wird es auch weiterhin ankommen, um Nordkoreas nukleare Ambitionen einzudämmen. Amerika ist die einzige global handelnde Macht und hat Streitkräfte in Südkorea stationiert. Für Nordkorea stehen die USA daher im Mittelpunkt der eigenen sicherheitspolitischen Überlegungen – und auch der zuletzt oft hochprovokanten Propaganda, die Washington mit Atomschlägen drohte. Von China ist Pjöngjang in hohem Maße abhängig, stammen doch rund 80 Prozent der in Nordkorea verbrauchten Energie von dort. In der Vergangenheit haben es die USA und China nicht vermocht, gegenüber Pjöngjang an einem Strang zu ziehen. Das könnte sich demnächst ändern.

Atomwaffen als Exportschlager?

Bisher ließ sich der junge nordkoreanische Führer Kim Jong-un von Sanktionen ebenso wenig beeindrucken wie schon sein Vater Kim Jong-il oder sein Großvater Kim Il-sung. Seit Nordkorea 1965 damit begann, einen Forschungsreaktor sowjetischer Bauart zu errichten, haben alle drei kontinuierlich daran gearbeitet, Nordkorea zu einer Atomwaffenmacht zu machen.

Die herrschende Clique in Pjöngjang verknüpft mit diesem Projekt vier Ziele. Erstens, Nordkorea unangreifbar zu machen. Kim Jong-un und seinen Getreuen soll es nicht so ergehen wie Saddam Hussein im Irak oder Muammar al-Gaddafi in Libyen. Sie wurden infolge einer Intervention gestürzt, die vielleicht gar nicht durchgeführt worden wäre, hätten sie über Atomwaffen verfügt. Zweitens geht es um Prestige. Nordkorea will von den USA als gleichrangig anerkannt werden. Drittens hat Nordkorea in Verhandlungen immer wieder Zugeständnisse im Tausch gegen dringend benötigte Energie- und Nahrungsmittellieferungen gemacht, sein Ziel des Aufbaus einer Nuklearwaffenkapazität aber insgeheim weiterverfolgt. Viertens nutzt Pjöngjang Raketen- und nukleare Exporte als wichtige Devisenquelle. Die Gefahr besteht, dass das Land zu einer Art Kaufhaus für all diejenigen wird, die genügend Geld haben, um sich Atomwaffen plus die dazugehörigen Raketen quasi „von der Stange“ zu kaufen.

Ohne das Ziel einer Denuklearisierung Nordkoreas aufzugeben, muss es deshalb zunächst darum gehen, das Land daran zu hindern, zu einer Art „Atomkaufhaus“ zu werden. Dass Nordkorea keinerlei Skrupel umtreiben, wenn es darum geht, mit Waffenverkäufen harte Devisen zu erwirtschaften, hat es bereits vielfach unter Beweis gestellt. No-Dong-Raketen mit etwa 1000 Kilometern Reichweite lieferte Pjöngjang an den Iran, wo sie als Schahab-III in Dienst gestellt wurden. Auch nach Pakistan wurden No-Dongs exportiert, wo sie als Ghauri das dortige Raketenarsenal bereichern.

Vor nuklearen Exporten schreckte Nordkorea ebenfalls nicht zurück. 2007 zerstörte die israelische Luftwaffe in Syrien einen Reaktor, der allem Anschein nach nordkoreanischer Bauart war. Satellitenaufnahmen zufolge handelte es sich bei dem Graphit­reaktor um eine Kopie des­jenigen Atommeilers, den Pjöngjang daheim zur Herstellung waffenfähigen Plutoniums nutzte.

Bauteile zur Urananreicherung

2007 hatte sich Nordkorea zu einem Verzicht auf die Plutoniumproduktion bereit erklärt, droht jedoch neuerdings damit, diese wieder aufzunehmen. Im Mittelpunkt seiner Bemühungen um die Herstellung spaltbaren Materials steht aber nun die Urananreicherung. Im November 2010 wurde amerikanischen Wissenschaftlern eine entsprechende, recht moderne Anlage vorgeführt. Nachdem das Modell des Exports ganzer Reaktoren zur Produktion waffenfähigen Plutoniums 2007 vorerst gescheitert ist, konzentriert sich Pjöngjang nun womöglich auf den Vertrieb von Bauteilen für die Urananreicherung. Entsprechende Anlagen können besser versteckt werden als Reaktoren. Sollte es stimmen, wie von einigen Experten vermutet wird, dass bei der jüngsten Nuklearexplosion, anders als bei den beiden vorangegangenen, eine Uran- und keine Plutoniumbombe getestet wurde, wäre dies ein weiteres Indiz.

Vielleicht will Nordkorea auch gar nicht komplette Urananreicherungsanlagen verkaufen, sondern nur deren Produkt, also hoch angereichertes Uran, was noch schwerer festzustellen wäre. Atomare Sprengsätze auf der Basis von hoch angereichertem Uran lassen sich leichter herstellen als Atomwaffen, die Plutonium als spaltbares Material nutzen. Nach allem, was man durch öffentlich zugängliche Quellen weiß, verfügt Pjöngjang derzeit noch nicht über einen Nuklearsprengkopf, der mit einer ballistischen Rakete erfolgreich verschossen werden könnte.

Ein gemeinsamer Ansatz?

Den USA muss alles daran gelegen sein, Pjöngjang am Aufbau eines florierenden Atomwaffenexports zu hindern. Steigt die Anzahl der Nuklearmächte, wird Amerikas militärischer Handlungsspielraum empfindlich eingeschränkt. Zudem könnte Nordkorea auch nichtstaatlichen Akteuren Bestandteile für die Bombe liefern. Deren bevorzugtes erstes Ziel könnte eine amerikanische Millionenstadt sein. Aber auch China hat kein Interesse daran, dass sich an Atomwaffen interessierte Akteure aller Art je nach Geldbeutel in Pjöngjang bedienen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf den Mittleren Osten, wo sich ein regionaler nuklearer Rüstungswettlauf schädlich auf Pekings Energieinteressen auswirken könnte.

US-Präsident Barack Obama hat während seiner ersten Amtszeit Nordkorea weitgehend ignoriert, da er keine Chancen für diplomatische Durchbrüche erkennen konnte und es leid war, dass die USA Kompromisse eingehen, nach denen Nordkorea dann doch wieder auf Konfrontation schaltet. Nun könnte Pjöngjangs Atompolitik Washington einen Anlass bieten, das Verhältnis zu China zu verbessern. Beide Länder verfolgen in Asien oft konträre Interessen. So befindet sich China mit einer Reihe amerikanischer Partner wie Japan oder den Philippinen im Streit um zumeist kleine Inselgruppen. Zudem liefern sich die USA und China mit Blick auf Taiwan ein Wettrennen der Militärdoktrinen: Peking zielt darauf ab, der US-Marine künftig den Zugang zur Straße von Taiwan verwehren zu können; Washington versucht dies u.a. durch seine Überlegenheit bei der U-Boot-Bekämpfung zu kontern. Doch vor dem Hintergrund anstehender Kürzungen im Verteidigungshaushalt möchte sich Washington nicht zu sehr in eine Konfronta­tion mit Peking treiben lassen. Ein gemeinsamer Ansatz zur Einhegung der Atommacht Nordkorea könnte dazu beitragen, die Wogen zwischen Washington und Peking zu glätten. 

Dies käme auch Peking zupass. Zumindest selektive Kooperation mit den USA würde den in den Augen vieler amerikanischer Partner in Asien immer bedrohlicher werdenden chinesischen Nationalismus entschärfen. Zudem mehren sich die Stimmen in Peking, die die Geduld mit dem wenig geliebten Nachbarn verlieren und nicht mehr bereit sind, aus Angst vor einer sonst womöglich anstehenden koreanischen Wiedervereinigung unter allen Umständen die schützende Hand über ihn zu halten. Die „Pufferstaat“-Funktion Nordkoreas bleibt zwar für China wichtig, aber nicht zu jedem Preis.

Vor allem aber kann Peking kein Interesse daran haben, dass amerikanische Kernwaffen als Reaktion auf Nordkoreas nukleare Ambitionen wieder in Südkorea stationiert werden. (Sie wurden 1991 von dort abgezogen). Neuesten Umfragen zufolge unterstützen 67 Prozent der Südkoreaner eine Stationierung von US-Atomwaffen in ihrem Land. Noch besorgniserregender wäre aus chinesischer Sicht, wenn Seoul eigene Atomwaffenpläne verfolgte. In den siebziger Jahren gab es ein entsprechendes ­Programm. Es wurde aufgrund amerikanischen Drucks eingestellt, und weil Washington gleichzeitig seine Sicherheitsgarantien Seoul gegenüber verstärkte. 

Heute fürchten viele Südkoreaner, dass die USA aufgrund von Spar­zwängen – wie schon unter Präsident Jimmy Carter in den siebziger Jahren – den Abzug von US-Truppen aus Südkorea erwägen, und somit die amerikanische Beistandszusage an Gewicht verlieren könnte. Daher findet sich in Umfragen eine Mehrheit von 66,5 Prozent, die eigene Atomwaffen zur Abschreckung Nordkoreas befürwortet.

Südkoreas nukleare Infrastruktur

Tatsächlich verfügt Südkorea mit 23 Atomkraftwerken über eine beachtliche nukleare Infrastruktur. Der Bau weiterer Atommeiler ist geplant. Seoul exportiert sogar Kernkraftwerke in die Vereinigten Arabischen Emirate. Aber es unterhält keine Programme zur Urananreicherung oder Wiederaufbereitung, die für die Herstellung spaltbaren Materials für Atombomben kritisch wären. 

Gegenüber der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) verhält sich Südkorea transparent und setzt auch ein Zusatzprotokoll zu den erforderlichen Sicherungsabkommen um, das umfassende Deklarationspflichten und verbesserten Zugang für die ­IAEO-Inspektoren enthält. Allerdings entwickelt Südkorea eine Rakete mit mehr als 800 Kilometern Reichweite. In dem bis 2014 zu erneuernden Abkommen zur nuklearen Zusammenarbeit mit den USA möchte Seoul die Erlaubnis zur Nutzung einer neuen Technologie zur Wiederaufbereitung nuklearer Brennstäbe festschreiben („Pyroprocessing“). In Washington wird geargwöhnt, damit wolle Süd­korea sich an eine Atomwaffenoption herantasten.

Inwieweit es den USA gelingt, mit China eine gemeinsame Strategie gegenüber Nordkorea zu entwickeln, steht noch dahin. Sowohl Washington als auch Peking ist daran gelegen, Nordkorea einzuhegen, schon allein, um eine nukleare Rüstungsdynamik in der Region zu vermeiden. Darüber hinaus gilt es für die USA wie für China, Pjöngjang in aller Deutlichkeit zu vermitteln, dass ein „Atomkaufhaus“ Nordkorea nicht geduldet würde; dass Kim Jong-un zum Verzicht auf sein Atomwaffenprogramm gezwungen werden könnte, zeichnet sich dabei nicht ab.

Dr. Oliver Thränert leitet den Think-Tank am Center for Security -Studies der ETH Zürich. 

 
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2013, S. 86-89

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