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01. Mai 2015

Eine Roadmap. Bestenfalls

Das skizzierte Abkommen über Irans Atomprogramm lässt viele Fragen offen

Am 2. April 2015 verkündeten EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Irans Außenminister Mohammed Sarif Eckpunkte für ein Abkommen über Irans umstrittenes Nuklearprogramm; der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sprach von einem „entscheidenden Schritt“. Aber kann Teheran danach wirklich nicht mehr nach der Bombe greifen?

Eine gute Grundlage (Meir Javendanfar)

Noch lange nicht am Ziel (Bruno Tertrais)

Besser als nichts, aber keine Lösung (Oliver Thränert)

 

Eine gute Grundlage

Lausanne lässt hoffen, aber weitere Anstrengungen sind nötig

Die Eckpunkte von Lausanne für ein umfassendes Abkommen haben eine gute Grundlage für eine Lösung des Atomstreits mit dem Iran gelegt. Ein Hauptgrund für Optimismus ist, dass laut Vereinbarung der Kern des Schwerwasserreaktors von Arak entfernt und mit einem neuen ersetzt werden soll, der in Kooperation mit den EU-3+3 gebaut wird. Das Plutonium, das dann mithilfe des Schweren Wassers mit dem neuen Reaktorkern gewonnen werden kann, wird nicht mehr über ausreichende Reinheit verfügen, um damit eine Atomwaffe zu bauen. Damit wäre Irans „Plutonium-Weg“ zur Bombe praktisch blockiert.

Auch der Lösungsansatz bei den Zentrifugen ist positiv zu bewerten: Der Iran hat zugesagt, die Zahl von derzeit 19 000 in Betrieb befindlichen Zentrifugen im Laufe von zehn Jahren auf 5060 zu senken – eine Verringerung um rund zwei Drittel. Bei den übrig bleibenden Zentrifugen wird es sich um solche des Typs IR1 handeln – die ältesten und langsamsten Zentrifugen, die der Iran besitzt.

Wichtiger noch: Über 99 Prozent der Vorräte an niedrig angereichertem Uran, die Teheran angehäuft hat, sollen binnen 15 Jahren entfernt oder neu­tralisiert werden – mehr, als die „Einigung von Wien“ 2009 vorsah, die die Vereinigten Staaten anboten, die die iranische Regierung aber ablehnte. Damals war vorgesehen, dass der Iran 75 Prozent seiner Uranbestände außer Landes bringen würde, 25 Prozent aber auf seinem Territorium verbleiben würden. Würden die Absprachen von Lausanne Wirklichkeit, verfügte Teheran mit nur noch 1 Prozent an niedrig angereichertem Uran nicht mehr über genügend Material zum Bau einer Atombombe. Damit wäre auch der „Anreicherungs-Weg“ verschlossen.
Außerdem ist da die Inspektionsfrage: „Der Iran verpflichtet sich, der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) die Untersuchung verdächtiger Anlagen und das Nachgehen von Vorwürfen insgeheim unterhaltener Anreicherungs- oder Umwandlungsanlagen oder solcher zur Herstellung von Zentrifugen oder ‚Yellow Cake‘ überall im Land zu ermöglichen“, heißt es in der Vereinbarung. Mit anderen Worten: Wenn die IAEO den Verdacht hat, der Iran reichere irgendwo heimlich Uran an, darf sie der Sache auf den Grund gehen. Damit wäre jeder Versuch des Iran, insgeheim waffenfähiges Uran herzustellen, zumindest deutlich erschwert.

Was die Eckpunkte von Lausanne außerdem zur guten Grundlage für einen Deal machen, ist, dass beide Seiten die Einigung als Erfolg verkaufen können. Der Iran darf seine Anreichungsanlagen in Natanz und Fordo behalten, obwohl beide im Geheimen gebaut wurden und der Iran seiner Verpflichtung gegenüber der IAEO, deren Bau „bereits bei der Entscheidung für ein solches Projekt“ zu melden, nicht nachgekommen ist und damit internationale Bestimmungen klar verletzt hat. Auch der Schwerwasserreaktor von Arak bliebe bestehen. Kurz: Der Iran wäre nicht gezwungen, auch nur eine einzige seiner Atomanlagen stillzulegen und müsste keinen Gesichtsverlust fürchten.

Allerdings sind Grundlagen nicht genug. Weitere Anstrengungen sind nötig, um eine Einigung zu erreichen, die die Interessen der EU-3+3 sowie Israels gewährleistet. Dazu gehört vor allem, dass der Iran Fragen zur „etwaigen militärischen Dimension“ seines Nuklearprogramms beantwortet. Derzeit ist unklar, welche Sanktionen in Kraft bleiben werden, bis der Iran in dieser Angelegenheit Antworten liefert.

Wird die Einigung dazu führen, dass der Iran sein Verhalten gegenüber dem Westen ändert und langfristig sein Partner werden könnte? Zumindest ist es stets so gewesen, dass das Regime Kooperationswillen an den Tag gelegt hat, wenn es vom Westen bekam, was es wollte. 2001 arbeitete Teheran mit Washington gegen die Taliban in Afghanistan zusammen, nachdem die Regierung von US-Präsident Bill Clinton dem Regime mit der Entschuldigung für den von der CIA mitinitiierten Sturz von Premierminister Mohammed Mossadegh 1953 ein erstes Signal der Respektbezeugung sandte. Außerdem wurden Sanktionen gegen iranische Produkte wie Kaviar und Teppiche aufgehoben.

Vor diesem Hintergrund ist es durchaus denkbar, dass die Vereinigten Staaten und andere westliche Länder es infolge eines Atomdeals mit einem Iran zu tun haben werden, der sich in Bereichen gemeinsamer Interessen kooperativ verhält. Dazu könnte Informationsaustausch von Geheimdiensterkenntnissen über den „Islamischen Staat“ (IS) in Syrien und dem Irak und vielleicht sogar eine Koordinierung der Kriegführung gegen ihn gehören. Auch könnten beide Seiten wieder gegen die Taliban in Afghanistan zusammenarbeiten.

Teheran wird aber sicherstellen, dass eine solche Kooperation geheim und beschränkt bleibt. Denn die Hardliner wollen nicht, dass die iranische Öffentlichkeit von einer solchen Kooperation erfährt, denn dann würde sie weitere Verbesserungen im Verhältnis zu den USA fordern.

Es ist kein Geheimnis, dass sich die Mehrheit der Iraner wieder eine US-Botschaft in Teheran wünscht. Die Hardliner wünschen das nicht. Aus ihrer Sicht würde ein solcher Schritt die Stabilität ihrer Herrschaft ankratzen. Ohne den offenen Zwist mit den USA würde es ihnen viel schwerer fallen, von der massiven Korruption innerhalb des Regimes abzulenken und von den Menschenrechtsverletzungen. Das Letzte, was sie wollen, sind amerikanische Diplomaten, die in der iranischen Hauptstadt die Einhaltung von Menschenrechten, die Unabhängigkeit der Justiz und Pressefreiheit anmahnen. Gäbe es also einen Deal, wäre eine leichte Verbesserung der Beziehungen zu erwarten. Wer aber hofft, EU-Diplomaten würden sich nach einer Vereinbarung stärker für Menschenrechtsanliegen innerhalb des Iran einsetzen können, dürfte enttäuscht werden.

Meir Javedanfar ist Dozent am Interdisciplinary Center (IDC) in Herzliya, Israel.

 

Noch lange nicht am Ziel

Aber ein neues „München“ sind die Eckpunkte nicht

Lassen Sie uns Klartext reden: Obwohl die Vereinbarung von Lausanne im Vergleich zu den in den EU-3+3-Verhandlungen anvisierten Zielen einen deutlichen Rückschritt bedeutet, ist sie – oberflächlich betrachtet – ein angemessener Rahmenvertrag. Zum ersten Mal in der Geschichte versucht man sich an einer umfangreichen und in Bezug auf die wichtigsten Problemfelder allumfassenden Beilegung des Atomstreits. Deshalb unterstützte sogar die sonst eher zurückhaltend agierende französische Regierung das Abkommen (tatsächlich waren die einzigen in Lausanne anwesenden Verhandlungsparteien die Iraner, die Amerikaner, die Franzosen und mit Abstrichen die Deutschen, die wertvolle technische Expertise zum Thema Urananreicherung einbrachten).

Trotzdem sind die Hindernisse auf dem Weg zu einer zufriedenstellenden Einigung – also einer, die sämtliche in den Augen der internationalen Gemeinschaft vorhandenen Bedenken ausräumt – so zahlreich, dass sie aller Voraussicht nach auch über den Juni 2015 hinaus ein Thema auf der weltpolitischen Agenda bleiben wird.

Zunächst ist bei weitem nicht sicher, ob in naher Zukunft wirklich eine abschließende Einigung erzielt wird. Das einzige offiziell vereinbarte Dokument, das aus den Verhandlungen hervorgegangen ist, ist die gemeinsame Stellungnahme der EU-Außenbeauftragten Federica Mogherini und von Irans Außenminister Mohammed Sarif. Diese Stellungnahme ist aber recht vage. Ein detaillierterer Entwurf – eine Art „Abspann“, der auf Anraten Frankreichs verfasst wurde – existiert, wurde jedoch nicht veröffentlicht. Für die Interpretation dieses Dokuments sind somit die Verhandlungsparteien verantwortlich.

Und hier beginnt der Spaß. Es ist nämlich so, dass es zwischen den von den Außenministerien in Washington und Teheran veröffentlichten Informations- und Merkblättern zum Eckpunkte-Abkommen signifikante Unterschiede gibt. Ein viertes Dokument, ein Datenblatt, das von der französischen Regierung an andere EU-Mitglieder verteilt wurde, unterscheidet sich wiederum von den amerikanischen und iranischen Versionen.

Diese Unterschiede stehen sinnbildlich für das Fehlen klarer Einigungen in zahlreichen Punkten. Die europäisch-iranische Stellungnahme bleibt bei einigen Themen unscharf, etwa der Frage, wie lange die Limitierung der iranischen Anreicherungskapazitäten wirklich aufrechterhalten werden soll (die Rede ist von einer „spezifischen“ Dauer). Auch die genauen Kontrollmaßnahmen (es heißt, das Zusatzprotokoll würde „provisorisch“ angewendet und man werde auf „vereinbarte Verfahren“ zurückgreifen, die zur „Klärung vergangener und gegenwärtiger Probleme“ beitragen würden), der genaue Zeitrahmen für die Aufhebung der Sanktionen (angeblich sobald „Schlüsselvereinbarungen“ umgesetzt werden) und die Dauer der verbleibenden Sanktionen (für einen „vereinbarten“ Zeitraum) werden nicht weiter erörtert.

Jeder, der sich mit der iranischen Nuklearfrage auseinandergesetzt hat, kann voraussagen, dass die anstehenden Verhandlungen höchstwahrscheinlich in drei grundlegenden Bereichen stocken werden: dem Zeitrahmen zur Aufhebung der Sanktionen, der genauen Ausgestaltung der Kontrollmaßnahmen und -instanzen und der so genannten „etwaigen militärischen Dimension“. Dies sind die drei Kernproblematiken, und der Oberste Religionsführer des Iran, Ali Khamenei, hat seit den Verhandlungen in Lausanne klargestellt, dass er bezüglich der ersten beiden Punkte keine Kompromisse eingehen wird (im Hinblick auf den dritten Punkt hat Teheran schon immer gemauert). So zu tun, als wären wir kurz vor einer Einigung in der iranischen Atomfrage, käme der Erklärung gleich, dass ein Abkommen zwischen Israel und den Palästinensern bevorsteht, nur weil die „Clinton-Parameter“ von beiden Parteien als sinnvolle Verhandlungsbasis betrachtet werden.

Zudem könnte Teheran trotz der weiter in Kraft bleibenden Sanktionen, unter denen das Land leidet, glauben, dass man nun die Oberhand in den Gesprächen gewonnen habe und sich das Beibehalten einer harten Verhandlungsstrategie auszahlen könnte. Aus iranischer (durchaus gerechtfertigter) Sicht ist die Regierung von US-Präsident Barack Obama erpicht darauf, eine Einigung zu erzielen, während bisher wenige bis keine der von Khamenei gezogenen „roten Linien“ überschritten worden sind. Darüber hinaus könnte Teheran darauf bauen, dass der Iran vom Westen noch für den Kampf gegen den IS gebraucht wird. All das verheißt nichts Gutes für die kommenden Monate – und es könnten noch ganz andere Probleme, wie etwa eine Blockade des Abkommens von Abgeordneten im US-Kongress, zum Tragen kommen.

Szenario 1: Selbst wenn eine abschließende Einigung erzielt werden sollte, ist nicht sicher, dass diese auch gewissenhaft umgesetzt würde. Nehmen wir einmal an, dass ein Abkommen zustande kommt, das sowohl die spezifischen Interessen der EU-3+3-Staaten befriedigt als auch die weiter gefassten Erwartungen der internationalen Gemeinschaft erfüllt. Es könnte auch dann noch durchaus möglich sein, dass der Iran nur auf Zeit spielen und seine Nuklearambitionen aufrecht­erhalten will. Angenommen, dass einige vergangene (und womöglich gegenwärtige) Aufrüstungsbestrebungen – auch bei noch so scharfen Kontrollmaßnahmen – vermutlich unentdeckt bleiben, könnte der Iran darauf zählen, dass die internationale Gemeinschaft das Interesse an der Frage verliert und erneute Sanktionen wohl nur schwer durchzusetzen wären. Die USA würden höchstwahrscheinlich nicht mehr auf Sabotageoperationen zurückgreifen, die Androhung von Militärschlägen würde für die iranische Führung an Glaubwürdigkeit verlieren.

In diesem Szenario würde Teheran die Geduld des Westens erst mit kleineren und dann – im Falle einer ausbleibenden Reaktion (und womöglich mit dem Argument, dass sich die „Geschäftsgrundlage“ geändert habe) – mit größeren Verstößen gegen das Abkommen auf die Probe stellen, um dieses dann nach einigen Jahren vollends zu brechen. Was würde dann passieren? Wer würde bestimmen, ab welchem Punkt ein tatsächlicher Verstoß gegen das Abkommen erreicht ist? Würde Moskau mitspielen? Wäre es überhaupt vorstellbar, erneut Sanktionen zu verhängen, wenn der iranische Außenhandel bereits wieder blüht und das Land im großen Stil Auslandsinvestitionen anzieht?

Sollte das nicht der Fall sein oder Teheran sich von solchen Schritten unbeeindruckt zeigen, dann gäbe es zwei mögliche Resultate: Man könnte Teheran die Bombe bauen lassen – gewissermaßen ein „nordkoreanisches“ Szenario. Oder es könnte zu einer „irakischen“ Entwicklung kommen, nämlich dann, wenn der US-Präsident sich dazu entschließt, ohne das Mandat des UN-Sicherheitsrats mit militärischer Gewalt gegen das Programm vorzugehen.

Szenario 2: Selbst wenn eine Einigung erzielt würde, wäre es dem Iran auch in diesem Fall möglich, aus den Vereinbarungen auszubrechen. Nehmen wir an, dass Teheran das Abkommen gewissenhaft umsetzt und seine Ambitionen aufgibt, sich Atomwaffen zu verschaffen. Das Land wäre dann ein „nuclear hedger“, das durch die zivile Nutzung von Atomkraft potenziell in der Lage wäre, zu einem späteren Zeitpunkt relativ schnell Atombomben zu bauen. Tatsächlich könnte der Iran in zwölf oder 15 Jahren das noch schneller als heute (zum jetzigen Zeitpunkt könnte der Iran innerhalb von zwei bis drei Monaten – nach Schätzungen der französischen Regierung sogar in unter zwei Monaten – eine signifikante Menge spaltbaren Materials herstellen).

Wäre es in diesem Fall nicht verlockend für die künftige iranische Führungsriege, die militärischen Aktivitäten wieder aufzunehmen? Natürlich können wir hoffen, dass sich das Regime bis dahin grundlegend verändert hat (dass eine liberale Demokratie diesen Pfad beschritte, wäre wohl höchst unwahrscheinlich). Doch wir sollten uns nicht auf Hoffnungen verlassen. Wir würden nur den gleichen Fehler wie jene amerikanischen Unterhändler machen, die 1994 das Genfer Rahmenabkommen mit Nordkorea aushandelten und sich nicht im entferntesten vorstellen konnten, dass das Regime zehn Jahre später noch immer dasselbe sein würde. Kurz: Wir hätten dann zwar Zeit – ein vermeintlich wertvolles diplomatisches Gut – gewonnen, aber sonst nichts.

Das ist der Preis dafür, von der Haltung abgewichen zu sein, dem Iran nur Urananreicherungskapazitäten zuzugestehen, die „mit dem praktischen Bedarf vereinbar sind“ (dies geschah effektiv mit der Einigung auf die „Schlüsselparameter künftiger Vereinbarungen“ im November 2013). Tatsächlich haben die EU-3+3-Staaten im Laufe des Jahres 2013 unter dem Druck der USA ihre „Roll-back“-Strategie aufgegeben und gegen eine reine Eindämmungsstrategie eingetauscht.

Und selbst wenn der Iran die Pläne zur militärischen Nutzung von Atomkraft wirklich aufgeben sollte, deutet nur wenig darauf hin, dass das die politische Situation nachhaltig verändern würde. Vielmehr könnte eine Einigung die konservativen Strömungen in der iranischen Politik stärken. Khamenei könnte klarstellen wollen, dass er noch immer das Sagen hat und die pragmatischeren Teile der iranischen Führung vom politischen Wettbewerb ausschließen. Zudem sollte man sich daran erinnern, dass die Dämonisierung der USA und Israels Teil der politischen DNA der Islamischen Republik ist. Washington wird seinen Partnern und Alliierten zeigen wollen, dass es keine weiteren Kompromisse mit einem Regime eingehen wird, das seit 1979 einer der bedeutendsten Sponsoren des internationalen Terrorismus und ein destabilisierendes Element im Nahen Osten ist. Auch gilt es, sich daran zu erinnern, dass Saudi-Arabien eine amerikanisch-iranische Annäherung genauso sehr fürchtet wie eine iranische Atombombe und dass, wie es die Ereignisse im Jemen demonstrieren, Washington nicht beabsichtigt, die „Seiten zu wechseln“.

Lausanne ist kein „München“ und, um bei nahöstlichen Metaphern zu bleiben, aber definitiv auch kein „Camp David“. Nach dem „Oslo“ des November 2013 ist es bestenfalls eine Roadmap.

Dr. Bruno Tertrais ist Senior Research Fellow bei der Fondation pour la Recherche Stratégique.

 

Besser als nichts, aber keine Lösung

Der Iran bleibt „virtuelle Atommacht“, im Moment großer Machtfülle

Grundsätzlich ist es positiv zu bewerten, dass die Möglichkeit einer diplomatischen Einigung im Streit um das iranische Atomprogramm bestehen bleibt. Die beiden anderen möglichen Optionen – nämlich den Iran mit militärischen Mitteln an der Entwicklung von Atomwaffen zu hindern versuchen oder ihn einfach gewähren zu lassen – sind jedenfalls wesentlich schlechter. Stattdessen kann nun ein Verletzer des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) in das Vertragsregime zurückgeführt werden. Damit würde verhindert, dass der Iran sich – wie Nordkorea – aus dem Vertrag verabschiedet.

Die gemeinsame Presseerklärung von Mogherini und Sarif und das „Fact­sheet“ des amerikanischen Außenministeriums zum Verhandlungsstand weichen stark voneinander ab. Ziel des State Department ist wohl, den US-Kongress von weiteren Iran-Sanktionen abzuhalten. Sonst würde eine endgültige Einigung unmöglich. Umgekehrt sah die iranische Seite die Lausanne-Vereinbarung von vornherein als ein allgemein zu haltendes Papier an. Der eigenen Öffentlichkeit soll gezeigt werden, dass das Atomprogramm kaum eingeschränkt wurde. Das wirft jedoch die Frage auf, wie groß der gefundene gemeinsame Nenner tatsächlich ist.

Positiv ist auf jeden Fall die iranische Bereitschaft zur Beschränkung des Urananreicherungsprogramms sowie des Schwerwasserprogramms. Da Teheran diese Programme allerdings nicht vollständig aufgibt, werden nunmehr Anlagen legitimiert, die vom Iran nicht wie erforderlich der IAEO gemeldet worden waren – eine Kröte, die man wohl schlucken muss, denn die iranische Seite muss ihr Gesicht wahren können. Bei einer kompletten Aufgabe von Urananreicherung und Schwerwasserprojekten wäre dies nicht möglich. Zugleich gilt, dass der Iran für ein wirklich nur friedliches Atomenergieprogramm diese Anlagen keineswegs benötigt. So hat beispielsweise die Schweiz seit vielen Jahren fünf Leichtwasserreaktoren in Betrieb. Ihr Anteil an der heimischen Stromproduktion beträgt etwa 40 Prozent – ein Wert, von dem der Iran mit seinem einzigen Kraftwerk in Buschehr weit entfernt ist. Wie die allermeisten Betreiber friedlicher Nuklearprogramme unterhält die Schweiz allerdings keine eigene Urananreicherung, sondern bezieht die Brennelemente auf dem internationalen Markt.

Da der Iran diese Anlagen weiterführen darf – wenn auch unter Kontrollen und Einschränkungen –, wird das Land eine „virtuelle Atommacht“ bleiben. Der Iran wird auch künftig alle notwendigen Elemente eines Atomwaffenprogramms behalten: Die Fähigkeit zur Herstellung spaltbarer Materialien für Waffenzwecke; das Wissen zur Herstellung von Sprengköpfen; und die entsprechenden Träger wie ballistische Raketen, die kein Bestandteil eines künftigen Übereinkommens sein werden. Immerhin bietet das Abkommen die Möglichkeit, diesen virtuellen Status als Atommacht einzuschränken. Damit dies gelingen kann, sind hingegen eingehende Überprüfungen vonnöten.

In dieser Hinsicht überrascht, dass nach der Lausanne-Übereinkunft verschiedentlich geäußert wurde, der Iran sei bereit, sich einem sehr weitgehenden Untersuchungsmechanismus zu unterwerfen. Denn das erschließt sich aus den öffentlich vorgelegten Texten nicht. In der Erklärung von Mogherini und Sarif heißt es u.a., Teheran sei zu einer vorläufigen Anwendung des Zusatzprotokolls zu den IAEO-Sicherungsmaßnahmen bereit. Ferner könne die IAEO moderne Technologien verwenden und werde Zugang infolge gemeinsam zu vereinbarender Prozeduren erhalten. Das klingt sehr allgemein. In der für das heimische Publikum erstellten Zusammenfassung der Lausanne-Ergebnisse des iranischen Außenministeriums wird sogar relativiert, der Iran werde das Zusatzprotokoll freiwillig umsetzen. Mit anderen Worten: Diese Freiwilligkeit kann auch wieder beendet werden. Die Verhandlungspartner sind bei der zentralen Frage der Überprüfung daher wohl noch sehr weit voneinander entfernt.

Das anzustrebende Verifikationsregime muss weit über das Zusatzprotokoll zu den IAEO-Sicherungsabkommen hinausgehen. Auch alle Fragen aus der Vergangenheit des iranischen Atomprogramms müssen möglichst geklärt werden. Parallel zu den iranischen Verhandlungen mit der EU-3+3 konferiert Teheran hierzu mit der IAEO, ohne jedoch zur Aufklärung seines früheren Atomwaffenprogramms bereit zu sein.

Selbst falls ein intrusives Verifikationssystem vereinbart würde, wäre dessen zuverlässige Umsetzung keinesfalls gesichert. Teheran könnte bestimmte Inspektoren ablehnen oder den Zugang zu bestimmten Einrichtungen und Anlagen verwehren. Welche Auswirkungen hätte dies dann auf die vom Iran geforderte Aufhebung von Sanktionen?

Was zu dem Punkt führt, dass die Sequenzierung der Aufhebung der Sanktionen und der Umsetzung der anderen Bereiche eines künftigen Abkommens, insbesondere der Überprüfung, noch unklar bleibt. Es ist wohl kaum wahrscheinlich, dass es zu „Snap-back“-Sanktionen käme, bloß weil der Iran bestimmte Teile des Überprüfungsmechanismus umginge. Das wirtschaftliche Interesse am sehr attraktiven iranischen Markt ist auch im Westen eindeutig. Zudem ist die internationale Koalition bereits jetzt brüchig, wie man an den nun avisierten russischen Lieferungen moderner Luftabwehrsysteme vom Typ S-300 an den Iran sieht. Ferner ist die beabsichtigte Geltungsdauer der Beschränkungen für das iranische Nuklearprogramm von zehn bis 15 Jahren recht kurz. Es ist wohl auch nicht – wie eigentlich wünschenswert – vorgesehen, dass Beschränkungen erst im Lichte der vertragsgetreuen Umsetzung des Abkommens durch den Iran aufgehoben werden, anstatt nach einem vorab vereinbarten Zeitplan.

Schließlich würde der Iran eine Vereinbarung zu seinem Atomprogramm zu einem sehr günstigen Zeitraum unterzeichnen. Teheran hat seinen Einfluss im Nahen und Mittleren Osten wie nie zuvor ausgedehnt. Schon die Tatsache, in jahrelangen Verhandlungen zu strategisch wichtigen Fragen dem Westen Paroli geboten zu haben, dürfte Teherans regionalen Geltungsdrang weiter beflügeln. Ein von Sanktionen befreiter Iran mit dem Status einer virtuellen Atommacht dürfte zu einem dauerhaften regionalen Machtzentrum heranwachsen.

Kurzum: Das sich nun abzeichnende Abkommen verzögert das iranische Atomprogramm und führt zu einer gewissen Transparenz. Das ist besser als nichts. Eine nachhaltige Lösung, die Teheran dauerhaft von der Bombe fernhält, ist es aber nicht.

Dr. Oliver Thränert leitet den Think Tank am Center für Security Studies der ETH Zürich und ist Senior Fellow (Non-Resident) der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin.
 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2015, S. 60-68

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