IP

01. Mai 2017

Richtiges Ziel, falscher Weg

Ein Kernwaffenverbot würde die Welt nicht sicherer machen

Die Abschaffung aller Kernwaffen ist ein nobles Vorhaben. Doch sie setzt ein umfassendes und dauerhaft wirksames Inspektionssystem voraus, von dem wir noch meilenweit entfernt sind. Deshalb könnte eine Verbotskonvention keinesfalls den Nichtverbreitungsvertrag ersetzen; zielführend ist vielmehr eine verbesserte nukleare Rüstungskontrolle.

Vom 27. bis 31. März 2017 fand bei den Vereinten Nationen in New York die erste Runde der Verhandlungen über eine Kernwaffenverbotskonvention statt. Deutschland nimmt daran nicht teil; erstmals entschied sich Berlin (oder zuvor Bonn), Abrüstungsverhandlungen fern zu bleiben. Die Bundesregierung ist für diese Entscheidung vielfach kritisiert worden. Doch sie ist richtig.

Eine Kernwaffenverbotskonven­tion ist nicht zielführend, weil die Staaten, die Atomwaffen besitzen, sich nicht an einem solchen Abkommen beteiligen. Zudem finden die Verhandlungen losgelöst von einer erforderlichen Debatte über die politischen Voraussetzungen einer vollständigen nuklearen Abrüstung statt. Es ist zu erwarten, dass die Verhandlungen zu einer Verschärfung der Widersprüche in der Gemeinschaft der Mitglieder des Nuklearen Nichtverbreitungsvertrags (NVV) führen. Und schließlich könnte der Zusammenhalt in NATO und EU Schaden nehmen.

Deutschland sollte nach Mitteln und Wegen suchen, die nukleare Rüstungskontrolle wieder auf die internationale Agenda zu bringen. Ziel sollte es sein, die nukleare Abschreckung auf einem möglichst niedrigen Niveau atomarer Waffenarsenale zu stabilisieren. Es mag unangemessen sein, in eine Welt ohne Atomwaffen eintreten zu wollen, in der die politischen Voraussetzungen für die Abschaffung aller Kernwaffen fehlen. Eine Welt mit Atomwaffen, die nicht mittels nuklearer Rüstungskontrolle stabil gehalten wird, ist jedoch gefährlich.

Keine Kriege, keine Aufrüstung

Die Abschaffung aller Kernwaffen ist ein nobles Vorhaben. Solange diese Waffen existieren, besteht die Gefahr, dass eine Krise, die auch Atomwaffenstaaten einschließt, außer Kontrolle gerät. Die Zerstörungen würden die Schäden, die aus den Unfällen in den Kernkraftwerken von Tschernobyl oder Fukushima resultierten, weit in den Schatten stellen. Eine solche atomare Eskalation muss nicht zwingend die beiden größten Nuklearwaffenbesitzer USA und Russland einschließen. Vieles spricht dafür, dass die Gefahr künftiger nuklearer Kriege im asiatischen Dreieck China–Indien–Pakistan erheblich größer ist. Hinzu kommt das in einer Krise möglicherweise unberechenbare und atomar bewaffnete Nordkorea. Insofern unterscheidet sich die heutige Lage erheblich von der Situation während des Kalten Krieges.

Die politischen Bedingungen für eine Welt ohne Atomwaffen müssen jedoch stimmen. Es müssen zumindest Kriege zwischen größeren Mächten, die auch ohne Atomwaffeneinsatz enorme Schäden verursachen würden, möglichst ausgeschlossen bleiben. Und es muss verhindert werden, dass heimliche nukleare Wiederaufrüstungen stattfinden, die nach Entdeckung zu schnellen atomaren Rüstungswettläufen führen können. Dann könnten Atomkriege sogar wahrscheinlicher statt unwahrscheinlicher werden.

Es ist zwar nicht beweisbar, aber vieles spricht dafür, dass der Besitz von Atomwaffen in den USA und der Sowjetunion einen entscheidenden Beitrag dazu leistete, Kriege zwischen Großmächten seit 1945 zu verhindern. „Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter“, so ein geflügeltes Wort aus dem Kalten Krieg.

Wir können auch nicht wissen, ob der Umkehrschluss zulässig ist, nämlich dass Kriege zwischen diesen Staaten wieder wahrscheinlicher würden, wenn sie keine Nuklearwaffen mehr hätten. Vielleicht würden Großmächte auch ohne Atomwaffen Konflikte aufgrund der auch mit konventionellen Kriegen einhergehenden hohen Kosten meiden. Die Gefahr der gegenseitigen Vernichtung bestünde hingegen nicht mehr, was in Krisen den Griff zu militärischen Mitteln leichter erscheinen lassen könnte.

In dieser Situation der Ungewissheit ist es ratsam, umsichtig vorzugehen und das übergeordnete Ziel, nämlich die Verhinderung großer Kriege, nicht aus den Augen zu verlieren. Daher sollten, bevor alle Atomwaffen abgeschafft werden, geeignete und von möglichst allen Staaten akzeptierte Konfliktregelungsmechanismen entwickelt werden, die auch konventionell geführte große Kriege möglichst verhindern könnten. Angesichts wiederholter Blockaden des UN-Sicherheitsrats aufgrund widerstreitender Interessen seiner Mitglieder würde man sich auf dieses Instrument zur Konfliktregelung zwischen Großmächten in einer kernwaffenfreien Welt wohl kaum verlassen.

Nicht nur müssten in einer Welt ohne Atomwaffen große nichtnukleare Kriege ausgeschlossen bleiben; auch müsste Sorge getragen werden, dass keine heimliche nukleare Wiederaufrüstung stattfindet. Denn ein Staat, dem es gelänge, sich unbemerkt in den Besitz von Nuklearwaffen zu bringen, würde sich in eine gegenüber allen anderen Staaten herausragende Machtposition bringen. Diese Gefahr besteht in einer atomwaffenfreien Welt weiter, da das Wissen über den Bau von Kernwaffen nicht verloren geht. Auch ist davon auszugehen, dass die friedliche Nutzung des Atoms bis auf Weiteres fortgesetzt wird. Somit bleiben Techniken wie die Urananreicherung erhalten, die zur Herstellung spaltbaren Materials für Bombenzwecke verwendet werden könnten. Zudem würden in einer Welt ohne Atomwaffen auch weit reichende Raketen für friedliche Weltraumprogramme weiterhin existieren. Mit ihnen könnten heimlich hergestellte Atomwaffen prompt und über weite Strecken transportiert werden.

Gelegentlich wird eingewandt, es sei möglich gewesen, biologische und chemische Waffen vertraglich zu verbieten (Biologiewaffen-Übereinkommen/BWÜ von 1972 und Chemiewaffen-Übereinkommen/CWÜ von 1993). Doch sind diese Waffen in ihrer Vernichtungs- und damit Abschreckungswirkung nicht mit Nuklearwaffen zu vergleichen. Daher wird es beim BWÜ und CWÜ widerwillig hingenommen, dass einige Staaten diesen Abkommen nicht beitreten und weiterhin entsprechende Programme verfolgen. Im Falle einer Kernwaffenverbotskonvention wäre dies mit Sicherheit nicht der Fall.

Zudem bleibt die Überwachung unvollständig und es gibt Vertragsverstöße. Als die Sowjetunion 1972 das BWÜ unterschrieb, ordnete ­KPdSU-Generalsekretär Leonid Breschnew wenig später den Ausbau des offensiven sowjetischen BW-Programms an. Dies blieb im Westen viele Jahre unbemerkt. Während der achtziger Jahre gab es bereits konkrete Hinweise auf einen Vertragsverstoß; nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurde dieser von der russischen Führung eingeräumt. Man stelle sich vor, hier wäre es um Kernwaffen gegangen. Die Folge wären wohl schnelle atomare Aufrüstungsprogramme weiterer Staaten zur Wiederherstellung ihrer nationalen Sicherheit bis hin zu nuklearen Eskalationen gewesen.

Eine vollständige nukleare Abrüstung setzte daher ein umfassendes und dauerhaft wirksames Inspektionssystem voraus, auf das sich alle Staaten verlassen könnten. Davon sind wir jedoch meilenweit entfernt. Die Internationale Atomenergiebehörde (IAEO), die für die Verifikation im Bereich des NVV zuständig ist, war in den achtziger Jahren nicht in der Lage, Saddam Husseins geheimes Atomwaffenprogramm zu entdecken. Selbst nach wichtigen Verbesserungen des Überwachungsregimes übersah die IAEO geheime Atomprogramme im Iran, in Libyen und auch in Syrien. Alle diese Projekte wurden durch Nachrichtendienste aufgeklärt. Der IAEO kann man jedoch kaum Vorwürfe machen, da sie ihre Aktivitäten nur auf gemeldete Einrichtungen konzentrieren muss. Mit anderen Worten: ohne Transparenz der Mitgliedstaaten keine zuverlässige Verifikation.

Zudem müssten Konventionsverletzer sofort und wirksam sanktioniert werden können. Dies dürfte jedoch schwerfallen: Nukleare Habenichtse müssten gegen einen Staat vorgehen, der über illegale Atomwaffen verfügte und ihnen damit drohen könnte.

Kein Ersatz für den NVV

Die Staaten des Nichtverbreitungsvertrags sind in der Frage der nuklearen Abrüstung heillos zerstritten. Viele Nichtkernwaffenstaaten fordern seit Jahren entschlossenere Schritte ein, beispielsweise einen konkreten Zeitplan für die Beseitigung aller Atomwaffen. Ohne eine solche Zielsetzung werde die „nukleare Apartheid“ in alle Ewigkeit fortgesetzt: Während die Atomwaffenstaaten diese Waffen für ihre eigene nationale Sicherheit als unerlässlich ansähen, würde zugleich den Nichtkernwaffenstaaten der Zugang zu diesen Waffen verwehrt.

Ausgehend vom Abschlussdokument der NVV-Überprüfungskonferenz 2010, das die „humanitäre Dimension“ der atomaren Abrüstung betonte, entwickelte sich hier eine neue Dynamik. Unter Beteiligung einer Vielzahl von NVV-Mitgliedstaaten wurde im Zuge internationaler Konferenzen dem in Artikel VI des NVV festgehaltenen nuklearen Abrüstungsversprechen Nachdruck verliehen. Mittels einer Kernwaffenverbotskonvention sollte die rechtliche Lücke geschlossen werden, die der NVV aufgrund des in ihm fehlenden Kernwaffenverbots hinterlässt. Eine „Open-ended Working Group“ empfahl nach mehreren Beratungsrunden der UN-Generalversammlung, ein Mandat für Verhandlungen über eine Kernwaffenverbotskonvention zu verabschieden.

Die Forderung nach nuklearer Abrüstung wird von einigen Nichtkernwaffenstaaten mit ihrer Bereitschaft zu Fortschritten in anderen Vertragsbereichen wie der Stärkung der Verifikation oder der friedlichen Nutzung der Kernenergie verknüpft. Daher konnten auf den alle fünf Jahre stattfindenden NVV-Überprüfungskonferenzen in diesen aus westlicher Sicht sehr wichtigen Bereichen kaum Fortschritte erzielt werden. Manche fürchten sogar, Staaten könnten den NVV mit der Begründung verlassen, Mitglied in der aus ihrer Sicht wichtigeren Kernwaffenverbotskonvention zu werden. Letztere kann aber kein Ersatz für den NVV sein, da sie keine Verifikation und auch keine Regelungen für die friedliche Nutzung der Kernenergie enthielte. Auf jeden Fall wird es im Zuge der Zuspitzung des Streites um die nukleare Abrüstung immer schwieriger, sich für die Stärkung des Regimes in allen seinen Aspekten zu engagieren.

Die Verbotskonvention spaltet

Wichtigstes Ziel der Befürworter einer Kernwaffenverbotskonvention ist die Stigmatisierung und Delegitimierung des Atomwaffenbesitzes. Die von ihnen losgetretene internationale Debatte wirkt jedoch höchst unterschiedlich. In autokratischen Staaten wie Russland oder China, geschweige denn Nordkorea, dürfte ein öffentlicher Diskurs über Kernwaffen von vornherein unterdrückt werden. In Indien und Pakistan ist der Atomwaffenbesitz so sehr mit der nationalen Identität verwoben, dass auch hier die eigenen Arsenale, wenn überhaupt, nur von gesellschaftlichen Minoritäten angefochten werden dürften. In Israel wird ebenfalls kaum eine öffentliche nukleare Debatte zustande kommen, da der offiziell nie bestätigte Atomwaffenbesitz des Landes tabuisiert ist. Somit bleiben die Demokratien USA, Großbritannien und Frankreich, die mit einer öffentlichen Infragestellung ihrer Atomwaffen rechnen müssen. Diese Gesellschaften werden das sicher aushalten. Sie werden ihren Atomwaffenstatus also aufrechterhalten.

Die größten Probleme dürften jene Staaten bekommen, die sich im Rahmen der NATO der nuklearen Teilhabe anschließen. Diese Staaten, darunter auch Deutschland, müssen mit einem Widerspruch leben. Einerseits haben sie selbst auf Atomwaffen verzichtet und setzen sich für nukleare Abrüstung ein; andererseits basiert ihre nationale Sicherheit auf der nuklearen Zusammenarbeit im Atlantischen Bündnis: Diese Staaten stellen Flugzeuge bereit, mit denen im Kriegsfall US-Atombomben eingesetzt werden könnten, die im Frieden in Europa, aber streng unter amerikanischer Kontrolle lagern. Die Debatte über eine Kernwaffenverbotskonvention dürfte vor allem in diesen Ländern Wellen schlagen. Forderungen nach einem Abzug der US-Kernwaffen dürften laut werden.

Diese Infragestellung der ­NATO-Nuklearzusammenarbeit käme aus mehreren Gründen zur Unzeit: Erstens stehen in den kommenden Jahren Beschaffungsentscheidungen für neue nuklearfähige Kampfflugzeuge in Europa an. Zweitens besteht in Europa Unsicherheit über den ­NATO-Kurs der Trump-Regierung, womit der Zusammenhalt des Bündnisses geschwächt werden könnte. Drittens ist zu erwarten, dass Moskau Öl ins Feuer gießt und die Atomwaffenkritiker in den europäischen NATO-Ländern unterstützt. Darauf deutet die Tatsache hin, dass Russland – zu Unrecht – behauptet, die nukleare Teilhabe der NATO verstoße gegen den NVV. Insgesamt ist es daher richtig, dass sich Deutschland, aus Solidarität mit der NATO, von den Kernwaffenkonventionsverhandlungen fernhält.

Innerhalb der Europäischen Union hat die Debatte um die Kernwaffenverbotskonvention bereits Schaden angerichtet. Es war vor allem Österreich, unterstützt von Irland, das sich für die Aufnahme dahingehender Verhandlungen engagierte. Dies hat die Widersprüche vor allem mit dem Atomwaffenstaat Frankreich massiv verstärkt. In der Folge ist die EU schon seit Jahren nicht mehr als Akteur in den internationalen Diskussionen rund um die nukleare Nichtverbreitung aufgetreten. Sollte eine künftige Kernwaffenverbotskonvention den Mitgliedstaaten die militärische Zusammenarbeit mit Atomwaffenstaaten untersagen, legte dies die Axt an die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Dies kann nicht in deutschem Interesse sein. Zudem ist Frankreich für Deutschland ein wesentlicher europäischer Partner, mit dem man – wie das Beispiel der Verhandlungen über das iranische Atomprogramm unterstreicht – auch in Fragen der Verhinderung des Entstehens neuer Nuklearwaffenmächte erfolgreich zusammenarbeitet. Ferner würde Frankreich gebraucht, wollte man jemals eine europäische nukleare Abschreckung aufbauen.

Stillstand der Rüstungskontrolle

Vorerst werden wir auch weiterhin mit Atomwaffen leben müssen. Doch es wäre ein fataler Fehlschluss, würde man annehmen, dass allein die Existenz von Kernwaffen Kriege zwischen Nuklearwaffenbesitzern auch künftig ausschließen könnte. Es entspricht vielmehr einer bereits in den fünfziger und sechziger Jahren vorwiegend in den USA entwickelten Einsicht, dass das Überleben im Atomzeitalter nur gesichert werden kann, wenn durch gemeinsame Bemühungen unkontrollierte nukleare Aufrüstungsprozesse verhindert werden.

Leider ist die daraus abgeleitete nukleare Rüstungskontrolle inzwischen fast komplett zum Stillstand gekommen. Das wenige, was noch besteht, ist entweder massiv bedroht, wie der INF-Vertrag zum Verbot amerikanischer und russischer nuklearer Mittelstreckenwaffen, oder kann von den USA und Russland aufgrund einer beschränkten Laufzeit im ­Februar 2021 ad acta gelegt werden, wie im Falle des neuen START-Abkommens zur Begrenzung stationierter strategischer Kernwaffen beider Seiten.

Schlimmer noch: Sowohl US-Präsident Donald Trump als auch Russlands Präsident Wladimir Putin mangelt es an der Einsicht, dass die Sicherheitsinteressen der jeweils anderen Seite im Zeitalter des Atoms immer mitzudenken sind. Dem einen ist es wichtiger, der Anführer des „nuklearen Rudels“ zu sein; der andere sieht Kernwaffen als Mittel, um den Westen in Angst und Schrecken zu versetzen. Atomwaffenstaaten wie China, Pakistan oder Indien, die teilweise massiv nuklear aufrüsten, orientieren sich ebenfalls an eng definierten nationalen Interessen. An nuklearer Rüstungskontrolle haben sich diese Staaten noch nie beteiligt.

Das ist gefährlich. Denn das Verhandeln und der Austausch über verschiedene Sichtweisen und Dok­trinen haben in der Vergangenheit zur Vertrauensbildung und Transparenz sowie zu gegenseitigem Verständnis beigetragen. Daher ist Deutschland gut beraten, alles in seiner in diesem Bereich zugegebenermaßen begrenzten Macht Stehende zu tun, um einen entsprechenden ­Rüstungskontrollprozess wieder in Gang zu bringen.

Dr. Oliver Thränert leitet den Think Tank am Center for Security Studies der ETH Zürich.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 3, Mai/Juni 2017, S. 114-119

Teilen

Mehr von den Autoren