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01. Nov. 2006

Hakenkreuz über Palästina

Die Stuttgarter Historiker Klaus-Michael Mallmann und Martin Cüppers schildern, wie das „Dritte Reich“ auch im arabischen Nahen Osten willige Vollstrecker fand.

„Der Mufti (Amin al-Husaini, M.R.) wurde zum Erzfeind britischer Politik stilisiert, und Großbritannien startete gemeinsam mit der zionistischen Bewegung und ab 1948 mit Israel sowie schließlich auch mit Emir Abdallah eine gezielte Diffamierungs- und Delegitimierungskampagne gegen ihn“, liest man in einer deutschen Darstellung der palästinensischen Nationalbewegung.1 Die Arbeit von Klaus-Michael Mallmann, Leiter, und Martin Cüppers, Mitarbeiter der Forschungsstelle Ludwigsburg der Universität Stuttgart, ist erkennbar aus dem Verlangen heraus verfasst worden, solcher Schönfärberei hinsichtlich der Beziehung des Dritten Reiches zur arabischen Welt entgegenzutreten. Auf der Grundlage umfassender Studien in deutschen, britischen und israelischen Archiven zeigen sie, wie dem Vorderen Orient und Nordafrika, denen zunächst kaum Bedeutung beigemessen wurde, schon kurz nach der „Machtergreifung“ eine wichtige Stellung im Rahmen strategischer Überlegungen des NS-Regimes zuwuchs. Die nahöstlichen Gesellschaften boten ihnen zufolge einen idealen „Resonanzboden“ für die deutschen Expansionspläne, weil dort eine dezidiert antisemitisch eingefärbte Bewunderung der NS-Politik die öffentliche Meinung bestimmte.

Im Mittelpunkt ihrer Untersuchung steht das damals strategisch wie wirtschaftlich unerhebliche, von seinem politisch-religiösen Symbolgehalt her jedoch umso bedeutendere Palästina. Für die seit dem Ende des Ersten Weltkriegs in dieser ehemals osmanischen Provinz eskalierende Gewalt machen sie in erster Linie Amin al-Husaini verantwortlich, den die Briten trotz fragwürdiger religiöser Qualifikation zum Mufti, der höchsten schariarechtlichen Autorität, und Verwalter der religiösen Liegenschaften ernannt hatten. Damit hatten sie das Ziel verfolgt, die Notabelnfamilie der Nashasibis zu schwächen, obwohl gerade sie für die Verständigung zwischen Arabern und Zionisten eintraten.

Die Autoren zeigen, dass al-Husaini eine systematische Terrorkampagne organisierte, deren Opfer nicht allein die zionistischen Siedler gewesen seien, sondern in starkem Maße die arabische Gesellschaft. Zahlreiche tatsächliche oder vermeintliche islamische Verhaltensregeln wurden gewaltsam durchgesetzt, darunter die Verwendung des heute populären Palästinensertuchs anstelle des Fez, der traditionellen Kopfbedeckung der städtischen Notabeln. Sie demonstrieren, dass der Nationalsozialismus bereits kurz nach der Machtergreifung in Kreisen radikaler arabischer Nationalisten mit Bewunderung wahrgenommen wurde, obwohl die zunehmende Verfolgung in Deutschland die jüdische Einwanderung ansteigen ließ und sich somit für die arabische Sache als nachteilig erwies. Diese Bewunderung bewirkte, dass die in Deutschland bis dahin kaum beachteten arabischen Nationalisten als potenzielle Bündnispartner wahrgenommen wurden. Berlin verstärkte diese Haltung gezielt durch Propaganda; zur offenen Verbrüderung kam es jedoch nicht, bevor 1938 auf deutscher Seite alle Hoffnungen aufgegeben worden waren, dass man die eigenen Expansionspläne im Einvernehmen mit den Briten würde verwirklichen können.

Als Reaktion auf die Bevorzugung der Zionisten durch die Kolonialmacht lässt sich die prodeutsche Einstellung der arabischen Nationalisten nach Mallmann und Cüppers nicht rechtfertigen, da die britische Politik keineswegs prozionistisch ausgerichtet war. Schließlich wurde gerade in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts die jüdische Zuwanderung erheblich eingeschränkt.

Kernstück der Darstellung sind die Aktivitäten al-Husainis nach seiner Flucht aus Palästina 1937. Zunächst fand er in Beirut Asyl. 1941 setzte er seine Hoffnung auf ein Gelingen des prodeutschen Putsches unter Rashid al-Kailani im Irak. Nachdem dieser gescheitert war, gelang beiden die Flucht nach Berlin. Mallmann und Cüppers dokumentieren, dass er sich wiederholt für die Forcierung des Massenmords einsetzte, etwa als die rumänische Regierung erwog, einen Teil der Juden ihres Landes auszuweisen anstatt sie der Vernichtung preiszugeben. Sein Antisemitismus habe folglich stärker gewogen als das Engagement für arabische Belange. Mit handfesten Versprechungen hinsichtlich staatlicher Unabhängigkeit hielten sich seine deutschen Verbündeten zurück. Al-Husaini schuf sich eine Machtposition, aus der heraus es ihm gelang, den stärker nationalistischen als antisemitischen al-Kailani ebenso auszubooten wie Fritz Grobba, den Architekten der deutschen Irak-Politik. Vom Geschehen in Palästina war al-Husaini, solange die Türkei bis 1943 zwischen den Kriegsparteien lavierte, keineswegs abgekoppelt, denn mit Hilfe deutscher Diplomaten in Ankara war es möglich, mittels arabischer Kontaktleute die Kommunikation mit den heimischen Parteigängern aufrechtzuerhalten.

Die wichtigste Erkenntnis der Autoren ist der Nachweis, dass das NS-Regime plante, nach dem Überschreiten des Nils die jüdische Bevölkerung des Nahen Ostens in gleicher Weise zu vernichten wie in Europa. Dazu richtete das Reichssicherheitshauptamt ein Einsatzkommando unter der Führung von Walther Rauff ein, der in Osteuropa die Durchsetzung des industrialisierten Massenmords entscheidend vorangetrieben hatte. Mit 17 Mann wurde er in das von Rommels Afrika-Korps gehaltene Gebiet eingeflogen. Der geringe Umfang des Kommandos spricht nach Ansicht der Autoren nicht allein dafür, dass es sich primär um ein Vorauskommando gehandelt habe. Vielmehr liegt für sie die Vermutung nahe, dass man nach entsprechenden Erfahrungen in Litauen meinte, bei einer in hohem Maße kollaborationswilligen Bevölkerung die Vernichtung der Juden weitgehend an Einheimische delegieren zu können. Zum Einsatz am geplanten Ziel kam das Kommando nicht, doch organisierte es die Ausplünderung und Zwangsarbeit der tunesischen Juden, als das Land Ende 1942 als letzter nordafrikanischer Brückenkopf gegen die von Westen anrückenden Alliierten verteidigt wurde. Die Deportation der tunesischen Juden scheiterte am Widerspruch Italiens.

Am Rande behandeln die Autoren die Einrichtung muslimischer Kampfverbände aus Krimtataren, Bosniern, Albanern und gefangenen Angehörigen der Roten Armee. Antisemitische Indoktrination stellte ein zentrales Element der Ausbildung dieser Truppen dar. Nicht alle dieser Muslime scheinen sich jedoch mit Ideologie und Zielen des Nationalsozialismus völlig identifiziert zu haben. Speziell die auf dem Balkan rekrutierten erwiesen sich außerhalb ihrer Heimatregion nicht als kampfeswillig.

Abschließend stellen die Autoren die Nachkriegskarrieren der wichtigsten Akteure der NS-Nahost-Politik dar.

Als Schwachpunkt des Buches muss genannt werden, dass die Autoren bei der Beurteilung der politischen Stimmung in den arabischen Ländern primär auf deutsche Berichte vertrauen. Deren Verfasser hatten natürlich Interesse daran, die Wirkung deutscher Propaganda als äußerst erfolgreich darzustellen, doch sind solche Urteile ohne Rückgriff auf arabische Primärquellen unter Vorbehalt zu stellen. (Bisherige Versuche, diese Forschungslücke zu schließen, erwiesen sich jedoch als problematisch. René Wildangel etwa versucht nachzuweisen, dass die palästinensische Bevölkerung in geringerem Maße als gemeinhin behauptet mit den Achsenmächten sympathisierte. Dafür verweist er auf NS-kritische Publikationen. Diese sind ein an sich interessanter Untersuchungsgegenstand, doch muss Wildangel konzedieren, dass sie angesichts der britischen Zensur nur bedingt als repräsentativ erachtet werden können.2

Dennoch ist mit Blick auf die Levante die Auffassung der Autoren durchaus plausibel. Hinsichtlich anderer Regionen muss das Bild jedoch wohl modifiziert werden. Die These, dass ein allgemeiner prodeutscher Furor auch Marokko ergriffen habe, ist kaum haltbar, da die Rolle der marokkanischen „goumeurs“ in der französischen Armee kaum als marginal betrachtet werden kann. (Französisches Archivmaterial wurde nicht herangezogen.) Dem grundlegenden Verdienst der Autoren, systematisch dargestellt zu haben, wie das Dritte Reich den Antisemitismus in der arabischen Welt anheizte und wie es dabei willige Kollaborateure fand, tut dies jedoch keinen Abbruch.

Klaus-Michael Mallmann, Martin Cüppers: Halbmond und Hakenkreuz. Das „Dritte Reich“, die Araber und Palästina. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2006. 287 Seiten, € 49,90.

Dr. Martin Riexinger, geb. 1968, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Arabistik/Islamwissenschaft an der Universität Göttingen.

  • 1Helga Baumgarten: Palästina. Befreiung in den Staat, Frankfurt a. M. 1991, S. 36.
  • 2Vgl. René Wildangel: „Der größte Feind der Menschheit“. Der Nationalsozialismus in der arabischen öffentlichen Meinung in Palästina während des Zweiten Weltkriegs, in: Gerhard Höpp, Peter Wien und René Wildangel (Hrsg.): Blind für die Geschichte. Arabische Begegnungen mit dem Nationalsozialismus, Berlin 2004, S. 115–154. Ähnliches gilt für das Tagebuch des palästinensischen Freigeists christlicher Herkunft Khalid as Sakakini, die zentrale arabischen Quelle für Tom Segev: One Palestine, Complete, London 2002.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2006, S.132-134

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