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01. Juni 2006

Hoch die Internationale

Die Vernetzung der Muslimbruderschaft seit den zwanziger Jahren

Johannes Grundmanns Studie über die Vernetzung der Muslimbruderschaft und der Islamischen Weltliga ergänzt die Forschungen zur internationalen Vernetzung radikaler Islamisten, wie sie etwa Guido Steinberg mit „Der nahe und der ferne Feind“ vorgelegt hat (vgl. Internationale Politik 11/2005, S. 132). Das Interesse am Terrorismus hat die Tatsache etwas aus dem Blick verdrängt, dass die Verbreitung der islamistischen Ideologie keineswegs primär mit Gewalt vorangetrieben wurde. Ausschlaggebend waren vielmehr beharrliche organisatorische Arbeit und die Unterstützung durch Saudi-Arabien. Die 1928 in Ägypten gegründete Muslimbruderschaft gründete bereits in den folgenden beiden Jahrzehnten Ableger in den benachbarten arabischen Staaten. Gleichwohl wurde erst 1981 die „Internationale Organisation“ der Muslimbrüder offiziell gegründet. Schon früh kam es zu Spannungen, da die Ägypter die Führung beanspruchten; anderen, vor allem dem sudanesischen islamistischen Vordenker Hasan at-Turabi, schwebte dagegen die Idee einer Koordinationsstelle gleichberechtigter islamischer Organisationen vor. Er nutzte später seine politische Stellung im Sudan, um ein eigenes radikaleres Netzwerk zu gründen. Weil die Mitglieder politische Konflikte im jeweiligen nationalen Kontext betrachteten, ergaben sich weitere politische Differenzen, welche die Aktionsfähigkeit der „Internationalen Organisation“ erheblich behinderten. So verlangten 1990 die kuwaitischen Muslimbrüder, dass die Internationale Organisation den Einmarsch Saddam Husseins in ihr Heimatland verurteilte, während die Jordanier den Diktator aus Bagdad deswegen feierten und schließlich vom Führungsgremium unterstützt wurden, was den Auszug der finanziell nicht unwichtigen Kuwaitis zur Folge hatte.

Machtpolitisch konnten sich die Muslimbrüder in ihren jeweiligen Heimatländern nicht durchsetzen, ihnen gelang es jedoch, ein erfolgreiches Finanzsystem einzuführen und unter den arabischstämmigen Muslimen in Europa Einfluss zu gewinnen. Gerade dabei spielte die Zusammenarbeit mit der 1962 unter saudischer Ägide gegründeten Islamischen Weltliga eine wichtige Rolle. Auf internationaler Ebene verbreitet diese Organisation durch Publikationen, die Förderung von Moscheen und Wohltätigkeitsvereine ein Saudi-Arabien genehmes Islamverständnis. Nach dem 11. September sah sich die saudische Regierung gezwungen, ihre Förderung von Weltliga und Muslimbrüdern zu überdenken, da einige Unterorganisationen von westlichen Regierungen der Nähe zu terroristischen Netzwerken geziehen wurden. Die Demokratiefähigkeit der Muslimbrüder beurteilt Grundmann im Gegensatz zu vielen Islamwissenschaftlern und Nahost-Experten äußerst skeptisch, weil das Innenleben der Organisation „undurchsichtig und autoritär strukturiert“ sei. Wenngleich Grundmanns Arbeit auf ausgiebiger Quellenlektüre und Feldforschung beruht, verweist er selten auf Quellen. Für den Fachmann, der seine Argumente überprüfen oder vertiefen will, ein erheblicher Nachteil.

Johannes Grundmann: Islamische Internationalisten. Strukturen und Aktivitäten der Muslimbruderschaft und der Islamischen Weltliga. Ludwig Reichert, Wiesbaden 2005. 128 Seiten, € 9,90.

Dr. Martin Riexinger, geb. 1968, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Seminar für Arabistik/Islamwissenschaft an der Universität Göttingen.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2006, S. 133

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