Essay

30. Juni 2025

Grönland, Objekt der Begierde, zweiter Akt

Kann man brauchbare Lehren aus der Geschichte ziehen? Bei der aktuellen Kontro­verse um Grönland wäre dies möglich – um abzuwenden, was sich zu einer diplomatischen Tragödie für Washington entwickeln könnte. Denn bereits im Jahr 1940 wurde eine Lösung für die Frage der Zugehörigkeit dieser Insel gefunden, die sowohl die Interessen der USA als auch die Kanadas und Dänemarks sicherstellte.

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Bild: Illustration einer Hand mit einem Messer, die ein Stück Grönland abschneidet, als sei es eine Torte
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Die Aufregung, die durch die jüngsten Äußerungen des amerikanischen Präsidenten Donald Trump über den Kauf – oder gar die militärische Übernahme – von Grönland durch die USA ausgelöst wurde, erinnert an Karl Marx’ oft zitiertes Epigramm, dass Geschichte sich zweimal ereigne: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Allerdings mit einer wichtigen Wendung. 

Marx war zwar nicht der erste, der verkündete, dass es wenig Neues unter der Sonne gebe. Sein Aphorismus muss jedoch revidiert werden, um für die aktuelle Grönland-Kontroverse relevant zu sein. Insbesondere müssen wir die chronologische Abfolge neu anordnen, denn bereits zum zweiten Mal ist der von Dänemark verwaltete Inselstaat vor der Küste Nordamerikas Gegenstand ernsthafter Übernahmeträume geworden. Und während der erste dieser Träume alle Merkmale einer Farce trug, könnte er dieses Mal, wenn nicht klug gehandelt wird, zu einer diplomatischen Tragödie führen.

Bereits früher lösten Überlegungen zur Zukunft Grönlands Besorgnis aus, die erstaunlich relevante Auswirkungen für die heutige Situation hat. Auch damals gab es in Nordamerika Befürchtungen, dass besagtes dänisches Territorium zum Zankapfel globaler Rivalitäten werden und zu einer Verschiebung des Gleichgewichts der Kräfte führen könne, was den nordamerikanischen Sicherheits- und Verteidigungsinteressen abträglich wäre. Der bedeutendste Grund für diese Sorge waren – damals wie heute – Grönlands Bodenschätze, die als wesentlich für die nationale Sicherheit angesehen wurden. Und so war der Nachbarstaat davon überzeugt, dass ein militärisches Eingreifen gerechtfertigt sei.


llerdings war es beim ersten Mal Kanada, das das gigantische arktische Gebiet unter seine politische Kontrolle zu bringen gedachte. Heute sind es die USA, die solche Bestrebungen haben. Nach Ansicht von Trump und anderen Vertretern seiner Administration ist Grönland ein viel zu verlockendes Objekt der Begierde für Großmächte wie China oder Russland geworden. Nun, da Dänemark nicht mehr Grönlands territoriale Integrität ­garantieren könne, dürfe die Insel nicht sich selbst überlassen werden. In Washington geht man davon aus, dass eine Mehrheit der 57 000 Grönländer im Fall einer Abstimmung bereit wäre, den gegenwärtigen Status der Selbstverwaltung gegen die völlige Unabhängigkeit einzutauschen. Für die USA würde dies die Möglichkeit eröffnen, ein Angebot zu machen, das nach dem Dafürhalten der Amerikaner in der Hauptstadt Nuuk und im Rest des Landes nicht abgelehnt werden dürfte: die territoriale Integration in die Vereinigten Staaten.


Offensichtliche Lehren aus der Geschichte zu ziehen, ist schwierig bis fast unmöglich. Dennoch lässt sich das ein oder andere aus dem Rückblick ableiten. Aus der damaligen Sicht Washingtons wurde das Grönland-­Problem nach seinen Präferenzen gelöst, und zwar auf eine Weise, die die Beziehungen zu den künftigen Verbündeten ­Kanada und Großbritannien nicht nur nicht beeinträchtigte, sondern sogar stärkte – während sie gleichzeitig die Weichen stellte für die künftigen Beziehungen zu einem anderen aufstrebenden Verbündeten: ­Dänemark.

Der Grund, warum man es in Nordamerika auf einmal für nötig hielt, die dänischen Besitzungen in außenpolitische Überlegungen einzubeziehen, hatte mit dem Einmarsch Nazideutschlands in Norwegen und Dänemark am 9. April 1940 zu tun: Aufgrund der geografischen Nähe Grönlands und seiner Eignung als „durchgehendes und nahezu perfektes Notlandefeld“ (so Vilhjálmur Stefánsson in Foreign Affairs, April 1939) befürchtete man insbesondere in Ottawa eine deutsche Invasion der Insel oder ihre Nutzung durch deutsche Bomber auf dem Weg zu Zielen in Kanada – schließlich hatte das Land Deutschland am 10. September 1939 den Krieg erklärt. Daher begannen die Entscheidungsträger in Ottawa mit den Planungen für eine präventive Besetzung Grönlands.

Flugplätze für die Luftwaffe waren nur ein Teil des Pro­blems. Ebenso besorgniserregend waren die Auswirkungen, die der Verlust der grönländischen Bodenschätze auf die nationale Sicherheit Kanadas und Großbritanniens haben könnte. Das Bergwerk in Ivittuut (Ivigtut) an der Südwest­küste war die damals weltweit einzige kommerziell nutzbare Quelle für natürliches Kryolith, ein Mineral, das bei der Herstellung von Aluminium verwendet wird. Kanadische Raffinerien waren für die Kriegsanstrengungen der Alliierten von entscheidender Bedeutung: 1940 produzierte Kanada 80 Prozent des gesamten Aluminiums des britischen Commonwealth. 

So wurden in Ottawa Pläne für einen Präventivschlag ausgearbeitet, die im Nachhinein an eine Farce grenzen: Die Besetzung Grönlands sollte mit nur 50 Beamten der Royal Canadian Mounted Police (RCMP), unterstützt von einem Küstenwachschiff, durchgeführt werden. Doch Widerstand kam überraschend von ganz anderer Seite: aus Washington.

Der amerikanische Außenminister Cordell Hull erklärte am 12. April 1940 gegenüber dem britischen Botschafter in den USA, Lord Lothian, dass Grönland in den Geltungs­bereich der Monroe-Doktrin falle, dass die USA beabsichtigten, die Souveränität Kopenhagens über die Insel weiterhin anzuerkennen und dass eine Abtretung der Insel an eine dritte Partei kategorisch ausgeschlossen sei. Vier Tage später wurde Lothian in der New York Times mit den folgenden Worten zitiert: „Wenn Großbritannien beschließen sollte, Grönland zu besetzen, um einem deutschen Vorstoß zuvorzukommen, würde diese Operation von Kanada durchgeführt werden, um Komplikationen im Rahmen der Monroe-Doktrin zu vermeiden.“ Der Botschafter beschwerte sich umgehend und gab an, falsch zitiert worden zu sein. Dies war jedoch mitnichten der Fall.

Das State Department hatte nicht die geringste Sympathie für den kanadischen Plan und erklärte, dass die USA einen kanadischen Vorstoß nach Grönland nicht unterstützen könnten. Die Briten hingegen drängten immer mehr darauf, dass etwas zum Schutz Grönlands unternommen werden müsse und diese Verantwortung Kanada obliege. Grönland war für Ottawa aus den oben genannten Gründen von strategischer Bedeutung. Die Zukunft der Insel war jedoch auch von Bedeutung für die amerikanische Politik.


In der Grönland-Affäre waren drei Aspekte amerikanischer Interessen involviert. Zum einen ging es um die Sicherheit der Kryolithversorgung, auf die nicht nur der kanadische Alcan-­Konzern, sondern auch der amerikanische Alcoa-Konzern angewiesen war. Zweitens ergaben sich die Interessen aus der Monroe-­Doktrin, zu deren Grundsätzen es gehörte, dass keine europäische Macht ihren kolonialen Besitz in der westlichen Hemisphäre an irgendeine andere „nicht­amerikanische“ Macht abtreten durfte. 

Obwohl Kanada in Washington als eine hinreichend befreundete Macht angesehen wurde, konnte man zu der Einsicht gelangen, dass es aufgrund seiner verfassungsmäßigen Bindung an Großbritan­nien (die in den USA nicht besonders gut verstanden wurde; übrigens auch nicht von einigen in Kanada) nicht wirklich eine amerikanische Macht war. Dies stellte nicht nur eine semantische Spitzfindigkeit dar, denn die Grand Strategy der USA war in den Jahren zuvor auf der „Doktrin der zwei Sphären“ errichtet worden, die auf der Annahme der strategischen Trennbarkeit der Neuen Welt (südlich von Kanada) von der Alten Welt beruhte. 

Wenn es den Vereinigten Staaten ge­länge, einen ausreichend starken pan-
amerikanischen Block zu schaffen, könnten sie sich nach dieser Logik auf eine Politik der „hemisphärischen Verteidigung“ berufen, mit dem Ziel, sich selbst und ihre lateinamerikanischen Nachbarn vor einem europäischen Krieg zu schützen. Die Erinnerungen an die Einmischung der USA in das europäische Gleichgewicht der Mächte im Jahr 1917 waren noch frisch in den Köpfen der Amerikaner, als im September 1939 ein neuer Krieg ausbrach – und es waren unangenehme Erinnerungen, die eine landesweite Stimmung des „Nie ­wieder“ auslösten.

Der Roosevelt-Regierung oblag es, die beginnende „Politik der guten Nachbarschaft“ zu vervollkommnen. Auf zwei wichtigen interamerikanischen diplomatischen Treffen – 1933 in Montevideo und 1936 in Buenos Aires – verpflichtete sie sich gegenüber ihren lateinamerikanischen Partnern, auf das „Recht“ zu verzichten, unilaterale Interventionen durchzuführen (mit gewissen Einschränkungen). Washington stimmte sogar zu, dass jegliche Intervention in der Hemisphäre, sollte sie sich als notwendig erweisen, nur mit dem Segen der panamerikanischen „Gemeinschaft“ möglich sein würde. Für das Grönland-Problem bedeutete dies, dass eine Intervention eine rein amerikanische Angelegenheit im weitesten geografischen Sinne dieses Adjektivs sein musste, der das gesamte Gebiet der Hemisphäre von der kanadisch-amerikanischen Grenze bis hinunter nach Feuerland umfasste.

Realistisch betrachtet, waren natürlich nur die Vereinigten Staaten in der Lage, das Grönland-Problem zu „regeln“. Kanada wurde im April 1940 schlicht nicht als amerikanische Macht angesehen, obwohl sich dies im Laufe des Jahres mit der Gründung des kanadisch-amerikanischen Ständigen Gemeinsamen Verteidigungsausschusses – und damit der formalisierten Allianz beider Staaten – durch das Ogdensburg-Abkommen (August 1940) ändern sollte.


Die dritte und letzte Überlegung, die in die Kalkulation des sich entwickelnden US-Interesses an Grönland einfloss, war die Frage eines Präzedenzfalls, der jedoch nichts mit der westlichen Hemisphäre, sondern mit Ostasien zu tun hatte. Washington befürchtete vor allem, dass es sich selbst disqualifizieren würde, wenn es bei einem einseitigen kanadischen Präventivschlag gegen Grönland ein Auge zudrücken würde (oder wenn es einfach selbst beschließen würde, unter dem Deckmantel des panamerikanischen „Multilateralismus“ in Grönland zu intervenieren). Denn damit würden sich die Amerikaner der Möglichkeit einer glaubhaften Anfechtung berauben, sollte es zur territorialen Einverleibung eines kolonialen Gebiets in Ostasien kommen, dessen europäischer Staat zu diesem Zeitpunkt vom Deutschen Reich besetzt war.

Es brauchte nicht viel Fantasie, um von diesen abstrakten Überlegungen zu konkreten Handlungsoptionen zu kommen. In Washington war man der Ansicht, dass Japan bereit war, dem Beispiel Kanadas (oder der USA) zu folgen und sich selbst den kolonialen Besitz eines von den Nazis ­überrannten europäischen Landes einzuverleiben. Obwohl die Deutschen im April 1940 die Niederlande noch nicht angegriffen hatten, waren nur wenige Beobachter der internationalen Beziehungen zuversichtlich genug zu glauben, dass dieses Land dem Joch der Nazis entkommen würde. Ebenso gab es nur wenige, die da­ran zweifelten, dass eines der für den japanischen Imperialismus naheliegend­sten Objekte der Begierde Niederländisch-­Ostindien war. Nach Kriegsende erinnerte sich der vormalige US-Außenminister Hull an den Hauptgrund des Widerstands gegen die kanadischen Pläne, Grönland zu besetzen: „Wir wollten einen Präzedenzfall vermeiden, der Japan im Falle einer deutschen Invasion Hollands im Mai 1940 einen Vorwand hätte bieten können, die Niederländisch-Ostindischen Inseln zu besetzen.“

Ungeachtet des Alarms, den der Einmarsch der Deutschen in ­Skandinavien 1940 auslöste, legte sich der kanadisch-
amerikanische Streit um Grönland noch vor Sommerbeginn. Und zwar in einer Weise, die dazu führte, dass die gefundene Lösung bald als Beispiel für eine gesunde „Zusammenarbeit“ zwischen den beiden nordamerikanischen Nachbarn gefeiert wurde, die im August 1940 militärische Verbündete wurden und es seither geblieben sind: in Form des ältesten, ununterbrochen funktionierenden Bündnisses der Vereinigten Staaten. 


Wenn man also brauchbare Lehren aus der Geschichte ziehen kann, dann könnte die frühere Grönland-Kontroverse eine Vorlage liefern, um das abzuwenden, was sich zweifelsohne zu einer diplomatischen Tragödie für Wa­shington entwickeln kann. Es ist schwer, die wachsende Bedeutung Grönlands für die strategischen Interessen der Vereinigten Staaten zu bestreiten oder die Legitimität dieser Interessen per se in Abrede zu stellen – wie das etwa an der seit den 1950er Jahren bestehenden US-Luftwaffenbasis Thule deutlich wird, die 2023 in ­Pituffik Space Base umbenannt und kürzlich von Vizepräsident JD Vance besucht wurde. 

Doch kann man den Schaden, der den amerikanischen Interessen zu­gefügt werden könnte, nicht hoch genug einschätzen, wenn die Lösung der heutigen Grönland-Kontroverse in einer ­Weise misslingt, die tiefe Gräben zwischen den westlichen Verbündeten aufreißt. Geben wir uns daher keinen Illusionen hin: Die Zukunft Grönlands stellt tatsächlich eine Herausforderung für die Interessen der Vereinigten Staaten, Kanadas, Dänemarks und anderer NATO-Verbündeter dar.

Für die beiden nordamerikanischen NATO-Staaten ist die Herausforderung dieselbe wie 1940: sicherzustellen, dass die Rivalitäten zwischen den Großmächten nicht dazu führen, dass die Insel zu einer Bedrohung für die Sicherheits-
interessen des gesamten Kontinents wird. 


Es ist kein Hirngespinst und erst recht kein Witz, dass die gemeinsamen Interessen der USA und Kanadas sowie Dänemarks und aller weiteren NATO-Staaten es erfordern, mit Russland und China zwei nichthemisphärische Herausforderer in Schach zu halten. Und es kann ferner nicht häufig genug betont werden, dass ein solches Handeln dringlich ist. Mit Blick auf China bedeutet dies, der Volksrepublik den Zugang zu den Mineralien zu verwehren, die heute das geostrategische Äquivalent des damaligen Kryoliths sind. Hierzu zählen Graphit, Niob und die Platingruppenmetalle (PGM) sowie Molybdän, Tantal und Titan.

Kann die Trump-Administration oder eine Nachfolge­regierung das Grönland-Problem auf eine Weise lösen, die an den Erfolg der Roosevelt-Administration heranreicht? Die Optionen für Washington scheinen hinreichend klar: Eine Option ist die „Politik der ruhigen Hand“, das heißt, einfach nichts zu tun und auf das beste Ergebnis zu hoffen, falls die Grönländer in dem Referendum, das die dänische Ministerpräsidentin Mette Frederiksen angedeutet hat, für ihre Unabhängigkeit stimmen. 

Das andere Extrem ist, dass Washington ­Dänemark die Insel – auf militärische oder etwas subtilere Art – entreißt, was zweifelsohne sowohl der NATO als auch dem Ansehen Amerikas in der Welt weiter schaden würde. Ganz zu schweigen von dem Präzedenzfall, den dies schaffen würde, um China die Gelegenheit zu geben, sich mit Taiwan ebenfalls ein Territorium unter den Nagel zu reißen, auf welches es schon lange Anspruch erhebt. 

Zwischen diesen beiden Extremen – beide könnten in der gegenwärtigen Ära der Großmächte die Interessen von Amerikas Gegnern fördern – gibt es eine dritte und vernünftigere Option: den Versuch, die erfolgreiche Lösung des Grönland-­Problems vom ersten Mal zu wiederholen. 

Es ist nicht schwer, die Umrisse eines „Deals“ zu erkennen, der die Garantie der dänischen Souveränität beinhalten würde, bis sich die Grönländer selbst für die Unabhängigkeit entscheiden. Für den Fall, dass die Befürworter der Unabhängigkeit das Referendum gewinnen, ist es auch nicht schwer, sich einige bilaterale (oder trilaterale) Instrumente vorzustellen, die sicherstellen, dass die Unabhängigkeit Grönlands die legitimen Sicherheitsinteressen der nordamerikanischen Verbündeten sowie Dänemarks nicht gefährdet. Ein zusätzlicher Vorteil eines entsprechenden Abkommens wäre, dass von Amerikas Kooperationspartnern auf Grönland erwartet würde, substanzielle militärische Ressourcen bereitzustellen. 

In Kanada gibt es inzwischen einen Konsens (mit Ausnahme der sehr ­kleinen Friedensbewegung), dass es weder politisch noch operativ tragbar ist, die Verteidigungsaus­gaben des Landes auf ihrem gegenwärtigen, auf peinliche Art und Weise niedrigen, Niveau zu belassen. Angesichts der Bequemlichkeit, die das enge Bündnis mit den USA über Jahrzehnte ermöglicht hat, und der weit verbreiteten Annahme, dass die Kanadier sich dauerhaft durch den von „Uncle Sam“ und den amerikanischen Steuerzahlern aufgespannten Verteidigungsschirm würden schützen lassen können, war es bislang sehr schwierig, Ottawa und die kanadische Öffentlichkeit davon zu überzeugen, die Verteidigungsausgaben substanziell zu erhöhen (die derzeit bei lächerlichen 1,37 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen).


Seit einigen Jahrzehnten gibt es in Kanada jedoch eine Ausnahme von der Regel, chronisch zu niedrige Militärausgaben zu tolerieren, wenn nicht sogar darin zu schwelgen, wie erfolgreich man von der Friedensdividende profitiert habe: Sowohl die Öffentlichkeit als auch ihre gewählten Vertreter erkennen die Arktis als ein Gebiet an, in dem es sinnvoll ist, ernsthaft und massiv in die Verteidigung zu investieren. 

Grönland könnte sich als Hebel erweisen, um Kanada zu größeren Beiträgen für den Schutz des Hohen Nordens zu bewegen. Die Beiträge würden nicht nur in Form von Dollars geleistet, die der amerikanische Steuerzahler dann nicht ausgeben müsste, sondern könnten auch zwei Funktionsbereiche umfassen, die dem gemeinsamen Ziel der Eindämmung der chinesischen und russischen Versuche, ihren Einfluss auszuweiten, dort förderlich wären. Einer dieser Bereiche ist der Bergbau. Der andere liegt in spezialisierten Bodentruppen, den Canadian Rangers – Reservisten der Armee, die im kanadischen Norden operieren und sich zu einem großen Teil (wenn auch nicht vollständig) aus indigenen Völkern zusammensetzen, von denen viele ethnische Inuit sind, die mit den einheimischen Grönländern verwandt sind.

Der Premierminister von Ontario, Doug Ford, spricht gerne von Nordamerika als der „Festung Am-Can“. Grönland könnte einen der Wälle dieser Festung darstellen, und zwar so, dass es zu einer Zusammenarbeit innerhalb des Bündnisses und nicht zu einer Spaltung kommt, so wie dies in der Vergangenheit der Fall war.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2025, S. 106-111

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Dr. David Bosold ist Geschäftsführer der Graduate School of North American Studies am John-F.-Kennedy-Institut für Nordamerikastudien der Freien Universität Berlin.

Prof. Dr. David G. Haglund lehrt Politikwissenschaft mit dem Forschungsschwerpunkt transatlantische Sicherheitspolitik an der Queen’s University in Kingston, Ontario.

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