Buchkritik

28. Febr. 2011

Das Ende des billigen Öls

... und was wir tun können, damit es uns nicht teuer zu stehen kommt

Die Welt sei flach und werde noch flacher, verkündete Thomas Friedman vor rund fünf Jahren. Von der Globalisierung könnten alle profitieren: Unternehmer, Schwellenländer, Verbraucher. Mit diesem für die Aufbruchstimmung der frühen zweitausender Jahre typischen Wunschdenken will der kanadische Ökonom Jeff Rubin jetzt aufräumen.

Immobilienblasen und Kreditausfallversicherungen werden meist als Ursachen für die Wirtschaftskrise ausgemacht, von der sich vor allem die USA nur schwer erholen. Das aber seien nur Symptome, schreibt der kanadische Wirtschaftswissenschaftler Jeff Rubin in seinem jüngsten Buch. Als wahren Grund für die Krise macht er den unstillbaren Energiebedarf der OECD-Welt und der Schwellenländer bei zu knappem Angebot aus.

Nun muss man Rubins Auffassung in dieser Frage nicht unbedingt teilen – vieles an seinen Ausführungen erscheint oberflächlich. Aber lange will er sich ohnehin nicht bei den Gründen der Krise aufhalten. Vielmehr möchte er einen Blick in die nahe Zukunft werfen. Rubin geht davon aus, dass die Energiepreise nach einem kurzen Absinken während der Krise wieder in so astronomische Höhen steigen werden wie vor dem Herbst 2008. Der Grund liegt nach seiner Ansicht nicht etwa in Konjunkturschwankungen, sondern in einem strukturellen Problem. Peak Oil, der Zeitpunkt, an dem das globale Ölfördermaximum erreicht und die Hälfte der gesamten Reserven verbraucht sein werden, sei nämlich schon da. Dabei geht er nicht weiter auf Fachdebatten ein, ob denn ein genauer Zeitpunkt eines Peak Oil überhaupt zu bestimmen wäre, oder ob optimistische Szenarien berechtigt sind, die noch ausreichende Reserven für den globalen Energiebedarf in den Ölsand- bzw. Ölschiefervorkommen Kanadas und Venezuelas vermuten.

Hat ein Peak Oil schon stattgefunden, dann ist ein Ölpreis von 200 Dollar pro Barrel (159 Liter) keine unrealistische Annahme. Wie nachhaltig wäre dann nicht nur der American, sondern auch der Western Way of Life? Und würde sich die Welt dann nicht entglobalisieren?

Dass die über mehrere tausend Kilometer per Flugzeug importierte Schale Erdbeeren zu Weihnachten unter diesen Umständen für den Verbraucher nahezu unbezahlbar würde, ist wenig überraschend. Ein Ölpreis von 200 Dollar und mehr würde aber auch eine Reihe von einheimischen Wirtschaftssektoren wie die Stahlindustrie wieder wettbewerbsfähig machen. Der Transportkostenanteil chinesischen Stahls würde dann nämlich effektiv jenen knapp 15 Prozent Einfuhrzoll entsprechen, der vor den Freihandelsrunden der achtziger und neunziger Jahre galt. Dass der Anteil eines solchen fiktiven Zolls auf 20 bis 30 Prozent stiege, wenn in den Verkaufspreis die Energieeffizienz bzw. Treibhausgasbilanz einflösse, würde in Zukunft auch jene zum Umdenken bewegen, die bisher die Klimaschutzbemühungen in Amerikas Industrie blockierten.

Rubin zieht daraus den Schluss: Die OECD-Welt besitzt in den kommenden Jahrzehnten einen enormen Wettbewerbsvorteil gegenüber den BRIC-Staaten (Brasilien, Russland, Indien und China). Die Infrastruktur, Bildungseinrichtungen und Energieeffizienz der OECD-Länder erlaubten nämlich ein nachhaltiges Wirtschaften, das in Zukunft unausweichlich werde. Die auf billigem Öl basierende Arbeitsteilung – Just-in-time-Produktion Nahrungsmittelproduktion am anderen Ende der Welt, Verlagerung der Zulieferindustrie nach Asien – sei hingegen ein Auslaufmodell. Der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg liege in der Energieeffizienz und dem Verhindern des „Rebound-Effekts“. Denn für Produktion und Betrieb eines Geräts wird zwar inzwischen weniger Energie verbraucht; die Einsparungen aber werden schnell an anderer Stelle – durch die Klimaanlage, den Zweitund Drittfernseher oder den Swimmingpool im Garten – wieder verbraucht.

Der Weg, den eine Ware von der Produktion zum Verbraucher zurücklegt, werde also kürzer, womit zwei Entwicklungen der vergangenen Jahrzehnte umgekehrt würden: Die Industrieproduktion verlagere sich nach Europa und Nordamerika zurück und der Anteil der in der Landwirtschaft beschäftigten Menschen nehme in den Industrieländern zu. Das sind gewagte Prognosen. Doch solche Szenarien einmal durchzuspielen ist ein Verdienst Rubins.

Unbefriedigend jedoch bleibt Rubins Analyse der Konsequenzen solch einschneidender Prozesse. In den Szenarien werden die politischen und gesellschaftlichen Dimensionen des postfossilen Zeitalters ausgeblendet. Rubin konzentriert sich lediglich auf die Wirtschaft. So bleiben zahlreiche Fragen unbeantwortet.

Wie würde sich eine „Entglobalisierung“ auf eine politisch und wirtschaftlich immer stärker vernetzte Welt auswirken? Kann und wird eine Gesellschaft, die nicht mehr auf fossile Energien zurückgreift, wirklich wieder zu einer Industrie- oder gar einer Agrargesellschaft werden? Rubin propagiert hier die wirtschaftlichen Erfolgsrezepte vergangener Jahrzehnte. Gewünscht hätte man sich mehr innovatives Nach-vorne-Denken.

DAVID BOSOLD ist Programmleiter des International Forum on Strategic Thinking bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, April 2011, S. 140-141

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