Gott versus Darwin
Der Kreationismus trägt jetzt Tarnanzug: der Erfolg der Pseudowissenschaft Intelligent Design
Die Schlacht tobt seit langem. Schon 1925 kam es zum Prozess. Im berühmten „monkey trial“ (Affenprozess) stand John Thomas Scopes, ein junger Lehrer in Dayton/Tennessee, unter Anklage, weil er es gewagt hatte, seinen Schülern im Biologie-Unterricht die Evolutionstheorie nahe zu bringen – nach den Gesetzen von Tennessee ein Verbrechen.
Der Streit ist mitnichten erledigt. Darwins Theorie steht wieder unter Feuer, von Gotteskriegern, die den Gedanken noch immer nicht ertragen können, dass der Mensch vom Affen abstammt. Dass, schlimmer noch, auch diese Krone der Schöpfung aus einer Ursuppe kam, in der dumme Einzeller wimmelten. Und dass der Vorgang obendrein deutlich länger als sechs Tage währte.
Darwins kluge Lehre ist eine Theorie. Aber sie ist, wie Henry Kelly, Präsident der Federation of American Scientists, formuliert, „die robusteste Theorie der Wissenschaftsgeschichte“: fast 150 Jahre alt und noch immer verblüffend schlüssig – die beste Erklärung für den Ursprung des Lebens. Obwohl Darwin keinen Dunst hatte von der DNS. „Wenn Darwin einen Weg gesucht hätte, den Beweis seiner Theorie anzutreten“, meint Francis C. Colins, Lenker des Genom-Projekts (und bekennender Christ), „hätte er keinen besseren finden können.“
Wissenschaftler führen Debatten über Detailfragen der Evolution, aber keine ernsthafte Kontroverse über deren Substanz. Und doch kann man nachvollziehen, warum dieser Darwin zu Zeiten des „Affenprozesses“ so besonders beunruhigend wirkte. Nach dem Ersten Weltkrieg – die Weltwirtschaftskrise schon im Anmarsch – war das Missbehagen an der herzlosen Brutalität der Moderne so groß wie der Bedarf an einem beschützenden, allwissenden Gott. Survival of the fittest – das musste vielen als äußerst inhumanes Konzept erscheinen.
Nun streben evangelische Fundamentalisten erneut nach totaler Bekehrung. Sie wollen, dass alle Menschen die Bibel wortwörtlich nehmen, inklusive Adam und Eva, Sintflut und Arche Noah, dass Darwin im „Mülleimer der Geschichte“ verschwindet. Ihr Aggressionspotenzial ist beträchtlich. Vor allem in den USA, dem Land des unbegrenzten Sektenwesens. An der Basis, in den Schoolboards und den Parlamenten der Bundesstaaten, gärt es wie einst in der Ursuppe. 1999 erreichten Kreationisten in Kansas, dass die Evolution aus dem Lehrplan des Staates getilgt wurde. Der Spuk endete, als sie im Schulrat bei Wahlen 2002 durchfielen. 2004 aber verschoben sich die Mehrheitsverhältnisse erneut zu ihren Gunsten. Gott versus Darwin geht weiter.
Der Oberste Gerichtshof betrachtet es bislang als abwegig, die Schöpfungsgeschichte in staatlichen Schulen als Wissenschaft zu lehren. Doch radikale Christen haben eine neue Strategie ersonnen und die Genesis hübsch eingekleidet: mit der Theorie vom „intelligenten Design“, kurz ID. Sie besagt: Alles Leben auf Mutter Erde, zuvörderst der Homo sapiens, sei viel zu komplex und wunderbar, als dass es einfach so per Versuch und Irrtum habe entstehen können. Vielmehr müsse es einen genialen Ingenieur, einen Schöpfer gegeben haben, der genau wusste, was er da tat.
Die neuen Missionare sind rührig und prozessfreudig. Überall wird die Wunderwaffe ID in Stellung gebracht, um das zentrale Konzept der Biologie zu Fall zu bringen. Zu Beginn dieses Jahres waren in 13 Bundesstaaten bereits 18 Gesetze eingebracht worden, berichtet Eugene Scott, Leiter des National Center for Science Education in Oakland. Seit November 2004 zählte das Zentrum 78 Versuche in 37 Bundesstaaten, das Unterrichten der Evolutionstheorie zu unterminieren. Mit Hilfe einiger vermeintlich respektabler Köpfe und Bastionen wie dem Discovery Institute gelang es den Kreationisten, das ID auf dem Markt der Ideen zu platzieren. In Dover/Pennsylvania etwa wurde den Schülern jüngst mitgeteilt, Evolutionstheorie müsse zwar laut Lehrplan unterrichtet werden, intelligentes Design aber sei „eine andere Erklärung für die Entstehung des Lebens“. Die Schüler sollten doch in die neuen, gespendeten Lehrbücher schauen.
Allerdings gibt es Rückschläge. So verbot ein Gericht in Georgia Aufkleber auf Schulbüchern, die warnten, Evolution sei „nur Theorie, keine Tatsache“. Ein Gesetz in Florida, das Schülern die Möglichkeit eröffnet hätte, Lehrer zu verklagen, die „einseitig“ zu Darwin tendieren, wurde kassiert. Auch Spott gibt es reichlich. In Kansas begehrt nun eine neue „Church of the Flying Spaghetti Monster“ ebenfalls Unterrichtszeit. Die Schüler, argumentieren die „Pastafarier“, müssten alle Sichtweisen kennen lernen, auch ihre Lehre, demzufolge das Universum „von einem fliegenden Spaghettimonster kreiert wurde“. Im Internet begeistert die neue Kirche bereits Millionen.
Schützenhilfe bekamen die Anhänger der Pseudowissenschaft ID dafür Anfang August von höchster Stelle. Präsident Bush befand daheim in Texas, ID solle endlich in der Schule gelehrt werden, damit „die Leute verstehen können, worum die Debatte geht“. Fred Spilhaus, Direktor der American Geophysical Union, konstatiert, „der Präsident habe leider Wissenschaft und Glauben durcheinander gebracht“.
Auch die Öffentlichkeit ist zusehends verwirrt. Eine Gallup-Studie vom November 2004 zeigt: Nur noch 35 Prozent der Amerikaner betrachten die Evolutionstheorie als eine von vielen Fakten untermauerte Theorie. Ebenso viele meinen, sie sei nur eine von vielen. Und 29 Prozent zuckten mit den Schultern.
In Europa wird der neue Feldzug nur sporadisch sichtbar, in Großbritannien etwa, wo private Spender, die in heruntergekommenen Schulen investieren, beim Curriculum mitreden dürfen. Ein fundamentalistischer Autohändler hat den Kreationismus so nach Gateshead im Nordosten Englands gebracht. In den Niederlanden lehren Sekten die biblische Lehre in ihren Schulen. Serbien verbot im September kurzzeitig das Unterrichten der Evolutionstheorie – bis Wissenschaftler und auch orthodoxe Bischöfe protestierten. In Pakistan, berichtet das Magazin New Scientist, werde Darwin an Universitäten nicht mehr gelehrt.
Vielleicht muss man die neue Tarntheorie kurz zu Ende diskutieren. Und fragen: Wenn es diesen genialen Schöpfer gab, wo kam er her? Wer hat ihn geschaffen? Ein noch genialerer? Dr. No? Oder Dr. Seltsam? Warum quält er uns mit Weltkriegen, Wirbelstürmen und einer Wirbelsäule, die fast jedem aufrecht Gehenden irgendwann Schmerzen bereitet? George W. Bushs Amtsvorgänger Woodrow Wilson, wiewohl Pfarrerssohn, war schon 1922 weiter als der derzeitige Präsident. „Wie jeder andere Mensch von Intelligenz und Bildung“, schrieb er, „glaube ich an die organische Evolution. Es überrascht mich, dass solche Fragen heutzutage überhaupt noch gestellt werden.“
Internationale Politik 10, Oktober 2005, S. 96 - 97