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01. Apr. 2008

Global Energy Governance

Die weltweiten Strukturen im Energiesektor müssen überholt werden

Geopolitische Faktoren spielen eine wichtige Rolle in der Energiepolitik. Oft übersehen wird jedoch, dass Öl und Gas nicht nur strategische Ressourcen sind, sondern vor allem auch Güter, die auf Märkten gehandelt werden. Welche Art von Governance, von Regeln und Institutionen, brauchen die globalen Öl- und Gasmärkte heute?

Die traditionellen Säulen der Energieversorgung – Öl und Gas – werden auch auf absehbare Zeit den weitaus größten Anteil am globalen Primärenergiebedarf decken. Der globale Ölkonsum wird bis 2030 um etwa 70 Prozent ansteigen, und bis dahin rund 33 Prozent der weltweiten Energienachfrage ausmachen. Auch der Anteil von Gas am weltweiten Energieverbrauch wird steigen, bis 2030 auf etwa 23 Prozent.1 Obwohl nahezu der gesamte Verbrauchsanstieg außerhalb der westlichen Welt stattfinden wird, sind auch Europa und die USA, trotz massiver Bemühungen zur Verbesserung der Energieeffizienz und dem Ausbau erneuerbarer Energien, von diesem Trend nicht ausgeschlossen. Gleichzeitig setzt eine Reihe von Makrotrends die bestehenden Regeln und Institutionen, die Öl- und Gasmärkte strukturieren, unter massiven Anpassungsdruck. Die Politik ist gefordert, kreative Lösungen zu finden, um auf die damit verbundenen Herausforderungen zu reagieren.

Der vorherrschende geopolitische Tunnelblick in der Debatte zur Versorgungssicherheit ist dabei hinderlich. Werden Öl und Gas im Kontext der Diskussion um Versorgungssicherheit thematisiert, so stehen in der Regel ausschließlich sicherheitspolitische Aspekte – Europas Verhältnis zu Russland, Amerikas politische Interessen im Mittleren Osten – im Vordergrund. Geopolitische Faktoren spielen ohne Zweifel eine wichtige Rolle im energiepolitischen Kalkül. Oft übersehen wird jedoch, dass Öl und Gas nicht nur strategische Ressourcen sind, sondern auch Güter, die auf globalen bzw. regionalen Märkten gehandelt werden. Diese Märkte sind nicht nur politisch determiniert, sondern reflektieren auch genuine Marktkräfte, und hier vor allem das Interesse vieler nichtstaatlicher Akteure – etwa internationaler Öl- und Gasfirmen, Banken, Dienstleister – an Wertschöpfung und Profit. Wichtiger noch: Die geopolitische Linse ignoriert die Rolle formeller und informeller Institutionen und Regeln, die globale und regionale Energiemärkte strukturieren. Diese Institutionen und Regeln beeinflussen zentrale Aspekte wie Finanzierung, Produktion und Handel von Öl und Gas – und spielen somit eine wichtige energiepolitische Rolle.

Dieser Beitrag eröffnet einen neuen Zugang zur Diskussion um Versorgungssicherheit, indem er die Governance von Öl- und Gasmärkten in den Blick nimmt. Im Fokus dieser Perspektive liegt dabei die globale Architektur der Regeln und Institutionen, die Öl- und Gasmärkte strukturieren und in denen sich Markt und Macht verquicken. Wandel der globalen Öl- und Gasmärkte: Konsequenzen für Governance

Auf internationaler Ebene ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs ein Netz aus Institutionen und Regeln entstanden, das die globalen Energiebeziehungen strukturiert. So wird beispielsweise der grenzüberschreitende Handel mit Öl und Gas u.a. durch bilaterale, regionale und globale Handelsregime gesteuert;2 Investitionen in „Exploration &Production“ (E&P) von Öl und Gas werden durch bestehende Regeln auf den Finanzmärkten beeinflusst;3 schließlich wurden Regime wie das International Energy Program (IEP) der International Energy Agency (IEA) geschaffen, um kurzfristige Angebotsschocks abzufedern.4

In ihrer Gesamtheit stellen diese formellen und informellen Regeln und Institutionen ein System der Global Energy Governance dar. Dieses System ist weder kohärent noch komplett, sondern im Gegenteil unvollständig, teils willkürlich und vor allem: historisch gewachsen. Die heutige Governance-Architektur ist primär durch die politökonomischen Realitäten der Nachkriegsära geprägt. Diese war durch eine kontinuierliche Steigerung der Nachfrage nach fossilen Energieträgern sowie gleichzeitig durch teils spektakuläre Entdeckungen neuer Öl- und Gasfelder durch vornehmlich westliche Ölfirmen geprägt.5

Dies nährte den Wunsch der Produzentenstaaten nach mehr Kontrolle über ihre Ressourcen. Zugleich, als Folge der bis in die siebziger Jahre regelmäßig kollabierenden Preise auf dem Ölmarkt, entwickelten diese auch ein Interesse an verlässlichen Einkommen aus Ölverkäufen. Im Zuge der Entkolonialisierung schufen die Produzentenstaaten daher im Jahr 1960 die OPEC und verstaatlichten größtenteils ihre Öl- und Gasressourcen. Der damit gewachsenen Marktmacht der Anbieter, die sich in den beiden Ölschocks der siebziger Jahre manifestierte, setzten die westlichen Nachfrageländer 1973 die Internationale Energieagentur (IEA) entgegen; diese ermöglichte es letzteren, in den achtziger Jahren den Ölmarkt wieder zu einem nachfragedominierten Markt zu machen. Mit jeder Verschiebung der Machtstrukturen auf dem Ölmarkt wurden also Institutionen etabliert, welche die Position der jeweils schwächeren Seite stärken sollten. Der GATT-Prozess und die Gründung der Welthandelsorganisation (WTO) in den neunziger Jahren schließlich dienten primär der Förderung des Marktzugangs westlicher Industriegüter in der sich globalisierenden Weltwirtschaft und blendeten daher institutionell energetische Rohstoffe als Handelsgüter weitgehend aus.

Seit einigen Jahren allerdings setzt eine Reihe von Makrotrends die bestehende Global Energy Governance unter massiven Anpassungsdruck. Drei Faktoren sind hier von zentraler Bedeutung:

  1. Eine Reihe von Schwellenländern hat sich als Resultat wirtschaftlichen Wachstums in den letzten Jahren zu wichtigen Konsumenten fossiler Energieträger entwickelt.6 Chinas Energiehunger ist mittlerweile legendär. In den letzten Jahren ist allein der Primärenergiebedarf im Reich der Mitte jährlich um fast elf Prozent gestiegen. Als Resultat wird das Land in wenigen Jahren mehr als drei Viertel seines Ölbedarfs aus Importen decken. Die Nachfragesteigerungen aus Schwellenländern haben in den vergangenen Jahren zu einem wahren Boom auf den globalen Rohstoffmärkten geführt – und die Preise für Öl und Gas nach oben schießen lassen.
  2. In den vergangenen Jahren hat der Trend zu Verstaatlichungen von Öl- und Gasvorkommen wieder an Fahrt gewonnen, wie die Beispiele Venezuela, Bolivien und Russland zeigen. Die neuerliche Welle des „Ressourcennationalismus“ ist primär eine Folge der Ölpreis-Hausse; sie spiegelt das Bestreben ressourcenreicher Staaten wider, Einkommen aus Öl- und Gasverkäufen in Staatsbudgets umzulenken. Neu ist allerdings, dass gegenwärtig die eigenen Energiereserven vor allem der westlichen Konsumenten zur Neige gehen, womit sich die globalen Reserven geographisch zunehmend in der so genannten „strategischen Ellipse“ von Nordrussland bis zur Golf-Region konzentrieren.
  3. Versorgungssicherheit im Kontext von Öl und Gas wird zunehmend nicht mehr ausschließlich als Kombination aus verlässlichem Zugang und angemessen Preisen verstanden. Andere Aspekte – vor allem Nachhaltigkeit (speziell Klimaschutz) und Good Governance in Förderländern – sind heute von zentraler politischer Bedeutung. Obwohl in beiden Bereichen erste Lösungsansätze erkennbar sind, ist eine Einbettung dieser Aspekte in die bestehenden Strukturen der Global Energy Governance nicht erkennbar.

Diese Trends sind miteinander verwoben und bedingen sich teils auch. In jedem Fall machen sie signifikante Reformen und Anpassungen der bestehenden Governance-Architektur erforderlich.

Die Rückversicherung gegen Angebotsschocks schwindet

Am augenfälligsten äußert sich der Trend zu neuen Konsumenten auf globalen Energiemärkten im Preisanstieg von Rohöl. Zugleich jedoch formiert sich mit den Schwellenländern auch eine wachsende Konsumentengruppe, die nicht in die bestehenden Notfallmechanismen für Angebotsschocks der Internationalen Energieagentur eingebunden ist. Der IEA gehören aus der historischen Situation der siebziger Jahre heraus nur die Staaten der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) an. Aufstrebenden Nachfrageländern wie China oder Indien ist daher der Zugang zu diesem „Konsumenten-Club“ bislang verwehrt.

Neben diesem institutionellen Problem ist zudem im Krisenfall eine simultane Ausschüttung der Reserven sowohl der OECD-Mitglieder als auch der neuen Nachfragestaaten – die Grundvoraussetzung für einen sichtbaren Preiseffekt auf dem Ölmarkt – äußerst fraglich. Verantwortlich hierfür ist zum einen das immanente Trittbrettfahrer-Problem in einer solchen Situation, da derjenige Konsument, der selbst nicht tätig wird, von der Ausschüttung der anderen Marktteilnehmer über sinkende Preise profitiert. Zum anderen fehlen schlicht die zwischenstaatlichen Kommunikationsstrukturen, welche, wie das Governing Board der IEA, im Falle eines Angebotsschocks schnelle koordinierte Maßnahmen ermöglichen. Zuletzt stehen wichtige Schwellenländer gegenwärtig bestenfalls am Beginn des Aufbaus einer strategischen Reservehaltung.

So hat beispielsweise China erst vor wenigen Jahren begonnen, ein geplantes Importäquivalent von 90 Tagen anzulegen; auch Indien hat erst 2006 den Aufbau eines strategischen Ölvorrats angekündigt. Angesichts des gegenwärtigen Ölpreisniveaus besteht wenig Anreiz für einen forcierten Ausbau dieser Reserven. In der Folge droht die Durchschlagskraft der IEA-Notfallmechanismen zu schwinden und damit absehbar die Rückversicherung (westlicher) Nachfrageländer gegen zukünftige Angebotsschocks verloren zu gehen. Zugleich geht mit der Zersplitterung der „Nachfragefront“ in OECD- und Nicht-OECD-Ländern und dem damit sinkenden Organisationsgrad der Konsumentenseite eine Marginalisierung der IEA einher.

Die neue Rolle der NOCs

Die internationale Energiearchitektur muss sich zum zweiten auf einen neuen, dominanten Typus von Marktteilnehmern einstellen: staatliche Öl- und Gasfirmen (NOCs).7 Diese existieren auf der Anbieterseite zwar bereits seit den Nationalisierungswellen der sechziger und siebziger Jahre. Im Zuge der Preis-Hausse der letzten Dekade ist ihre Bedeutung jedoch deutlich gewachsen, da auch Staaten der ehemaligen Sowjetunion (GUS) und Südamerikas dazu übergegangen sind, den Zugang zu Reserven staatlich zu kontrollieren. Yukos’ Übernahme durch Rosneft oder Venezuelas jüngste Verstaatlichung des Ölsektors stehen für einen Trend, der den Vertretern des klassischen Big Oil zunehmend die Rolle des Juniorpartners bzw. Technologiedienstleisters zuweist. Gerade noch etwa sieben Prozent der weltweiten Ölreserven sind nach Schätzungen für internationale Ölfirmen voll zugänglich, weitere zwölf Prozent in eingeschränktem Maße, beispielsweise über Minderheitsbeteiligungen. Aufgrund des zu erwartenden starken Nachfrageanstiegs in den kommenden Jahren ist keine Umkehr dieses Trends in Sicht.

Zu den Staatsfirmen der Produzentenstaaten am Golf oder im GUS-Raum gesellen sich zunehmend NOCs aus den aufstrebenden Schwellenländern. Die Strategie der „Späteinsteiger“, den volatilen Ölmarkt zu meiden und sich über den direkten Einkauf in Förderprojekte einen eigenen Anteil an der Produktion (Equity Oil) zu sichern, ist nachvollziehbar. Die Strukturen des globalen Ölmarkts sind historisch gewachsen und bevorteilen somit die etablierten (westlichen) Marktteilnehmer. So sind die staatlichen chinesischen Ölfirmen CNOOC, Sinopec und CNPC, aber auch die indische ONGC mit Kapitalbeteiligungen in Upstream-Projekten weltweit in zunehmendem Maße involviert, oft in als politisch schwierig eingestuften Staaten wie Sudan. Peking flankiert zudem im Rahmen seiner viel zitierten „Energiediplomatie“ den Einkauf chinesischer NOCs in wichtige Förderregionen mit Krediten zu Vorzugskonditionen, Infrastrukturmaßnahmen und Entwicklungshilfe.8 Im Zuge dieser Entwicklung sind die 14 weltweit größten Öl- und Gasfirmen mittlerweile Staatsfirmen; sie kontrollieren damit zugleich den größten Anteil globaler Reserven.

Das Erstarken staatlicher Spieler im Energiebereich hat signifikante Folgen für bestehende Marktstrukturen. So arbeiten NOCs in vielerlei Hinsicht unter anderen Prämissen als IOCs. Während letztere renditegesteuert agieren, straffen Bilanzierungsregeln unterliegen und sich am Finanzmarkt refinanzieren müssen, gelten diese Regeln nur eingeschränkt für NOCs. Sie sind in der Lage, ihren Hauptanteilseigner, also den Staat, zur Finanzierung von Förderprojekten und Akquisitionen heranzuziehen und können daher Kapitalmärkte umgehen. Insbesondere für „Nachfrager-NOCs“ ist dies interessant, adressieren sie doch, wie gegenwärtig z.B. China in Afrika, vor allem riskante und marginale Ölvorkommen, die zudem einen nur geringen Return on Investment (ROI) aufweisen. Mit dem Staat als Kreditgeber der letzten Instanz im Hintergrund lassen sich Rating und Risikoprämie von Anleihen deutlich verbessern. Zuletzt entziehen sich NOCs jeglicher Form demokratischer Kontrolle, sei es über den Finanzmarkt, über öffentlichen Druck auf Geschäftsführung und Aufsichtsrat oder über eine mögliche Ablösung des Vorstands durch die Aktionäre. Dabei handeln etwa chinesische Ölfirmen durchaus auch renditeorientiert – allerdings unter anderen Wettbewerbsbedingungen als ihre privaten Gegenspieler. Die neue, starke Rolle von Staatsfirmen auf internationalen Energiemärkten stellt daher nicht nur die bislang in der E&P-Finanzierung dominanten Steuerungsmechanismen über Kapitalmärkte infrage. Sie etabliert auch zwei unterschiedliche und voneinander relativ unabhängige Sätze an „Spielregeln“ für NOCs und IOCs in ihrem Wettbewerb um Marktanteile und -zugang.

Handelsabkommen, Förderung erneuerbarer Energien

Der internationale Handel mit Öl und Gas hat wegen der ungleichen geografischen Verteilung der Ressourcen von jeher enorme Bedeutung gehabt. In den kommenden Jahren wird dieser grenzüberschreitende Handel mit Energieressourcen weiter an Bedeutung gewinnen. Verlässliche Regeln für den internationalen Handel mit Öl und Gas sind daher sowohl für Konsumenten als auch für Produzenten essenziell. Obwohl das Thema Energie im Kontext von GATT und WTO lange Zeit nicht explizit behandelt wurde, ist heute allgemein akzeptiert, dass Energieressourcen unter das reguläre WTO-Regelwerk fallen.

Dies bedeutet, dass die wesentlichen Elemente dieses Regelwerks – die Prinzipien „most favored nation“ und „national treatment“, quantitative Restriktionen etc. – auch auf den Handel mit Öl und Gas anzuwenden sind. Gleichzeitig ist das WTO-Regelwerk strukturell aber nicht geeignet, den internationalen Transfer von Energieressourcen effektiv zu regulieren. So ist der WTO-Rahmen prinzipiell dazu gedacht, Importbarrieren aus dem Weg zu räumen. Die Probleme im Energiebereich lagen bisher jedoch in der Regel eher auf der Exportseite. Für die Zukunft mindestens ebenso bedeutend ist die Tatsache, dass sich aufgrund des Klimawandels neue Konfliktlinien in der WTO abzeichnen. Zwei Trends sind hier wesentlich. Erstens ist die Zahl der Produzentenstaaten in der WTO seit den neunziger Jahren stark angestiegen. Um nicht weiterhin vom volatilen Ölpreis abhängig zu sein, diversifizierten viele Exportstaaten ihre Volkswirtschaften. Diese Strategie hat viele dieser Staaten dazu veranlasst, die Mitgliedschaft in der WTO zu suchen.

Gleichzeitig hat der zunehmende Klimawandel viele Konsumentenländer – allen voran die EU und die USA – dazu veranlasst, das Potenzial alternativer Energieträger zu prüfen und anhand vielfältiger Förder- und Anreizmechanismen neue Technologien auch marktfähig zu machen. Diese Programme gleichen sowohl in der EU als auch in den USA bislang eher einem Flickenteppich; langfristige Wirkungen sind meist noch nicht absehbar. Aus Sicht der Öl- und Gasexporteure stellt diese Förderpraxis allerdings eine unerwünschte Subventionierung dar – die zumindest bei enger Auslegung der WTO-Regeln nicht akzeptabel sein dürfte. Für die Förderer erneuerbarer Energien fällt diese Subventionspraxis durchaus unter die legitimen Ausnahmeregelungen, die beispielsweise in Artikel XX des GATT festgeschrieben sind. Hier gibt es bislang noch kein verlässliches multilaterales Rahmenwerk, das die legitimen Interessen der Öl- und Gasexporteure berücksichtigt, gleichzeitig aber auch der Notwendigkeit, erneuerbare Energien zu entwickeln, Rechnung trägt.

Schlussfolgerungen und Empfehlungen

Diese Analysen zeigen: Das existierende Netz aus Institutionen und Regeln auf den Öl- und Gasmärkten ist in vielerlei Hinsicht reformbedürftig. Für die Politik lassen sich aufbauend auf den oben skizzierten Herausforderungen mindestens drei zentrale Schlussfolgerungen ziehen. Zum einen muss der Konsumentendialog den neuen Realitäten angepasst werden. Der OECD-Club ist unter den gegenwärtigen Bedingungen nicht in der Lage, die aufstrebenden Schwellenländer institutionell einzubinden, u.a. weil der Modus der Stimmengewichtung sich an den Konsumptionsanteilen des Jahres 1973 (!) bemisst und die westlichen Länder bevorteilt.9 China profiliert sich zudem gegenwärtig stark als Anwalt der aufstrebenden Entwicklungsländer und zeigt wenig Interesse an einer weitergehenden Kooperation mit den OECD-Ländern. Trotz dieser Hindernisse muss die Konsumentenkooperation unbedingt verstärkt werden, um die Effizienz eines nachfrageseitigen Krisenmanagements sicherzustellen. Zudem stellt die IEA den einzigen organisierten Ansprechpartner auf der Nachfragerseite für die OPEC dar. Die Global Energy Governance des 21. Jahrhunderts braucht starke Partner auf beiden Seiten, um sowohl angebots- wie nachfrageseitige Schocks zu unterbinden. Die Bundesregierung sollte auch vor diesem Hintergrund einen Prozess unter den OECD-Ländern anstoßen, der eine IEA-Reform zum Ziel hat.

Zum anderen bedarf es allgemeingültiger Wettbewerbsbedingungen auf den globalen Energiemärkten. Ein solches „Level Playing Field“ ist zwar leichter gefordert als umgesetzt. Die sich verstärkende Renditeorientierung vieler Nachfrager-NOCs – PetroChina verkauft bereits jetzt signifikante Teile seines Equity Oil auf dem Weltmarkt, statt es an diesem vorbei in den Heimatmarkt zu liefern – gibt jedoch zur Hoffnung Anlass, dass auch bei diesen Spielern das Interesse an Regeln wächst. Auch Chinas Ansatz, Geschäfte von Menschenrechten zu trennen und sich daher (in westlichen Augen) Wettbewerbsvorteile bei Akquisitionen zu verschaffen, gerät zunehmend unter Druck. Good Governance wird daher auch bei chinesischen Staatsunternehmen zukünftig stärker in Deals „eingepreist“ werden. Die Instrumente der Politik liegen hier bislang vornehmlich im Dialog und sind daher begrenzt.10 Sie müssen das Bewusstsein dafür schaffen, dass nur die Steuerung über klar verregelte Märkte eine effiziente Allokation von Kapital garantiert – eine angesichts der im Öl- und Gassektor existierenden Investitionslücke11 unbedingt gebotene Einsicht. Dem drohenden Bedeutungsverlust des traditionellen Big Oil gegenüber den Anbieter-NOCs wird dadurch nicht begegnet werden können. Allerdings werden die abzusehenden ersten Zusammenschlüsse zwischen IOCs und NOCs auch die Nachfrage dieser Spieler nach verbindlichen Regeln für Investitionen und Finanzierung erhöhen. Die Politik sollte diesen Prozess konstruktiv begleiten, anstatt ihn zu verhindern.

Drittens muss das multilaterale Regelwerk für den Handel mit Energieressourcen in Einklang gebracht werden mit der Notwendigkeit, den Anteil erneuerbarer Energien am Gesamtenergieverbrauch zu erhöhen und damit die globale Energiewende herbeizuführen. Vor allem die EU und die USA – die bei weitem größten Nachfrager nach erneuerbaren Energien – müssen dazu das heute praktizierte Patchwork aus Einspeisetarifen, Quoten und anderen Fördermechanismen durch eine kohärente und transparente Förderpolitik ersetzen. Wie Analysen zeigen, wäre ein harmonisierter „Feed-in tariff“-Ansatz mit Abstand der effektivste und kosteneffizienteste Mechanismus.12 Von zentraler Bedeutung sind darüber hinaus objektive Kriterien für die Vergabe von Mitteln, eine automatische Qualifizierung sowie ein effektives Monitoring der Einhaltung der Vergabekriterien, um mit WTO-Regeln konform zu sein.13 Zudem wäre auch eine Harmonisierung der Definitionen und Standards für erneuerbare Energien wichtig.14 Mehr Kohärenz in der Förderpolitik bedeutet nicht automatisch, dass bestehende WTO-Regeln nicht verletzt würden. Allerdings würde mehr Transparenz geschaffen, die auch eine Bewertung möglicher Handelseffekte der Förderpolitik einfacher machen würde. Darüber hinaus müssen aber auch auf WTO-Ebene Reformen eingeleitet werden. Die heutige Situation wird wohl dazu führen, dass bald eine stetig wachsende Zahl von Auseinandersetzungen das Schiedsverfahren der WTO strapazieren wird – mit dem damit verbundenen Kosten- und Konfliktpotenzial. Einheitliche multilaterale Regeln, die die Förderung erneuerbarer Energien effektiv regulieren, wären als verlässlicher Rahmen für Handel und Investitionen von großer Bedeutung. In der gegenwärtig stark polarisierten Debatte wird eine Übereinkunft nur schwer zu erreichen sein. Trotzdem sollte die EU versuchen, Verhandlungen im Rahmen der WTO voranzutreiben.

Zusammenfassend wird deutlich: Ein rein geopolitischer Blick auf das Thema Versorgungssicherheit ist unzureichend. Finanzierung und Produktion, Handel und Anteil von Öl und Gas am Gesamtenergiekonsum werden nicht ausschließlich durch geopolitische Interessen determiniert, sondern maßgeblich über das Netz aus Institutionen und Regeln globaler Energiebeziehungen beeinflusst. Diese sind nie frei von Aspekten wie „Macht“ oder „nationalem Interesse“. Gleichwohl ermöglicht erst die Governance-Perspektive einen umfassenden Zugang zur Diskussion um Versorgungssicherheit bei Öl und Gas.

Dr. ANDREAS GOLDTHAU, geb. 1973, ist Transatlantic Fellow, Rand Corporation (Washington, DC) und Fellow, Global Public Policy Institute (GPPi).

Ph.D. JAN MARTIN WITTE, geb. 1974, ist Associate Director des Global Public Policy Institute (GPPi).
 

  • 1Siehe IEA: World Energy Outlook 2006, OECD, Paris 2006.
  • 2Für einen Überblick siehe A. Jiménez-Guerra: The World Trade Organization, Oxford 2001 und M. G. Desta: The Organization of Petroleum Exporting Countries, the World Trade Organization, and Regional Trade Agreements, Journal of World Trade, 3/2003, S. 523–551.
  • 3Siehe R. Arnott: Oil and Gas Reserves: Communication with the Financial Sector, Chatham House Briefing Paper, London 2004. Für eine Analyse von Öl- und Gasfirmen im Staatsbesitz siehe auch Coby Van der Linde: The State and the International Oil Market: Competition and the Changing Ownership of Crude Oil Assets, Boston 2000.
  • 4Siehe K. Kuolt: Overview of IEA Member Country Stockholding Regimes, IEA Seminar on Stocks and New Challenges in the Oil Market, Berlin 2003.
  • 5International Oil Companies (IOCs).
  • 6Siehe Energy Information Administration (EIA): International Energy Outlook 2006, Washington DC, 2006.
  • 7National Oil Companies (NOCs).
  • 8Vgl. Heinrich Kreft: Neomerkantilistische Energiediplomatie: China auf der Suche nach neuen Energiequellen, Internationale Politik, Februar 2006, S. 50–57; Erica S. Downs: China’s Quest for Energy Security, RAND, Washington, DC2005, sowie Peter C. Evans und Erica S. Downs: Untangling China’s quest for oil through state-backed financial deals, Brookings Policy Brief 154, 2006.
  • 10Ein Instrument hier ist die Extractive Industries Transparency Initiative (www.eitransparency.org), eine freiwillige Plattform für Produzentenstaaten sowie Öl- und Gasfirmen mit dem Ziel der Erhöhung der Transparenz der Zahlungen aus der Förderung von Öl, Gas und anderen Rohstoffen.
  • 11Siehe IEA: World Energy Outlook 2008, OECD, Paris 2007.
  • 12Siehe Mitteilung der Kommission: The support of electricity from renewable resources, COM(2005) 627 Final, http://ec.europa.eu/energy/res/biomass_action_plan/doc/2005_12_07_comm_….
  • 13Siehe auch Yulia Selivanova: The WTO and Energy. WTO Rules and Agreements of Relevance to the Energy Sector, ICTSD Issue Paper Nr. 1/2007, S. 29.
  • 14Siehe Miquel Munoz: Feed-in Tariffs: Accelerating the development of renewable energy, Earth-scan 2007.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, April 2008, S. 46 - 54

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