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01. Juli 2015

Marktorientiert, sicher, nachhaltig

Die G7 kann und sollte aktiv zu einer globalen Energieordnung beitragen

Von gestern und ohnehin nicht besonders durchsetzungsfähig? Von wegen. Als Club der reichsten Industrieländer ist die G7 durchaus in der Lage, eine Energieordnung voranzubringen, die dem Marktmodell gegenüber dem staatszentrierten Modell den Vorzug gibt. Das sorgt für Nachhaltigkeit, Sicherheit und ist geostrategisch klug.

Oft ist die G7 als Club aus einer Zeit kritisiert worden, als die Welt noch dominiert war vom Westen und seinen globalen Institutionen. So auch im Vorfeld des diesjährigen Treffens der sieben wichtigsten Industrieländer in Elmau. Das neue Jahrtausend, so wird argumentiert, sei nun multipolar und nicht mehr hegemonial westlich; in jedem Fall sei die Welt nun deutlich „asiatischer“. Inklusivere Formate wie die G20, alternative Clubs wie die BRICS und neue internationale Finanzinstitutionen außerhalb westlicher Dominanz wie die Asiatische Entwicklungsbank spiegelten diesen Wandel bereits wider. Die G7, so die gängige These, habe in dieser neuen Welt keinen rechten Platz mehr. Als Institution und in ihren Antworten auf Fragen globaler Sicherheit sei sie ebenso überholt wie in ihrer Reichweite eingeschränkt.

Der Ruf nach einer Neuordnung globaler Governance-Formate ist legitim. Er ist Ausdruck des Interesses aufstrebender Staaten wie China, Indien oder Brasilien, im Konzert der Mächte vertreten zu sein, und zeigt die Notwendigkeit, die Architektur internationaler Institutionen dementsprechend anzupassen – auch im Energiebereich.

Allerdings offenbart sich hier auch ein veritabler normativer Konflikt um die Zukunft globaler Ordnung. Der Aufstieg wirtschaftlicher Schwergewichte aus Asien und Südamerika lässt eine Auseinandersetzung zutage treten, die im Kern die Frage von Staat versus Markt berührt. Es zeichnet sich mithin ein Wettbewerb zwischen unterschiedlichen und nur begrenzt kompatiblen Ordnungsmodellen ab, der die Zukunft der globalen Energiesicherheit mitbestimmt. Hier hat die G7 eine wichtige Rolle zu spielen. Sie aus ihrer Verantwortung zu entlassen, wäre kurzsichtig.

Zugespitzt formuliert dreht sich die Auseinandersetzung um die Frage, auf welcher Grundlage strategische Güter wie Öl und Gas gefördert, gehandelt und gepreist werden sollen. Im liberalen Modell ist die Antwort: basierend auf dem Marktprinzip. Energie wird als privates Gut begriffen und Versorgungssicherheit als eine Folge funktionierender, transparenter Märkte. Dem Marktparadigma folgend muss es daher das Prinzip staatlichen Handelns sein, einen möglichst freien internationalen Austausch von Öl, Gas und anderen Energieträgern zu fördern. Das ist der Grundkonsens aller in der OECD zusammengeschlossenen Staaten.

Markt versus Staat

Dieser Grundkonsens wird jedoch nicht unbedingt weltweit geteilt. Gerade die Staaten, die in den kommenden Jahrzehnten für nahezu das gesamte Nachfragewachstum im Energiesektor verantwortlich sein werden – China, Indien, aber auch die Golf-Staaten – bauen national wie international auf stark staatszentrierte Modelle. So unterstützt China die Aktivitäten seiner staatlichen Unternehmen zum Beispiel in Afrika politisch, organisatorisch und finanziell, um die eigene Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Im Zuge dieser als „neuer Merkantilismus“ bezeichneten Entwicklung erhielten private internationale Ölfirmen wie ExxonMobil, Shell und BP starke Konkurrenz von PetroChina und Co. Diese Staatsfirmen investieren nicht nur massiv in die Förderung, sondern expandieren auch in den Segmenten Handel, Transport und Verarbeitung – häufig in Kooperation mit den Saudi Aramcos und Co.

Im Ergebnis gewinnen enge Allianzen von Staatsfirmen mehr Anteile im Markt und so lange dieser funktioniert, um die Interessen der dahinterstehenden Eliten zu befriedigen, setzt man auf Marktmechanismen. In Situationen der Knappheit aber könnten den internationalen Märkten Mengen im nationalen Eigeninteresse entzogen werden. Zudem bestimmen nicht ­primär Effizienz- und Gewinnorientierung unternehmerisches Handeln, da Firmen auch innen-, sozial- und außenpolitischen Faktoren unterworfen sind.

Dabei spricht empirisch einiges für das liberale Modell. Der Markt sorgt gegenwärtig dafür, dass weltweit etwa 90 Millionen Barrel Öl pro Tag zur Verfügung stehen; er verbindet Produzenten und Konsumenten über große Entfernungen und er sichert durch hoch komplexe Finanzmechanismen die enormen Risiken dieses Sektors ab. Dieser Mechanismus erwies sich in den vergangenen Jahrzehnten als äußerst effizient, um starke Nachfragesteigerungen in ­Angebotsausweitung zu übersetzen. Nicht zuletzt sind es auch Markt und Wettbewerb, die den Schwellenländern bei ihrem wirtschaftlichen Aufstieg helfen und Innovationen und technologischen Fortschritt fördern.

Die Energiemärkte funktionieren allerdings nicht perfekt, sondern weisen zahlreiche Unzulänglichkeiten und Verzerrungen auf. Die enormen Preisschwankungen auf dem Ölmarkt sind ein klarer Indikator dafür. Auch der bislang nur schleppende Ausbau von Erneuerbaren ist schlicht ein Ergebnis der Tatsache, dass fossile Energieträger einen unlauteren Wettbewerbsvorteil genießen: Ein Teil der Kosten für ihre Produktion und Konsumption wird auf die Atmosphäre abgewälzt. Die marktkonforme Antwort ist, einen Preis auf CO2 zu setzen und beispielsweise staatliche An-schub­unterstützung von Windparks, Solaranlagen und Biogasinstallationen zu bieten.

Kurzum: Das liberale Modell vertraut auf den Markt als effizientem Mechanismus für die globale Energiesicherheit und akzeptiert Marktversagen als eine Herausforderung, die es zu meistern gilt. Das staatszentrierte Modell dagegen bevorzugt die Intervention als Standardoption. Die „starke Hand des Staates“ eröffnet zudem erst die Möglichkeit, Energie als politisches Druckmittel zu instrumentalisieren. Beide Modelle sind daher kaum miteinander vereinbar. Das ist der Kern der normativen Auseinandersetzung um die internatio­nale Energieordnung und um die Zukunft der globalen Energiesicherheit.

Energie als Teil der Geostrategie

An diesem Punkt kommt die G7 ins Spiel: Sie ist ein Club von Ländern mit der Auffassung, dass das liberale Modell auch Antworten auf die drängenden Energieprobleme unserer Zeit geben kann. Wie der Gipfel der Energieminister gezeigt hat, setzen die G7-Staaten auf transparente und liquide Energiemärkte und deren weitere Integration. Gerade der sich rapide verändernde Markt für flüssiges Erdgas (LNG) war zentraler Punkt der Debatte. Da LNG leicht zu transportieren ist, kann es den internationalen Handel fördern und so zur Integration der bislang noch regionalen Gasmärkte beitragen. Zugleich aber setzen alle G7-Staaten auf Energie- und Ressourceneffizienz und auf die wichtige Rolle staatlicher Anschubunterstützung, um saubere Technologien zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen. Dies alles ist nur konsequent. Denn die G7 kann wohlbegründet auf den Wert von Marktmechanismen zur Schaffung und Sicherung von Wohlstand verweisen – sie ist der Club der sieben reichsten Industrieländer. Damit wird er gebraucht in der „Global Energy Governance“ des 21. Jahrhunderts. Genau deshalb liegt es aber in der Verantwortung der G7, nicht nur als „Norm Keeper“ aufzutreten in einer Zeit, in der die Welt unübersichtlicher wird. Sie muss den marktliberalen Ansatz in konkrete Formate übersetzen, die auch im Kontext harter konfligierender Sicherheitsinteressen „liefern“.

Das zu leisten, haben die G7-Staaten auf ihrem Energieministertreffen im Mai versucht. „Nachhaltige Energiesicherheit“, das diesjährige Thema, wird dabei als Brücke zwischen „hard security“, Energieversorgungssicherheit und umweltpolitischer Verantwortung verstanden. Damit wird der Tatsache Rechnung getragen, dass Energie als Komponente des geostrategischen Denkens ein ungeahntes Comeback erlebt hat. Am deutlichsten wird die Verknüpfung von militärischen Zielen und energiepolitischen Instrumenten gegenwärtig wohl in der Ukraine-Krise. Sowohl die Lieferung von russischem Gas als auch dessen ukrainischer Transit wurden wiederholt Gegenstand der Auseinandersetzung um den Donbass und die zukünftige politische Orientierung Kiews. Die G7 hat daher die (Energie)Situation der Ukraine als Teil ihrer „Unterstützung für gefährdete Länder“ aufgenommen. Neben Infrastrukturmaßnahmen, beispielsweise zur Strömungsumkehr bei Gas-Pipelines, fördert die G7 vor allem Reformen hin zu „wirtschaftlich soliden, transparenten [...] und nachhaltigen Energiesystemen“.

Dies ist ein dezidiert regulatorischer Ansatz, der gute Sektor-Governance als zentrales Element von Energiesicherheit betont. Damit wurde auf dem Treffen auch klar ­signalisiert, dass Sicherheit nicht ohne Nachhaltigkeit denkbar ist. Und nachhaltige Ressourcennutzung wurde konkret mit der Modernisierung (und damit Dekarbonisierung) von hoffnungslos veralteten ukrainischen Industrie­anlagen verbunden. Dass somit „weiche“ Themen wie Energieeffizienz im Windschatten der großen geopolitischen Debatte aufgenommen werden, ist nicht nur legitim, sondern schlicht ein strategisch kluger Zug der deutschen Präsidentschaft. Diese Themen auch global voranzubringen und die großen Herausforderungen von Energiesicherheit, Klimaschutz und Energie­armut anzusprechen, wäre ein wünschenswerter nächster Schritt.

Divergierende Interessen einhegen

Es stellt sich daher die Frage: Wie weit reichen die Gemeinsamkeiten der G7-Staaten? Prinzipiell liegt es ganz wesentlich im Interesse der G7, „den“ Markt für Öl und Erdgas zu stärken. Denn ihre großen internationalen Öl- und Gaskonzerne, auf die die G7-Staaten für ihre sichere Energieversorgung setzen, brauchen ein internationales Umfeld, das Zugang und Schutz von Investitionen sowie ­freien Handel und Transport garantiert. Dies darf allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die G7 auch auseinanderlaufende Interessen und unterschiedliche Positionen einhegen muss.

Denn in der Tat sind die einzelnen Mitglieder der G7 ganz unterschied­lichen Märkten verhaftet. Während die Europäer Russland und den weiteren europäischen Nachbarschaftsraum als Öl- und Gaslieferanten brauchen, ist Japan in hohem Maß vom Mittleren Osten abhängig. Kanada und die USA haben dagegen auf­grund ihrer wachsenden Schieferöl- und -gasproduktion sowie der Energieeffizienzmaßnahmen ihre Energieimporte drastisch verringert.

Die Energierevolution hat die USA strategisch in eine komfortable Situation versetzt. Anders als die Europäer oder Japan sind die USA und Kanada weit weniger verwundbar für Lieferausfälle und Preissteigerungen. Der Handlungsspielraum der USA hat sich daher weltweit vergrößert. Der Energiereichtum im eigenen Land liefert die Grundlage für wachsende „statecraft“, um außenpolitische Interessen konsequenter zu verfolgen bzw. dafür, weniger Mittel aufwenden zu müssen, um Energielieferungen aus dem Ausland zu sichern. Auch die Handlungsspielräume gegenüber Russland sind – gerade im Vergleich zu Europa – ungleich größer.

Für Europa dagegen sinkt mit schrumpfendem Anteil am Weltmarkt auch die Marktmacht. Das ist eine Entwicklung, der die Europäische Union mit der weiteren Integration des Binnenmarkts entgegenzuwirken versucht. Japan wiederum sieht sich wachsender asiatischer Konkurrenz im pazifischen Raum ausgesetzt und ringt nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima um eine Neuausrichtung der Energiepolitik. Für Europa und Japan stellt sich daher die Frage, wieviel Gemeinsamkeiten sich mit den USA und Kanada über die Rolle des Energieverbrauchers noch herstellen lassen.

Die Unterschiede in der Ausgangsposition und den Interessenlagen sind also beträchtlich. Das ist ein Nachteil, der sich aber in Vorteil ummünzen lässt, wenn der politische Wille dazu besteht. Denn gerade weil gravierende Unterschiede unter ihren Mitgliedern bei dem so wichtigen Thema Energie bestehen – in dem sich Fragen von wirtschaftlicher Wohlfahrt und harter nationaler Sicherheit verknüpfen – kann die G7 glaubwürdig das liberale Modell vertreten. Die G7 muss dafür allerdings aktiv als ein „norm entrepreneur“ und damit Gestalter der Ordnung auftreten. Sie kann global agieren und in ihre jeweilige Region hineinwirken. Aber dafür ist Glaubwürdigkeit Voraussetzung.

Gerade hier tun sich aber Bruchstellen auf. Ironischerweise sind es gerade die USA, ein traditioneller Förderer des Freihandels, die beim Thema Energie bremsen. So bestehen trotz Erleichterungen der Genehmigungsverfahren für Flüssiggas die Export­restriktionen bei Erdöl weiter fort. Auch in den Verhandlungen um das Transatlantische Handels- und Investitionsabkommen (TTIP) und das Transpazifische Handelsabkommen (TPP) sind die USA zögerlich, „Energiekapitel“ aufzunehmen. Dies unterstreicht die neue strategische Position der USA auf den Energiemärkten, unterminiert allerdings die Glaubwürdigkeit des liberalen Bekenntnisses zum Markt.

Keimzelle Energiemarktordnung?

Doch es sind nicht nur die Kohärenz und Außenwirkung, an denen sich die G7 messen lassen muss. Es ist auch ihre Fähigkeit, bei Themen von zentraler globaler Bedeutung in Führung zu gehen und die Ordnung aktiv zu gestalten.

Die G7 hat hier durchaus Beachtliches vorzuweisen. Sie hatte bereits 1998 Russland in die Gruppe aufgenommen und mit dem Heiligendamm-Prozess von 2007 einen „outreach“ zu Brasilien, Indien, China, Südafrika und Mexiko in Gang gesetzt. Thematisch wurde dem integrierten Klima- und Energiethema zwischen 2005 und 2009 beachtliches Gewicht ge­geben. Dann aber wurde das Thema Energie bis zum G7-Gipfel in Rom 2014 und dem Ausschluss Russlands aus den G8 in die G20 verlagert.

Die 2009 in der G20 begonnene Initiative zur Abschaffung ineffizienter Subventionen für fossile Brennstoffe – weltweit 600 Milliarden Dollar und damit etwa sechs Mal mehr als für Erneuerbare – blieb dagegen deklaratorisch. Der Assoziationsprozess aufstrebender Länder mit der Internationalen Energieagentur (IEA) – ebenfalls eine G7-Initiative – stockt infolge der Krim-Annexion und der militärischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine. Trotz aller Rückschläge und Unzulänglichkeiten ist die G7 jedoch weiter in der Pflicht. Die G20 hat es bislang nicht vermocht, eigene Akzente zu setzen. Es ist daher, so ernüchternd es sein mag, eben nur die G7 in Sicht, um allgemein gültige Regeln für die internationale Energieordnung zu setzen und zentrale Agenden voranzubringen

Die Agenda ist hierbei klar umrissen:

  • Nachhaltigkeit der Energieversorgung in den Mittelpunkt stellen. Der Ausbau erneuerbarer Energien und die Umsetzung des in Elmau bekräftigten Zwei-Grad-Zieles sind mitentscheidend an der Schnittstelle von Nach­haltigkeit und harter Sicherheitspolitik. Sie sind zudem Grundvoraussetzung, um eine moderne Energieversorgung für die wachsende Weltbevölkerung zu gewährleisten. Die G7 muss sich klarer zur UN-Initiative „Sustainable Energy for All“ sowie zur IRENA bekennen und sie als universale Institutionen stärken.
  • Outreach vorantreiben. Dafür muss der Assoziationsprozess der IEA voran­gebracht werden, was auch eine Neubestimmung des Verhältnisses mit Russland bedingt. Ansätze für eine gute Sektor-Governance und für internationale Grundregeln (wie jüngst in der Internationalen Energiecharta formuliert) sind zentral, um die internationale Kooperation zu erleichtern.
  • Öl- und Gasmärkte stärken. Neben abstrakten Maßnahmen wie der Stärkung von Transparenz und Information flüssen bedeutet das, die konkrete Zusammenarbeit zum Aufbau eines globalen LNG-Handels zu stärken. Damit verbunden ist die Kooperation für maritime Sicherheit und freie Handelsrouten – neben der Sicherheit strategischer Energieinfrastruk-
turen sowie im Cyber-Bereich ein klarer Schnittpunkt mit harter Sicher-
heitspolitik.

Da sie in fast allen Foren der internationalen Energie-Governance vertreten ist, ist die G7 entscheidend, um die Resilienz der Energiemärkte gegen Krisen zu stärken und den nachhaltigen Umbau des Energiesystems weltweit voranzubringen. Dass diese Rolle andere Mächte ausfüllen, ist so schnell nicht zu erwarten. Dies ist eine Chance, um das liberale Modell auch in den Governance-Mechanismen der Energiewelt des 21. Jahrhunderts zu verankern.

Dr. Andreas Goldthau lehrt Energiepolitik an der Central European University und forscht am Global Public Policy Institute in Berlin.

Dr. Kirsten Westphal arbeitet in der Forschungsgruppe Globale Fragen der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin.

 

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 4, Juli/August 2015, S. 110-115

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