IP

01. März 2020

Gezielte Tötungen

Außerhalb bewaffneter Konflikte dürfen Staaten im Prinzip nicht töten. Wie der Fall Soleimani zeigt, halten sich die USA nicht an das Völkerrecht. Und dies ist ein gefährlicher Weg.

Die Tötung des iranischen Generals Qasem Soleimani und weiterer Personen durch einen Raketenangriff der USA in Bagdad im Januar 2020 wirft erneut Fragen nach dem Recht von Staaten auf, Tötungen im Ausland zu planen und durchzuführen. US-Präsident Donald Trump rechtfertigte die Tötung Soleimanis zunächst damit, dieser hätte Angriffe auf vier amerikanische Botschaften geplant. Verteidigungsminister Mark Esper erklärte, ihm lägen hierzu keine Informationen vor. Später war für Trump diese Frage gar nicht mehr so wichtig, er begründete sein Vorgehen einfach mit Soleimanis „horrible past“.

Im Völkerrecht wird mit Bezug auf den historischen Caroline-Fall von 1837 vertreten, dass ein Staat nur dann das Recht auf Selbstverteidigung ausüben darf, wenn eine unmittelbare, überragende Notwendigkeit zur Selbstverteidigung besteht, die keine Wahl der Mittel und keine Zeit zu weiterer Überlegung lässt. Dabei dürfen die Maßnahmen nicht abwegig oder exzessiv sein. Rechtlich sind Tötungen nicht dadurch gerechtfertigt, dass eine Regierung der Ansicht ist, dass außerhalb eines bewaffneten Konflikts ein Mensch – ob Militär oder Zivilist – in einem anderen Staat für Tötungen verantwortlich ist oder ihre Politik bekämpft. Die Tötung Soleimanis erfolgte in einem Staat, mit dem sich die USA nicht in einem bewaffneten Konflikt befand; das Gleiche galt für den Iran.



Ein Progamm seit Jahrzehnten

Staaten nutzen seit Langem Geheimdienste für Attentate im Ausland. Als Beispiele können hier angeführt werden: das sogenannte Mykonos-Attentat 1986 in Berlin, bei dem vier iranisch-kurdische Politiker vom iranischen Geheimdienst getötet wurden; Attentate auf jugoslawische Exilpolitiker in den 1970er Jahren in Deutschland; geplante Attentate der CIA auf die Regierungschefs Pierre Lumumba, Rafael Trujillo und Fidel Castro. Aus jüngster Zeit gibt es Fälle in Großbritannien und Berlin, bei denen Russland im Verdacht steht, eigene Landsleute und einen Georgier getötet zu haben.

Israel und die USA verfolgen seit 2000 beziehungsweise seit 2002 ein Programm gezielter Tötungen von Terrorismusverdächtigen, an dem Sicherheitsbehörden und weitere Regierungsinstanzen beteiligt sind, und die meist geheim gehalten werden. In den USA gab es zwischen 1976 und 2001 ein offizielles Verbot der Ermordung von Politikern im Ausland (Executive Order 11905 von Präsident Gerald Ford), bei dem es jedoch später zu Ausnahmen kam, besonders nach dem Angriff auf die zwei US-Botschaften in Kenia und Tansania 1998; Al-Kaida-Chef Osama Bin Laden und einige weitere Führungspersonen sollten festgesetzt, Bin Laden bei Widerstand getötet werden.

Nach 2001 wurden gezielte Tötungen zunächst von Präsident George W. Bush als Programm aufgenommen und unter seinem Nachfolger Barack Obama erheblich intensiviert. Die New York Times berichtet von knapp 3800 Menschen, die in seiner Amtszeit bei mehr als 340 Drohnenangriffen des Militärs und der CIA außerhalb bewaffneter Konflikte starben; die Regierung Trump veröffentlicht hierzu keine Daten. Das Programm ist unterdessen öffentlich bekannt. Allerdings gibt es dazu weder umfassende offizielle Informationen zu Einsätzen und Entscheidungsprozessen noch zu den Fragen, ob Zivilisten getötet oder verletzt wurden, ob Fehler untersucht wurden und diese strafrechtliche Konsequenzen hatten. Eine parlamentarische Kontrolle ist bei diesem Programm nur schwer möglich.



Völkerrechtliche Grundlagen

Die wichtigste juristische Unterscheidung ist, ob es innerhalb oder außerhalb bewaffneter Konflikte zu Tötungen kommt. Im bewaffneten Konflikt ist die Tötung von Angehörigen der Konfliktpartei nach dem humanitären Völkerrecht zulässig, aber mit bestimmten Einschränkungen versehen. So sind beispielsweise Verwundete und Personen, die sich unmissverständlich ergeben, geschützt. Außerhalb bewaffneter Konflikte haben Staaten nur in Ausnahmesituationen ein Recht zu töten. Das Recht auf Leben ist zentral für den internationalen Menschenrechtsschutz (zum Beispiel Art. 6 Abs. 1, UN-Zivilpakt von 1966). Es kann nur unter strikten Bedingungen eingeschränkt werden.

Die Regierung Obama hat am Ende ihrer Amtszeit ihre Politik zum Einsatz gezielter Tötungen dargelegt: Zentrales Element sei das Recht auf Selbstverteidigung (UN-Satzung, Art. 51); allerdings in der Interpretation, dass es einen weltweiten bewaffneten Konflikt gäbe und das Recht auf Selbstverteidigung zur Abwehr des Terrorismus entsprechend ausgeübt werden könne. Das Recht auf Selbstverteidigung wird im Völkerrecht allerdings eher territorial und zeitlich eingegrenzt verstanden; doch hier gibt es unterschiedliche Positionen.



Innenpolitische Dimension

Ein Staat kann natürlich Maßnahmen auf seinem Territorium ergreifen zur Abwendung einer unmittelbaren Gefahr für Leib und Leben. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn bei einem Bankraub Geiseln genommen und diese bedroht werden. Bei einem dann erfolgenden Polizeieingriff kann der Tod von Geiselnehmern eine Folge polizeilichen Eingreifens sein, das bei Zweifeln von Polizei und Justiz untersucht wird.

Außer, die Tötung ist doch das Ziel staatlichen Handelns. Dies wird im Menschenrechtsschutz als außergerichtliche Hinrichtung bezeichnet. Bei diesem Typus von Menschenrechtsverletzungen geht es nicht nur um politische Fälle. So gab es in den 1980er Jahren in Indonesien eine Kampagne zur massiven Tötung von „Kriminellen“ und Straftatverdächtigen mit geschätzten 5000 bis 10 000 Toten. Gegenwärtig verfolgt Präsident Rodrigo Duterte in den Philippinen eine ähnliche Strategie mit bisher mindestens 6000 Toten.



Außenpolitische Dimension

Gezielte Tötungen von Terrorismusverdächtigen als politisches Programm sind nicht mit den Menschenrechten vereinbar. Bei den Tötungsprogrammen Israels und der USA übernimmt allein die Regierung die Aufgaben von Staatsanwaltschaft, Richtern und der strafenden Gewalt. Kritisiert werden muss, dass die Gewaltenteilung außer Kraft gesetzt wird, die eigentlich gewährleisten soll, dass Beschuldigungen gegen Verdächtige von unabhängigen Gerichten geprüft werden.

Philip Alston, der UN-Sonderberichterstatter zu außergerichtlichen Hinrichtungen, schrieb 2010 den ersten Bericht zu gezielten Tötungen mit Schwerpunkt auf der Praxis der USA und Israels, verwies aber auch auf einige russische Verdachtsfälle, wobei es um die gezielte Tötung von Tschetschenen ging.

Der UN-Sonderberichterstatter für den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten bei der Bekämpfung des Terrorismus, Ben Emmerson, untersuchte 33 Drohnenangriffe, die zu zivilen Opfern führten und möglicherweise gegen das humanitäre Völkerrecht verstoßen: in Afghanistan, Jemen, Irak, Libyen, Somalia, Pakistan und Gaza. Er forderte die USA auf, ihre Position zu den in seinem Bericht angesprochenen Fragen weiter zu präzisieren. Informationen, die für tödliche extraterritoriale Operationen zur Terrorismusbekämpfung relevant sind, sollten so weit wie möglich freigegeben werden. Und eigene Daten zu zivilen Verlusten durch den Einsatz von Drohnen oder auf anderem Weg sollten zusammen mit Informationen über angewandte Bewertungsmethoden veröffentlicht werden. Sobald ein Verdacht auf zivile Opfer bestehe, sei der zuständige Staat dazu verpflichtet, unverzüglich eine unabhängige und unparteiische Untersuchung der Fakten durchzuführen und die Ergebnisse öffentlich zu erläutern.



Deutsche Positionen

Deutschland verfolgt keine Politik gezielter Tötungen. Die Bundesregierung und der Bundestag haben zu diesem Thema jedoch lange Zeit öffentlich nicht Stellung bezogen. Dies änderte sich mit dem Koalitionsvertrag von 2013. Darin lehnt die Bundesregierung extralegale, völkerrechtswidrige Tötungen durch bewaffnete Drohnen kategorisch ab und verspricht, dass vor der Entscheidung über die Anschaffung qualitativ neuer Systeme für die Bundeswehr völker- und verfassungsrechtliche, sicherheitspolitische und ethische Fragen geprüft werden sollen.

Bei der Frage möglicher Beihilfe zu Menschenrechtsverletzungen sind zwei Kategorien zu unterscheiden. Bei der internationalen Terrorismusbekämpfung ist die Frage zu stellen, inwieweit es hier zu einer Informationsweitergabe an Staaten kommt, die gezielte Tötungen erleichtert. Und es geht um gezielte Tötungen mit Hilfe von amerikanischen Dienststellen in Deutschland, wie dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein in Rheinland-Pfalz. Hierzu hat es zahlreiche Fragen der Opposition und Antworten der Bundesregierung im Parlament gegeben.

Das Thema hat auch die Gerichte erreicht. Auf eine Klage von Familienangehörigen zweier Drohnenopfer aus dem Jemen verpflichtete 2019 ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts Münster die Bundesregierung dazu, sich zu vergewissern, dass eine Nutzung des Luftwaffenstützpunkts Ramstein für Einsätze unbemannter Fluggeräte in dem entsprechenden Wohngebiet der Kläger im Jemen nur im Einklang mit dem Völkerrecht nach Maßgabe der Urteilsgründe stattfindet. Erforderlichenfalls müsste die Bundesregierung gegenüber den USA auf die entsprechende Einhaltung des Völkerrechts hinwirken.

Die gezielte Tötung Soleimanis war völkerrechtswidrig. In der militärischen Reaktion des Irans darauf wurde offensichtlich von beiden Seiten eine direkte Konfrontation vermieden. Politisch muss es nun neben Deeskalation darum gehen, eine Politik gezielter Tötung von Staaten genauer zu beobachten. Die Missachtung von Völkerrecht ist ein gefährlicher Weg, besonders in Zeiten vielfältig verdeckter Gewaltausübung zwischen Staaten.

Völkerrechtsfreundliche Staaten sollten versuchen, ihren politischen Einfluss gegen eine solche Politik geltend zu machen. Auch sollten sie sich stärker öffentlich positionieren, um zu verhindern, dass es zu neuen Verletzungen bindender Rechtsnormen und damit zu einer weiteren Schwächung des Völkerrechts kommt.     

Dr. Wolfgang S. Heinz war bis Januar 2019 Senior Policy Adviser am Deutschen Institut für Menschenrechte und u.a. Vorsitzender des Beratenden Expertenausschusses des UN-Menschenrechtsrats.            

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2020, S. 75-78

Teilen

Themen und Regionen

Mehr von den Autoren