Reportage

01. März 2020

Bittere Revolutionstage

41 Jahre nach dem Sieg der Islamischen Revolution ist die Lage im Iran angespannt. Die US-Politik des „maximalen Drucks“ wirkt, die Protestwellen werden größer. Doch die Chancen auf Wandel oder gar einen demokratischen Übergang stehen schlecht.

Sie rufen: „Habt keine Angst, habt keine Angst, wir sind alle zusammen.“ Damit sprechen sie sich Mut zu, die Demonstranten auf Irans Straßen. In Teheran, in Rasht, in Shiraz, Amol, Kermanshah und vielen anderen Städten.

Denn sie wissen, was sie mit ihren Protesten gegen das Regime riskieren. Sie können ihren Studienplatz verlieren, ihren Job, ihr Leben. Sie wissen: Im November 2019 hat der Gottesstaat seine Sicherheitskräfte auf Demonstranten schießen lassen. Hunderte wurden getötet, hingerichtet, mit Genickschüssen, durch Scharfschützen. Die Verzweiflung brachte sie auf die Straßen, weil der Staat beschlossen hatte, die Benzinpreise über Nacht zu verdreifachen. Es waren die Armen, die Arbeiterschicht, die in den Städten auf die Straße kamen. Sie riefen: „Tod dem Diktator!“ Dabei fühlte sich das System bisher immer der Loyalität dieser armen Schichten sicher. Das ist ein Schock. Doch im November fehlte eine Bevölkerungsgruppe: die Mittelschicht.

„Karegar, Daneshju, motahed, motahed.“ Am 11. Januar rufen Tausende in Teheran: „Arbeiter, Studenten, wir sind eine Einheit.“ Eine gefährliche Einheit für das System der Islamischen Republik. Denn die Mittelschicht, die lange Protesten auf der Straße fernblieb, ist nun dazugekommen. Studenten, Lehrerinnen, Angehörige der Opfer des Flugzeugabschusses (über 130 der 176 Insassen waren iranischer Herkunft), kluge Köpfe der Gesellschaft, die das System der Islamischen Republik schon lange nicht mehr ertragen, doch keinen Weg finden, keine Lösung haben für ein Ende dieses Regimes.

Anfang 2020 sah es für das System noch rosig aus. Das Blut des im Iran beliebten Generals Qasem Soleimani konsolidierte für einen Moment das System der Islamischen Republik. Die Machthaber wähnten sich noch fest im Sattel, als sie nach der Tötung Soleimanis Hunderttausende auf der Straße zeigen konnten. Hunderttausende, die riefen: „Tod den USA!“ Die Bilder liefen tagelang auf allen Kanälen des Staatsfernsehens. Nach innen und nach außen wollte man zeigen: Die Islamische Republik steht fest zusammen.

US-Präsident Donald Trump hatte der Führung mit der Tötung des Generals ein Geschenk gemacht. Sie gestärkt. Der Vergeltungsschlag der Iraner auf zwei US-Stellungen im Irak fiel harmlos aus. Auch wenn er direkt und ohne Stellvertreter ausgeführt wurde. Die Amerikaner verzichteten danach auf einen weiteren Gegenschlag.

Geschwächt hat sich die Islamische Republik selbst, durch den Abschuss des ukrainischen Passagierflugzeugs. Nach anfänglichem Leugnen schilderte der zuständige Luftwaffenkommandeur der Revolutionsgarde im Staatsfernsehen den Vorfall: Der diensthabende Soldat habe das Flugzeug für einen Marschflugkörper gehalten und binnen zehn Sekunden entscheiden müssen. Amirali Hadschisadeh sagte: „Wenn jemand einen Fehler gemacht hat, dann war es einer von uns. Wir sind also verantwortlich und müssen jegliche Konsequenzen tragen.“

Es ist ein Novum, dass der Iran einen Fehler eingesteht und dafür Verantwortung übernimmt. Es wirkt, als wäre der Knoten geplatzt. Denn die Lüge hatte bisher in der Rhetorik der Islamischen Republik einen festen Platz. Dass das Regime lügt, das wissen große Teile der Bevölkerung schon lange. Besonders seit es die sozialen Medien gibt, die trotz aller Blockadeversuche des Systems immer noch genug informieren, über korrupte Politiker, die sich in Schlappen und altem Auto abbilden lassen, dabei im Geld schwimmen und ihre Kinder auf Eliteuniversitäten im Ausland schicken. Doch dass sie ihre Lügen revidieren und ihre Schuld zugeben, ist neu. Die internationale Beweislage hat sie dazu gezwungen.

Gleich nach der Bekanntgabe kommen Hunderte Teheraner in der Stadt zusammen, um ihre Trauer und Wut über den Flugzeugabschuss kundzutun. Sie sind entsetzt über die Entscheidung der Führung, die Menschen zu belügen und die Schuld am Abschuss zu vertuschen. Ihre Parolen sind so radikal wie noch nie zuvor bei Protesten. Sie werden mit Tränengas bestraft, mit Schlägen der Schlagstöcke der Milizen des Systems. Am nächsten Tag kommen sie wieder. Schon am Morgen wagen Studenten den Protest. In der Schahid-Beheschti-Universität vermeiden sie, über die auf den Boden gemalten US- und Israel-Flaggen zu laufen. Sie widersetzen sich der Propaganda der Islamischen Republik. Wer doch quer darüberläuft, wird ausgebuht.

Gegen Abend sind es viel mehr Demonstranten als am Tag zuvor, nicht nur in Teheran, auch in anderen iranischen Städten: Shiraz, Karaj, Amol, Kermanshah und Rasht. Sie haben sich über die sozialen Medien verabredet. Auf allen Azadi-Plätzen im Iran wollen sie sich treffen. „Azadi“ heißt auf Farsi: Freiheit. Wieder rufen sie Parolen gegen das System: „Tod dem Diktator!“ und „Wir wollen keine Herrschaft der Revolutionsgarde!“

Gegen Abend werden Metroausgänge geschlossen. Die Demonstranten sollen daran gehindert werden, auf die Straße zu gehen. Der Metroverkehr wird teilweise eingestellt. Bereitschaftspolizei und Polizisten in Zivil, Milizen und Geheimdienstmitarbeiter – alle, die man in kurzer Zeit mobilisieren konnte – bringen sich den ganzen Tag in Stellung, sowohl an Teheraner Universitäten als auch an anderen zentralen Plätzen in der Hauptstadt.

Sie schießen mit Tränengas auf die Demonstranten. Verprügeln sie. Es gibt Handyvideos, die junge Mädchen auf den Straßen Teherans zeigen, die von Milizen und Sicherheitskräften verletzt wurden. „Sie waren einfach nur gekommen, um friedlich zu demonstrieren“, schreiben Iraner auf Twitter. Keine Randalierer, nicht bewaffnet – einfach nur friedliche Demonstranten. Ebenfalls auf Twitter schreibt einer: „Lasst uns doch nur zwölf Stunden, ohne auf uns zu schießen, zeigen, wie viele wir wirklich sind.“ Es gibt immer noch keinen Anführer für diese Menschen, die das Regime nicht mehr wollen. Im Iran hätte keiner die Chance dazu: Opposition wird im Keim erstickt. Und Iranern im Ausland wird nicht zugetraut, die extrem komplizierte politische, gesellschaftliche und ethnische Lage zu verstehen, geschweige denn eine Opposition zu führen.

Diejenigen, die im Moment alles wagen, sind noch zu wenige, um durch ihre Anwesenheit auf den Straßen das Regime stürzen zu können. Auch wenn sie sich der Hunderttausenden bewusst sind, die sie in Gedanken unterstützen, die aber vorerst noch in ihren Wohnungen bleiben. Doch den Unzufriedenen und oft tief Unglücklichen gibt eines Mut: Die Wellen der Proteste werden größer, deren Abstände kürzer. Fälle von zivilem Ungehorsam häufen sich. Etliche iranische Künstler und Schauspieler haben aus Protest das wichtigste Kunstfestival boykottiert, das zur Feier der Gründung der Islamischen Revolution immer im Februar stattfindet. Rakhshan Banietemad, eine bekannte Regisseurin, rief auf ihrem Instagram-Account zu Protesten auf. Ihr wird am Telefon gedroht, sie soll ihren Post zurücknehmen. Anstatt ihn zu löschen, streicht sie ihn rot durch. Gut lesbar für alle. Protest!



Ein Protest ohne Anführer, ohne Plan

50 bekannte iranische Exiloppositionelle haben Ende 2019 mithilfe politischer Aktivistinnen und Aktivisten im Iran einen „Rat zur Regulierung des Übergangs“ zur Abschaffung der Islamischen Republik gebildet. Ihr stellvertretender Generalsekretär ist Mehran Barati. Die Opposition im Ausland will den Zustand der Schwäche nutzen. Sie will die Gegner der Islamischen Republik im In- und Ausland verbinden, stark machen. Der Grünen-Abgeordnete und außenpolitische Sprecher seiner Fraktion, Omid Nouripour, hat den „Rat zur Regulierung des Übergangs“ zu einem Treffen in den Deutschen Bundestag geladen. Alle Fraktionen bis auf die AfD sind anwesend. Der Plan des Rates: Sie wollen einen geordneten Übergang in eine Demokratie organisieren, der einen Bürgerkrieg vermeiden soll.

Ohne eine stabile Wirtschaft kann auch eine Diktatur nicht überleben, sagt Barati. Das iranische System habe die wirtschaftliche Basis verloren. Die Islamische Republik habe nicht einmal mehr genügend Haushaltsmittel, um ihre Staatsbeamten zu bezahlen: Lehrer, Arbeiter, Armeeangehörige, Revolutionswächter. Das System sei bankrott, es könne nichts in das Land investieren – ein Wendepunkt. Und dann seien da noch, wie Barati betont, die Anhänger des Systems. Sie bemerkten, dass das Ganze dabei sei, in sich zusammenzufallen. Sie machten deshalb Schritte in Richtung Opposition. Um sich eine Zukunft zu kaufen. Der „Rat zur Regulierung des Übergangs“ werde von immer mehr Menschen aus dem System angesprochen. Und auch zu Kurden, Azeris, Arabern und anderen ethnischen Minderheiten habe man Kontakt.

Die Befürworter von Trumps Iran-Politik betonen, dass bisher kein US-Präsident in der Lage gewesen sei, die Islamische Republik zu schwächen oder einzudämmen. Trump schon. Das stimmt. Er hat seine „Politik des maximalen Drucks“ durchgezogen, und der Islamischen Republik geht das Geld aus.

Aber wird es allein einer aus dem Ausland heraus agierenden Opposition möglich sein, das System der Islamischen Republik zu stürzen? Und wollen die Menschen im Iran überhaupt einen Regimewechsel? Oder ist die Angst vor einem Bürgerkrieg wie in Syrien oder den Folgen einer ausländischen Intervention wie im Irak oder Libyen größer? Nutzen oder schaden ihnen die Tweets von Präsident Trump?

Viele Beobachter meinen, sie schadeten den Demonstranten, denn so könne ihnen das Regime vorwerfen, vom Ausland gesteuert zu sein, während die iranische Bevölkerungsmehrheit hinter dem System stehe. Nouripour meint, dass sich auch Europa zu seinen Werten bekennen müsse. Trump habe die Machthabenden in Teheran aufgefordert, nicht die eigenen Leute zu töten. Damit habe er recht – auch wenn er nicht besonders glaubhaft sei, wenn er gleichzeitig Iraner an der Einreise in die USA hindere. Die Europäer sollten solche Sätze auch sagen, denn sie hätten eine andere Glaubwürdigkeit. Es könne doch nicht sein, so Nouripour, dass Europa versuche, das Atomabkommen zu retten und deswegen zu massiven Menschenrechtsverletzungen bestenfalls laut schweige.

Schweigen ist nicht Sache von Masih Alinejad. Eher das Gegenteil. Für viele im Iran ist sie ein Sprachrohr, für die iranische politische Elite ein rotes Tuch. Neben den Mächtigsten der Welt ist sie zum Weltwirtschaftsforum in Davos eingeladen. Sie spricht über die Unterdrückung der Menschen im Iran. Der iranische Außenminister Mohammed Sarif sagt seine Teilnahme kurzfristig ab. Weil sie da sei, heißt es. Die Aktivistin für Frauenrechte hat inzwischen die Kraft und das Netzwerk, aus dem Ausland heraus zu mobilisieren. Das wäre bis vor Kurzem noch undenkbar gewesen: dass sich der iranische Außenminister davon einschüchtern lässt.

Masih bekommt Tausende von Videos aus dem Iran zugeschickt und veröffentlicht sie. Die Zahl der Proteste nehme zu, das System gerate in Bedrängnis, sagt sie. Kritiker werfen ihr vor, sie stehe im Dienst der Amerikaner, die die Islamische Republik bekanntermaßen destabilisieren wollten, mit allen Mitteln.

Ein großer Teil der iranischen Gesellschaft stimmt inzwischen den Kritikern des Systems der Velayateh Faqhi, der Führerschaft des Rechtsgelehrten, zu. Dabei halten viele nicht den Islam für das Problem, sondern die Machteliten, die sich unter dem religiösen Deckmantel bereichert haben, über Jahrzehnte. Lange Zeit konnten sie durch das Schüren von Feindbildern ihre Bereicherung vertuschen. Jetzt nicht mehr. Die sozialen Medien haben der Bevölkerung Macht gegeben. Die Macht der Information. 40 Millionen Iraner nutzen den Messengerdienst Telegram. Auch Twitter spielt eine große Rolle. Schon 2009, während der Unruhen im Iran, verzichtete das Unternehmen extra auf ein Software-Update, damit Iraner Twitter weiter nutzen konnten. Für die damals noch im Land existierende Opposition war Twitter lebensnotwendig: eines der wenigen Mittel, die protestbereite Bevölkerung zur nächsten Demonstration gegen die Wiederwahl Ahmadinedschads aufzurufen. Die Proteste wurden am Ende trotzdem niedergeschlagen.

Inzwischen haben auch die Amerikaner diese Möglichkeit der Nutzung der sozialen Medien für ihre eigenen Zwecke erkannt und versuchen, die Islamische Republik auch auf diese Weise zu schwächen. Intensiv wird daran gearbeitet, die iranische Bevölkerung mit Informationen über ihre korrupten Politiker und Mitglieder der Revolutionsgarde zu füttern. Es wirkt. Die Informationen kommen an, sorgen für eine schier unermessliche Wut der Bürger, die nach Kanälen sucht.

Bei Protesten im Januar 2018 erhielt ein Telegram-Account binnen weniger Stunden Millionen Follower. Betrieben wird er vom Sohn des gestürzten Schahs, Reza Pahlawi, Tausende Kilometer weit weg in Washington. Der 59-Jährige hat den Iran seit der Flucht mit seinen Eltern 1979 nicht mehr besucht. Trotzdem nimmt sein politisches Engagement jetzt Fahrt auf, zum Unmut der iranischen Machtelite. „Unmut“ ist untertrieben: Die Herrscher in Teheran treibt mittlerweile die Angst um. Angst vor einem Umsturz. Denn diesen sagt der Prinz voraus: Es werde innerhalb der nächsten Monate einen Regimewechsel geben.

Wer folgt dem Sohn des Shah auf seinem Telegram-Account? Die Kinder der Kinder der Revolution. Sie haben kein Mitgefühl mehr für Märtyrer aus dem Iran-Irak-Krieg, sie erscheinen nicht beim Freitagsgebet in der Moschee, sie folgen nicht mehr blind den Propagandareden im Staatsfernsehen, sie verurteilen vor allem die Milliarden-Dollar-Ausgaben, die der Iran für seine „Sicherheitspolitik“ in Syrien, im Jemen und im Libanon ausgibt und nicht für sie, für ihre Ausbildung, für die iranische Infrastruktur, für ihre Zukunft. Auf YouTube lassen sie sich von den süßen Verführungen der westlichen Welt verzaubern. Für die Länge eines Clips vergessen sie ihre Sorgen und Ängste. Und sehnen sich gleichzeitig danach, auch Teil dieser Welt zu werden. Diese Welt leben zu dürfen.



Außenpolitisch allein

Die Welt um Iran herum wird immer schwieriger. Das Atomabkommen von 2015, von den Europäern als „Meilenstein der Diplomatie“ gepriesen, ist gescheitert. Dieses Dokument hatte der iranischen Bevölkerung und besonders den jungen Iranerinnen und Iranern ein letztes Mal die Hoffnung gegeben, die Islamische Republik könne sich doch noch reformieren, eine Öffnung zulassen. Unter dem Slogan „Wandel durch Handel“ reisten verschiedenste westliche Wirtschaftsdelegationen nach Iran. Doch der Traum ist schon wieder geplatzt. Die meisten internationalen Fluglinien haben ihre Flüge in den Iran gestrichen. Delegationen sieht man nicht mehr. Der Grund: Trumps neue Iran-Politik, die die alte „neue“ Linie Obamas ablöste, nämlich die Annäherung an den Iran.

Europa versucht zwar nach wie vor verzweifelt, das Abkommen nach dem Ausstieg der USA im Mai 2018 zu retten. Aber nichts geschieht jenseits sich wiederholender Lippenbekenntnisse. Selbst INSTEX, eine Zweckgesellschaft für eine unabhängige Zahlungsmethode für humanitäre Güter (siehe dazu den Beitrag in IP 4/2019, S. 88 ff.), haben die Europäer noch nicht ans Laufen gebracht.

Iran wendet sich seit Monaten in diplomatisch genau kalkulierten Schritten vom Atomabkommen ab. Nach der Tötung von General Soleimani kündigte Teheran an, sämtliche Einschränkungen der Urananreicherung nicht mehr zu berücksichtigen. Stets folgt der Nachsatz, man könnte sofort zur Erfüllung aller Bedingungen zurückkehren, würden nur die US-Sanktionen aufgehoben. Es ist nicht verwunderlich, dass der schon in seinem Wahlkampf gegen Iran polternde US-Präsident auf diesen Vorschlag – auf Farsi! – twitterte: „Irans Außenminister sagt, Iran möchte mit den Vereinigten Staaten verhandeln. Aber er möchte, dass die Sanktionen aufgehoben werden. Nein, danke.“

Es wird immer deutlicher, dass ein Abkommen ohne die Amerikaner keinen Wert für den Iran hat. Konsequenterweise müssten Teherans konkurrierende Machteliten, die sich in einem hochkomplizierten Geflecht in einem nie dagewesenen Konkurrenzkampf bekriegen, jetzt zur angedrohten Nuklearanreicherung zurückkehren. Doch Präsident Hassan Rohani und Co wissen, dass dies unabsehbare Folgen haben könnte. Weder Israel noch Saudi-Arabien würden eine Wiederaufnahme des iranischen Nuklearprogramms hinnehmen. Der Weg der Diplomatie ist ausgeschöpft. Deshalb wartet der Iran nun stoisch, vielleicht gemeinsam mit Europa, auf eine Abwahl Trumps, mit der ein Wechsel in der Iran-Politik der USA einhergehen könnte.

Auf eine Trump-Niederlage deutet derzeit allerdings nichts hin. Unterdessen haben die Europäer den Streitschlichtungsmechanismus aktiviert. Laut Atomabkommen kann jeder Vertragspartner diese „Gemeinsame Schiedskommission“ einschalten, wenn er glaubt, dass ein anderer Partner seinen Verpflichtungen aus dem Vertrag nicht nachkommt. Der Kommission gehören Vertreter aller verbliebenen Parteien des Abkommens an: Iran, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Russland und China. Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell, der Anfang Februar zum ersten Mal in Teheran war, hat die Aufsicht über die Schlichtung. Mitte Januar wurde bekannt, dass die USA Druck auf die Europäer ausgeübt hatten, den Streitschlichtungsmechanismus in Gang zu setzen, andernfalls würden sie mit Auto-Importzöllen von 25 Prozent belegt. Deutschland bestätigte diesen Bericht.

Sollte der Streitschlichtungsmechanismus scheitern, hat Teheran angedroht, den Nichtverbreitungsvertrag zu verlassen. Dann könnte das Land Uran anreichern, ohne Kontrollen zu unterliegen. Ein Affront für die Weltgemeinschaft.

Das Regime in Teheran wird in den nächsten Wochen und Monaten nicht stürzen. Doch eine Reform wird es auch nicht erleben. Das System der Velayate Faqih ist nicht reformierbar, sagen ehemalige Reformpolitiker, die ins Exil geflohen sind. Vor den Parlamentswahlen im Februar lehnte der Wächterrat Tausende Kandidaten ab. Die meisten Abgelehnten gehören zum Kreis der „Reformer“ und Gemäßigten. Damit werde die Wahl zu einer internen Abstimmung unter Hardlinern, schrieb eine iranische Tageszeitung. Viele Menschen haben das „Reformer-Hardliner-Spiel“ durchschaut und boykottieren die Wahlen. Die Islamische Republik stört das nicht weiter, die Anhänger des Systems erscheinen an den Urnen.

Diese treuesten Unterstützer haben keinen anderen Platz auf der Welt als die Islamische Republik. Deshalb werden sie versuchen, das bestehende System mit allen Mitteln zu erhalten. Dafür werden sie auch weiterhin ihre eigenen Mitmenschen wegsperren, prügeln und erschießen, um nicht selbst unterzugehen. Für einen friedlichen Übergang zu einer Demokratie sind das schlechte Voraussetzungen.

Natalie Amiri ist Iran-Korrespondentin der ARD/Bayerischer Rundfunk und Fernsehmoderatorin.

Bibliografische Angaben

Internationale Politik 2, März/April 2020, S. 58-63

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