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01. Juni 2006

Der neue UN-Menschenrechtsrat

Hoffnung oder vorprogrammierte Enttäuschung?

Für den 19. Juni ist die erste Sitzung des neuen Menschenrechtsrats angesetzt, der die alte und viel kritisierte Menschenrechtskommission ablöst. Er ist in der UN-Hierarchie höher angesiedelt, und durch die Wahl der Mitglieder soll sichergestellt werden, dass „schlechte“ Staaten nicht mehr dazugehören. Es wird aber von der politischen Gesamtatmosphäre abhängen, ob jetzt Erfolg versprechende Zusammenarbeit möglich ist.

Am 15. März 2006 beschloss die UN-Generalversammlung mit 170 Pro-stimmen, vier Gegenstimmen (Israel, Marshall-Inseln, Palau und die Vereinigten Staaten) und drei Enthaltungen (Weißrussland, Iran und Venezuela) die Schaffung des UN-Menschenrechtsrats. Damit wurde die Menschenrechtskommission (MRK) der Vereinten Nationen nach 60 Jahren abgeschafft.1

Außenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte die Unterstützung der Bundesregierung für die Resolution, auch wenn nicht „zu verhehlen (sei), dass sich die Bundesregierung und ihre Partner durchaus weitergehende Fortschritte gewünscht hätten. Trotzdem müssen wir heute vor allem das Erreichte anerkennen: Ratsmitglieder werden zukünftig gewählt, es wird ein gegenseitiges Überprüfungsverfahren geschaffen, Sitzungsperioden werden verlängert und häufiger stattfinden. Nichtregierungsorganisationen bleiben auch in Zukunft eng in die Ratsarbeit eingebunden“.2

Am 27. März 2006 beendete die MRK, eine so genannte funktionelle Kommission des Wirtschafts- und Sozialrats, ihre Arbeit in wenigen Stunden und in rein prozeduraler Form. Daran wurde von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) Kritik geübt.3

Kurz vor der Verabschiedung der UN-Resolution zum Menschenrechtsrat meldeten sich u.a. amnesty international, Human Rights Watch und die Heritage Foundation zu Wort. Die ersten beiden unterstützten die Resolution, die letzte riet der US-Regierung zur Ablehnung, weil sich menschenrechtsverletzende Staaten durchgesetzt hätten.4 Amnesty international organisierte eine Briefaktion gegen diese Haltung der USA.5

Anfang April 2006 verkündeten die USA, sie würden sich 2006 nicht um eine Mitgliedschaft im Rat bewerben. Konservative Stimmen in den USA begrüßten dies, weil sie dem neuen Gremium skeptisch bis ablehnend gegenüberstehen.6 Am 9. Mai wurde der neue Rat mit 47 Mitgliedsstaaten, einschließlich Deutschland, gewählt; Deutschland erhielt dabei die höchste Stimmenzahl unter den westlichen Ländern. Kritisiert wurde in Kommentaren der deutschen Politik und von NGOs die Wahl von Ländern wie China, Russland, Saudi-Arabien und Kuba. Die erste Sitzung des neuen Rates ist für den 19. Juni 2006 angesetzt.

Es lohnt sich, zunächst einen kurzen Blick auf die jüngere Diskussion über eine Reform der Menschenrechtskommission zu werfen, um dann Aufgaben, Zusammensetzung und Handlungsspielraum dieses neuen Gremiums darzustellen.

Zur Diskussion um eine Reform der Menschenrechtskommission

Seit Ende der neunziger Jahre gibt es eine Diskussion zur Reform der UN-Menschenrechtskommission (MRK), die von verschiedenen Seiten vorangetrieben wurde, die ein unterschiedliches Verständnis zur Stoßrichtung von Reformen zeigen. Zum einen agierte die Gruppe der westlichen und einiger anderer Länder mit dem Ziel, die MRK und ihre Sonderverfahren – Sonderberichterstatter, Arbeitsgruppen – zu stärken, zum anderen die „like-minded group“, häufig vertreten durch Länder wie China, Pakistan, Kuba und Ägypten. „Zwischen“ beiden Gruppen positionierten sich die restlichen Staaten (die MRK bestand aus 53 Staaten, die vom UN-Wirtschafts- und Sozialrat für drei Jahre gewählt wurden).

Beide Seiten kritisierten die mangelnde Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit der MRK, bedauerten auch die Selektivität bei der Kritik der Menschenrechtslage der MRK in verschiedenen Ländern. Beide sprachen von der notwendigen „Reform“ des Schutzsystems, allerdings mit unterschiedlichen Zielen. Die like-minded group, zu der häufig kritisierte Länder gehörten, war daran interessiert, die MRK zu schwächen in dem Sinn, dass direkte Kritik an Staaten vermieden wurde und Unterstützungsprojekte für Länder mit Menschenrechtsproblemen durch das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte an die Stelle von Länderberichterstattern und -resolutionen trat.7 Die westlichen Länder setzten sich meist für eine Stärkung der Sonderverfahren ein und wollten die Möglichkeit von Länderresolutionen beibehalten.8

Im Juni 2005 umriss zum Beispiel das nationale Netzwerk deutscher Nichtregierungsorganisationen – Forum Menschenrechte – die Hauptkritikpunkte der Kommission: „Vor allem aus Sicht der Opfer von Menschenrechtsverletzungen lässt sich ein dramatischer Verlust an Glaubwürdigkeit und Wirkkraft feststellen.“ Es kritisierte vor allem „die Unfähigkeit der MRK, selbst schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen in einzelnen Ländern überhaupt zum Thema zu machen (Beispiele China, Tschetschenien, Simbabwe, Iran, Guantánamo, Irak)“ und „doppelte Standards in der Bewertung von Menschenrechtsverletzungen, wenn sie etwa von Ländern und Partnern aus dem eigenen Bündnis oder der eigenen Regionalgruppe begangen werden“.9

Zunächst der völkerrechtliche Ausgangspunkt zur UN-Menschenrechtsarbeit: Der UN-Menschenrechtsschutz beruht auf der Grundlage der Kooperation – vgl. Artikel 55 und 56 der UN-Charta – und verfügt nicht über Zwangsmittel wie der UN-Sicherheitsrat, der wirtschaftliche oder militärische Sanktionen beschließen kann. Dies wollten die Staaten 1945 und auch später so, auch die westlichen Staaten. Westliche Länder machten sich Sorgen über mögliche Kritik an der Rassendiskriminierung (USA) und an der Situation in den damaligen Kolonien (Großbritannien, Frankreich, Portugal und Belgien); die kommunistischen Länder hatten aus bekannten Gründen ebenfalls kein starkes Motiv, eine andere Position einzunehmen. Erst nach dem Militärputsch in Chile 1973 begann die MRK, Themenberichterstatter und thematische Arbeitsgruppen einzurichten (1980: die Arbeitsgruppe zu Verschwundenen, 1982 die Mandate zu außergerichtlichen, summarischen oder willkürlichen Hinrichtungen, 1985 zu Folter und 1986 zu Glaubensfreiheit) und auch verstärkt Länderberichterstatter einzusetzen. Vorher waren nur Südafrika, Rhodesien und die israelisch besetzten Gebiete behandelt worden.

Der neue UN-Menschenrechtsrat

In seinem Umsetzungsvorschlag zum Bericht der Hochrangigen Gruppe, der sich auch mit Menschenrechtsfragen befasst, hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Reihe spezifischer Vorschläge zum Rat formuliert, z.B. eine Zweidrittelmehrheit für die Wahl der Mitglieder und die Selbstverpflichtung der Staaten zur Einladung aller UN-Sonderberichterstatter.10 Zwar konnte sich der Weltgipfel im September 2005 auf eine Reihe von sinnvollen Vorschlägen zum Rat einigen. Als dann aber die Diskussion in die Generalversammlung kam, zeigten sich erhebliche Meinungsunterschiede, ob und wie genau der neue Rat strukturiert werden sollte. Denn jetzt kam es ja darauf an, praktische Vorschläge zu machen.

Der Präsident der Generalversammlung, der Schwede Jan Eliasson, hat dann in 30 informellen Runden über fünf Monate hinweg versucht, einen größtmöglichen Konsens unter den 191 Mitgliedsstaaten zu erreichen. Zwar blieb das Ergebnis hinter den Erwartungen von Annan, aber auch von vielen NGOs und zivilgesellschaftlichen Gruppen und für Menschenrechte engagierte Regierungen zurück. Gleichwohl können sich die Verhandlungsergebnisse sehen lassen, wenn man von den eingangs erwähnten institutionellen Voraussetzungen bei den UN ausgeht, von der geringen Übereinstimmung in grundlegenden Werten und Standards.

Vom Status her wird der Rat zwei Stufen höher als die MRK angesiedelt. Diese war eine funktionelle Kommission des UN-Wirtschafts- und Sozialrats, nicht mehr. Der Rat wird jetzt ein Unterorgan der UN-Generalversammlung sein; in fünf Jahren soll sein Status überprüft werden. Die MRK tagte bisher jedes Jahr sechs Wochen im März/April in Genf. Der Rat wird ein ständiges Gremium sein. Nun, nicht ganz „ständig“, aber er erhält jedes Jahr mindestens zehn Wochen Tagungszeit.

Der Rat behält das Mandat der UN-Menschenrechtskommission bei, d.h. er diskutiert über aktuelle und strukturelle Menschenrechtsprobleme, formuliert Vorschläge und soll koordinieren und die Verbreitung der Menschenrechte als Querschnittsaufgabe fördern. Es wird ihm nicht verboten, bestimmte Themen aufzugreifen oder bestimmte – in der letzten Zeit umstrittene – Maßnahmen zu ergreifen, wie Sonderberichterstatter zu Ländern und Themen einzusetzen oder Länderresolutionen zu verabschieden.

Neu ist der so genannte Peer Review. Der Rat wird die Menschenrechtslage jedes UN-Mitgliedsstaats behandeln – zunächst aber der Mitglieder des Rates –, wobei Verfahren und Details noch nicht ausgearbeitet sind. Zu klären ist z.B., wer die Bewertung zusammenstellt (das Hochkommissariat für Menschenrechte?), auf der Grundlage welcher Informationen (nur amtlicher Informationen oder werden auch NGO-Informationen einbezogen?). Schließlich: Welche Möglichkeiten wird es für den betreffenden Staat, aber auch für andere Akteure wie NGOs geben, in dem Bewertungsprozess zu Wort zu kommen?

Die Sonderberichterstatter und Arbeitsgruppen (die Sonderverfahren) gelten als die Augen und Ohren der MRK, was die Untersuchung konkreter Menschenrechtssituationen betrifft, und sind damit von zentraler Bedeutung auch für den Rat. Sie werden übernommen, aber die Gründungsresolution der Generalversammlung erteilt den Auftrag, innerhalb eines Jahres das System zu evaluieren, um es gegebenenfalls zu rationalisieren und zu verbessern. Welche Kräfte sich hier in Zukunft mit welchen politischen Zielen durchsetzen können, bleibt abzuwarten, denn „review“ und „rationalization“ lassen sich natürlich verschieden deuten. Auch das Schicksal der Unterkommission mit ihren 26 unabhängigen Experten ist zu klären.

Ein zentraler Streitpunkt war die Frage des Zugangs zum Rat. Einige NGOs und Wissenschafter, besonders in den USA, wünschten sich zwingende Kriterien, die Staaten erfüllen müssten, um in den Rat gewählt zu werden, z.B. eine ständige Einladung für alle Sonderverfahren. Immer wieder kommt es vor, dass Länder wie z.B. Nordkorea, Myanmar (Birma), Weißrussland, Kuba, Iran und Irak unter Saddam Hussein sie nicht einreisen ließen. Die Forderung war verständlich, wenn auch wenig realistisch: Staaten lassen sich untereinander kaum ein auf eine hohe Eintrittsbarriere.

Auch in anderen UN-Sachbereichen gibt es hierfür kein Vorbild. Bekanntlich sind in den Abrüstungsverhandlungen der UN die Länder mit dem größten Arsenal an Massenvernichtungswaffen immer vertreten – niemand fordert deren Ausschluss. Das Gleiche gilt für Umweltverhandlungen, wo es gerade darum geht, die widerständigen Staaten einzubinden, nicht sie auszuschließen. Nur beim Sicherheitsrat gibt es Sonderbedingungen der Mitgliedschaft aus der Zeit der Gründung der Vereinten Nationen 1945 – fünf ständige und zehn nichtständige Mitglieder sowie das Vetoprivileg der fünf ständigen Mitglieder. Aber diese Regeln werden heute ganz überwiegend als anachronistisch und sicher nicht als Modell für andere Gremien angesehen, auch wenn sich bisher keine Reform durchsetzen ließ.

Am Ende der Diskussionen einigte  sich die Generalversammlung (GV) in dem Vorschlag von GV-Präsident Eliasson auf nicht verbindliche Kriterien. Kandidaten werden mit einfacher, nicht mit Zweidrittelmehrheit gewählt, wobei einfache Mehrheit hier eine einfache, absolute Mehrheit bedeutet, d.h. es müssen 96 Staaten für die Wahl gewonnen werden. Bei den Kandidaten soll ihr Beitrag zur Förderung und zum Schutz der Menschenrechte berücksichtigt werden. Die UN-Generalversammlung kann mit einer Zweidrittelmehrheit Staaten, die sie für schwere und systematische Menschenrechtsverletzungen verantwortlich macht, suspendieren; in der Praxis wird dies wahrscheinlich selten der Fall sein.

Generalsekretär Annan betonte in diesem Zusammenhang: „Keine arithmetische Schranke – nicht einmal eine Zweidrittelmehrheit – könnte die Wahl oder die Nichtwahl eines bestimmten Staates garantieren. Dies sind politische Entscheidungen. Es obliegt den Mitgliedsstaaten – und der Weltmeinung –, genügend Staaten davon zu überzeugen, in der richtigen Weise abzustimmen. Wenn genügend Menschen wirklich die Menschenrechte achten und sich in der Diplomatie und Überzeugungsarbeit dafür einsetzen, was erforderlich ist, kann dieser Rat eine eindrucksvolle Verbesserung gegenüber der alten Kommission sein. Ich hoffe wirklich, dass alle Mitgliedsstaaten – einschließlich der Vereinigten Staaten, die in der Geschichte die führende Rolle bei der Errichtung des Menschenrechtsmechanismus innehatten – ihren Teil dazu beitragen, dass der neue Rat erfolgreich ist“.11

Vor allem die USA waren mit dem Verhandlungsergebnis von Eliasson unzufrieden, während sich bei aller Einzelkritik die EU und viele andere Länder hinter die Resolution stellten. US-Botschafter John Bolton kündigte an, die USA könnten so nicht zustimmen, und stellte drei Forderungen auf:

1. die ständigen Mitglieder des Sicherheitsrats sollten einen festen Sitz in dem Rat erhalten,

2. Staaten dürften nur mit einer Zweidrittelmehrheit in den Rat gewählt werden, und

3. es dürften darunter keine Länder sein, die Gegenstand von Sanktionen des UN-Sicherheitsrats sind.12 Die USA konnten sich damit nicht durchsetzen, sagten jedoch trotzdem eine konstruktive Mitarbeit zu.

Die regionale Sitzverteilung im Rat orientiert sich an dem Modell der Generalversammlung, die für westliche Länder, aber auch für andere, schlechter ausfällt als der Schlüssel im UN-Wirtschafts- und Sozialrat, dessen Mitglieder die Mitglieder der MRK wählten. Afrika wird im neuen Menschenrechtsrat 13 Mitglieder haben (zuvor in der MRK waren es 15 Mitglieder); Asien wird 13 Mitglieder stellen (vorher 12), Lateinamerika 8 (11), die westliche Gruppe 7 (10), Osteuropa 6 (5). Somit beträgt die Gesamtzahl der Mitglieder 47 (in der MRK waren es 53). Ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrats wird keine automatische Mitgliedschaft zugesichert, wie bisher fast immer der Fall. Jedes Land muss, wird es zweimal hintereinander für drei Jahre gewählt, erst einmal ausscheiden.

Im Vergleich zu anderen Sachbereichen spielten die Nichtregierungsorganisationen in der MRK eine sehr starke Rolle. Sie konnten Stellungnahmen über die MRK verteilen, trugen viele Stunden der Sitzung zur Diskussion bei. Auch die Nationalen Menschenrechtsinstitutionen (NHRI) wie das Deutsche Institut für Menschenrechte hatten einen Beobachterstatus bei der MRK und werden in der GV-Resolution zweimal angesprochen. Der neue Rat soll eng mit ihnen zusammenarbeiten.

Erfolgschancen des neuen Rates

Bei aller Vorsicht mit Aussagen über die Zukunft ist der neue Rat keine „Katastrophe“. Trotz erheblichen Gegenwindes – der Westen ist in der Generalversammlung in der Minderheit – konnte erreicht werden, dass das allgemeine Mandat der MRK erhalten blieb. Bei einigen Punkten ist man weiter gekommen, so z.B. bei den Zugangsbedingungen zum Rat und der Möglichkeit der Suspendierung der Mitgliedschaft. Bedauerlich ist natürlich, dass der Zugang zum Rat nicht strikter von Bedingungen abhängig gemacht wurde. Aber dies war politisch leider nicht durchsetzbar.

Völlig neu für die UN ist die Selbstverpflichtung der Staaten, sich vom Rat „prüfen“ zu lassen. Dies gibt es eingeschränkt bei der OECD mit der Entwicklungspolitik-Evaluierung der Mitgliedsländer. Natürlich muss man hier abwarten, wie diese Prüfung ausgestaltet und in der Praxis genutzt wird. Aber mit einem solchen Verfahren wäre ein Hauptkritikpunkt – die selektive Behandlung von Ländern – vom Tisch, auch wenn der Teufel, wie so häufig, im Detail liegen wird.

Besonders bei schweren, systematischen Menschenrechtsverletzungen ist eine stärkere Rolle für den Sicherheitsrat einzufordern.  Er ist die einzige Instanz, die unter Bezugnahme auf Kapitel VII der UN-Charta auch Sanktionen verhängen kann. Hierüber steht nichts in der GV-Resolution zum neuen Menschenrechtsrat. Mit Recht hat der frühere UN-Sonderberichterstatter zu Sudan (2001–2003), Gerhart R. Baum, darauf hingewiesen, dass letztlich der Sicherheitsrat in Sachen Menschenrechtsschutz das entscheidende Gremium ist: „Er hat im Laufe der Jahre bei allem Zögern und bei allen politischen und wirtschaftlichen Egoismen ein System von Interventionen und eine breite Palette von Sanktionen entwickelt, mit dem er sowohl auf humanitäre wie auf kriegerische Konflikte mit robustem Mandat reagiert – wenn auch oft schwach und zu spät.“ Mit Verweis auf das Konzept der „responsibility to protect“, so Baum, „haben sich die Mitgliedsstaaten verpflichtet, „diese Verantwortung durch den Sicherheitsrat wahrzunehmen. Sie sind beim Wort zu nehmen. Auch wir selbst – etwa wenn es um die Entsendung von Truppen geht“.13

Die Erfolgschancen des Rates werden in hohem Maße von der politischen Gesamtatmosphäre abhängen. Damit lautet die Frage, die sich wohl erst in einem Jahr beantworten lassen wird: Wird es trotz widriger politischer Großwetterlage gelingen, zu einer Zusammenarbeit zu kommen, die von der konkreten Menschenrechtslage in einem bestimmten Land ausgeht? Und wird dann untersucht, mit welchen Mitteln kurz- und mittelfristig Abhilfe geschaffen werden kann? Oder ist bald mit der Rückkehr zum alten Muster der MRK zu rechnen, den Gruppen- und Grabenkämpfen, die Fortschritte zwar nicht unmöglich machen, aber sie doch sehr verlangsamen – bei bestimmten Themen bis hin zur völligen Blockierung? Denn auch der Rat wird zunächst ein eminent politisches Gremium bleiben, selbst wenn es später gelingen sollte, die Politisierung schrittweise etwas abzubauen.

Dr. phil. habil. WOLFGANG S. HEINZ, geb. 1953, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Menschenrechte in Berlin und Privatdozent für Politische Wissenschaft am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin.

  • 1 An der Abstimmung nahmen nicht teil die Zentralafrikanische Republik, Nordkorea, Äquatorialguinea, Georgien, Kiribati, Liberia und Nauru.
  • 2 Bundesaußenminister Steinmeier begrüßt die Gründung des UN-Menschenrechtsrats, Pressemitteilung des Auswärtigen Amtes, 28.3.2006. Weitere Informationen unter www.ohchr.org/ english/bodies/hrcouncil/.
  • 3 Die UN-Menschenrechtskommission untermauert ihr schlechtes Image. Zum Ende „Business as usual“: eine weitere Sitzuung ohne Substanz, Stellungnahme des Forums Menschenrechte, Genf/Berlin, 27.3.2006.
  • 4 Vgl. UN: amnesty international, amnesty international, 23.2.2006; Anne Bayefsky, Danielle Pletka und Brett Schaefer: United Nations Experts Agree: U.N. Resolution on Human Rights Council Does Not Deserve U.S. Support, 24.2.2006, website Heritage Foundation.
  • 5 Amnesty members petition USA to support new UN Human Rights Council, amnesty international, 7.3.2006, http://news.amnesty.org/index/ENGAMR510362006.
  • 6 Brett Schaefer und Nile Gardiner: The Right Decision on the UN Human Rights Council, 6.4.2006, website Heritage Foundation.
  • 7 Zur Reformdiskussion gibt es viele Beiträge. Siehe z.B. Jochen Motte und Wolfgang S. Heinz: Human Rights on the Defensive? The Future of the Commission on Human Rights in the Context of United Nations Human Rights Protection, Berlin 2004; amnesty international: Meeting the challenge. Transforming the Commission on Human Rights into a Human Rights Council, London 2005; und Theodor Rathgeber: Reforming the UN Commission on Human Governmental Organisations, Friedrich-Ebert-Stiftung Genf 2005.
  • 8 Auswärtiges Amt (Hrsg.): Siebter Bericht der Bundesregierung über ihre Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen und in anderen Politikbereichen, Berlin 2005, S. 242 ff., S. 247.
  • 9Forum Menschenrechte: Stellungnahme des Forum Menschenrechte zur Reform der Menschenrechtskommission im Rahmen der UN-Reformdebatte, 10.6.2005, http://www.forum-menschenrechte.de/index_deu.html.
  • 10 Kofi Annan: In größerer Freiheit: Auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle, Bericht des Generalsekretärs mit Addendum Human Rights Council. Explanatory note by the Secretary-General, Dokument A/59/2005 vom 21. März 2005, zu finden unter www.un.org/Depts/german/.
  • 11Kofi Annan: Dieser Rat sollte erfolgreich sein, Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), 21.3.2006, S. 10.
  • 12John H Bolton: Challenges and Opportunities in Moving Ahead on UN Reform, Hampton Roads International Security Quarterly, Bd. 6, Nr. 1, 2006, S. 16–19.
  • 13Gerhart R. Baum: Die letzte Entscheidung liegt beim Sicherheitsrat, FAZ, 22.3.2006, S. 10.
Bibliografische Angaben

Internationale Politik 6, Juni 2006, S. 100‑105

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