Gewalt und Gerechtigkeit
Buchkritik
Warum töten junge Iraker? Wer ist „Terrorist“, wer „Widerstandskämpfer?“ Wer „führt“ in der „traurigen Bilanz des Tötens“, der „Westen“ oder der „Islam“? Mit unbequemen Fragen und provozierenden Thesen möchte Jürgen Todenhöfer für einen Paradigmenwechsel in der westlichen Wahrnehmung der islamischen Welt sorgen.
„Ohne Gerechtigkeit kann man den Terrorismus nicht besiegen.“ Das ist die zentrale Botschaft dieses Buches. Sie wäre – so zutreffend sie ist – für sich genommen nicht übermäßig aufregend, würde der Autor sie in seinem Bericht nur gleichsam exemplifizieren. Das Anliegen Todenhöfers aber reicht weit darüber hinaus – es geht um einen Paradigmenwechsel in der Wahrnehmung der islamischen Welt im Westen und in den Beziehungen zwischen beiden.
Die Handlung ist schnell zusammengefasst. 2007 hat sich der Autor in den von den Amerikanern besetzten Irak aufgemacht – nicht „embedded“, sondern allein, nur von einem arabischen Fahrer begleitet. In Ramadi trifft er – wohl vorbereitet – auf eine Gruppe irakischer Widerstandskämpfer. In ihren Erzählungen berichten sie, welche Erlebnisse sie bewogen haben, in den Widerstand zu gehen. Nicht der Hass auf Amerika leitet sie, sondern die Erfahrung der Besatzung; sie töten als Antwort auf das Töten der Besatzungsmacht in ihrem engen Umfeld von Familie und Freunden. Wo liegen Gerechtigkeit und Wahrheit (das Gewicht der Begriffe ist symptomatisch für die starke emotionale Komponente des Buches)? Es sei Teil der Gerechtigkeit, so Todenhöfer, „deutlich zu machen, wo die fundamentalen Unterschiede zwischen Widerstandskämpfern und Terroristen liegen“. Den Mittelpunkt des Buches bildet ein Abschnitt, der „10:1“ überschrieben ist. Der Irak-Krieg ist für Todenhöfer lediglich ein Kapitel einer seit Jahrhunderten andauernden Aggressionspolitik Europas und der USA gegenüber der muslimischen Welt.
Während wir im Westen Gewalt nur auf der Seite der Muslime wahrnähmen, führe der Westen tatsächlich „in der traurigen Bilanz des Tötens mit weit über 10:1“. Einige Beispiele aus der Geschichte sollen diese erste These (von zehn) belegen. Der Leser ahnt, auf welch riskantes Minenfeld sich Todenhöfer hier begibt. Die Schlacht mit historischen „Fakten“ ist eröffnet. Eine offene Flanke bietet der Autor auch mit der dritten These: „Islamisch getarnte Terroristen sind Mörder. Für christlich getarnte Anführer völkerrechtswidriger Angriffskriege kann nichts anderes gelten.“ Also – müssen George W. Bush und Tony Blair wegen ihres auf Lügen gebauten Irak-Kriegs nicht vor ein internationales Strafgericht gestellt werden? Todenhöfer hat ein radikales Buch geschrieben. Und er hat es mit wahrhaft missionarischem Eifer getan (auf 60 Seiten werden
Zitate aus Bibel und Koran zusammengestellt, die zu den Themen Krieg und Gewalt, Frauen und Sklaven belegen, wie nah sich Judentum, Christentum und Islam im Guten wie im Bösen sind). Wohl wissend, wie umstritten seine Aussagen sein werden, hat er einen umfangreichen Anhang von Belegen und Anmerkungen hinzugefügt. Dem Buch ist zu wünschen, dass es nicht von Faktenfuchsern zerredet wird, sondern dass die Kernbotschaft ankommt, die kompromisslos auf die Verständigung von Völkern und Kulturen ausgerichtet ist. Zu diesem Zweck sind im März Zusammenfassungen der Thesen in der deutsch-, englisch- und arabischsprachigen Presse erschienen. Das Buch soll der Geltung der letzten These Todenhöfers den Weg bereiten: Das Gebot der Stunde heiße Staatskunst, nicht Kriegskunst. So ist auch die das Buch abschließende Frage des Autors zu verstehen: „Warum tötest du, George W.?“
Jürgen Todenhöfer: Warum tötest du, Zaid?C. Bertelsmann 2008, 335 Seiten, 19,95 €
Prof. Dr. UDO STEINBACH, geb. 1943, war Direktor des GIGA-Instituts für Nahoststudien. Er lehrt am Centrum für Nah- und Mittelost-Studien an der Philipps-Universität Marburg.
Internationale Politik 5, May 2008, S. 137 - 138