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01. Nov. 2007

Gemeinsam globale Probleme lösen

Aktive Partnerschaft ist das Gebot der Stunde

Nicht ohne Grund war die diesjährige Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt dem Thema Asien gewidmet: Die Gestaltung der Beziehungen zu den Staaten und Ökonomien Asiens ist längst zu einer Schlüsselfrage deutscher und europäischer Außen- und Außenwirtschaftspolitik geworden. Notwendig ist eine vorausschauende Politik, die mit den Chancen wie den Risiken des asiatischen Aufstiegs umgehen kann.

Asiens wirtschaftlicher und politischer Aufstieg zeigt Globalisierung wie in einem Brennglas – mit ihren Chancen, Herausforderungen und Folgen. Noch in diesem Jahrzehnt wird die chinesische Volkswirtschaft die deutsche überflügelt haben. Und 2040 werden drei der fünf weltweit größten Ökonomien – China, Indien und Japan – aus Asien stammen. Doch ist das nur die eine Seite: Die andere Seite Asiens kennt weiterhin Armut und Entwicklungsrückstand, massive Umweltschäden, ein vielfach steiles Gefälle zwischen Stadt und Land, demographische Verwerfungen, mancherorts marode Bankensysteme. Hinzu kommen Sicherheitsrisiken wie die Proliferation von Nuklearwaffen, Fundamentalismus und prekäre Staatlichkeit.

Entwicklungen dieser Größenordnung verändern nicht nur weltwirtschaftliche Parameter. Wir müssen uns auch auf veränderte politische Realitäten einstellen: ein selbstbewussteres Auftreten der asiatischen Staaten in der internationalen Politik, steigende Militärbudgets und unterschwellige oder auch offene regionale Rivalitäten. Den großen Chancen der Globalisierung stehen damit politische Risiken und potenzielle ökologische Folgelasten gegenüber, denen wir vorbeugen müssen. Vorausschauende Außenpolitik, wie ich sie verstehe, ist dazu imstande. Sie setzt auf Dialog und die gestaltende Kraft der Zusammenarbeit. Hinzu kommt: Wesentliche Fragen der Menschheit in den nächsten 100 Jahren sind nur noch gemeinsam zu lösen: Energie, Rohstoffe, Klima, der Schutz vor Pandemien, Armutsbekämpfung, der Kampf gegen den Terrorismus. Niemand kann das im Alleingang! Europa braucht deshalb Partner, gerade in Asien. Ohne Asien blieben alle Versuche, die großen globalen Fragen anzugehen, Stückwerk.

Was heißt das für deutsche und europäische Außenpolitik?

Erstens: Europa muss mit Ideen und Lösungen überzeugen. Deutsche und europäische Außenpolitik muss deutlich machen, was Europa Asien zu bieten hat. Europa braucht dabei gar nicht zu bescheiden zu sein. Die „sanfte Kraft“ des europäischen Politik- und Gesellschaftsmodells ist oft genug beschrieben worden. Es war ein asiatischer Staatsmann, der mir sagte: „Die Europäer haben, was viele asiatischen Gesellschaften anstreben: demokratische Staatsformen, Infrastruktur, Bürgerrechte, Spitzenunternehmen, ein hohes Bildungs- und Sozialniveau, eine reiche Kultur.“ Das ist, womit Europa auch in Asien punkten kann.

Entscheidend ist, dass wir die Wettbewerbsfähigkeit des auch sozial ausgewogenen europäischen Modells erhalten. Reformbereitschaft und Reformfähigkeit der europäischen Ökonomien sind dafür Voraussetzung – wozu gerade auch gehört, gesellschaftliche Bedingungen zu verbessern, die den Wohlstand in Europa möglich gemacht haben. Politisch, indem Europa seine Handlungsfähigkeit weiter stärkt; ökonomisch, indem es den Anpassungsdruck, der von Asien ausgeht, annimmt und das eigene Wirtschafts- und Sozialmodell entschlossen fortentwickelt.

Globalisierungsängste, die durch den neuen Wettbewerbsdruck gerade aus Asien verursacht werden, sind ernst zu nehmen – in Deutschland wie anderswo in Europa. Aber kein Land der Welt wäre durch Protektionismus so sehr betroffen wie Deutschland. Allein im ersten Halbjahr 2007 haben deutsche Unternehmen Waren im Wert von fast 500 Milliarden Euro ins Ausland verkauft. Freihandel muss aber eine Zweibahnstraße sein. Artifizielle Fixierung von Wechselkursen, Kapitalverkehrsrestriktionen und ein Anhäufen von Währungsreserven tragen die Gefahren globaler Ungleichgewichte in sich. Eine partnerschaftliche Strategie zwischen Europa und Asien muss deshalb Zusammenarbeit und Transparenz im Sinne globaler wirtschaftlicher Verantwortlichkeit befördern.

Zweitens: Gemeinsame Probleme brauchen gemeinsame Lösungen. Europa und Asien müssen Partner einer globalen Ressourcen- und Nachhaltigkeitsagenda werden. Umwelt-, Klima- und Energiefragen sind globale Schicksalsthemen geworden. Schon heute gehört China zu den größten CO2-Treibhausgas-Emittenten. Umweltschädigungen in Asien beeinträchtigen nicht nur die Gesundheit heimischer Bevölkerungen, sie stellen mittelfristig auch Wachstumshemmnisse ersten Grades dar. Was der in Asien exponentiell steigende Energie- und Rohstoffbedarf im Weltmaßstab bedeutet, kann man ermessen, wenn man den durchschnittlichen Energiebedarf eines japanischen Verbrauchers – von einem US-Bürger ganz zu schweigen – auf die 2,4 Milliarden Einwohner Chinas und Indiens hochrechnete: Der Weltenergiebedarf würde sich verdoppeln – mit gravierenden Folgen für die ohnehin prekäre Staatlichkeit in vielen Ressourcenländern. Die Gefährdungen können alle Beteiligten deshalb nur bewältigen, wenn sie global Verantwortung übernehmen. Und nur dann sind die in der Globalisierung liegenden Chancen für größeren Wohlstand und Entwicklung nutzbar. Deshalb setzt vorausschauende Außenpolitik darauf, Risiken früh zu erkennen und gemeinsame Lösungsmöglichkeiten zu suchen.

Das Interesse hierfür ist auch in Asien vorhanden. Dies ist sicherlich kein einfacher Prozess für Staaten, die erst am Beginn ihrer Wohlstandsentwicklung stehen. Wachstum ist für uns in Europa wichtig, und Wachstum ist es in den sich entwickelnden Staaten Asiens umso mehr. Aber europäische Erfahrung zeigt, dass es sich oft auszahlt, das kurzfristige Interesse für ein etwas längerfristiges hintanzustellen.

Drittens: Wenn Europa in Asien relevant sein will, muss es aktiv die Zusammenarbeit suchen. Europa hat viel zu bieten. Die europäische Einigung hat gezeigt: Regionale Zusammenarbeit und Interessenausgleich, Bündelung von Interessen, manchmal sogar die Übertragung von souveränen Rechten überwinden am ehesten Spannungen und Ressentiments und bringen friedliche Lösungsansätze voran. Dieser spezifisch europäische Weg, bis hin zur Vergemeinschaftung ganzer Politikbereiche in der EU, ist nicht auf Asien übertragbar. Einzelne Elemente aber könnten für die asiatische Kooperation von Interesse sein. Denn: Handels- und Ressourcenströme sind auch in Asien zunehmend verflochten. Fast 50 Prozent ihres Handels wickeln die ASEAN-Staaten innerhalb Asiens ab. Und die Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Hauptakteuren, wie zwischen China und Japan, werden immer enger – durch rasant wachsenden Handelsaustausch wie auch vermehrt durch Direktinvestitionen und regionale Produktionsnetzwerke.

Wirtschaftliche Verflechtung öffnet den Weg auch für politische Annäherung und Arrangements. Die ASEAN ist hier ein gutes Beispiel: ASEAN ist der regionale Motor kooperativer Beziehungen mit Sicherheitsbezug in Asien, einschließlich der um die ASEAN gruppierten Foren wie das ASEAN-Regionalforum und der East Asia Summit. Dort will die ASEAN gemeinsam mit ihren Partnern globale Fragen wie Sicherheit, Energie und Klima gestalten. Ermutigend ist, dass die ASEAN-Staaten dabei sind, sich eine Charta zur vertieften Zusammenarbeit zu geben. Dies ist ein erster Schritt hin zu einer politischen Architektur. Die Mitte November in Singapur anstehenden hochrangigen Treffen – ASEAN-Gipfel, dritter East Asia Summit mit ASEAN+3 sowie ein „ASEAN-EU Commemorative Summit“ zur Würdigung von 30 Jahren EU-ASEAN-Beziehungen – sind weitere Etappen, zumal sie sich schwerpunktmäßig mit den Themen Umwelt/Klima/Energie beschäftigen und damit ihre Verantwortung für die Erhaltung der globalen Lebensbedingungen unterstreichen.

Die EU arbeitet in vielen dieser Foren (wie im ASEAN Regionalforum oder bei der Südasiengemeinschaft SAARC) bereits mit oder strebt eine Mitarbeit an (beim East Asia Summit), um ihren komparativen Vorteil, die EU-spezifischen Lösungsansätze, einzubringen. Die Kontakte mit der ASEAN und ihren Mitgliedsstaaten sind in diesem Jahr sehr viel enger geworden. Das Treffen auf Außenministerebene in Nürnberg während der deutschen EU-Präsidentschaft hat substanzielle Ergebnisse gebracht, mit der „Nürnberger Erklärung“ einen gemeinsamen Rahmenplan für eine engere EU-ASEAN-Partnerschaft verabschiedet und sie damit für die Zukunft ausgerichtet. Nur wenn Europa „stakeholder“ der asiatischen Prozesse wird, können beide Seiten aus den kooperativen Erfahrungen den größten Gewinn ziehen und wirksam zur Fortentwicklung der internationalen Ordnung beitragen.

Viertens: Gestiegenes politisches Gewicht und Wirtschaftsmacht bedingen mehr Verantwortung und ermöglichen mehr Teilhabe. Ein fairer Interessenausgleich bedarf einer gerechten internationalen Ordnung – mit internationalen Institutionen, die ihr Handeln an allgemein verbindlichen Werten und Normen ausrichten. Die Schaffung einer solchen Ordnung wird nicht ohne Einbeziehung Indiens und Chinas möglich sein, und nicht ohne die fortgesetzte enge Zusammenarbeit mit Japan. Entgegen vielfachen Unkenrufen besteht dabei zu Pessimismus und „Wagenburgmentalität“ keinerlei Anlass. Auch in Asien weiß man, dass Teilhabe an globalem Wohlstand globale Verantwortung für Frieden und Entwicklung nach sich ziehen muss.

Das erhöhte chinesische Profil bei der Entschärfung der Nuklearkrise mit Nordkorea oder bei der Erarbeitung der Darfur-Resolution des UN-Sicherheitsrats zeugen davon. Japans G-8-Präsidentschaft im nächsten Jahr und die Olympischen Spiele in Peking werden mehr noch als bereits jetzt schon globale Aufmerksamkeit auf Asien lenken und Verantwortung einfordern. Auch die ASEAN muss – etwa angesichts der Entwicklungen in Myanmar – Position beziehen. Die Neuvermessung globaler Verantwortung wird ein schrittweiser, auf Dialog und Stabilität ausgerichteter Prozess sein müssen. Es gibt auch hier kein alles oder nichts. Europa wird sich mit asiatischen Ordnungskonzepten auseinanderzusetzen haben, so wie die aufsteigenden Mächte den Acquis der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Rechnung stellen müssen. Staatskunst des 21. Jahrhunderts wird es sein sicherzustellen, dass wir gemeinsamen Problemen auch gemeinsam begegnen. In diesem Sinne ist beim G-8-Gipfel mit dem „Heiligendamm-Prozess“ bereits ein Dialog mit den großen Schwellenländern China, Indien, Mexiko, Brasilien und Südafrika initiiert worden.

Fünftens: Rahmen und Regeln des Dialogs mit Asien müssen verantwortlich gefasst sein. Europa ist ein Werteraum. Die europäischen Werte der Aufklärung und der Toleranz sind seine Basis. Diese Werte sind auch im Dialog mit Asien wichtig. Doch eben im Dialog mit den asiatischen Akteuren, nicht ohne oder gegen sie. Dabei gibt es kein striktes Gegeneinander von europäischen Werten hier und vermeintlich asiatischen Werten dort. Interessenkonflikte, das Nebeneinander von Chancen und Spannungen, lassen sich nur mit der Bereitschaft und der Fähigkeit zum Dialog lösen. Es gibt hier euro-asiatische Traditionen gegenseitiger Bereicherung, an die dieser Dialog anknüpfen kann. Das meint nicht: Reden um des Redens willen. Wer Dialog will, muss fundamentale Regeln achten.

Vor diesem Hintergrund versteht sich europäisches Engagement für innere Reformen, für Menschenrechte, den Respekt des internationalen Rechts, verantwortliche Politik in Afrika und anderswo. Europa wird es sich nicht nehmen lassen, in der globalen Welt für globale Werte einzustehen. Dazu gehört selbstverständlich auch, dass wir die Standards erfüllen, die wir von anderen erwarten.

Deutsche und europäische Außenpolitik wird sich an diesem Prozess der schrittweisen Transformation des internationalen Systems aktiv beteiligen. Erforderlich ist nicht „Partnerschaftslyrik“, sondern eine nüchterne und zukunftsgerichtete Abarbeitung von zentralen Politikfeldern, für die die regionale und globale Zusammenarbeit dringlich, ja unverzichtbar ist.

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Bibliografische Angaben

Internationale Politik 11, November 2007, S. 17 - 21.

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