„Ein feiner Seismograph“
Warum sich ein transatlantischer Blick in Richtung Pazifik lohnt
Kalifornien ist Vorreiter eines klimapolitischen Aufbruchs in den USA. Die Wirtschaftsverflechtungen des Bundesstaats mit China, Wissensnetzwerke über den Pazifik hinweg, Städtepartnerschaften im Bereich Klima und Energie sind besondere Erfahrungen Kaliforniens, von denen wir lernen können. So Außenminister Frank-Walter Steinmeier im IP-Interview.
IP: Der erste Besuch eines deutschen Außenministers in Kalifornien seit 50 Jahren markierte im Sommer 2007 eine Zeitenwende. Demonstrierte er vor allem den klimapolitischen Schulterschluss mit dem größten amerikanischen Bundesstaat?
Steinmeier: Ob mein Besuch in Kalifornien eine Zeitenwende markierte, dieses Urteil möchte ich anderen überlassen. Richtig ist: Es war seit 50 Jahren das erste Mal, dass ein deutscher Außenminister politische Gespräche in Kalifornien führte. Meine gesamte Reise im Sommer 2007 stand unter der Überschrift „Neue Wege in der internationalen Energie- und Klimapolitik“. Daher auch der Reisebeginn in Spitzbergen, im ewigen Eis der Arktis. Das Ökosystem im „Hohen Norden“ ist so etwas wie ein Frühindikator für die Folgen des Klimawandels, und deutsche Forscher sind dort sehr aktiv. Daher hatte mich der norwegische Außenminister Stoere nach Spitzbergen eingeladen. Das Treffen war der Beginn einer vertieften Energie- und Klimazusammenarbeit zwischen Deutschland und Norwegen, mit regelmäßigen Workshops, vertieften Wirtschaftskontakten und Treffen auf politischer Ebene. Im Anschluss an Spitzbergen bin ich nach Kalifornien geflogen, mit dem festen Ziel, neue Bündnisse mit den „klimafortschrittlichen“ Kräften in den USA einzugehen, nötigenfalls auch unterhalb der Bundesebene. Jenseits von Washington hat sich – nicht erst im Jahr 2007 – einiges bewegt in den USA. Kalifornien mit Gouverneur Arnold Schwarzenegger an der Spitze war und ist Vorreiter dieses energie- und klimapolitischen Aufbruchs, der mit dem Amtsantritt von Präsident Obama auch für das ganze Land immer deutlicher sichtbar wird. Ich bin sicher: Die transatlantische Zusammenarbeit bei Energie und Klima wird ein wichtiger Punkt einer „Neuen Transatlantischen Agenda“. Die Reise nach Kalifornien war dafür ein entscheidender erster Schritt.
IP: Sie bezeichnen die Zusammenarbeit zwischen Europa und den USA als ein „Kraftwerk für Innovation und Frieden“ und messen den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Kalifornien dabei eine Schlüsselrolle zu. Bei einer Rede in San Francisco sagten Sie: „Bei der Gestaltung dieses ersten globalen Jahrhunderts sind Deutschland und Kalifornien Geistesverwandte“. Wo liegen die größten politischen, wirtschaftlichen wie kulturellen Gemeinsamkeiten?
Steinmeier: Kalifornien hat seinen Blick Richtung Pazifik gerichtet. Der Aufstieg der asiatischen Wirtschaftsgiganten ist dort noch sehr viel stärker spürbar als bei uns in Europa. Daher ist Kalifornien ein feiner Seismograph für die Umwälzungen, die unsere Zeit prägen. Gerade auch angesichts der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise, die Kalifornien ganz besonders trifft und noch harte Einschnitte im „Golden State“ erfordern wird. Doch weit über die aktuelle Krise hinaus: Die Wirtschaftsverflechtungen Kaliforniens mit China, die Innovations- und Wissensnetzwerke über den Pazifik hinweg, Städtepartnerschaften im Bereich Klima- und Energie – all das sind besondere Erfahrungen Kaliforniens, über die ein Austausch lohnt, von denen wir auch lernen können. Daher ist Kalifornien ein wichtiger Partner für uns. Und nicht zu vergessen: Kalifornien ist ein Zentrum der Forschung und Technologie in den USA. Jeder in Deutschland hat schon mal vom „Silicon Valley“ gehört, der Schmiede der Informationsrevolution der letzten Jahre und Jahrzehnte. Weniger bekannt ist, dass auch immer mehr Unternehmen in den Bereichen Klima- und Energietechnologie in Kalifornien forschen und neue Produkte und Technologien entwickeln, darunter zunehmend deutsche Firmen. Immer mehr Wagniskapital fließt in diesen Bereich. Auch der neue US-Energieminister Steven Chu hat lange in Kalifornien gelebt und gearbeitet, als Professor für Angewandte Physik in Stanford und Berkeley. Er ist ein Schwergewicht in der neuen Regierung von Präsident Obama und wir freuen uns auf eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit.1
IP: Steht hinter Ihrer „Kalifornien--Offensive“ auch die Überzeugung, dass Zusammenarbeit nicht nur zwischen nationalen Regierungen, sondern auch zwischen Regierungen und Bundesstaaten, Kommunen und der Zivilgesellschaft nützlich, ja notwendig ist?
Steinmeier: Wer heute außenpolitisch erfolgreich sein will, muss nicht nur in den Hauptstädten dieser Welt gute Kontakte haben. Politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklungen deuten sich vielfach jenseits der politischen Zentren an. Hier frühzeitig Witterung aufzunehmen, frühzeitig Einfluss zu nehmen, erfordert Präsenz vor Ort. Dort, wo die Trends von morgen gemacht werden. Bilaterale Kontakte von Regierung zu Regierung sind und bleiben das Herzstück der Außenpolitik. Aber Städte, Regionen, Bundesstaaten werden überall in der Welt mehr und mehr zu eigenständigen Akteuren. Das birgt viele Chancen. Für die deutsche Wirtschaft, die zum Beispiel beim Thema nachhaltige Urbanisierung ganz vorne mit dabei ist und damit Wachstum und Arbeitsplätze sichert. Urbanisierung ist einer der Megatrends unserer Zeit, der auch neue Herausforderungen bringt. Denn in den Städten entstehen weltweit über 80 Prozent aller Emissionen. Den Städten fällt damit eine Schlüsselrolle zu bei der globalen Energie- und Klimapolitik. Aber auch für die Außenpolitik werden Städte und Regionen als Partner immer wichtiger. So hat Kalifornien mit anderen Bundesstaaten sehr früh an einem eigenen, regionalen Emissionshandel gearbeitet. Hier haben wir früh das Gespräch gesucht. Einerseits, um Kalifornien und den anderen US-Westküstenstaaten beratend zur Seite zu stehen. Andererseits, um nach Wegen zu suchen, mittelfristig unsere Handelssysteme zu verknüpfen. Damit wäre der Grundstein gelegt für einen mächtigen transatlantischen Emissionshandel, der weltweit Standards setzt. Mit Präsident Obama haben wir gute Chancen, das Projekt weiter nach vorne zu bringen. Den Grundstein haben wir in Kalifornien gelegt.
IP: Sie äußerten die Sorge, dass Amerika, speziell Kalifornien, mehr und mehr gen Pazifik schaut und die transatlantische Zusammenarbeit mit Europa aus dem Blick verliert. Verdrängt der Aufstieg Asiens Europa aus dem amerikanischen Blickfeld – und was ist politisch dagegen zu tun?
Steinmeier:In der Tat: Die US-Weststaaten orientieren sich verstärkt gen Asien, besonders nach China und Indien. Das bedeutet aus meiner Sicht aber nicht, dass damit ein relativer Wertverlust der transatlantischen Beziehungen einhergeht. Sicher, die Europäer müssen sich anstrengen, um relevant zu bleiben. Aber auch die USA wissen: Zu starken, verlässlichen transatlantischen Beziehungen gibt es keine wirkliche Alternative. Gerade angesichts der Wirtschaftskrise. Darüber hinaus sendet die neue US-Regierung in Washington viele gute Signale, die Anknüpfungspunkte für einen neuen Aufbruch der gemeinsamen Beziehungen bieten. Das haben auch meine ersten Gespräche mit Außenministerin Hillary Clinton gezeigt. Ich nenne nur die Themen Abrüstung, Klima- und Energiepolitik, die Neuordnung der Global Governance oder die Gestaltung der Beziehungen zu den Schwellenländern. Klar ist aber auch, dass die nächste Zeit außenpolitisch vor allem unter den Zeichen der weltweiten Wirtschafts- und Finanzkrise stehen wird. Hier ist noch kein Licht am Ende des Tunnels zu erkennen. Hier ist viel internationale Kooperation gefordert, über den Atlantik hinweg, aber auch global. Gemeinsam mit den USA müssen wir die Krise nutzen, um neue Formen der globalen Zusammenarbeit wie eine erweiterte G-8 zu schaffen und die bestehenden Institutionen wie IWF oder Weltbank zu erneuern. Das Fenster der Geschichte steht ein Stück weit offen und ich meine, gemeinsam mit den USA müssen wir den Weg nach vorne weisen. Dass in der Welt und in den Institutionen von morgen die Schwellenländer eine noch wichtigere Rolle spielen werden als heute, steht dabei für mich außer Frage.
IP: Bei Ihrem Besuch in San Francisco sagten Sie, Kalifornien ist das „wichtigste Labor der globalen Zukunft“, „Symbol für die Kraft des Geistes“. Keine andere wirtschaftliche Region der Welt ist derart innovationsfreudig wie die Westküste. Ist dies einer vielleicht beispielhaften Forschungs- und Bildungspolitik, gar einer klügeren Migrationspolitik geschuldet, dass sich die Besten für eine Karriere in Kalifornien entscheiden und zunehmend auch Europa den Rücken kehren?
Steinmeier:Wer in Berkeley über den Campus spaziert, sieht die vielen Asiaten, Lateinamerikaner und auch Europäer, die dort studieren. Die US-Westküste ist ein Magnet für weltweites Wissen und wissenschaftliche Talente. Gleichzeitig gibt es diese einzigartige Verbindung aus universitärer Forschung, hochspezialisierten Hightech-Unternehmen und Wagniskapital, das nach Investitionsmöglichkeiten sucht. Das ist das Erfolgsrezept von Silicon Valley in den letzten Jahren gewesen und hiervon können wir sicherlich lernen. Auch was die Bedingungen für ausländische Wissenschaftler an der Westküste betrifft. Kein Wunder, dass hier jede Menge ausländischer Professoren lehren und forschen, die Arbeits- und Lebensbedingungen sind einzigartig. Ich meine, auch in Deutschland müssen wir noch mehr internationale Professoren an die Universitäten und Fachhochschulen locken und frischen Wind in die Hörsäle und Labors bringen. In den nächsten Jahren wird der weltweite Wettbewerb um Talent und Wissen noch härter, dem müssen wir uns stellen. Mit einer klugen Bildungs- und auch Integrationspolitik, die allen eine faire Chance einräumt.
IP: Die Sorge um den Klimawandel verbindet Deutschland und Europa mit Kalifornien. Ziel Ihrer damaligen Reise war auch, einen interkontinentalen Emissionshandel auf den Weg zu bringen, Kalifornien wie andere US-Bundesstaaten an einen europäischen Emissionshandel heranzuführen. Wie weit sind Sie mit dieser Idee heute gekommen? Und wie wichtig sind jetzt noch die Einzelstaaten, wenn sich Washington wieder bewegt?
Steinmeier:Die US-Bundesstaaten sind in den letzten Jahren die Vorreiter in der US-amerikanischen Umwelt-, Klima- und Energiepolitik gewesen. Oftmals führte das zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Washington und den Bundesstaaten, die bis zum Verfassungsgericht führten. Mit dem Amtsantritt der Regierung unter Präsident Obama ist dieser Konflikt entschärft. Washington wird in Zukunft eine sehr viel progressivere Umwelt- und Klimapolitik betreiben. Ein erklärtes Ziel der neuen Regierung ist der Aufbau eines bundesweiten Emissionshandelssystems. Hier wollen wir gemeinsam mit der Europäischen Kommission und wichtigen Partnerstaaten beim Aufbau helfen, in Washington, aber auch in den Bundesstaaten. Daher bleiben wir in engem Kontakt mit den regionalen Umweltbehörden. Über das internationale Forum zum Emissionshandel, kurz ICAP, aber auch über die „Transatlantische Klimabrücke“, die wir im September mit einer großen Veranstaltung im Auswärtigen Amt und vielen Gästen aus den USA eröffnet haben. Die Kontakte zwischen Städten, US-Bundesstaaten und deutschen Bundesländern, aber auch zwischen Unternehmen und Universitäten sollen im Klima- und Energiebereich gezielt ausgebaut werden. Das ist ein Zukunftsfeld der transatlantischen Beziehungen und ein sehr gutes Beispiel für erfolgreich praktizierte „Mehrebenen-Außenpolitik“. Und das Modell geht weit über die transatlantischen Beziehungen hinaus. So haben wir mit ICAP schon Mitglieder und Beobachter aus Lateinamerika, aus Asien und aus dem pazifischen Raum gewonnen. Staaten, aber auch Regionen oder Städte wie die Metropolregion Tokio wollen sich durch ICAP über den Aufbau eines Emissionshandelssystems informieren. Für uns bedeutet das gleichzeitig, eigene Standards zu exportieren und damit eine spätere globale Verknüpfung der lokalen Märkte zu einem weltweiten System möglichst kostengünstig und reibungslos vorzubereiten.
IP: Deutschland setzt seit Jahren ebenfalls auf eine Energierevolution und erneuerbare Energien, speziell Solar- und Windenergie, allerdings mithilfe einer staatlich induzierten, ökologischen Industriepolitik. Welcher Weg ist der effizientere, zukunftsträchtigere – und wo sehen Sie Überschneidungen mit den Amerikanern?
Steinmeier:Deutschland und die USA verfügen über ein einzigartiges technologisches Potenzial. Das gilt besonders für den Bereich von Klima- und Energietechnologie. Dabei spielt die Form der staatlichen Unterstützung oder Förderung eine untergeordnete Rolle. Wichtig sind die technologischen Fortschritte, die beiderseits des Atlantiks erzielt werden. Wir sind führend bei Solar und Wind, bei Effizienztechnologien und holen auf bei Antriebs- und Speichertechnologien. Auch die USA haben Solarunternehmen, die in der Weltliga mitspielen, einige davon haben kräftig in Ostdeutschland investiert. Aber auch bei Wind gibt es Spitzenunternehmen in den USA, nicht nur General Electric, sondern eine Vielzahl kleiner und mittlerer Unternehmen. Daneben sind die USA führend bei den alternativen Kraftstoffen, bei Bioethanol. Ich setze mich dafür ein, dass wir die Forschungsanstrengungen beiderseits des Atlantiks noch stärker miteinander verknüpfen. Durch koordinierte Ausschreibungsverfahren der EU-Kommission und des US-amerikanischen Energieministeriums oder durch Zusammenarbeit auf Ebene der Unternehmen. Bereits im Frühjahr 2007 habe ich dazu einen Runden Tisch ins Leben gerufen, dessen Ergebnisse in die EU-US-Gipfelerklärung unter deutscher Präsidentschaft eingeflossen sind. Hier müssen wir anknüpfen, und die Bereitschaft dafür ist in Wa-shington weiter gewachsen.
IP: Sie bezeichnen beide Länder als wichtige Handelspartner, Bündnispartner, Schrittmacher für eine saubere, nachhaltige Zukunft. Besteht nicht auch die Gefahr, dass aus Partnern bald Rivalen werden, auf dem wohl größten Zukunftsmarkt der Welt?
Steinmeier: Über den Atlantik gehen täglich Waren im Wert von über einer Milliarde Euro, gemeinsam stehen die USA und die EU für 60 Prozent des weltweiten Bruttosozialprodukts. Und der Anteil von nachhaltiger Technologie, von Cleantech und Greentech, steigt. Sicher, in manchen Feldern sind wir Konkurrenten. Aber weltweit wächst die Nachfrage nach Effizienztechnologien und erneuerbaren Energien rasant. Auch wenn die weltweite Wirtschaftskrise die Ölpreise in nächster Zeit nach unten drückt: Mittelfristig werden wir wieder steigende Preise bekommen. Erneuerbare Energien und Nachhaltigkeitstechnologien werden dann noch wichtiger. Und die Märkte dafür sind so groß, dass wir uns keine unnötige Konkurrenz machen müssen. Solange der Wettbewerb fair abläuft und dafür sorgt, dass die beste Idee, das beste Produkt gewinnt, müssen wir ihn nicht fürchten. Ganz im Gegenteil. Hier sind wir mit der deutschen Wirtschaft exzellent aufgestellt, das werden die nächsten Jahre zeigen.
Die Fragen stellten Achim Rust und Sylke Tempel.
Internationale Politik 3, März 2009, S. 10 - 16.